TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/11 W150 2153814-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.01.2019
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Entscheidungsdatum

11.01.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W150 2153813-1/8E

W150 2153812-1/7E

W150 2153819-1/7E

W150 2153816-1/7E

W150 2153814-1/7E

W150 2201489-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, 2. Frau XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, 3.) der mj.

XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter und gesetzliche Vertreterin, 4.) der mj. XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter und gesetzliche Vertreterin, 5.) der mj. XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter und gesetzliche Vertreterin, und

6.) dem mj. XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter und gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch den MIGRANTINNENVEREIN ST. MARX, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, Wien, ZVR-Zahl 086506993, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017, Zlen. 1.)

XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX sowie 6.) die Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2018, Zl. 18- XXXX , zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und Ali NASR gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, sowie XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass Ali NASR, sowie XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer, nämlich ein Ehepaar und deren minderjährige Kinder wurden am 17.08.2015 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet in Wien beim Hauptbahnhof aufgegriffen und deren Reisepässe beschlagnahmt. Am selben Tage stellten sie ihre Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am 18.08.2015 wurden der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: "BF1") und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: "BF2") durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen. Dabei gab der BF1 im Wesentlichen Folgendes an: Er sei syrischer Staatsangehöriger arabischer Volksgruppenzugehörigkeit sowie sunnitisch-muslimischen Glaubens und stamme aus XXXX ( XXXX ). Sie hätten Syrien am XXXX .07.2015 mit dem PKW legal nach Beirut verlassen, wären mit dem Schiff in die Türkei gelangt, dann nach Griechenland und vor dort in einem Kastenwagen direkt nach Österreich. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, der syrische Nachrichtendienst hätte ihn Ende 2011 angehalten und dabei eine Zigarette auf seinem rechten Arm ausgedrückt, sein Haus sei zerstört worden, sein Sohn habe einen Bombensplitter und ihr aller Leben sei in Gefahr.

Die BF2 und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen (in der Folge: "BF3", "BF4" und "BF5") gaben an, ebenfalls syrische Staatsangehörige arabischer Volksgruppenzugehörigkeit sowie sunnitisch-muslimischen Glaubens zu sein, machten aber keine eigenen Fluchtgründe geltend, sondern schlossen sich jenen des BF1 an.

3. Am 10.02.2017 wurden die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") niederschriftlich einvernommen. Vorgelegt wurden vom BF1 sein Militärbuch (Original), Familienregister, Geburtsurkunde der vier mitgereisten Kinder und der Frau (Original), die Geburtsurkunden zweier in Syrien lebender Kinder (Original) und ein Führerschein der BH Hermagor; weiters die ID-Card einer weiteren Tochter, die in Syrien lebe. Der BF1 bestätigte im Wesentlichen seine bei der Erstbefragung gemachten Angaben und führte weiter aus, dass er zuletzt als Buchhalter bei einer Wasseraufbereitungsfirma in XXXX gearbeitet habe, bis sein Büro zerstört worden sei; die Freie Syrische Armee befinde sich in der Ortschaft. Er habe auch als Musiker und Sänger gearbeitet. Zuletzt habe er in XXXX , bei den Eltern seiner Frau gewohnt. Er habe in Syrien drei Häuser sowie Olivenbäume besessen. Er habe zwei Frauen, die erste Frau - seine Cousine - lebe in Syrien. Insgesamt habe er 11 Kinder. Seinen Sohn XXXX habe er von seiner ersten Frau. Bezüglich seiner Flucht korrigierte er, dass er nicht legal ausgereist sei, er habe bei der Erstbefragung nur gesagt, dass seine Pässe gestempelt worden seien, das sei aber der Schlepper gewesen.

Bezüglich seiner Fluchtgründe ergänzte er, dass er "ein Verräter" sei, weil er aus " XXXX " komme, wo die Freie Syrische Armee herrsche; diese habe auch gewollt, dass er für sie kämpfe. Um dem zu entgehen habe er ihnen monatlich 25.000 Lira bezahlt. 2014 hätten ihn zwei bewaffnete maskierte Männer entführt, sie hätten ihn gefesselt, ihre Zigaretten auf seiner Hand ausgedrückt (dazu zeigte er seine Narben) und ihn zwei bis drei Stunden festgehalten. Ausschlaggebender Moment sei ein Einberufungsbrief gewesen, demzufolge er als Reservist hätte einrücken müssen. Den Brief hätte er zu Hause bei seinem Schwiegervater erhalten. Er habe diesen Brief nicht auf der Flucht mitgenommen, nur das Militärbuch, in dem stehe er habe seinen Militärdienst geleistet, das sei keine Gefahr. Er habe nach dem Angriff auf " XXXX " mit der Flucht noch ca. ein halbes Jahr lang gewartet, bis sein Sohn, der bei einem Luftangriff durch Splitter am Oberschenkel verletzt worden sei, wieder auf eigenen Füßen habe stehen können.

Anschließend an die Befragung des BF1 wurde auch die BF2 vor dem BFA einvernommen. Sie bestätigte im Wesentlichen ihre bisherigen Angaben und die Angaben ihres Mannes. Sie habe in der gleichen Firma in XXXX gearbeitet wie er. Sie selbst sei wegen des Krieges geflüchtet und weil ihr Mann in Gefahr gewesen sei. Ihre Kinder, die BF3, BF 4 und BF5 hätten keine eigenen Fluchtgründe.

4. Mit Bescheiden vom 31.03.2017 - zugestellt am 04.04.2017 - wies das BFA im Familienverfahren die Anträge der BF1 bis BF5 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF1 bis BF5 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges stellte das BFA im Wesentlichen fest, dass jeweils Identität und Familienstand der Beschwerdeführer feststehe, diese aber in Syrien keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien. Insbesondere hielt es fest, dass die Angaben des BF1 zu einer versuchten Einberufung zum syrischen Militär ein gesteigertes Vorbringen seien, da er dies nicht schon bei der Erstbefragung erwähnt habe und übrigens auch sonst Widersprüche in seinen Angaben aufgetreten seien und es auch abgesehen davon - mit Hinweis auf das vorliegende Militärbuch - fraglich sei, ob er zum Reservistendienst herangezogen würde, da er bereits über 30 Jahre alt sei. Zum als Beweismittel herangezogenen Militärbuch führte das BFA im Verfahrensgang zudem aus, dass der BF1 Offizier gewesen sei. Zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz an die BF verwies das BFA auf die allgemeine Lage in Syrien. Weiters wurde festgestellt, dass der Sohn [ XXXX ] des BF1 bereits volljährig sei, eigene Fluchtgründe habe und daher sein Verfahren abgesondert geführt und bereits abgeschlossen wurde.

Dem Bescheid die BF2 betreffend sind die Feststellungen zu ihrer Person und ihren Fluchtgründen wie folgt zu entnehmen: Sie habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Es habe keine individuelle Bedrohung ihrer Person oder der mj. Kinder festgestellt werden können. Sie habe keine individuelle gegen sie gerichtete Gefahr einer Verfolgung oder Bedrohung glaubhaft machen können.

5. Gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG wurden den BF mittels Verfahrensanordnungen des BFA vom 03.04.2017 - zugestellt am 04.04.2017 - Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Gegen die oben angeführten Bescheide erhoben die BF1 bis BF5 jeweils gegen Spruchpunkt I. fristgerecht am 09.04.2017 Beschwerde und begründeten diese zusammengefasst im Wesentlichen damit, dass dem BF1 entgegen den Annahmen des BFA die Einberufung als Reservist zur syrischen Armee drohe, die im Bescheid angeführte Altersgrenze von 30 Jahren entspreche jedenfalls nicht der Realität in Syrien. Weiters, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr als Deserteur angesehen werde, er zudem auch einer politischen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, da er aus einer Rebellenstadt komme und den Kriegsdienst ablehne. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Freie Syrische Armee sei realistisch.

7. Das BFA legte, datiert mit 20.04.2017, eingelangt am 24.04.2017, die Beschwerden - ohne von der Möglichkeit von Beschwerdevorentscheidungen Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und verzichtete auf Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung.

8. Am XXXX wurde der Sechstbeschwerdeführer (in der Folge: "BF6") geboren. Am 18.05.2018 stellte dieser, vertreten durch seine Mutter, die BF2, einen Antrag auf internationalen Schutz.

9. Mit Bescheid vom 21.06.2018, Zustellnachweis nicht vorhanden, wies das BFA im Familienverfahren den Antrag des BF6 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde dem BF6 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.)

10. Gegen Spruchpunkt I. des oben angeführten Bescheides erhob der BF6 jedenfalls fristgerecht am 05.07.2018 unter Vollmachtsvorlage Beschwerde und begründete diese mit Verweis auf das Beschwerdevorbringen der BF1 bis BF5.

11. Mit im Spruch inhaltsgleicher Beschwerdevorentscheidung vom 10.07.2018, zugestellt an den ausgewiesenen Vertreter am 11.07.2018, wies das BFA im Familienverfahren den Antrag des BF6 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde dem BF6 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.)

12. Gegen die oben angeführte Beschwerdevorentscheidung erhob der BF6 fristgerecht am 12.07.2018 "Beschwerde", focht diese zur Gänze an und begründete sein Vorbringen mit Verweis auf das Beschwerdevorbringen der BF1 bis BF5 und brachte zusätzlich vor, dass der BF6 Staatsangehöriger der Russischen Föderation sei.

13. Das BFA legte, datiert mit 19.07.2018 - eingelangt am 23.07.2018 - den Bescheid vom 10.07.2018 [i.e. die Berufungsvorentscheidung] und die dagegen erhobene "Beschwerde" dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der erhobenen Anträge auf internationalen Schutz vom 17.08.2015 bzw. dem 18.05.2018, der Einvernahmen der BF1 und der BF2 durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des BFA, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person der BF

Die BF tragen die im Spruch angeführten Namen und sind zu den im Spruch angeführten Daten geboren, sind syrische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Araber an und bekennen sich zum muslimischen-sunnitischen Glauben. Ihre Identität steht fest.

Der BF1 und die BF2 sind miteinander verheiratet und leibliche Eltern der BF3 bis BF6. Die Ehe wurde im Heimatstaat der BF geschlossen, sie bestand jedenfalls bereits vor deren Einreise in das Bundesgebiet. Die BF2 ist die Mutter der minderjährigen BF3 bis BF6 und somit jedenfalls deren gesetzliche Vertretung.

Der BF1 ist 1971 geboren. Im Hinblick auf seinen bereits abgeleisteten Grundwehrdienst und die dabei erfahrene Offiziersausbildung drohte und droht dem Beschwerdeführer noch immer die reale Gefahr, dass er in Syrien (bei einer nunmehrigen Rückkehr) zum (Reserve-)Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen wird und er ist im Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung und/oder der Verweigerung des Militärdienstes der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25.01.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 24.08.2018):

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt (DRC/DIS 8.2017). Für männliche syrischen Staatsbürger und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 5.12.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017). Diejenigen männlichen palästinensischen Flüchtlinge, im Alter von 18 bis 42 Jahren, welche vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees (GAPAR) registriert waren, und deren Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für diese Palästinenser gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer (BFA 8.2017). [Informationen zu Palästinensern finden sich auch unter Abschnitt "15.1. Palästinensische Flüchtlinge"]

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien, wie zum Beispiel Anfang Mai 2017, als bei einem Fußballspiel in Tartus alle Männer beim Verlassen des Stadions versammelt und zum Dienst verpflichtet wurden. Einige Zeit zuvor gab es einen weiteren Vorfall, bei dem vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert wurden. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Syria Direct 7.12.2017). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2015).

Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (FIS 23.8.2016; vgl. ISW 8.3.2017). Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, und auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017)

Zusatzinformationen zum Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt (BFA 8.2017). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2015; vgl. DRC/DIS 8.2017). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017). Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016).

Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (BFA 8.2017).

Befreiung und Aufschub

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat (BFA 8.2017).

Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).

Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht (BFA 8.2017).

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden (USDOS 15.8.2017). Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein (BFA 8.2017; vgl. UNHCR 3.11.2017). Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden (Syria Direct 7.12.2017). Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten (BFA 8.2017).

Entlassungen

Es liegen aktuell keine Informationen zu Entlassungen von Soldaten aus dem Militärdienst vor, es ist jedoch möglich, dass dies trotzdem vorkommt. Viele Männer haben Angst, nicht mehr aus dem Dienst entlassen zu werden, wenn sie einmal eingezogen werden. Manche Männer, die den verpflichtenden Wehrdienst bereits abgeleistet haben, werden wieder zum Dienst einberufen, oder der Dienst mancher Männer wird einfach verlängert (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015).

Amnestien

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstverweigerer und Reservisten eine Amnestie erhalten. Es gibt keine Informationen darüber, wie viele Personen die Amnestie genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung jedoch danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte. In diesem Zusammenhang ist nicht klar, aus welchem Grund bestimmte Personen freigelassen werden und ob die Amnestie jenen hilft, die davon profitieren sollten [also Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren, Anm.], oder anderen Personen. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten davon nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Reuters 20.7.2016).

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden (AI 6.2012).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden (BFA 8.2017). Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster (DIS 26.2.2015).

Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2017). Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen (FIS 23.8.2016).

Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen (BFA 8.2017).

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert (FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle des Regimes gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bzgl. Wehrdienst getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist (BFA 8.2017).

Quellen:

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2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Person und den Familienverhältnissen der BF basieren auf deren Angaben sowie den vorgelegten Dokumenten (u.A. syrische Reisepässe, Geburtsurkunden, Militärbuch).

Die BF haben bei allen Befragungen von Anfang an im Wesentlichen übereinstimmende Angaben gemacht.

Die Daten der Antragstellungen der BF und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen, dass der BF1 bei der Syrischen Armee Wehrdienst geleistet hat, im Offiziersrang abgerüstet hat und Reservist war, ergeben sich aus dem Militärbuch des BF1; dieses wurde auch als unbedenkliches Beweismittel vom BFA herangezogen.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten (aktualisierten Quellen), die schon das BFA seinen Bescheiden zugrunde legte. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität deren Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Die Beschwerden wurde fristwahrend erhoben und es liegen auch die anderen Prozessvoraussetzungen vor.

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Bei der Entscheidung, ob eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung besteht, handelt es sich immer um eine Prognoseentscheidung, die eine auf die Zukunft gerichtete Verfolgung verlangt. Das Wort "Furcht" bezieht sich dabei nicht nur auf Personen, die tatsächlich verfolgt wurden, sondern auch auf solche, die einer Situation aus dem Wege gehen möchten, die eine Gefahr der Verfolgung in sich birgt. (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30. November 2016, S. 1)

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

3.2. Im Falle einer Rückkehr läuft der BF1 aufgrund seines Alters und des bereits geleisteten Wehrdienstes Gefahr zum (Reserve-)Militärdienst in die syrische Armee einrücken zu müssen. Zum einen müsste der BF1 bei einer Rückkehr befürchten, in der syrischen Armee zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt und damit zur Mitwirkung an völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen zu werden, widrigenfalls ihm jedenfalls eine Gefängnisstrafe droht. Zum anderen wäre eine Weigerung, in die Armee einzurücken, gemäß den Länderfeststellungen mit drastischen Konsequenzen verbunden. Die Länderfeststellungen lassen erkennen, dass in der Weigerung, den Dienst in der Armee anzutreten, eine oppositionelle politische Gesinnung gesehen wird, die durch unverhältnismäßige Strafen geahndet wird. Dass der BF1 in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Gelegenheit hätte, den Vorwurf einer regimefeindlichen Gesinnung zu entkräften, kann nicht angenommen werden.

Den aktuellen Berichten zur Situation des syrischen Militärs ist zu entnehmen, dass mit dem Fortwähren des langjährigen Konflikts ein zunehmender Personalbedarf besteht. Bestehende Gesetze und Regeln in Bezug auf Einberufungspraktiken werden daher oft willkürlich ausgelegt und angewandt. So werden in manchen Regionen vermehrt Wehrpflichtige und Reservisten einberufen (vgl. dazu UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30. November 2016, S. 2).

Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass der Militäreinsatz in der syrischen Armee - dem sich der Beschwerdeführer letztlich durch seine Ausreise entzogen hat - im derzeitigen bewaffneten Konflikt in Syrien mit einem Zwang zur Verübung menschenrechtswidriger Handl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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