TE Bvwg Beschluss 2019/1/22 G310 1419990-4

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Veröffentlicht am 22.01.2019
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Entscheidungsdatum

22.01.2019

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G310 1419990-4/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Prof. Mag. Dr. Vera WELD, Rechtsanwältin in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.09.2017,

Zl. XXXX, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid

aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes (im Folgenden: BVwG) vom 31.08.2015, GZ. G306 1419990-2/2E, wurde unter anderem der Beschwerde betreffend eines mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 11.06.2015, Zl. XXXX, erlassenen Einreiseverbotes insofern stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf 5 Jahre herabgesetzt wurde. Hinsichtlich der ebenfalls mit diesem Bescheid ergangenen Rückkehrentscheidung wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Mit Schreiben vom 01.08.2017 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung die Aufhebung des Einreiseverbotes und begründete dies mit der erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Eltern des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF). Bei diesen halte sich der BF seit seiner bedingten Entlassung aus der Justizanstalt XXXX, nämlich seit XXXX.2017, wieder auf. Um für seine Eltern sorgen zu können, werde höflichst ersucht, das über den BF verhängte Einreiseverbot von fünf Jahren aufzuheben.

Am 30.08.2017 langte ein Erstantrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im

Folgenden: BFA) zusammen mit einem Konvolut an Unterlagen ein.

Mit dem oben angeführten Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF gemäß § 60 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass gemäß § 60 Abs. 1 AsylG einem Drittstaatsangehörigen Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG oder eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR Staates oder der Schweiz besteht. Da gegen den BF eine mit einem Einreiseverbot verbundene aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 2 Z 2 iVm § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG bestehe, erfülle er die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel gemäß § 60 AslyG nicht und sei er von der Erteilung eines Aufenthaltstitels ausgeschlossen.

Dagegen erhob die rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass sich die belangte Behörde sich bei ihrer Entscheidung mit der Existenz der Rückkehrentscheidung begnügt habe, ohne jedoch konkret auf das Privat- und Familienleben des BF eingegangen zu sein. Berücksichtigungswürdige, einzelfallbezogene Aspekte seien unbeachtet geblieben.

Das BFA legte die Verwaltungsakten und die Beschwerde dem BVwG vor, wo diese am 12.10.2017 einlangten. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.10.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung G302 abgenommen und der Gerichtsabteilung G310 zugewiesen (Einlangen in der Gerichtsabteilung: 05.11.2018).

Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, für den Fall, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist auch in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheides kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Gericht nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das BVwG die Prozessökonomie fördern.

Das BFA begründete seine Entscheidung damit, dass der Versagungsgrund nach § 60 Abs. 1 Z 1 AsylG der erfolgreichen Antragstellung nach § 55 AsylG entgegen steht. Demnach dürfen Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht. Doch allein das Bestehen einer aufrechten Rückkehrentscheidung rechtfertigt keinesfalls die Abweisung des gegenständlichen Antrages.

Im Hinblick auf die Entscheidung des VwGH vom 16.12.2015, Ra 2015/21/0037, ist die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 60 Abs. 1. Z 1 AsylG dergestalt einschränkend auszulegen, dass sie sich - wie die inhaltlich ähnliche Erteilungsvorrausetzung nach § 60 Abs. 3 Z 2 AsylG ausdrücklich - nur auf Aufenthaltstitel nach den §§ 56 und 57 AsylG beziehen kann.

Nach der oben angeführten Judikatur des VwGH ist bei der Prüfung von Anträgen nach § 55 AsylG von § 58 Abs. 10 erster Satz AsylG auszugehen, wonach derartige Anträge als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Verwiesen wird auf die ErläutRV (1803BlgNR 24. GP 50): "Der neue (Abs. 10) entspricht im Wesentlichen § 44b NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011. Mit der Neuerrichtung des Bundesamtes und der damit einhergehenden Verfahrensvereinfachung und organisatorischen Umstrukturierung ist die Einbindung der zuständigen Sicherheitsdirektion entfallen. Die Beurteilung bzw. Prüfung erfolgt nun durch das Bundesamt. Dementsprechend sind Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes hat sich lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass - im Rahmen einer Neubewertung - wenn ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, ein Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird."

Gemäß diesen Ausführungen hat also im Rahmen eines Verfahrens nach § 55 AsylG auch eine Neubewertung einer Rückkehrentscheidung, die mit einem Einreiseverbot nach § 53 Abs. 2 oder 3 FPG verbunden ist, im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens zu erfolgen. Ergibt diese Neubewertung, dass ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinn des Art. 8 EMRK vorliegt, so ist der begehrte Aufenthaltstitel, ungeachtet des bestehenden Einreiseverbotes nach § 53 Abs. 2 und 3 FPG, zu erteilen und die Rückkehrentscheidung wird gemäß § 60 Abs. 3 Z 2 FPG gegenstandslos, sodass auch dem - deshalb ebenfalls gegenstandslos werdenden - Einreiseverbot der Boden entzogen ist (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0037; 25.01.2018, Ra 2017/21/0256).

Bei der Beurteilung, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 4.8.2016, Ra 2015/21/0249).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).

Das BFA hat es somit unterlassen, den relevanten Sachverhalt umfassend zu ermitteln und festzustellen. Auf der Grundlage des bisherigen Beweisverfahrens ist die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Da das BFA zum Privat- und Familienleben keine Ermittlungen durchführte und dem BF zu diesen entscheidungswesentlichen Tatsachen kein Parteiengehör gewährte, leidet der angefochtene Bescheid unter eheblichen Ermittlungsmängeln. Es führt weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst vornimmt.

Das BFA wird im fortgesetzten Verfahren eine den obigen Ausführungen entsprechende Neubewertung des Privat- und Familienlebens vorzunehmen haben, um anschließend auf dieser erweiterten Grundlage eine mangelfrei begründete Sachenentscheidung zu treffen.

Der angefochtene Bescheid ist somit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das BFA bislang keine Entscheidung über den Antrag des BF vom 01.08.2017 getroffen hat.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G310.1419990.4.00

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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