TE Vfgh Beschluss 2019/2/26 G24/2019

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Veröffentlicht am 26.02.2019
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art133 Abs1 Z2
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
VwGG §24 Abs1, §30a Abs8

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des VwGG betreffend die Verpflichtung zur Einbringung eines Fristsetzungsantrages beim Verwaltungsgericht mangels Anfechtung der gesetzlich vorgesehenen Weiterleitung des Fristsetzungsantrages an den VwGH als zu eng gefasst

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Antragsbegehren

Der Antragsteller stellt den auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge §24 Abs1 Satz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl 10/1985 idF BGBl I 33/2013, als verfassungswidrig aufheben.

II.      Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl 10/1985 idF BGBl I 58/2018 (die angefochtene Bestimmung idF BGBl I 33/2013), lauten auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Schriftsätze

§24. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind die Schriftsätze beim Verwaltungsgericht einzubringen. Unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof sind insbesondere einzubringen:

1. Schriftsätze im Revisionsverfahren ab Vorlage der Revision an den Verwaltungsgerichtshof;

2. Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes, in dem es ausgesprochen hat, dass die Revision nicht gemäß Art133 Abs4 B-VG zulässig ist.

[(2) – (4)]

[…]

Vorentscheidung durch das Verwaltungsgericht

§30a. (1) Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist oder wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, sind ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

(2) Revisionen, denen keiner der im Abs1 bezeichneten Umstände entgegensteht, bei denen jedoch die Vorschriften über die Form und den Inhalt (§§23, 24, 28, 29) nicht eingehalten wurden, sind zur Behebung der Mängel unter Setzung einer kurzen Frist zurückzustellen; die Versäumung dieser Frist gilt als Zurückziehung. Dem Revisionswerber steht es frei, einen neuen, dem Mängelbehebungsauftrag voll Rechnung tragenden Schriftsatz unter Wiedervorlage der zurückgestellten unverbesserten Revision einzubringen.

[(3) – (7)]

(8) Auf Fristsetzungsanträge sind die Abs1 und 2 sinngemäß anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat dem Verwaltungsgerichtshof den Fristsetzungsantrag unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

[(9) – (10)]

[…]

Fristsetzungsantrag

§38. (1) Ein Fristsetzungsantrag kann erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat.

(2) In die Frist werden nicht eingerechnet:

1. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;

2. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union;

3. in Verwaltungsstrafsachen und Finanzstrafsachen

a) die Zeit, während deren nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann;

b) die Zeit, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer Behörde geführt wird.

(3) Der Fristsetzungsantrag hat zu enthalten:

1. die Bezeichnung des Verwaltungsgerichtes, dessen Entscheidung in der Rechtssache begehrt wird,

2. den Sachverhalt,

3. das Begehren, dem Verwaltungsgericht für die Entscheidung eine Frist zu setzen,

4. die Angaben, die erforderlich sind, um glaubhaft zu machen, dass die Antragsfrist gemäß Abs1 abgelaufen ist.

(4) Auf Fristsetzungsanträge sind die §§33 Abs1 und 34 Abs1, 2 und 3 sinngemäß anzuwenden. In allen sonstigen Fällen ist dem Verwaltungsgericht aufzutragen, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten das Erkenntnis oder den Beschluss zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie desselben dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn das Verwaltungsgericht das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Erlassung des Erkenntnisses oder Beschlusses unmöglich machen. Wird das Erkenntnis oder der Beschluss erlassen, so ist das Verfahren über den Fristsetzungsantrag einzustellen."

III.    Antragsvorbringen

Der Antragsteller führt im Wesentlichen aus, durch die bekämpfte Bestimmung werde ein den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Verfahren zur Behebung von Säumigkeit geradezu verunmöglicht.

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 18. August 2016 sei ein von ihm im Zusammenhang mit seinem Dienstverhältnis zur Stadt Wien gestellter Antrag als unzulässig zurückgewiesen und die gestellten Eventualanträge abgewiesen worden. Gegen diesen Bescheid habe er fristgerecht am 29. August 2016 Beschwerde erhoben. Seinen auf Grund der Säumigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien am 23. Mai 2018 beim Verwaltungsgericht eingebrachten Fristsetzungsantrag habe dieses dem Verwaltungsgerichtshof bislang nicht vorgelegt. Das Verwaltungsgericht habe seit Einbringung der Beschwerde am 18. August 2016 und Einbringung des Fristsetzungsantrages am 23. Mai 2018 keinerlei Tätigkeit entfaltet.

Entsprechend Art133 Abs1 Z2 B-VG sei der Verwaltungsgerichtshof betreffend Anträge auf Fristsetzung entscheidungsbefugt. Nach der einfachgesetzlichen Umsetzung des Art133 Abs1 Z2 B-VG sei der Fristsetzungsantrag beim (säumigen) Verwaltungsgericht einzubringen, wohingegen der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber zuständig sei. Die angefochtene Bestimmung "ermögliche" es dem Verwaltungsgericht, Beschwerden nicht zu behandeln und Rechtschutz willkürlich zu korrumpieren. Eine (sinnvolle) Einbringung des Fristsetzungsantrages direkt beim Verwaltungsgerichtshof scheitere am ausdrücklichen Wortlaut der angefochtenen Bestimmung des §24 Abs1 VwGG.

IV.      Zur Zulässigkeit

Der Antrag erweist sich aus folgenden Gründen als unzulässig:

1.       Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2.       Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

3.       Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung erweist sich der auf Aufhebung des §24 Abs1 Satz 1 VwGG gerichtete Antrag als zu eng gefasst:

3.1.    Der Antragsteller erkennt in der Verpflichtung zur Einbringung eines Fristsetzungsantrages beim Verwaltungsgericht deshalb eine Beschneidung jenes Rechtschutzes, den Art133 Abs1 Z2 B-VG im Falle der Verletzung der Entscheidungspflicht durch ein Verwaltungsgericht vorsieht, weil es dem Verwaltungsgericht damit durch Untätigkeit möglich werde, die Gewährleistung von Rechtsschutz hintanzuhalten.

Der behauptete Verstoß liegt damit nicht allein in der Regelung der Stelle zur Einbringung eines Fristsetzungsantrages begründet; dieser folgt vielmehr aus der Notwendigkeit der Weiterleitung eines Fristsetzungsantrages (und der dazugehörigen Akten) an den Verwaltungsgerichtshof, wozu das Verwaltungsgericht ausdrücklich in §30a Abs8 VwGG verpflichtet wird. Die angefochtene Bestimmung und §30a Abs8 VwGG erweisen sich insofern als untrennbare Einheit im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes.

Der untrennbare Zusammenhang der genannten Bestimmungen verdeutlicht sich darüber hinaus darin, dass sich selbst bei einer Aufhebung der angefochtenen Bestimmung aus §30a Abs8 iVm Abs1 und 2 VwGG – in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung der Stelle der Einbringung und angesichts des Wortlautes von §24 Abs1 VwGG nach einer allfälligen Aufhebung des angefochtenen ersten Satzes – nach wie vor ergeben könnte, dass die Einbringung eines Fristsetzungsantrages beim Verwaltungsgericht zu erfolgen hat.

3.2.    Der Antrag ist daher zu eng gefasst und erweist sich schon aus diesem Grund als unzulässig.

V.       Ergebnis

1.       Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Entscheidungspflicht, Säumnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G24.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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