Index
L1000 GemeindeordnungNorm
B-VG Art118 Abs3 Z3, Art 118 Abs6Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Wortfolge einer Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Gries am Brenner betreffend ein Betretungsverbot zur Abwehr von Steinschlaggefahr; vorgesehene (Freiheits-)Strafdrohung entbehrt der gesetzlichen GrundlageSpruch
I. Die Wortfolge "oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen" in ArtIII der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Gries am Brenner vom 13. April 2011, Z 866, betreffend die Steinschlaggefahr im Bereich Lueg war gesetzwidrig.
Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, ArtIII der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Gries am Brenner vom 13. April 2011, Z 866, betreffend die Steinschlaggefahr im Bereich Lueg als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):
1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Gries am Brenner vom 13. April 2011, Z866, betreffend die Steinschlaggefahr im Bereich Lueg lautet:
"Verordnung
Gemäß §54 Tiroler Gemeindeordnung, LGBl Nr 36/2001 und in Verbindung mit §43 Abs1 lita StVO wird durch den Bürgermeister der Gemeinde Gries am Brenner nachstehende Verordnung erlassen.
I.
Am 07.04.2011 ereignete sich auf der südwestlichen Hangseite im Ortsteil Lueg ein Felssturz im Ausmaß von etwa 4 m3, der das Wohnhaus Lueg 218 erheblich beschädigt hat. Die Abbruchstelle befindet sich etwa 100 m oberhalb der Brennerautobahn A13. Der Gefahrenbereich erstreckt sich südwestlich vom Wohnhaus Lueg 212 bis zum Wohnhaus Lueg 218. In diesem Bereich sind u.a. der Fußballplatz samt Nebenanlagen, die Lagerflächen der Firma Haider/Grasl Holztransporte und die Kirche am Lueg betroffen. Weiters betroffen ist ein großer Teil des Wander- bzw Jakobweges in diesem Bereich. Mit latentem Steinschlag und Absturz größerer Blöcke muss jederzeit in diesem Bereich gerechnet werden.
II.
Der im Absatz I. angeführte Bereich wird gesperrt und darf von Personen nicht betreten werden. Ausgenommen davon sind Personen, die zur Behebung der Gefahr geologische Messungen oder Erhebungen durchführen bzw mit Sicherungsmaßnahmen beauftragt sind. Ebenso ausgenommen ist die landwirtschaftliche Bewirtschaftung der Flächen mit der Grundparzelle 331/1 unter der Voraussetzung, dass dies bei guten Sichtverhältnissen in das Abbruchgebiet, erfolgt.
III.
Übertretungen dieser Verordnung werden mit einer Geldstrafe bis zu € 2.000.- oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen bestraft.
IV.
Gemäß §54 Tiroler Gemeindeordnung LGBl Nr 36/2001 tritt diese Verordnung wegen Gefahr in Verzug, mit dem Tag der Kundmachung in Kraft.
Der Bürgermeister
[…]
An der Amtstafel der Gemeinde
angeschlagen: 13.04.2011"
Diese Verordnung trat mit Ablauf des Tages der Kundmachung der neuen Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Gries am Brenner zur Abwehr der Steinschlaggefahr im Bereich Lueg am 29. Jänner 2019 außer Kraft (§3 der neuen Verordnung).
2. §§16, 18, 30 und 54 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 – TGO lauten wie folgt:
"§16
Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde
(1) Der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde umfasst neben den im §2 Abs2 genannten Angelegenheiten alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden.
(2) Der Gemeinde sind zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich die behördlichen Aufgaben insbesondere in folgenden Angelegenheiten gewährleistet:
a) Bestellung der Gemeindeorgane, unbeschadet der Zuständigkeit überörtlicher Wahlbehörden; Regelung der inneren Einrichtungen zur Besorgung der Gemeindeaufgaben,
b) Bestellung der Gemeindebediensteten und Ausübung der Diensthoheit unbeschadet der Zuständigkeit überörtlicher Disziplinar-, Qualifikations- und Prüfungskommissionen,
c) örtliche Sicherheitspolizei und örtliche Veranstaltungspolizei,
d) Verwaltung der Verkehrsflächen der Gemeinde, örtliche Straßenpolizei,
e) Flurschutzpolizei,
f) örtliche Marktpolizei,
g) örtliche Gesundheitspolizei, insbesondere auch auf dem Gebiet des Hilfs- und Rettungswesens sowie des Leichen- und Bestattungswesens,
h) Sittlichkeitspolizei,
i) örtliche Baupolizei; örtliche Feuerpolizei; örtliche Raumplanung,
j) öffentliche Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten und
k) freiwillige Feilbietungen beweglicher Sachen.
§18
Ortspolizeiliche Verordnungen
(1) In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches hat die Gemeinde das Recht, ortspolizeiliche Verordnungen nach freier Selbstbestimmung zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstände zu erlassen und deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung zu erklären. Solche Verordnungen dürfen nicht gegen bestehende Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes verstoßen.
(2) Wer eine ortspolizeiliche Verordnung übertritt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist vom Bürgermeister mit einer Geldstrafe bis zu 2.000,- Euro zu bestrafen. Der Versuch ist strafbar. Die Strafgelder fließen der Gemeinde zu.
§30
Aufgaben des Gemeinderates
(1) Der Gemeinderat ist das oberste Organ der Gemeinde. Er hat über alle Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden und die Geschäftsführung der übrigen Gemeindeorgane zu überwachen. Der Gemeinderat entscheidet neben den ihm gesetzlich sonst noch zugewiesenen Angelegenheiten insbesondere über
a) die Erlassung von Verordnungen,
b) bis r) […]
(2) Der Gemeinderat kann aus Gründen der Arbeitsvereinfachung oder Raschheit
a) die Erlassung von Verordnungen in bestimmten Angelegenheiten, mit Ausnahme von ortspolizeilichen Verordnungen und von Satzungen sowie der Ausschreibung von Gemeindeabgaben, dem Gemeindevorstand oder dem Bürgermeister übertragen,
b) […]
(3) bis (5) […]
§54
Befugnisse in Notstandsfällen
(1) Der Bürgermeister kann im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei die zur Abwehr unmittelbarer Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Sicherheit von Sachen erforderlichen allgemein verbindlichen Anordnungen treffen. Besteht die Gefahr, dass eine unaufschiebbare Maßnahme vereitelt oder unterlassen werden könnte, so ist er im erforderlichen Umfang zur Erlassung sofort vollziehbarer einstweiliger Verfügungen berechtigt.
(2) Der Bürgermeister ist in Fällen außerordentlicher Gefahr, insbesondere bei Elementarereignissen, unbeschadet der ihm nach anderen Gesetzen zustehenden Befugnisse berechtigt, alle tauglichen Gemeindebewohner zur unentgeltlichen Hilfeleistung aufzubieten und im unumgänglich notwendigen Umfang Eingriffe in das Privateigentum gegen angemessene Entschädigung vorzunehmen. Für das Verfahren und die Festsetzung der Entschädigung gelten die Bestimmungen des 12. Abschnittes des Tiroler Straßengesetzes, LGBl Nr 13/1989, sinngemäß.
(3) In den Fällen des Abs1 und zum Zweck der Eingriffe in das Privateigentum nach Abs2 ist die Anwendung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zulässig.
(4) Reichen die Kräfte der Gemeinde zur Abwehr einer Gefahr nicht aus, so hat der Bürgermeister sofort die Bezirkshauptmannschaft davon zu verständigen."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 4. Oktober 2017 wurde gegen den Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol eine Ermahnung nach §45 Abs1 letzter Satz VStG ausgesprochen, weil er am 4. März 2017 um 13:15 Uhr "trotz der Verordnung der Gemeinde Gries a.Br. vom 13.04.2011, Zl 866, […] einen Gefahrenbereich im Sinne des §36 Abs1 Sicherheitspolizeigesetz betreten" habe. Durch diese Betretung hat der Beschwerdeführer nach Ansicht der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck §84 Abs1 Z1 SPG iVm §36 SPG verletzt.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol führt in seinem Antrag zunächst aus, dass die vorliegende Verordnung kein Platzverbot im Sinne des §36 SPG sei, weil ein derartiges Verbot nur von der Sicherheitsbehörde erlassen werden könne (Abs1) und höchstens für drei Monate gelte (Abs3). Da die vorliegende Verordnung als Notstandsverordnung des Bürgermeisters nach §54 TGO zu qualifizieren sei, hätte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck als Strafnorm nicht §84 Abs1 Z1 SPG, sondern ArtIII der Verordnung heranzuziehen gehabt; dies sei vom Landesverwaltungsgericht Tirol im Beschwerdeverfahren zu berichtigen.
Die Bedenken gegen die angefochtene Strafnorm des ArtIII der Verordnung, die das Landesverwaltungsgericht Tirol zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, legt es wie folgt dar (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):
"Der Bürgermeister der Gemeinde Gries am Brenner vom 13.04.2011, ZI 866, hat die gegenständliche Verordnung gemäß '§54 Tiroler Gemeindeordnung, LGBl Nr 36/2001 und in Verbindung mit §43 Abs1 lita StVO' erlassen.
Soweit sich die Verordnung des Bürgermeister[s] ausdrücklich auf §43 Abs1 lita StVO stützt, ist darauf hinzuweisen, dass die Erlassung von Verordnungen gemäß §43 Abs1 lita StVO nach §94d StVO im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde nur zur Erlassung von Beschränkungen für das Halten und Parken (§94d Z4 lita), eines Hupverbotes (litb), eines Benützungsverbotes für Radfahranlagen durch Rollschuhfahrer (litc) oder von Geschwindigkeitsbeschränkungen (litc) vorgesehen ist. Die Erlassung eines Fahrverbotes bzw Betretungsverbotes für Fußgänger auf Straßen mit öffentlichem Verkehr bzw allenfalls eingeschränkt für Straßen ohne öffentlichen Verkehr (nur für solche könnte gemäß §1 StVO eine Zuständigkeit nach der StVO bestehen) fällt nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden. Zuständig wäre zudem für die Erlassung von Verordnungen im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde der Gemeinderat (vgl §30 lita Tiroler Gemeindeordnung). Angemerkt wird, dass auch keine Verordnung der Landesregierung besteht, die eine solche Zuständigkeit auf die Gemeinde Gries am Brenner bzw deren Bürgermeister, sohin in den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde, übertragen hätte (vgl §94c StVO). Die Erlassung der gegenständlichen Verordnung auf Grundlage des §43 Abs1 lita StVO ist daher wohl jedenfalls gesetzwidrig.
Im Einleitungssatz der gegenständlichen Verordnung wird als Rechtsgrundlage für die Verordnung auch der §54 TGO angeführt. Nach dieser Bestimmung kann der Bürgermeister im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei die zur Abwehr unmittelbarer Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Sicherheit von Sachen erforderlichen allgemein verbindlichen Anordnungen treffen. Besteht die Gefahr, dass eine unaufschiebbare Maßnahme vereitelt oder unterlassen werden könnte, so ist er im erforderlichen Umfang zur Erlassung sofort vollziehbarer einstweiliger Verfügungen berechtigt.
Durch diese Vorschrift wird der Bürgermeister (vgl die grundsätzliche Zuständigkeit des Gemeinderates zur Erlassung von Verordnungen gemäß §30 lita TGO) ermächtigt, in Notstandsfällen auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei zur Gefahrenabwehr eine generelle Anordnung und somit eine Verordnung zu erlassen, damit handelt es sich bei der gegenständlichen Verordnung wohl um eine Durchführungsverordnung auf Grundlage des §54 TGO.
Gegenstand einer solchen 'allgemein verbindlichen Anordnung' des Bürgermeisters können nur Maßnahmen zur unmittelbaren Schadensabwehr auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei sein.
Nun ist zu berücksichtigen, dass eine – auf eine solche Notstandsverordnung beziehende – Strafbestimmung nicht der örtlichen Sicherheitspolizei zuzurechnen ist. Das ergibt sich bereits aus der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (ausgehend von den Erkenntnissen VfSlg 5579/1967 und VwSlg 7227 A/1967, vgl weiters VfSlg 8155/1977, 9704/1983, 10.614/1985, 11.653/1988, 19.665/2012 ua), wonach die Handhabung des Verwaltungsstrafrechts nicht zu den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde gehört, denn eine solche Rechtsauffassung ist nur unter der Voraussetzung gerechtfertigt, dass das Verwaltungsstrafrecht nicht von den dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zuzuordnenden örtlichen Polizeiangelegenheiten umfasst ist (vgl VfSlg 8155/1977). Da §54 Abs1 TGO dem Bürgermeister nur auf dem Gebiete der örtlichen Sicherheitspolizei eine Zuständigkeit zur Erlassung einer allgemein verbindlichen Anordnung einräumt, kann diese Bestimmung sohin auch nicht als gesetzliche Grundlage für ArtIII der Verordnung herangezogen werden.
Abgesehen davon, handelt es sich bei einer Strafbestimmung, aufgrund deren Übertretung in weiterer Folge ein Verwaltungsstrafverfahren durchgeführt wird, nach hg Ansicht keinesfalls um eine Maßnahme zur unmittelbaren Schadensabwehr. Vielmehr könnte der Bürgermeister durch Erlassung sofort vollziehbarer einstweiliger Verfügungen eingreifen und zB die Entfernung einer Person aus dem verordneten Gefahrenbereich anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass eine unaufschiebbare Maßnahme vereitelt oder unterlassen werden könnte (vgl §54 Abs1 zweiter Satz TGO) bzw wäre gemäß §54 Abs3 TGO auch die Anwendung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zulässig. Die Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahren[s] hingegen zählt wohl nicht mehr als unmittelbare Schadensabwehr.
Der Wortlaut des §54 TGO bietet sohin keine Rechtsgrundlage für die Erlassung einer Verwaltungsstraf- bzw Strafsanktionsnorm im Verordnungsweg und es findet sich auch keine sonstige landes- oder bundesgesetzliche Regelung, wonach die Nichtbeachtung der allgemein verbindlichen Anordnung des Bürgermeisters im Sinne des §54 TGO strafbar sein soll. Insofern handelt es sich beim ArtIII der Verordnung auch nicht nur um eine Wiederholung einer Norm ohne selbständigen normativen Charakter (vgl VfSlg 14.384/1995) und auch nicht um eine nähere Ausgestaltung einer ausreichend determinierten gesetzlichen Verwaltungsstrafbestimmung im Verordnungsweg (vgl VfSlg 6842/1972, 8903/1980). Dem ArtIII der angefochtenen Verordnung mangelt es an einer gesetzlichen Grundlage und widerspricht diese Bestimmung daher dem Art18 Abs2 B-VG.
An dieser Beurteilung ändert auch nichts der Art118 Abs6 B-VG bzw §18 TGO, wonach in ortspolizeilichen Verordnungen deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung erklärt werden kann und die Bestimmung §18 Abs2 TGO, wonach eine Verwaltungsübertretung begeht und vom Bürgermeister mit einer Geldstraße bis zu € 2000,00 zu bestrafen ist, wer eine ortspolizeiliche Verordnung übertritt. Diese Bestimmungen gelten für ortspolizeiliche Verordnungen und nach hg Ansicht handelt es sich bei der gegenständlichen Verordnung um keine ortspolizeiliche Verordnung. Dies aus folgendem Grund:
Verfassungsunmittelbare gesetzesvertretende oder gesetzesändernde Verordnungen der Gemeinde gemäß Art118 Abs6 B-VG können ausschließlich zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstände erlassen werden. Die Verordnung muss sohin den Zweck verfolgen, das örtliche Gemeinschaftsleben störende Missstände abzuwehren oder zu beseitigen. Unter dem zentralen Begriff des 'störenden Missstandes' versteht man einen spezifischen Übelstand, der das örtliche Zusammenleben stört, sohin um einen einzelnen, eher eng abzugrenzenden gemeinschaftsrelevanten (Lebens-)Sachverhalt, der negativ bewertet wird (vgl VfSlg 11.753/1988, vgl weiters Stolzlechner, in Rill/Schäffer, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Art118, S 35; Ranacher, Das ortspolizeiliche Verordnungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, RFG 2004/44 ff; Sündhofer, Ortspolizeiliches Verordnungsrecht der Gemeinden, RFG 2017/2, S 75 ff; vgl dazu VfGH 9.12.2015, E50/2015 ua; VfSlg 11.753/1988 und 18.305/2007). Es muss jedenfalls eine gewisse Schwelle der Störung überschritten sein, die über ein bloß unerwünschtes oder unangenehm empfundenes Verhalten hinausgeht (vgl VfSlg 18.305/2007).
Die ortspolizeiliche Vorschrift muss ein taugliches polizeiliches Mittel sein, diese bereits bestehenden oder mit Sicherheit zu erwartenden Missstände und die sich hieraus ergebenden Gefahren abzuwehren oder zu beseitigen (vgl Hundegger, Das ortspolizeiliche Verordnungsrecht und sein Strafrahmen, GdZ 1977, 203f). Mit Hilfe ortspolizeilicher Verordnung wurden zB geregelt: Alkoholverbote (VfSlg 20.031/2015); Sicherung der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung durch Vorschreibung eines Anschluss-und Benützungszwanges (VfSlg 6556/1971) einschließlich Regelung der Kostentragung für die Instandhaltung von Wasserleitungen (VfSlg 15.894/2000) Verbot des 'wilden' Badens (VfSlg 14.384/1995); Beschränkungen des Haltens gefährlicher Tiere; Maulkorb- und Leinenzwang für Hunde; Tierfütterungsverbote; Lärmschutz; Verbot von Modellfliegern[,] Schutz vor Verunreinigung von Straßen, Wegen, Plätzen etc. (VfSlg 15.364/1998); bestimmte Heizverbote (VfSlg 11.726/1988), Regelungen zur Ausübung von Prostitution ua (vgl die Aufzählung in Sündhofer, Ortspolizeiliches Verordnungsrecht der Gemeinden, RFG 2017/2, S 75 ff).
Bei der Erlassung eines Betretungsverbotes für einen Teil des Gemeindegebietes wegen Steinschlaggefahr handelt es sich wohl um eine Maßnahme im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei (vgl Geuder, Zivilschutz und ortspolizeiliches Verordnungsrecht, GdZ 1977, 199f), jedoch nicht zur Abwehr eines 'störenden Missstandes'. Der Steinschlag selbst kann durch das in der Verordnung vorgesehene Betretungsverbot nicht abgewehrt werden, denn wird der Steinschlag durch klimatische bzw geologische Bedingungen ausgelöst […], und nicht durch den Aufenthalt von Menschen in dem gefährdeten Gebiet. Auch werden durch die in der Verordnung angeordneten Maßnahmen nicht die Folgen des Steinschlags beseitigt. Die gegenständliche Verordnung verfolgt vielmehr den Zweck Menschen vor dem Steinschlag zu schützen, indem diese das Gebiet nicht betreten dürfen, und kann damit wohl nicht Gegenstand einer ortspolizeilichen Verordnung zur Abwehr bzw Beseitigung von Folgen eines 'störenden Übelstandes' sein. Es handelt sich daher bei der gegenständlichen Verordnung nach hg Ansicht um keine ortspolizeiliche Verordnung.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach eine Verordnung immer schon dann rechtmäßig ist, wenn sie nur überhaupt eine gesetzliche Grundlage besitzt, gleichgültig ob sie die richtige gesetzliche Grundlage angibt (vgl VfSlg 14.384/1995) ist schließlich anzumerken, dass es sich bei der gegenständlichen Verordnung auch nicht um eine Verordnung nach §16 Abs2 litd Tir KatastrophenmanagementG handelt. Nach dieser Bestimmung[…] hat die zuständige Behörde (bei örtlichen Katastrophen daher der Bürgermeister gemäß §3 Abs1 leg cit) zur Vorbereitung der Abwehr und der Bekämpfung von Katastrophen durch Verordnung im unumgänglich notwendigen Umfang und während des Einsatzes das Betreten des Gefahrenbereiches und den Aufenthalt in diesem zu verbieten (Sperre des Gefahrenbereiches), wenn das Leben oder die Gesundheit von Menschen bedroht ist. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme, die nur während des Einsatzes, sohin zeitlich begrenzt, zulässig ist. Solche Verordnungen sind gemäß §18 Abs2 leg cit daher aufzuheben, sobald die Abwehr und die Bekämpfung der Katastrophe abgeschlossen ist. Sie treten jedenfalls drei Monate nach ihrem In-Kraft-Treten außer Kraft.
Aus der gegenständlichen Verordnung geht in keinster Weise hervor, dass deren Geltungsdauer auf die Dauer eines Einsatzes beschränkt sein soll, vielmehr intendiert sie eine dauerhafte Sperre der Gefahrenzonen, insofern bietet auch das Tir KatastrophmanagementG keine entsprechende Rechtsgrundlage. Dasselbe gilt […] für Platzverbote gemäß §36 Abs1 SPG (höchstens dreimonatige Dauer) und gemäß §36 Abs2 SPG (höchstens sechsstündige Dauer), zudem wäre nach dem Sicherheitspolizeigesetz nur die Sicherheitsbehörde zur Erlassung eines Platzverbotes zuständig."
2. Der Bürgermeister der Gemeinde Gries am Brenner hat als verordnungserlassende Behörde die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er die Ansicht vertritt, dass die angefochtene Strafbestimmung durch §18 TGO gedeckt sei. Konkret tritt er den im Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol erhobenen Bedenken wie folgt entgegen (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):
"Gegenstand der Sicherheitspolizei iSd §16 Abs2 litc TGO ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Dazu gehören die prohibitiven Maßnahmen, die der Abwehr und der Unterdrückung der allgemeinen Gefahr des Lebens, Gesundheit, Sicherheit, öffentlichen Ruhe und Ordnung im Inneren dienen. Eine Gefahr ist dann eine allgemeine, wenn sie nicht typischerweise im Zusammenhang mit einem bestimmten Verwaltungsrechtsgut auftritt, sondern losgelöst davon entsteht. (vgl VfSlg 2301, 3472, 3570, 4410, 6262, 8155).
In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches hat die Gemeinde gem. §18 Abs1 TGO das Recht, ortspolizeiliche Verordnungen nach freier Selbstbestimmung zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstände zu erlassen und deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung zu erklären. Solche Verordnungen dürfen nicht gegen bestehende Gesetze oder Verordnungen des Bundes und des Landes verstoßen.
Wer eine ortspolizeiliche Verordnung übertritt, begeht nach §18 Abs2 TGO, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallende[n] strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist vom Bürgermeister mit einer Geldstrafe bis zu € 2.000,00 zu bestrafen.
Schließlich gehört auch der örtliche Katastrophenschutz zur örtlichen Sicherheitspolizei. Durch die Bestimmung des §54 Abs1 TGO wird der Bürgermeister darüber hinaus (also in anderen Notfällen als bei Katastrophen) ermächtigt, im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei die zur Abwehr unmittelbarer Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Sicherheit von Sachen erforderlichen allgemeinverbindlichen Anordnungen zu treffen. (vgl Brandmayr/Ludwig, Kommentar zur TGO 2001, Seiten 40, 41).
Als Beispiel ist die Sperre und Räumung eines gefährdeten Gebietes zu nennen, weil nach §39 Abs1 der Tiroler Bauordnung 2001 die Behörde nur die Räumung einer bestimmten baulichen Anlage verfügen kann, wenn u.a. aufgrund drohender Gefahr von außen, insbesondere durch Lawinen, Vermurungen, Hochwasser oder Brandeinwirkung, das Leben oder die Gesundheit von Menschen bedroht ist. (vgl Brandmayr/Ludwig, Kommentar zur TGO 2001, Seite 162).
[…]
Auf der Grundlage des §54 Abs1 TGO ist der Bürgermeister folglich befugt, auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei die Sperre und Räumung eines gefährlichen Gebiets — wie gegenständlich — mittels Verordnung anzuordnen. Nach der Ansicht des Bürgermeisters der Gemeinde Gries am Brenner bilden die Bestimmungen der §§16[,] 18 TGO eine taugliche Rechtsgrundlage für eine Verordnung nach §54 Abs1 TGO und ist eine derartige Verordnung folgerichtig als ortspolizeiliche Verordnung zu qualifizieren. Zudem stellt ein Betretungsverbot wegen Steinschlaggefahr ein taugliches polizeiliches Mittel dar, um bestehende oder mit Sicherheit zu erwartende Missstände und insbesondere die sich daraus ergebenden Gefahren für Leben oder die Gesundheit von Menschen abzuwehren oder zu beseitigen.
Aus der Bestimmung des §18 TGO folgt, dass eine Strafbestimmung, welche auf ein Betretungsverbot Bezug nimmt, ebenfalls als ortspolizeiliche Verordnung erlassen werden kann und im Gesetz Deckung findet. Aufgrund der generalpräventiven Wirkung handelt es sich bei einer Strafbestimmung zudem um ein taugliches polizeiliches Mittel, um sich aus einem bestehenden Missstand ergebende Gefahren für Leben oder die Gesundheit von Menschen abzuwehren oder zu beseitigen."
3. Die Tiroler Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie zunächst die Zulässigkeit des Antrages wegen fehlender Präjudizialität der Wendung des angefochtenen ArtIII der Verordnung "oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen" bestreitet. Sie begründet dies damit, dass die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in ihrem Straferkenntnis keine Freiheitsstrafe verhängt habe und das Landesverwaltungsgericht Tirol wegen des Verbotes der reformatio in peius in §42 VwGVG eine solche auch nicht verhängen dürfe.
In der Sache hält sie dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol Folgendes entgegen (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):
"§54 der Tiroler Gemeindeordnung enthält subsidiär zu allfälligen materiengesetzlichen Regelungen eine Befugnis für den Bürgermeister, in Notfällen im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei die für die Abwehr unmittelbarer Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Sicherheit von Sachen erforderlichen verbindlichen Anordnungen zu treffen bzw einstweiligen Verfügungen zu erlassen.
Brandmayr/Zangerl/Stockhauser/Sonntag nennen in ihrem Kommentar zur Tiroler Gemeindeordnung 2001 [2016] 146 beispielhaft die Sperre und Räumung eines gefährdeten Gebietes, wenn unter anderem aufgrund drohender Gefahr von außen, insbesondere Lawinen, Vermurung, Hochwasser oder Brandeinwirkung, das Leben oder die Gesundheit von Menschen bedroht ist.
Somit ist der Bürgermeister in solchen Fällen zuständig, Anordnungen zu treffen, und muss diese nicht zu einem späteren Zeitpunkt durch ein anderes, sonst zuständiges Organ genehmigen lassen. Je nachdem, ob es sich um generelle oder individuelle Anordnungen handelt, sind Maßnahmen in Ausübung des Notanordnungsrechtes in Form einer Verordnung oder eines Bescheides zu treffen (vgl Steiner, 9. Teil, Rechtsstellung und Aufgaben der Gemeindeorgane, in: Pabel [Hrsg], Das österreichische Gemeinderecht [Stand 2014] Rz 102). Eine Beschränkung auf einstweilige Verfügungen oder Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt würden keine wirksame Gefahrenabwehr gewährleisten, da dies eine ständige Überwachung des Gefahrenbereichs erfordern würde.
Inhaltlich ist der Bürgermeister bei Anordnungen nach §54 TGO im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei durch bundes- und landesgesetzliche Regelungen beschränkt und nur zur Setzung von Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren berechtigt, nicht jedoch zu Veranlassungen zur Beseitigung von Schäden.
Die örtliche Sicherheitspolizei zählt nach Art118 Abs3 Z3 B-VG zu den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde und dient der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch diese besorgt zu werden. Auch der örtliche Katastrophenhilfsdienst ist der örtlichen Sicherheitspolizei zuzuordnen (Weber in Korinek/Holoubek [Hrsg], Bundesverfassungsrecht, Art118 Abs1 bis 7 B-VG Rz 14 [13. Ergänzungslieferung 2017]).
Die verfahrensgegenständliche Verordnung bezieht sich in ihrem ArtI auf ein Felssturzereignis am 7. April 2001 [gemeint wohl: 2011] und bezeichnet ein Gebiet, in dem mit latentem Steinschlag und dem Absturz größerer Blöcke jederzeit gerechnet werden muss. In ihrem ArtII wird eine Sperre des im ArtI beschriebenen Bereiches verordnet und ein entsprechendes Betretungsverbot verhängt. Ausgenommen von diesem Verbot sind mit geologischen Messungen bzw mit Sicherungsmaßnahmen betraute Personen sowie Personen, die die Grundparzelle 331/1 landwirtschaftlich bewirtschaften, soweit dies bei guten Sichtverhältnissen erfolgt. ArtIII sieht vor, dass Übertretungen der Verordnung mit Geldstrafe bis zu 2.000,- Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen zu bestrafen sind.
Dass Anordnungen im Zusammenhang mit Felssturzereignissen der örtlichen Sicherheitspolizei zuzuordnen sind, hat schon der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 23. Juni 2008, Zl 2005/05/0377, dargelegt. […]
Nach Ansicht der Tiroler Landesregierung dient die gegenständliche Verordnung der Abwehr einer durch ein Steinschlagereignis drohenden allgemeinen Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Menschen, deren Abwehr keiner anderen Verwaltungsmaterie zugeordnet werden kann. Dass Pilger, die den Jakobsweg beschreiten oder Hochzeitsgesellschaften, die sich im Bereich der Kirche am Lueg aufhalten, durch herabstürzende Felsbrocken getroffen werden, ist als abgrenzbarer, gemeinschaftsrelevanter Lebenssachverhalt, der negativ bewertet wird, einzuordnen und somit als Missstand im Sinn des Art118 Abs6 B-VG zu qualifizieren. Würde man nur eine Straßensperre aufgrund der Straßenverkehrsordnung oder die Räumung einer bestimmten baulichen Anlage nach den Bestimmungen der Tiroler Bauordnung anordnen, so würde dies wohl zu kurz greifen, da von diesen Maßnahmen Freiflächen und Wanderwege nicht umfasst wären. Gerade in diesen Bereichen, in denen das vom parlamentarischen Gesetzgeber geschaffene Recht eine effiziente und ausreichende Bekämpfung des in einer Gemeinde bestehenden Missstandes nicht ermöglicht, ist Raum für eine ortspolizeiliche Verordnung als Instrument subsidiärer Missstandsabwehr (vgl dazu Stolzlechner in Kneihs/Lienbacher [Hrsg], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, Artikel 118 B-VG Rz 35 [12. Ergänzungslieferung 2013]).
Da die örtliche Sicherheitspolizei eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches ist, die Verordnung der Abwehr eines das Gemeinschaftsleben störenden Missstandes dient und die in Geltung stehenden Bundes- bzw Landesgesetze kein so umfassendes Instrumentarium zur Gefahrenabwehr bieten, ist die gegenständliche Verordnung als Verordnung im Sinn des Art118 Abs6 B-VG anzusehen, nach dem die Gemeinde das Recht hat, in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches nach freier Selbstbestimmung zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstände ortspolizeiliche Verordnungen zu erlassen sowie deren Nichtbefolgung zur Verwaltungsübertretung zu erklären. Zwar ist grundsätzlich nach §18 TGO der Gemeinderat berufen, ortspolizeiliche Verordnungen zu erlassen und deren Nichtbefolgung zur Verwaltungsübertretung zu erklären, jedoch erfolgt in Notstandsfällen durch §54 TGO eine explizite Zuständigkeitsverschiebung zugunsten des Bürgermeisters, der in der Folge auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei ebenfalls ortspolizeiliche Verordnungen erlassen kann (vgl Gallent, Notanordnungsbefugnisse des Bürgermeisters [2. Teil], ÖGZ1980, 256 [259 ff], der zum Schluss kommt, dass dem Bürgermeister, soweit diesem ein Notanordnungsrecht eingeräumt wurde, in Notstandssituationen das von Art118 Abs6 B-VG umrissene ortspolizeiliche Verordnungsrecht zusteht).
Davon ausgehend, dass Verordnungen, die in Notstandsfällen nach §54 TGO vom Bürgermeister auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei zu erlassen sind, als ortspolizeiliche Verordnungen zu qualifizieren sind, müssen diese auch den inhaltlichen und formellen Erfordernissen des §18 TGO entsprechen.
§18 Abs1 TGO sieht vor, dass die Gemeinde das Recht hat, die Nichtbefolgung von ortspolizeilichen Verordnungen zur Verwaltungsübertretung zu erklären. Der Abs2 des §18 leg.cit. enthält eine entsprechende Strafbestimmung, nämlich die Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe bis zu 2.000,– Euro. Als Strafbehörde ist der Bürgermeister normiert.
Wenn nun ArtIII der Verordnung vorsieht, dass Übertretungen dieser Verordnung bestraft werden, so lässt sich diese Anordnung jedenfalls als Erklärung der Nichtbefolgung der ortspolizeilichen Verordnung zur Verwaltungsübertretung im Sinn des §18 Abs1 TGO verstehen. Insofern ArtIII der gegenständlichen Verordnung das Strafausmaß des §18 Abs2 TGO wiederholt, nämlich die Bestrafung mit einer Geldstrafe bis zu 2.000,- Euro, fehlt der Norm der selbstständige normative Charakter und es wäre diesbezüglich von einer zulässigen Regelung auszugehen (vgl dazu Stolzlechner in Kneihs/Lienbacher [Hrsg], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, Artikel 118 B-VG Rz 34 [12. Ergänzungslieferung 2013]). Lediglich die Strafdrohung der Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Wochen scheint keine gesetzliche Deckung zu finden. Diese ist jedoch, wie […] zur Frage der Zulässigkeit ausgeführt, nicht präjudiziell."
4. Der Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der er sich den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes anschließt. Darüber hinaus entbehrt seiner Ansicht nach die gesamte Verordnung einer gesetzlichen Grundlage.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Die Tiroler Landesregierung erachtet in ihrer Äußerung die Wendung "oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen" des angefochtenen ArtIII der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Gries am Brenner vom 13. April 2011, Z 866, betreffend die Steinschlaggefahr im Bereich Lueg für nicht präjudiziell, weil über den Beschwerdeführer in dem dem Antrag zugrunde liegenden Beschwerdefall von der Behörde keine Freiheitsstrafe verhängt worden sei und eine solche auch nicht wegen des Verschlechterungsverbotes in §42 VwGVG vom Landesverwaltungsgericht Tirol verhängt werden dürfe.
Dies trifft jedoch bei Beurteilung der Frage, ob der allein angefochtene ArtIII der Verordnung vom Landesverwaltungsgericht Tirol anzuwenden ist, nicht zu, weil das Landesverwaltungsgericht Tirol zunächst über die Frage, ob überhaupt ein strafbewehrtes Verhalten gesetzt wurde, zu entscheiden hat, und die bekämpfte Ermahnung nach §45 Abs1 letzter Satz VStG eben die Strafbarkeit des gesetzten Verhaltens voraussetzt (vgl VwGH 27.2.2015, Ra 2014/17/0035). Das antragstellende Gericht muss daher im Anlassfall jedenfalls auch ArtIII der Verordnung anwenden.
1.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle in untrennbaren Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 16.212/2001, 19.496/2011, 20.154/2017). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Verordnungsbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach §62 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).
Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).
Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.
1.3. Da im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang der verbleibende Teil der Verordnung weder unverständlich noch inhaltsleer wäre – das Betretungsverbot in ArtII der Verordnung bliebe bestehen –, erweist sich der Anfechtungsumfang als nicht zu eng.
1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist teilweise begründet.
2.2.1. Die vorliegende Verordnung wurde vom Bürgermeister der Gemeinde Gries am Brenner am 13. April 2011, zZ 866, erlassen. Anlass war ein am 7. April 2011 im Ortsteil Lueg in der Gemeinde Gries am Brenner herabstürzender Felsen in der Größe von etwa 4 m3, der ein Wohnhaus beschädigte (vgl ArtI der Verordnung). Vor Erlassung der Verordnung – und in regelmäßigen Abständen auch nach ihrer Erlassung – wurde die Gefahr weiterer Abgänge dieser Art in geologischen Gutachten und Stellungahmen der Tiroler Landesgeologie bestätigt.
ArtII der Verordnung sieht für das nach ArtI betroffene Gebiet eine Sperre und ein Betretungsverbot vor, das bis auf zwei Ausnahmen (geologische Erhebungen und landwirtschaftliche Nutzung bei guten Sichtverhältnissen) gilt. Der angefochtene ArtIII der Verordnung belegt eine Übertretung des Verbotes mit einer Geldstrafe bis zu € 2.000,– oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen.
2.2.2. Das antragstellende Verwaltungsgericht geht vorerst zutreffend davon aus, dass Rechtsgrundlage der Verordnung §54 Abs1 TGO ist, der den Bürgermeister – anstelle des sonst zuständigen Gemeinderates nach §30 Abs1 TGO auch ohne Übertragung zur Verordnungserlassung nach §30 Abs2 TGO – ermächtigt, u.a. allgemein verbindliche Anordnungen im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes auf dem Gebiet der örtlichen Sicherheitspolizei zur Abwehr unmittelbarer Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Sicherheit von Sachen zu erlassen. Ihm kommt damit im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei (vgl Art118 Abs3 Z3 B-VG und §16 Abs2 litc TGO) die Kompetenz zu, in Notstandsfällen Verordnungen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr auf dem Gemeindegebiet zu erlassen.
§54 TGO ermächtigt subsidiär zu den Materiengesetzen zu Notmaßnahmen (vgl Brandmayr/Zangerl/Stockhauser/Sonntag, Kommentar zur Tiroler Gemeindeordnung 20012, 2016, 146). Er besteht zudem neben den Regelungen des Katastrophenmanagementgesetzes, die im Rahmen des örtl