TE OGH 2019/1/29 4Ob170/18f

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Veröffentlicht am 29.01.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der verbundenen Rechtssache der Klägerin und Widerbeklagten H***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenientin M***** KG, *****, vertreten durch Sauerzopf & Partner Rechtsanwälte in Eisenstadt, gegen die Beklagte und Widerklägerin W***** KG, *****, vertreten durch Gruböck & Lentschig Rechtsanwälte OG in Baden, wegen 47.877,54 EUR sA (führendes Klagsverfahren) und 100.518,66 EUR sA (verbundenes Widerklagsverfahren), über die außerordentliche Revision der Klägerin und Widerbeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juni 2018, GZ 2 R 42/18p-26, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Beklagte (und Widerklägerin) hatte für die Klägerin (und Widerbeklagte) für deren Bauvorhaben „Herstellung eines Bodenbelags in einem Bahnhof“ die von der Nebenintervenientin gelieferten Betonplatten zu veredeln und zu schleifen. Die Beklagte reklamierte Mängel der Platten, die zu einem Mehraufwand beim Schleifen führten; um diesen abzudecken, stellte die Klägerin Gerät und Leiharbeitskräfte zur Verfügung. Die Frage, ob der Beklagten eine Werklohnerhöhung wegen der Plattenunzulänglichkeit gebühre und ob die Klägerin mit ihrem Gegenanspruch auf Abgeltung der beigestellten Leiharbeitskräfte schuldtilgend aufgerechnet habe, wurde in einem Vorprozess behandelt. Im Zuge der Auftragsabwicklung und der Diskussion strittiger Fragen erklärte die Beklagte am 21. 12. 2011 gegenüber der Klägerin, bis zur Klärung der Frage der Leiharbeiter-Kosten keine weiteren Leistungen mehr zu erbringen, was die Klägerin zur Kenntnis nahm. Kurz darauf (am 26. 12. 2011) erklärte die Beklagte, dass sie zwar noch immer von einem Anspruch auf Werklohnerhöhung ausgehe, die Hilfe von Leiharbeitern aber nicht benötige, ansonsten leistungsbereit sei und wieder zu schleifen beginnen werde. Die Klägerin erklärte jedoch am 3. 2. 2012 den Rücktritt vom Vertrag.

Die Klägerin begehrt 47.973,14 EUR sA an Mehrkosten durch die Beauftragung eines anderen Schleifunternehmens. Ihr Rücktritt vom Vertrag sei aufgrund der Leistungsverweigerung der Beklagten zulässig gewesen.

Die Beklagte erhob Widerklage und begehrt 100.518,66 EUR sA, weil die Klägerin unberechtigt vom Vertrag zurückgetreten und der Beklagten dadurch Gewinn entgangen sei und ihr Kosten für die Lagerung der von der Klägerin abzuholenden Platten aufgelaufen seien. Die beiden Verfahren wurden verbunden.

Das Erstgericht gab der Klage statt und wies die Widerklage ab. Der Vertragsrücktritt der Klägerin sei zwar unberechtigt gewesen, doch handle es sich bei der Leistungsverweigerung der Beklagten um einen unberechtigten Vertragsrücktritt, von dem sie einseitig nicht wieder habe abgehen können.

Das Berufungsgericht wies die Klage mit Endurteil ab, die Widerklage wies es im Umfang von 8.352 EUR (Lagerungskosten) mit Teilurteil ab; zum verbleibenden Widerklagebegehren (92.166,66 EUR) erkannte es mit Zwischenurteil, dass diese Forderung dem Grunde nach zu Recht bestehe; die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig. Es sei zwar richtig, dass die Klägerin nicht zum Vertragsrücktritt berechtigt gewesen sei; die Beklagte hingegen sei vom Vertrag nicht zurückgetreten. Ihre Mitteilung, bis zur Klärung der im Vorprozess strittigen Frage keine weiteren Leistungen zu erbringen, sei nur als Androhung des Vertragsrücktritts zu verstehen. Mit der später erfolgten Nachricht, demnächst ihre Leistung wieder zu erbringen, habe sie ihre Leistungsbereitschaft ohne jegliche Bedingung erklärt.

Die Klägerin macht in ihrer außerordentlichen Revision sinngemäß geltend, das Berufungsgericht unterstelle einzelnen Feststellungen einen unvertretbaren Inhalt und verkehre diese in ihr Gegenteil; zudem gehe es von in Wahrheit nicht erfolgten Außerstreitstellungen aus. Damit macht die Klägerin eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, hinsichtlich der Außerstreitstellungen Aktenwidrigkeit geltend. Damit zeigt die Klägerin jedoch keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn von § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Auslegung einer Willenserklärung hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab: Nach den von der Lehre und der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätzen sind empfangsbedürftige Willenserklärungen so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der ihm erkennbaren Umstände im Einzelfall verstehen musste. Der Erklärungsempfänger ist nach Treu und Glauben gehalten, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat (RIS-Justiz RS0053866). Auslegungsfragen sind daher grundsätzlich keine erheblichen Rechtsfragen (vgl RIS-Justiz RS0113785; RS0113248; RS0113249; RS0112106; RS0042776), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen (RIS-Justiz RS0113785 [T4]).

1.2. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht den Wortlaut der Erklärung der Beklagten, bis zur Klärung der Kosten der Leiharbeiter keine weiteren Arbeiten auszuführen, dahingehend beurteilt, dass es sich dabei um keine endgültige Erfüllungsverweigerung handelte. Diese Beurteilung überschreitet den dem Berufungsgericht offenstehenden Auslegungsspielraum nicht, sollte doch die Arbeitseinstellung nur bis zur Klärung der strittigen Fragen gelten; die bloße Androhung einer Leistungsverweigerung ist daher der näher liegende Erklärungsinhalt.

1.3. Nicht unvertretbar ist auch die Auslegung, dass die Beklagte mit ihrer Erklärung, nach wie vor davon auszugehen, dass Überstunden abzugelten seien, dass die Platten nicht wie vereinbarungsgemäß mit Abstandhaltern geliefert worden seien, dass sie die Hilfe von Leiharbeitern nicht benötige und dass sie die Schleifarbeiten fortsetzen könne, ihre fortgesetzte Leistungsbereitschaft bekundet habe, und zwar unpräjudiziell, also ohne damit auf ihre im Vorprozess strittige Forderung zu verzichten.

1.4. Somit begründet es keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung, wenn das Berufungsgericht die Äußerung der Beklagten nicht als Vertragsrücktritt qualifizierte. Darin kann auch keine Aktenwidrigkeit liegen, zumal eine vom Berufungsgericht vorgenommene Wertung nie eine Aktenwidrigkeit im Sinne des Gesetzes sein kann (vgl RIS-Justiz RS0043277).

2.1. Eine im Verfahren vorgelegte Urkunde, die ihrem Inhalt nach unstrittig ist, ist der Rechtsmittelentscheidung ohne weiteres zugrunde zu legen (vgl RIS-Justiz RS0121557 [T3]). Eine Urkunde ist ihrem Inhalt nach dann unstrittig, wenn etwa die Echtheit der Urkunde zugestanden wurde und ihr Wortlaut im Hinblick auf die Urkundenerklärungen (jeweils Verweisung auf das eigene Vorbringen) als in diesem Rechtsstreit unstrittig anzusehen ist (und strittig nur die rechtliche Qualifikation ist: 2 Ob 36/14d), oder auch wenn sich jeweils beide Parteien zum Beweis ihres Prozessvorbringens auf diese Urkunde berufen haben (2 Ob 204/10d).

2.2. Wenn die Klägerin geltend macht, dass das Berufungsgericht aktenwidrig von einem unstrittigen Urkundeninhalt der Beilage ./2 (Schreiben der Beklagten vom 26. 12. 2011) ausgegangen sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie in ihrer Urkundenerklärung die Richtigkeit dieser Urkunde nicht ausdrücklich bestritten hat. Sie hat auch nicht behauptet, dass die in Beilage ./2 dokumentierte Willenserklärung der Beklagten nicht mit diesem Wortlaut erfolgt wäre. Strittig ist insoweit nur die rechtliche Qualifikation, nicht hingegen der Urkundeninhalt. Somit konnte das Berufungsgericht unbedenklich von einem unstrittigen Urkundeninhalt ausgehen.

3.1. § 182a ZPO hat nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auch die Pflicht nach § 182a ZPO kann nicht bezwecken, das Gericht zur Erörterung eines Vorbringens zu zwingen, dessen Schwächen bereits der Prozessgegner aufzeigte (RIS-Justiz RS0122365).

3.2. Wenn die Klägerin vermeint, durch die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die fraglichen Erklärungen der Beklagten nicht als endgültige, zum Vertragsrücktritt (auch ohne Nachfristsetzung) berechtigende Leistungsverweigerung zu werten seien, überrascht worden zu sein, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Beklagte im Verfahren vorgebracht hatte, es sei unrichtig, dass sie sich mit ihrer Erklärung geweigert hätte, zu erfüllen, sie habe nur mitgeteilt, bis zur Klärung des Sachverhalts hinsichtlich der Leiharbeiter-Kosten keine weiteren Arbeiten auszuführen, und zwar in einer etwa dreimonatigen Phase, in der laut Bauzeitplan ohnedies keine Schleifarbeiten zu erbringen gewesen wären; sie sei jedenfalls danach erfüllungsbereit gewesen.

3.3. Somit kann die Klägerin gemäß der oben zitierten Rechtsprechung keine unzulässige Überraschungsentscheidung geltend machen, wenn das Berufungsgericht die fraglichen Erklärungen nicht als endgültige, zum Vertragsrücktritt berechtigende Leistungsverweigerung wertete.

Textnummer

E124289

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00170.18F.0129.000

Im RIS seit

18.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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