Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
StVO 1960 §52 lita Z10a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des Dr. G G in Wien, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 23. November 1998, Zl. 1998/16/218-3, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 23. September 1998 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 3. Februar 1998 um 7.55 Uhr einen nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw
"in Ampass, auf der Inntalautobahn, A-12, von Km 67.0 bis Km 68.2 in Richtung Innsbruck gelenkt
1. und die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 57 km/h überschritten. (km 67,0 bis 68,2,)
2. und die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 27 km/h überschritten.
3. und die Nebelscheinwerfer verwendet, obwohl keine enge oder kurvenreiche Straße befahren wurde.
(Messtoleranz von 5 km/h bzw 5% berücksichtigt)".
Dadurch habe er zu 1. und 2. § 52 lit. a Z. 10a StVO 1960 und zu 3. § 99 Abs. 5 KFG 1967 verletzt. Hiefür wurden über ihn Geldstrafen von zu 1. S 5.600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage), zu 2. S 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag) und zu 3. S 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt.
Über die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid wie folgt entschieden:
"Gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird der Berufung zu Punkt 1. teilweise Folge gegeben und die verhängte Geldstrafe auf S 4.000,--, die Ersatzarreststrafe auf 4 Tage, herabgesetzt. Die Verfahrenskosten erster Instanz betragen gemäß § 64 Abs. 2 VStG nunmehr S 400,--. Im Spruch wird statt den Worten "um 57 km/h" das Wort "erheblich" eingefügt. Hinsichtlich Punkt 2. wird der Berufung insoferne Folge gegeben, als von einer Bestrafung gemäß § 21 Abs. 1 VStG abgesehen wird. Hinsichtlich Punkt 3. wird der Berufung Folge gegeben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Zif. 3 VStG eingestellt."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid werde - so heißt es in der Beschwerde - "wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten, soweit der Berufung des nunmehrigen Bf nicht Folge gegeben wurde". Zu den Beschwerdepunkten wurde folgendes ausgeführt:
"Der angefochtene Bescheid verletzt den Bf in den ihm zustehenden Recht, dass er im Falle des Vorliegens eines entschuldigenden Notstandes, Putativnotstandes oder der Unzumutbarkeit normgerechten Verhaltens nicht gem. § 52 lit. a) Z 10 a StVO iVm § 99 (3) lit. a) StVO bestraft wird.
Weiters verletzt der in Beschwerde gezogene Bescheid den Bf in seinem Recht auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens, insbesondere auf ordnungsgemäße Bescheidbegründung (§§ 58 Abs. 2 und 60 AVG) sowie auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens (§§ 37 und 39 AVG)."
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens durch die belangte Behörde erwogen:
Vorweg sei bemerkt, dass durch die vom Beschwerdeführer vorgenommene Bezeichnung des Beschwerdepunktes der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt wurde, an den der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung des angefochtenen Bescheides gemäß § 41 Abs. 1 VwGG gebunden ist. Die verwaltungsgerichtliche Prüfung hat sich demnach darauf zu beschränken, ob jenes Recht verletzt wurde, dessen Verletzung der Beschwerdeführer behauptet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 1998, Zl. 98/03/0129). Dies bedeutet im Beschwerdefall, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid lediglich hinsichtlich der unter Herabsetzung der Strafausmaßes aufrecht erhaltenen Bestrafung des Beschwerdeführers zu Punkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses zu prüfen hat, wurde doch hinsichtlich des Punktes 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses gemäß § 21 Abs. 1 VStG von einer Bestrafung abgesehen und das Verfahren hinsichtlich des Punktes 3. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG eingestellt. Mit der Behauptung der Verletzung von Verfahrensvorschriften wird kein Beschwerdepunkt im Sinne der Z. 4 des § 28 Abs. 1 VwGG, sondern ein Beschwerdegrund im Sinne der Z. 5 der genannten Bestimmung ausgeführt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1998, Zl. 98/03/0208).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der ihm angelasteten Verwaltungsübertretung; er macht vielmehr Notstand bzw. Putativnotstand geltend.
Im Verwaltungsstrafverfahren führte der Beschwerdeführer in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis folgendes aus:
"Entsprechend der bereits im Akt erliegenden ärztlichen Bestätigung vom 9.9.1998 hatte ich für den 3.2.1998, 8.00 Uhr, einen Operationstermin wegen eines Bandscheibenvorfalles vereinbart; in den Tagen vor dem Operationstermin bis unmittelbar vor dem Tatzeitpunkt war ich zwar mit durchwegs schmerzvollen Zuständen konfrontiert, meine Fahrtüchtigkeit war jedoch bis dahin in keiner Weise eingeschränkt und eine akute Gefährdung bis dahin nicht ersichtlich.
Während der Fahrt, unmittelbar vor dem Tatzeitpunkt, kam es jedoch zu einer plötzlichen Akutsymptomatik, was in der ärztlichen Bestätigung auch als nicht ungewöhnlich und unbedingt glaubhaft bezeichnet wurde. Diese Akutsymptomatik bedeutete nicht nur außerordentliche Schmerzen, sondern im Falle einer nicht sofortiger Behandlung überdies eine ernsthafte Gefahr von Folgeschäden, insbesondere von bleibenden Lähmungen oder Teillähmungserscheinungen; dies war mir aufgrund zahlreicher vorangegangener ärztlicher Aufklärungsgespräche auch bewusst, weshalb mir verständlicherweise jede Sekunde kostbar erschien, zumal es bereits 7.55 Uhr und der Operationstermin für 8.00 Uhr vereinbart war. Ein Anhalten des Fahrzeuges und eine Verständigung der Rettung wäre überdies nicht möglich gewesen; zum einen boten sich auf der gegenständlichen Autobahn keine als ungefährlich einzustufenden Haltemöglichkeiten an, zum anderen war ich ohnehin schon unweit meines behandelnden Arztes, sodass mich ein Rettungswagen nach dem Zurücklassen meines Fahrzeuges, in dem sich überdies Wertgegenstände und Dokumente befanden, sicherlich wesentlich später ans Ziel gebracht hätte, zumal fraglich ist, ob mich ein im Einsatz befindlicher Rettungswagen nicht in das nächstgelegene Krankenhaus und nicht zum Operationstermin hätte bringen müssen. Vor allem lag zu diesem Zeitpunkt, wie so oft in den Morgenstunden, auch eine Telefonnetzüberlastung vor, weshalb ich zur entsprechenden Zeit mit meinem GSM-Telefon gar nicht hätte telefonieren können, was mir aufgrund eines unmittelbar vor dem Tatzeitpunkt versuchten Telefonates bekannt war."
Dieses Vorbringen erachtete die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht als nicht geeignet, um die Annahme einer Notstandssituation oder das Vorliegen eines entschuldigenden Putativnotstandes begründen zu können. Aus dem oben wiedergegebenen Vorbringen in der Berufung geht hervor, dass der Beschwerdeführer mit der von ihm behaupteten "Akutsymptomatik" vertraut war; er musste daher - und zwar insbesondere auch zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner Lenkertätigkeit - mit einem plötzlichen Auftreten dieses Leidenszustandes rechnen. Das Lenken seines Fahrzeuges nahm der Beschwerdeführer - wie er bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde angab - bei einer Tankstelle in Weer auf, nachdem sich die bisherige Lenkerin eine Knöchelverletzung zugezogen hatte. Wenn die belangte Behörde zur Auffassung gelangte, es wäre dem Beschwerdeführer offen gestanden, von dieser Tankstelle aus entweder die Rettung oder ein Taxi herbeizurufen, um sich unter Ausschluss jeden Risikos zum Ort der vorgesehenen Operation befördern zu lassen, kann ihr nicht entgegengetreten werden. Dabei wäre er nicht auf die Benützung seines angeblich wegen Netzüberlastung nicht funktionstüchtigen Mobiltelefons angewiesen gewesen, ist doch erfahrungsgemäß bei Autobahntankstellen eine Telefonmöglichkeit gegeben. Wenn der Beschwerdeführer meint, ein Rettungswagen hätte ihn "sicherlich wesentlich später ans Ziel gebracht ..., zumal fraglich sei, ob ihn ein im Einsatz befindlicher Rettungswagen nicht in das nächstgelegene Krankenhaus und nicht zum Operationstermin hätte bringen müssen", so handelt es sich hiebei um bloße Vermutungen, die der Objektivierung durch entsprechende Beweise entbehren. Der Beschwerdeführer zeigt auch nicht auf, was einer Mitnahme von Wertgegenständen und Dokumenten, die sich in seinem Fahrzeug befunden hätten, im Rettungswagen oder Taxi entgegengestanden wäre.
Hat sich der Beschwerdeführer aber auf das Lenken eines Fahrzeuges eingelassen, obwohl er mit dem Auftreten der angeführten "Akutsymptomatik" rechnen musste und Umstände, die eine Abstandnahme vom Lenken des Fahrzeuges unmöglich oder unzumutbar erscheinen ließen, nicht vorlagen, dann kann er sich bei Eintritt der voraussehbaren Gefahrensituation nicht mit Erfolg auf Notstand berufen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 1990, Zl. 89/03/0307). Da er diese Situation somit selbst verschuldet hat, könnte ihn auch ein allfälliger Putativnotstand, also die irrtümliche Annahme eines Notstandes, nicht entschuldigen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 26. Mai 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999030049.X00Im RIS seit
12.06.2001