TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/29 G314 2207820-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2018
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Entscheidungsdatum

29.10.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2207820-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, slowakischer Staatsangehöriger, gesetzlich vertreten durch seine Mutter XXXX, diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots beschlossen und zu Recht erkannt:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit Urteil des Landesgerichts für XXXX vom 06.02.2017, XXXX, wegen Jugendstraftaten zu einer achtmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde die Bewährungshilfe angeordnet. Am 23.01.2018 wurde er im Beisein seiner Mutter und gesetzlichen Vertreterin XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vernommen.

Am XXXX2018 wurde der BF verhaftet und anschließend in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 27.04.2018, XXXX, wurde gegen ihn wegen weiterer Jugendstraftaten eine 15-monatige Freiheitsstrafe verhängt.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF wegen dieser strafgerichtlichen Verurteilungen gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 17.10.2018 beim BFA eingebrachte, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit den Anträgen, eine Verhandlung durchzuführen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, dem BF einen Durchsetzungsaufschub zu erteilen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben. Hilfsweise wird die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots beantragt. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass sich das BFA entgegen § 46 Abs 3 FPG nicht vergewissert habe, wem der BF in der Slowakei übergeben werden könne. Weder seine Angehörigen noch die slowakischen Behörden seien von seiner bevorstehenden Abschiebung verständigt worden. Der BF könne dort auch nicht bei seinem Vater oder seinen Großeltern, zu denen weder er noch seine Mutter Kontakt hätten, oder bei seiner Freundin, von der er sich mittlerweile getrennt habe, unterkommen.

Das Aufenthaltsverbot verletze Art 8 EMRK, weil der BF ausgeprägte persönliche Interessen an einem Verbleib in Österreich habe, die schwerer wiegen würden als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen. Er lebe in Österreich mit seiner Mutter und seinen Schwestern, zu denen er ein enges, schützenswertes Verhältnis habe, in einem gemeinsamen Haushalt und habe vor, nach dem Abschluss der Polytechnischen Schule eine Friseurlehre zu beginnen. Er habe die Straftaten als Minderjähriger begangen, ohne sich der Tragweite seines Verhaltens bewusst zu sein, und sei mittlerweile durch die Haft gereift.

Am XXXX2018 wurde der BF nach seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft in die Slowakei abgeschoben, ohne dass sich das BFA zuvor vergewissert hatte, ob er dort einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben werden kann.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 23.10.2018 einlangten, und erstattete eine Stellungnahme zum Verfahren.

Feststellungen:

Der aktuell 16-jährige BF wuchs zunächst in der Slowakei auf und besuchte dort sieben Jahre lang die Schule. Seine Muttersprache ist Slowakisch; er verfügt aber auch über gewisse Deutschkenntnisse. Seit Anfang 2013 hält er sich durchgehend in Österreich auf, wo er bis zu seiner Verhaftung am XXXX2018 in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner allein obsorgeberechtigten Mutter XXXX und seinen Geschwistern lebte. Am 01.07.2013 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Angehöriger ausgestellt. Er besuchte in Österreich zunächst die Neue Mittelschule und anschließend die Polytechnische Schule, die er abbrach. Er ging in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach; nach dem Schulabbruch war er ab September 2017 beim AMS als arbeitssuchend gemeldet. Seine Mutter kam für seinen Lebensunterhalt auf. Zu seinem Vater, der in der Slowakei leben soll, hat er keinen Kontakt. Abgesehen von seinen Großeltern väterlicherseits, die in der Slowakei leben, zu denen aber ebenfalls kein Kontakt besteht, befinden sich seine Angehörigen in Österreich.

Der BF ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Er ist gesund und grundsätzlich arbeitsfähig.

Der Verurteilung des BF durch das Landesgericht XXXX vom 06.02.2017, XXXX, liegt zugrunde, dass er als Jugendlicher am XXXX2016 gemeinsam mit drei Mittätern zwei anderen Mobiltelefone im Wert von insgesamt EUR 500 und Bargeld von EUR 5 wegnahm, indem sie sich vor den Opfern bedrohlich aufstellten, zwei Mittäter des BF erklärten, sie würden diese abstechen und schlagen und der BF sagte: "Sonst schlag ich euch tot!" (Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB). Außerdem verletzte der BF am XXXX2016 gemeinsam mit einem Mittäter einen anderen am Körper, indem sie ihm Faustschläge versetzten, in den Würgegriff nahmen, zu Boden drängten und mit den Füßen auf ihn eintraten, sodass er eine Schädelprellung, eine Prellung der Wirbelsäule und ein Hämatom auf der Stirn erlitt (Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB). Der BF wurde deshalb - ausgehend vom Strafsatz des § 142 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG - zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die Vorhaft zwischen XXXX2016 und XXXX2016 wurde auf die Strafe angerechnet. Als mildernd wurden das Geständnis und der bislang ordentliche Lebenswandel berücksichtigt, als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens und eines Vergehens.

Am XXXX2017 wurde bei einer polizeilichen Personendurchsuchung beim BF eine kleine Menge Marihuana sichergestellt.

Der Verurteilung des BF durch das Landesgericht XXXX vom 27.04.2018, XXXX, liegt zugrunde, dass er als Jugendlicher am XXXX2017 einem anderen einen Lautsprecher im Wert von EUR 150 wegnahm, indem er dessen Rucksack an sich nahm, den Lautsprecher entnahm und das Opfer, als es ihn zur Rückgabe aufforderte, mit einem Taschenmesser bedrohte, um es von der Rückforderung abzuhalten (Verbrechen des schweren Raubes unter Verwendung einer Waffe nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB). Außerdem bedrohte er an diesem Tag zwei Personen mit einer Verletzung am Vermögen (Äußerung, wenn er das Opfer nochmal mit einer goldenen Uhr erwischen würde, werde er ihm diese wegnehmen) bzw. zumindest mit einer Verletzung am Körper (Äußerung, selbst wenn das Opfer stärker wäre als er, würde er sein Messer nehmen und diesem den Bauch aufschlitzen), um sie in Furcht und Schrecken zu versetzen (Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB). Am XXXX2017 stahl er einem anderen dessen Kopfhörer im Wert von EUR 60, indem er sich diese vom Opfer kurz aushändigen ließ und dann für sich behielt (Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB). Am XXXX2018 entriss der BF einem anderen dessen Kopfhörer im Wert von ca. EUR 20 und verhielt sich aggressiv, schlug mit der Faust gegen die Wand und schrie das Opfer und dessen Freunde, die ihn zur Rückgabe aufforderten, an, sie sollten sich "schleichen" (Verbrechen des minderschweren Raubes nach § 142 Abs 2 StGB). Er wurde deshalb - ausgehend vom Strafsatz des § 143 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG - zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Als mildernd wurde berücksichtigt, dass das Tatunrecht bei § 143 StGB im unteren Bereich blieb, als erschwerend die einschlägige Vorstrafe, der rasche Rückfall, das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und zwei Vergehen sowie die mehrfache Tatbegehung zu § 107 StGB. Gleichzeitig mit dieser Verurteilung wurde vom Widerruf der zuvor gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Der BF verbüßte die über ihn verhängte Freiheitsstrafe (unter Berücksichtigung der angerechneten Vorhaft) von XXXX2018 bis zu seiner bedingten Entlassung am XXXX2018 in den Justizanstalten XXXX und XXXX.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche bestehen nicht.

Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte dafür, dass das BFA Ermittlungen durchführte, um sich vor der Abschiebung des BF zu vergewissern, dass er in der Slowakei einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben werden kann. Es ist auch nicht nachvollziehbar, ob der BF in der Slowakei jemandem übergeben wurde und gegebenenfalls, wem.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben im Strafurteil. Seine Identität wird auch durch seinen (beschädigten und am 19.11.2017 abgelaufenen, ansonsten aber unbedenklichen) Reisepass, der dem BVwG in Kopie vorliegt, und die Vollzugsinformation belegt.

Der Schulbesuch des BF in der Slowakei ergibt sich aus dem Personalblatt der Polizei vom XXXX2018. Seine slowakische Muttersprache ist aufgrund seiner Herkunft und seines Schulbesuchs plausibel, zumal eine Verständigung mit Dolmetschern für diese Sprache im Strafverfahren und bei der Einvernahme vor dem BFA problemlos möglich war. Die Deutschkenntnisse des BF ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen, das angesichts des mehrjährigen Schulbesuchs in Österreich plausibel ist und auch dadurch untermauert wird, dass in der Vollzugsinformation keine Dolmetschsprache, aber die Teilnahme an der Deutschausbildung aufscheint. Ein bestimmtes Niveau der Deutschkenntnisse des BF kann mangels entsprechender Beweisergebnisse nicht festgestellt werden. Die Teilnahme an einem Deutschkurs und die Beiziehung von Dolmetschern sprechen prima vista gegen die in der Beschwerde behaupteten "perfekten" Deutschkenntnisse.

Der Aufenthalt des BF in Österreich ab 2013 ergibt sich aus den durchgehenden Hauptwohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) seit Jänner 2013. Es besteht insoweit keine wesentliche Diskrepanz zu den Angaben des BF, der gegenüber dem BFA behauptete, sich seit Dezember 2012 im Bundesgebiet aufzuhalten. Der gemeinsame Haushalt des BF mit seiner Mutter und seinen Schwestern ergibt sich aus seinen Angaben, die mit den übereinstimmenden Wohnsitzmeldungen laut ZMR in Einklang stehen.

Die Anmeldebescheinigung des BF ist im Fremdenregister dokumentiert. Sein Schulbesuch in Österreich ergibt sich aus dem Personalblatt der Polizei vom XXXX2018. Der BF bestätigte bei seiner Einvernahme vor dem BFA, dass er die Polytechnische Schule abgebrochen habe und seit September 2017 beim AMS angemeldet sei. Im Versicherungsdatenauszug scheinen keine Beschäftigungsverhältnisse auf.

Die Versorgung des BF durch seine Mutter und der fehlende Kontakt zu seinem Vater und seinen Großeltern väterlicherseits können ebenfalls aufgrund der Angaben des BF und seiner Mutter vor dem BFA festgestellt werden. Diese sind plausibel, zumal unterschiedliche Angaben zum Namen des Vaters des BF aktenkundig sind (Gegenüber dem BFA angegebener Name: XXXX, Vorname laut Vollzugsinformation und laut Strafregister: XXXX, Vorname laut Personalblatt der Polizei vom 16.02.2018: XXXX).

Hinweise auf eine Eheschließung des BF oder dafür, dass er Kinder oder andere Sorgepflichten hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch nicht behauptet. Der BF bestätigte vor dem BFA, gesund zu sein, was im Einklang mit seinem berufsfähigen Alter und seiner Absicht, eine Friseurlehre zu machen, seine Arbeitsfähigkeit indiziert.

Die Sicherstellung einer kleinen Suchtgiftmenge beim BF ergibt sich aus dem Polizeibericht vom XXXX2018.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf den vorliegenden Strafurteilen. Die rechtskräftigen Verurteilungen des BF werden auch durch das Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen aufscheinen. Es gibt keine Indizien für eine strafgerichtliche Verurteilung des BF in anderen Staaten.

Der Vollzug der Freiheitsstrafe ergibt sich aus der Vollzugsinformation und den Wohnsitzmeldungen des BF in Justizanstalten. Seine bedingte Entlassung ist im Strafregister dokumentiert.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Der BF ist als Staatsangehöriger der Slowakei EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen Minderjährige ist gemäß § 67 Abs 1 Satz 6 iVm Satz 5 FPG dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Obwohl dem BF trotz seines jugendlichen Alters mehrere, durchaus schwerwiegende Straftaten anzulasten sind, erreicht sein Fehlverhalten auch in der gebotenen Gesamtbetrachtung die von § 67 Abs 1 Satz 5 und 6 FPG geforderte Schwere nicht. Mangels Erfüllung des aufgrund seiner Minderjährigkeit anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs kann gegen ihn kein Aufenthaltsverbot erlassen werden, da dies auch nicht zu seinem Wohl notwendig ist, zumal seine Hauptbezugspersonen, insbesondere seine Mutter, die für seinen Unterhalt aufkommt und seine alleinige Obsorgeberechtigte und gesetzliche Vertreterin ist, im Bundesgebiet leben und er keine engen Sozialkontakte in seinem Herkunftsstaat hat. Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos aufzuheben. Sollte der BF in Zukunft abermals wegen entsprechend schwerwiegender Taten strafgerichtlich verurteilt werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach eine tiefe emotionale Bindung oder ein Abhängigkeitsverhältnis des BF zu seiner Mutter und seinen Geschwistern nicht ersichtlich und im Verfahren nicht behauptet worden sei, sind angesichts der Angaben des BF und seiner Mutter gegenüber dem BFA aktenwidrig und angesichts seines Alters unvertretbar.

Das BFA hat bei der Abschiebung des BF am XXXX2018 die in § 46 Abs 3 FPG normierte Verpflichtung, sich zuvor zu vergewissern, dass er einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Zielstaat übergeben werden kann, missachtet, was die Abschiebung rechtswidrig macht. Dies ist umso unverständlicher, als in der am Tag zuvor eingebrachten Beschwerde eindringlich auf diese Verpflichtung hingewiesen wurde.

Minderjährige gelten - auch wenn sie (wie der BF) straffällig wurden - als schutzbedürftige Personen (vgl Art 21 der Richtlinie 2013/33/EU [AufnahmeRL]) und stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze (vgl § 21 ABGB). Die daraus entspringenden Verpflichtungen hat das BFA in Bezug auf den BF gröblich missachtet.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu Spruchteil C):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall, Minderjährige,
strafrechtliche Verurteilung, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2207820.2.00

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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