TE Vwgh Erkenntnis 2019/2/14 Ra 2018/18/0522

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.02.2019
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §8 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2018/14/0177 E 26. März 2019 Ra 2018/19/0561 E 28. März 2019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des K S, vertreten durch Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2018, Zl. W174 2126704- 1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Kapisa, Distrikt Tagab, stellte am 27. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, sein ältester Bruder und sein Vater seien von Verwandten, die Taliban gewesen seien, getötet worden. Die Feindschaft mit diesen Verwandten bedrohe die gesamte Familie und somit auch den Revisionswerber.

2 Mit Bescheid vom 13. April 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel nach §§ 57 und 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Begründend erachtete das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers für nicht glaubhaft, weshalb ihm kein Asyl zu gewähren sei. Zum subsidiären Schutz führte das BVwG aus, der Heimatdistrikt des Revisionswerbers grenze an Kabul. Wie den Länderfeststellungen entnommen werden könne, sei in der Provinz Kapisa ein flächendeckender Zugriff der Sicherheitskräfte gewährleistet (Hinweis auf einen Bericht vom 31. Mai 2016). Einem Anrainer zufolge habe sich die Sicherheitslage in Kapisa verbessert, seit der Polizeichef Fahim Qayam seinen Posten angetreten habe (Hinweis auf einen Bericht vom 5. September 2016). Nach 13 Jahren sei es der Regierung gelungen, Kontrolle über Mineralvorkommen in der Provinz Kapisa zu erlangen. Alternativ sei es dem Revisionswerber möglich und zumutbar, sich in Kabul niederzulassen und ein angemessenes Auskommen zu erwirtschaften. Somit lägen insgesamt die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz nicht vor.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich zum einen gegen die Beweiswürdigung des BVwG in Bezug auf das Fluchtvorbringen wendet. Zum anderen macht sie geltend, dass das BVwG keine Feststellungen zur Situation des Revisionswerbers im Falle der seiner Rückkehr nach Afghanistan treffe. Insbesondere würden Feststellungen zur Erreichbarkeit der Destination fehlen. Die UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018, nach denen eine Wiederansiedlung in Kabul nicht möglich sei, seien zur Gänze unberücksichtigt geblieben.

6 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist teilweise zulässig und auch teilweise

begründet.

Zu I:

8 Keine Berechtigung kommt der Revision insoweit zu, als sie die Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft, zumal es ihr nicht gelingt darzulegen, dass die Beweiswürdigung des BVwG in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 7.12.2018, Ra 2018/18/0510, mwN).

Zu II:

9 Berechtigung kommt der Revision hingegen insoweit zu, als sie zutreffend darauf verweist, dass das BVwG die möglichen Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend geprüft hat.

10 Das BVwG geht in seiner Begründung zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zunächst davon aus, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Kapisa möglich sei, ohne nachvollziehbare Feststellungen zur sicheren Erreichbarkeit getroffen zu haben (vgl. dazu etwa VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0183). Zur Sicherheitslage in dieser Provinz stützt sich das BVwG nur auf einzelne, wenig aussagekräftige (arg.: "einem Anrainer zufolge ...") und im Zeitpunkt der Entscheidung bereits zumindest zwei Jahre alte Berichte, die eine hinreichend gesicherte Lageeinschätzung nicht ermöglichen und die gebotene Aktualität nicht aufweisen (vgl. zum Erfordernis der Heranziehung aktueller Länderberichte etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0141, mwN).

11 Auch die Alternativbegründung, der Revisionswerber finde in der Hauptstadt Kabul eine zumutbare inländische Fluchtalternative vor, vermag die Entscheidung nicht zu tragen, zumal sich das BVwG mit den aktuellen - und zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits vorgelegenen - Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, die eine inländische Fluchtalternative in der Hauptstadt Kabul ausdrücklich in Zweifel ziehen, überhaupt nicht auseinander gesetzt hat (vgl. zur Auseinandersetzungspflicht etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).

12 Das angefochtene Erkenntnis weist daher in Bezug auf den subsidiären Schutz Begründungsmängel auf, bei deren Unterbleiben das BVwG zu einem anderen Ergebnis kommen hätte können, zumal der Revisionswerber insbesondere geltend macht, dass sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in weiten Teilen des Landes drastisch verschlechtert habe und im Herkunftsdistrikt des Revisionswerbers Tagap/Kapisa katastrophal sei, und der UNHCR in seinen Richtlinien eine inländische Fluchtalternative in Kabul für nicht gegeben ansieht.

13 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesem Grund hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14 In Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten war die Revision hingegen mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. Februar 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180522.L00

Im RIS seit

12.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten