TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/9 L524 2197373-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.07.2018
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Entscheidungsdatum

09.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L524 2197373-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER, LL.B. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2018, Zl. 1093584807-151698149, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 12.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 05.11.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte er vor, dass er Araber und sunnitischer Moslem sei. Er stamme aus Bagdad, habe dort neun Jahre die Grundschule besucht und sei zuletzt als Zimmerer tätig gewesen. Er habe sein Land legal verlassen und sei über die Türkei und Griechenland schlepperunterstützt nach Österreich gereist.

Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab er an (Fehler im Original):

"Im Irak ist die Sicherheitslage sehr schlecht und ich habe ein Mädchen kennengelernt. Deren Vater Offizier in der irakischen Armee ist, hat gegen mich Anzeige erstattet, weil ich seine Tochter getroffen habe. Darüber hinaus hat er mir gedroht, mich zu verfolgen. Des Weiteren sind ihre Brüder in den verschiedenen Milizen aktiv. Einer von denen ist bei der Almahdi Armee aktiv und der Andere bei der Asaib Ahl Alhaq. Mein Vater musste sich Geld ausborgen damit ich den Irak verlassen kann. Der Vater des Mädchens bekam von meiner Familie ca. $ 20.000,- damit er mich in Ruhe lässt. Dennoch hatte er mich nicht in Ruhe gelassen. Nach außen hin wurde alles als Hilfeleistung für die Behandlungskosten seiner Tochter angesehen, die er am Bein angeschossen hat."

2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 14.06.2017 brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst im Wesentlichen vor, er sei Araber, sunnitischer Moslem und ledig. Er stamme aus Bagdad, habe dort neun Jahre die Grundschule besucht und als Tischler gearbeitet. Er habe bis zu seiner Ausreise mit seinen Geschwistern bei seinen Eltern gewohnt; diese würden nach wie vor in Bagdad leben und er stehe in Kontakt mit ihnen. In Österreich habe er keine Verwandten, er erhalte Leistungen aus der Grundversorgung, besuche Deutschkurse und habe hier einen Freundeskreis.

Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer Folgendes an (Fehler im Original):

"LA: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie bitte konkret und detailliert alle Ihre Gründe für das Verlassen Ihres Herkunftslandes!

VP: Ich lebte im Irak wie jeder junge Mensch ohne Probleme, ich liebte ein Mädchen. Wir haben uns näher kennengelernt und verliebt. Jeden Tag fuhr ich mit dem Auto zu ihrer Schule um zu sehen wie sie aus der Schule kommt, weil ich sie liebte. Wir haben jeden Abend miteinander telefoniert. Eines Tages stand ich bei der Schule, sie kam zu mir. Ihre Mutter hat mich aber gesehen. Ich ging nach Hause und habe mich geduscht. Danach ging ich nach XXXX. Dort spielte ich mit Freunden Fußball. Nach dem Spiel blickte ich auf das Handy und habe gesehen, dass mein Vater sehr oft angerufen hat. Ich habe ihn zurückgerufen. Er hat mich gefragt, wo ich sei. Ich sagte, dass ich in XXXX mit Freunden Fußball spiele. Er sagte mir, dass ich nicht nach Hause kommen soll. Ich fragte ihn warum. Er sagte, dass ich zu meinem Onkel mütterlicherseits fahren soll mit meinem Auto. Das ist der Onkle mit dem ich auch heute noch Kontakt habe. Ich fuhr zu ihm, er heißt XXXX, er lebt auf der Straße XXXX. Nach meiner Ankunft rief ich meinen Vater an und fragte, warum ich nicht nach Hause zurückkommen kann. Er sagte, dass unsere Nachbarn XXXX und XXXX, das waren die Brüder des Mädchens, zu ihm gekommen sind mit bewaffneten Männern. Ich sagte meinem Vater, dass ich nichts gemacht habe, aber eine Beziehung zu dem Mädchen habe. Er sagte, dass ich beim Onkel bleiben soll. Mein Vater war dann im Kontakt mit den älteren Männern der Ortschaft. Ich kenne mich mit den Stammesregelungen nicht aus. Mein Vater saß gemeinsam mit dem Vater des Mädchens zusammen. Der andere Vater sagte auch, dass er wegen mir seine Tochter geschlagen hatte. Mein Vater hat eingewilligt die Sache friedlich zu klären. Sie haben sich geeinigt, dass ich das mädchen in Ruhe lasse und den Wohnort verlassen werde und 20 Millionen irakische Dianr zahlen werde. Mein Vater hat das Geld von sich aus und mit geliehenem Geld gezahlt. Ich blieb bei meinem Onkel und lebte in Angst vor dem Tod. Ich blieb ca. 18-20 Tage bei ihm, konnte aus Angst nicht auf die Straße gehen. Mir war es auch verboten in unserem Wohnort zu gehen. Ich habe mit meinem Vater gesprochen und ihm gesagt, dass ich ausreisen möchte. Nachdem ich ausgereist bin, habe ich den Drohbrief, den ich vorgelegt habe, von der Asaib Ahl Al Haqq bekommen. Mein Bruder hat mir den Brief geschickt. Mein Vater wird in der Ortschaft geliebt, obwohl es eine schiitische Ortschaft ist. Eine Person von der Asaib Ahl Al Haqq hat meinen Vater von der Drohung in Kenntnis gesetzt. Das ist eigentlich nur ein interner Beschluss, dass sie mich töten werden. Er wird keinem zugestellt. Er wurde meinem Vater inoffiziell gegeben. Meine Familie hat auch nur eine Kopie bekommen. Mein Vater gab dem Überbringer auch 500 Dollar als Geschenk. Gefragt gebe ich an den Überbringer nicht zu kennen.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Nein, ich glaube das ist sehr deutlich.

LA: Haben Sie den genannten Fluchtgründen noch etwas hinzuzufügen?

VP: Nein.

LA: Erzählen Sie etwas über die Beziehung zu dem Mädchen! Wie heißt sie, wie alt ist sie?

VP: Sie heißt XXXX, sie ist 21 Jahre alt, gefragt gebe ich an, dass sie damals in die Schule ging. Wir haben uns kennengelernt und haben telefoniert. Wir haben und geliebt und ich wollte sie heiraten. Als ich ihr sagte, dass ich sie heiraten möchte, hat sie auch zugestimmt. Gefragt gebe ich an, dass die Beziehung vier Monate gedauert hat und dass ich nicht mehr weiß wann ich sie kennengelernt habe. Ich weiß nur, dass der Vorfall am 10.09.2015 passiert ist. Gefragt gebe ich an, dass wir Nachbarn waren, und niemand wusste, dass wir uns treffen, bis die Mutter uns gesehen hat.

LA: Haben Sie bei dem Vater des Mädchens um ihre Hand angehalten?

VP: Nein, ihr Vater hätte mich getötet. Meine Familie hat auch nichts gewusst.

LA: Wie hätten Sie XXXX heiraten können?

VP: Ich hätte es meinen Eltern gesagt, meine Eltern hätten mit ihren Eltern gesprochen und die hätten es dann entschieden.

LA: Wurden Sie persönlich, namentlich im Irak gesucht?

VP: Als ich dort war nicht, nach meiner Ausreise wurde ich von der Asaib Ahl al Haqq gesucht. Meine Familie hat keine Probleme mit der Familie meiner Freundin, weil das Geld bezahlt worden ist und ich den Ort verlassen habe.

LA: Warum haben Sie Probleme mit der Familie Ihrer Freundin, obwohl das Geld bezahlt wurde?

VP: Mit dem Vater habe ich keine Probleme, die Brüder sehen es als Ehrensache an und wollen mich töten. Gefragt gebe ich an, dass die Brüder mich töten werden, wenn sie mich sehen.

LA: Wie sollen Sie die Brüder finden und töten können?

VP: Über dieses Schreiben, was ich vorgelegt habe, es wurde an alle Orte geschickt.

LA: Welche Miliz hat Sie verfolgt?

VP: Die Asaib Ahl Al Haqq.

LA: Was wollte diese Miliz von Ihnen?

VP: Ich habe mit der Miliz nichts zu tun. Sie suchen mich weil ein Bruder, XXXX, Mitglied bei der Miliz ist.

LA: Wann ist das Geld an die Familie bezahlt worden?

VP: Das weiß ich nicht.

LA: Warum haben Sie den Irak nicht schon am 10.09.2015 verlassen?

VP: Woher hätte ich das Geld nehmen sollen, er hat ja auch die 20 Millionen irakischen Dinar bezahlt, daher war kein Geld mehr übrig.

LA: Warum hat er Ihnen nicht das Geld gegeben für die Flucht, sondern das Geld der Familie Ihrer Freundin gegeben?

VP: Weil sonst meine Familie getötet worden wäre.

[...]

LA: Wann haben Sie von dem "Drohbrief" erfahren?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Wurden sie jemals persönlich, von Angesicht zu Angesicht, bedroht?

VP: Nein.

[...]"

Der Beschwerdeführer gab weiters an, es habe sonst keine weiteren Vorfälle gegeben. Er habe keine politische Meinung, habe keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit gehabt und auch keine persönlichen Probleme mit privaten Personen, staatlichen Behörden oder der Polizei. Bei Rückkehr befürchte er den sicheren Tod.

3. Bei einer weiteren Einvernahme vor dem BFA am 12.03.2018 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er in Österreich eine Freundin habe und sie heiraten wolle. Er habe hier Freunde, spiele Fußball, lerne Deutsch und arbeite ehrenamtlich beim Roten Kreuz. Zum Fluchtgrund führte er ergänzend aus:

"LA: Wer hat Sie im Irak bedroht?

VP: Die Asaib Ahl Al Haqq.

LA: Erzählen Sie mir alles, was Sie über diese Gruppierung wissen!

VP: Es ist eine Miliz, sie verfolgen Leute. Wenn jemand von Ihnen verfolgt wird und einen Brief von ihnen bekommt, wird man von ihnen getötet. Ich weiß nicht viel über sie.

LA: Was wollte die Miliz von Ihnen?

VP: Sie wollte mich töten.

LA: Warum wollte sie Sie töten?

VP: Weil ich in ein Mädchen verliebt war und ihr Bruder war Mitglied in der Miliz. Bei uns ist nichts erlaubt, nicht einmal die Liebe.

LA: Wann ist die Miliz an Sie herangetreten?

VP: Ich habe den Irak am 01.10.2015 verlassen. Ca. 20 Tage vor meiner Ausreise ist sie an mich herangetreten.

LA: Auf welche Weise ist die Miliz an Sie herangetreten?

VP: Als die Familie des Mädchens davon erfahren hat, haben sie Geld verlangt. Mein Vater hat sich mit dem Ältesten der anderen Familie getroffen und er hat 20 Millionen irakische Dinar (ca. 20000 US Dollar) gezahlt. Ich war inzwischen bei meinem Onkel. Ich musste auch das Land verlassen, dazu hat man mich aufgefordert.

Wiederholung der Frage!

VP: Die Familie hat verlangt, dass ich den Ort und nicht das Land verlassen muss. Das Problem war, dass der Bruder des Mädchens, XXXX, bei der Miliz war und mich überall erwischen konnte. Ich blieb bei meinem Onkel, mein Vater hat das Geld bezahlt und später bin ich ausgereist.

LA: Wann hat Sie die Miliz bedroht?

VP: Mit einem Drohbrief, in dem stand, dass ich getötet werde, wenn ich wieder in den Irak einreisen sollte. Gefragt gebe ich an, dass der Brief nach meiner Einreise in Österreich am 12.10.2015 eingelangt ist, das genaue Datum weiß ich nicht. Später hat mir meine Mutter ein Foto des Drohbriefes geschickt.

[...]

LA: Werden Sie im Irak namentlich gesucht?

VP: Ja, die Miliz sucht mich aber nicht die Regierung. Das Problem ist aber, dass die Miliz die Regierung ist.

LA: Wann hat die Miliz erstmalig nach Ihnen gefragt, nachdem Sie ausgereist waren?

VP: Nachdem sie den Brief geschrieben haben, war es erlaubt mich zu töten. Gefragt gebe ich an das Datum des Briefes nicht zu kennen. Ein Bekannter hat eine Foto gemacht und meinen Eltern den Brief übermittelt. Der Bekannte wollte meinen Vater waren, er hat nicht gewusst, dass ich den Irak schon verlassen habe. Meine Familie war froh, dass ich das Land schon verlassen habe. Mein Vater hat den Bekannten mit 500 US Dollar belohnt.

[...]"

4. Mit Bescheid des BFA vom 03.05.2018, Zl. 1093584807-151698149, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung wurden zunächst die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund in der Erstbefragung sowie die Niederschriften der Einvernahmen vor dem BFA wörtlich wiedergegeben. Weiters wurden die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente angeführt. Das BFA stellte fest, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe, er irakischer Staatsangehöriger, Araber, sunnitischer Moslem und gesund sei. Er sei ledig und habe keine Obsorgepflichten. Er sei im arbeitsfähigen Alter, habe im Irak neun Jahre die Schule besucht und als Zimmerer gearbeitet. Er verfüge über Familienangehörige im Irak und spreche die Landessprache. Er sei spätestens am 12.10.2015 illegal nach Österreich eingereist. Er sei strafrechtlich unbescholten. Es sei glaubhaft, dass der Beschwerdeführer den Irak wegen der allgemeinen unsicheren Lage verlassen habe. Unglaubwürdig sei, dass er im Irak von der schiitischen Miliz Asaib Ahl al Haqq bedroht worden sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass er im Irak konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Übergriffen maßgeblicher Intensität ausgesetzt gewesen wäre oder er im Falle einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wäre. Der Beschwerdeführer verfüge über keine nennenswerten Deutschkenntnisse und es bestehe kein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich. Er gehöre keinem Verein oder einer sonstigen Organisation an. Er lebe von der Grundversorgung und gehe keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nach. Danach traf das BFA Feststellungen zur Lage im Irak.

Beweiswürdigend führte das BFA zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats aus (Schreibfehler im Original):

"Bzgl. Ihrer beim BFA behaupteten Fluchtgründe ist festzuhalten:

Ihr Vorbringen Ihr Heimatland aufgrund der unsicheren Lage verlassen zu haben wird als wahr angesehen.

Bei der Darstellung einer Verfolgung und Bedrohung durch die schiitische Miliz Asaib Ahl Al Haqq haben Sie sich beim BFA/RD-Wien auf das Aufstellen von bloß abstrakten und unkonkreten Behauptungen beschränkt. Darüber hinaus beinhaltet Ihr Vorbringen keine glaubhaften, gegen Sie persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen und haben Sie Ihr Vorbringen auch widersprüchlich dargestellt.

Im Zuge Ihrer niederschriftlichen Befragung bei Ihrer Ersteinvernahme am 05.11.2015 haben Sie angegeben, dass Sie den Irak verlassen haben, weil im Irak die Sicherheitslage schlecht ist und Sie ein Mädchen kennengelernt haben. Der Vater, ein Angehöriger der irakischen Armee habe Sie angezeigt und gedroht zu verfolgen. Zwei Brüder des Mädchens seien auch Mitglieder bei Milizen gewesen. Ihr Vater habe der Familie des Mädchens 20000 US-Dollar bezahlt, damit es Sie in Ruhe lassen würde. Dennoch habe der Vater des Mädchens Sie weiter bedrängt. Nach außen hin sei die Geldzahlung als Behandlungskosten für das Mädchen dargestellt worden, welche der Vater selbst am Bein angeschossen habe.

Bei Ihrer Einvernahme am 14.06.2017 vor dem BFA haben Sie Ihre Angaben aus der Erstbefragung im Wesentlichen bestätigt. Sie haben ein Mädchen kennen und lieben gelernt. Eines Tages seien Sie aber von der Mutter des Mädchens gesehen worden. Später am gleichen Tag haben Sie von Ihrem Vater einen Anruf bekommen, in dem er Ihnen mitgeteilt habe nicht nach Hause zu kommen, sondern zu Ihrem Onkel zu fahren. Als Grund haben Sie in einem zweiten Telefonat dann erfahren, dass zwei Brüder des Mädchens, in Begleitung bewaffneter Männer, zu Ihrem Vater gekommen seien. Während Sie weiter beim Ihrem Onkel geblieben seien, habe Ihr Vater mit den älteren Männern in der Ortschaft und dem Vater des Mädchens inzwischen an einer Lösung gearbeitet. Der Vater des Mädchens habe auch gesagt, dass er wegen Ihnen seine Tochter geschlagen habe. Letztlich habe man sich auf eine friedliche Lösung geeinigt. Man habe beschlossen, dass Sie das Mädchen in Ruhe lassen, den Ort verlassen und 20 Millionen irakische Dinar zahlen würden. Ihr Vater habe das Geld bezahlt. Sie seien noch 18-20 Tage bei Ihrem Onkel geblieben, haben in Angst vor dem Tod gelebt, seien nicht auf die Straße oder Ihren Wohnort gegangen. Dann seien Sie ausgereist. Nach Ihrer Ausreise haben Sie einen Drohbrief der Asaib Ahl Al Haqq bekommen. Ihr Bruder habe Ihnen den Brief zukommen lassen, nachdem der Brief inoffiziell Ihrem Vater übergeben worden sei. Es sei auch nur ein interner Beschluss, der eigentlich niemandem zugestellt werde.

Weitere Fluchtgründe haben Sie nicht angegeben und den genannten hatten Sie nichts mehr hinzuzufügen.

Nach näheren Details zu dem Mädchen und der Beziehung gefragt, haben Sie den Namen, XXXX, und Alter, 21, der Frau nennen können. Es sei auch geplant gewesen zu heiraten. Die Beziehung habe vier Monate bestanden, aber Sie haben sich nicht erinnern können, wann Sie sie kennengelernt haben. Sie haben nur gewusst, dass der Vorfall am 10.09.2015 passiert sei. Trotz der Tatsache, dass sie Nachbarn gewesen seien, habe niemand von den Treffen gewusst, bis die Mutter Ihrer Freundin sie gesehen habe.

Die Frage, ob Sie bei dem Vater um die Hand Ihrer Freundin angehalten haben, haben Sie verneint, da der Vater der Frau Sie sonst getötet hätte. Gefragt, wie Sie dann XXXX hätten heiraten können, haben Sie lapidar gemeint, dass Sie es Ihren Eltern erzählt, diese dann mit XXXX Eltern geredet und schließlich darüber entschieden hätten. An dieser Stelle ist es nicht nachvollziehbar, warum der Vater Ihrer Freundin Sie hätte töten sollen, wenn Sie persönlich um XXXX Hand angehalten hätten, aber nichts dergleichen passieren sollte, wenn Ihre Eltern die Verhandlungen geführt hätten.

Eine persönliche, namentliche Suche im Irak haben Sie verneint, solange Sie im Irak gewesen seien. Seit Ihrer Ausreise würden Sie aber von der Asaib Ahl Al Haqq gesucht werden. Ihre Familie habe keine Probleme mit der Familie der Frau, da ja Geld bezahlt worden sei und Sie den Ort verlassen haben. Gefragt, warum Sie denn Probleme mit der Familie hätten, obwohl das Geld bezahlt worden sei, haben Sie gesagt, dass Sie mit dem Vater der anderen Familie keine Probleme hätten, nur die Brüder sähen es als Ehrensache an und würden Sie töten wollen. Hier ist auf die widersprüchliche Angabe hinsichtlich Ihrer Erstbefragung hinzuweisen, in der Sie behauptet haben, dass der Vater der Frau Sie weiterhin bedrängt habe, obwohl die vereinbarte Summe bezahlt worden sei.

Weitere widersprüchliche Angaben in Ihrem Vorbringen sind, dass in der Erstbefragung der Vater der Frau ein irakischer Offizier gewesen sei, der Sie angezeigt habe und gedroht habe Sie zu verfolgen. In der Einvernahme vor dem BFA haben Sie keine Anzeige und Drohung des Vaters erwähnt. Dagegen haben Sie vor dem BFA behaupte, dass zwei Brüder der Frau mit bewaffneten Männern zu Ihnen nach Hause gekommen seien.

Hinsichtlich des "Drohbriefes" ist anzufügen, dass das Dokument nicht im Original vorgelegt wurde. Des Weiteren ist der Erhalt des Briefes sehr widersprüchlich. Während Sie in der Erstbefragung vom 12.11.2015 den Brief mit keinem Wort erwähnt haben, haben Sie am 14.06.2017 vor dem BFA behauptet, dass der "Brief" nach Ihrer Ausreise Ihrem Vater inoffiziell übermittelt worden sei und Ihr Bruder Ihnen den Brief zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt geschickt hätte. In der ergänzenden Einvernahme am 12.03.2018 haben Sie behauptet, dass der Brief nach Ihrer Ankunft in Österreich Ihrer Familie übergeben worden sei und Ihre Mutter Ihnen später eine Kopie geschickt hätte.

Schließlich spricht die Tatsache, dass Sie am 01.10.2015 das Land vom internationalen Flughafen in Bagdad in Richtung Türkei verlassen konnten, gegen eine unmittelbare Bedrohung Ihrer Person bzw. Gefahr um Ihr Leben. Zumal Sie nach der angeblichen Bedrohungssituation nicht umgehend das Land zu verlassen versucht haben, sondern noch weitere 18 bis 20 Tage im Irak geblieben seien. Wenn Sie für eine bestimmte Person oder Gruppierung von Bedeutung gewesen wären, hätten Sie das Land nicht so einfach verlassen können.

Insgesamt schilderten Sie Ihre Fluchtgründe vage und oberflächlich, sodass man daraus kein konkretes, Sie persönlich betreffendes, glaubhaftes Geschehen ableiten kann.

Wären Sie tatsächlich aufgrund eines prägenden und einschneidenden Ereignisses zu Ihrer Ausreise aus dem Heimatland gezwungen worden, dann hätten Sie ein solches konkretes Ereignis auch tatsächlich konkret, detailliert, und widerspruchsfrei umschrieben.

Es kann daher in Gesamtbetrachtung des gegenständlichen oberflächlichen Vorbringens, nach Durchführung schriftlicher Einvernahmen, nicht festgestellt werden, dass Ihnen im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - droht.

Letztendlich gelangt die erkennende Behörde daher im Rahmen der von Ihnen vorzunehmenden Beweiswürdigung zu einem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis, indem sie aufgrund der getroffenen Feststellungen, insbesondere aber aufgrund des Vorbringens zu den Fluchtgründen unter Hinzuziehung der Recherchen der Staatendokumentation zu dem Schluss kommt, dass Sie mit diesem keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnten."

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine konkrete, individuell gegen ihn selbst gerichtete Verfolgung nicht glaubhaft dargetan habe, sondern sein Land wegen der dort herrschenden schlechten Lage verlassen habe und es sei nicht feststellbar, dass er im Falle der Abschiebung in eine aussichtslose Situation geraten würde. Nach Abwägung aller Interessen ergebe sich, dass der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, insbesondere des Fremdenwesens, mehr Gewicht einzuräumen sei und ein möglicher Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte sei nicht als unverhältnismäßig anzusehen.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Araber und sunnitischer Moslem. Er lebte mit seinen Eltern und vier Brüdern im Haus des Vaters in Bagdad. Seine Eltern und Geschwister leben nach wie vor dort. Auch Onkel und Tanten leben im Irak. Der Vater ist Tischler und auch die Brüder sind berufstätig. Der Beschwerdeführer hat neun Jahre die Schule in Bagdad besucht und als Tischler gearbeitet.

Der Beschwerdeführer verließ ca. am 01.10.2015 den Irak und reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 12.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, dass er wegen der schlechten Sicherheitslage sein Land verlassen habe, ist glaubhaft. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er wegen der Beziehung zu einem Mädchen von deren Familienmitgliedern bzw. einer Miliz, der deren Brüder angehören, bedroht und verfolgt worden sei, ist hingegen nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise einer konkreten, individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist ledig, führt keine Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer hat seit ca. Dezember 2017 eine österreichische Freundin, lebt mit ihr aber nicht zusammen. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer hat die ÖSD-Prüfung Zertifikat A1 abgelegt. Er ist beim Roten Kreuz ehrenamtlich tätig. Der Beschwerdeführer hat auch Freunde in Österreich.

Zur Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

Am 29.10.2017 erklärte Mas'ud Barzani seinen Rücktritt als Präsident der kurdischen Region. Er lehnte in einem Brief an das kurdische Parlament eine Verlängerung seines Mandats über den 1.11.17 hinaus ab (IFK 6.11.2017). Barzani bleibt Vorsitzender der KDP (Kurdistan Democratic Party) und somit weiterhin ein wichtiger politischer Akteur. Die weiter andauernde Lähmung des kurdischen Regionalparlamentes versetzt die beiden Parteien KDP und PUK (Patriotische Union Kurdistans) weiterhin in die Lage, politische Entscheidungen ohne die Einbeziehung der Partei Goran oder anderer Parteien zu treffen (CR 14.11.2017).

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).

Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 9.11.2017).

Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).

Die folgende Grafik zeigt die massiven Gebietsverluste des IS seit Jänner 2015 (Stand 30.10.2017). Der Wüstenbereich nördlich von Al-Qaim wird je nach Quelle als Wüstengebiet oder als IS-Gebiet eingezeichnet (s. untere Karte) eingezeichnet.

Bild kann nicht dargestellt werden

(BBC 3.11.2017)

Bild kann nicht dargestellt werden

(Liveuamap 17.11.2017, Stand 17.11.2017)

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017).

Beispielhaft wird im Folgenden eine Grafik angeführt, in der die von einer Sicherheitsfirma dokumentierten Vorfälle, die in Kalenderwoche 45 des Jahres 2017 stattgefunden haben, eingezeichnet sind. Die Grafik stellt jedoch nach Angaben der Quelle nicht das gesamte Ausmaß der Gewalt und der Vorfälle dar. Mehrere Vorfälle, bzw. umfangreiche und länger andauernde Gefechte werden jeweils als ein Vorfall zusammengefasst dargestellt. Darüber hinaus bleiben viele Vorfälle auf Grund von Einschränkungen durch die Regierung und Einschränkungen der Kommunikation undokumentiert:

Bild kann nicht dargestellt werden

(CR 14.11.2017)

Im Folgenden findet sich ein von derselben Quelle erstellter Überblick über die Entwicklung der Zahl der Vorfälle von Kalenderwoche 26 - 44 des Jahres 2017:

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(CR 14.11.2017)

Im kürzlich veröffentlichten Global Peace Index (GPI)-Bericht wurde der Irak als das "dritt-unfriedlichste" Land der Welt eingestuft. Laut GPI-Bericht bleibt trotz der Zurückdrängung des IS die Stabilität und Sicherheit der Staaten Syrien und Irak weiterhin bedroht (K24 8.8.2017; vgl. Iraqinews 15.11.2017).

Bagdad:

Obwohl der IS Bagdad [kontrollgebietsmäßig] nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste - nach der Provinz Ninewa - Anzahl an zivilen Todesopfern. Um ein Beispiel zu nennen: UNAMI berichtet, dass im Februar 2017 120 Zivilisten getötet und 300 verletzt wurden. In demselben Monat im Jahr 2016 war Bagdad der am stärksten betroffene Bezirk, UNAMI berichtete von 277 Todesopfern und 838 Verletzten. (Update: Für den Monat Oktober 2017 berichtet UNAMI 177 zivile Opfer (38 Tote, 139 Verletzte). Wichtig ist, anzumerken, dass diese Zahlen ausschließlich verifizierte Opfer inkludieren und als das absolute Minimum gesehen werden müssen. Zum Beispiel beinhalten sie auch nicht jene Opfer, die in manchen Teilen der Stadt regelmäßig tot aufgefunden und geborgen werden (MRG 10.2017; UNAMI 1.11.2017). Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, u.a. von Al-Qaeda und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al-Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

Terrorattacken:

Terrorattacken werden meist mit verschiedenen Arten von IEDs (Improvised Explosive Devices) ausgeführt, inklusive am Körper getragene ('body-born' oder BBIEDs, in Fahrzeugen transportierte ('vehicle-borne' oder S/VBIEDs) und unter Fahrzeugen befestigte Sprengfallen ('under-vehicle-borne' oder UVBTs). Dabei handelt es sich um typische Taktiken des IS. Sie zielen dabei auf große Menschenansammlungen wie z.B. auf Märkten, in Einkaufszentren und Moscheen ab, wo der Kollateralschaden maximiert werden kann. Auch wenn diese Attacken alle Teile der Stadt treffen können, sind [ethno-religiös] gemischte Gebiete besonders gefährdet. Auch werden Kontrollpunkte regelmäßig angegriffen mit dem Ziel Sicherheitskräfte zu schwächen. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens werden an den Kontrollpunkten selten sorgfältige Fahrzeugdurchsuchungen durchgeführt, weshalb das Problem schwer einzudämmen ist (MRG 10.2017).

Schießereien mit Handfeuerwaffen:

Was die Verwendung von Handfeuerwaffen betrifft, können generelle Muster zwischen dem zentralen Gebiet und der Peripherie der Provinz Bagdad unterschieden werden. Morde und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnappings, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde.

Im Gegensatz dazu sind Vorfälle mit Handfeuerwaffen im 'Bagdad Belt' üblicherweise gegen Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen gerichtet, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

Sicherheitskräfte in der Provinz Bagdad:

Irakische Sicherheitskräfte (ISF):

Die ISF werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).

Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu:

über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).

Islamischer Staat (IS):

Der IS konnte Mitte 2014 Gebiete im Provinz Bagdad nicht unter seine Kontrolle bringen. Allerdings hat sich IS-Aktivität mehrmals vom angrenzenden Provinz Anbar in den westlichen Bezirk Abu Ghraib ausgeweitet. Teile des 'Bagdad-Belt' sind historisch gesehen Unterstützungsgebiete des IS, welche IS-Attacken in zentraler gelegenen Gebieten Bagdads ermöglichen (MRG 10.2017).

In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).

Popular Mobilization Forces (PMF):

Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).

Im Folgenden werden einige Beispiele der wichtigsten PMF-Milizen aufgezählt, die in Bagdad operieren: Badr-Organisation, Asaib Ahl al-Haq, Saraya al-Salam, Saraya al-Khorasani, Kataib Hizbullah (MRG 10.2017). Anm.: Die Milizen sind in Abschnitt 3.2.2 des LIB näher beschrieben.

Quellen:

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AA-Auswärtiges Amt (23.11.2017): Irak: Reisewarnungen, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/irak-node/iraksicherheit/202738#content_1, Zugriff 23.11.2017

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AI- Amnesty International (24.10.2017): Titel?

https://www.amnesty.org/en/latest/news/2017/10/iraq-fresh-evidence-that-tens-of-thousands-forced-to-flee-tuz-khurmatu-amid-indiscriminate-attacks-lootings-and-arson/, Zugriff 22.11.2017

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Bas - Basnews (14.11.2017): Over 1,500 Civilian Properties Damaged by Hashd al-Shaabi in Tuz KhurmatuFeatured, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/392677, Zugriff 22.11.2017

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BBC (3.11.2017): Islamic State and the crisis in Iraq and Syria in maps, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-27838034, Zugriff 22.11.2017

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BI - Business Insider (13.11.2017): Two suicide attacks in Iraq's Kirkuk kill at least five,

http://www.businessinsider.de/us-marines-isis-iraq-2017-11?r=US&IR=T, Zugriff 22.11.2017

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CR - Control Risks (14.11.2017): Iraq Weekly, per Email am 16.11.2017

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Der Standard (11.11.2017): Massengräber mit mindestens 400 Opfern des IS im Irak entdeckt

http://derstandard.at/2000067646336/Massengraeber-mit-mindestens-400-Opfern-des-IS-im-Irak-entdeckt, Zugriff 22.11.2017

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Harrer, Gudrun in der Standard (24.11.2017): "Islamischer Staat":

Der Zyklus der Gewalt ist nicht gebrochen - derstandard.at/2000068367290/Islamischer-Staat-Der-Zyklus-der-Gewalt-ist-nicht-gebrochen

,

http://derstandard.at/2000068367290/Islamischer-Staat-Der-Zyklus-der-Gewalt-ist-nicht-gebrochen, Zugriff 24.11.2017

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HRW - Human Rights Watch (20.10.2017): Iraq: Fighting in Disputed Territories Kills Civilians,

https://www.hrw.org/news/2017/10/20/iraq-fighting-disputed-territories-kills-civilians, Zugriff 22.11.2017

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IBC - Iraq Body Count (23.11.2017): Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 23.11.2017

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IBC - Iraq Body Count (28.2.2017): Incidents, https://www.iraqbodycount.org/database/incidents/page1, Zugriff 23.11.2017

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IFK - Institut für Friedens- und Konfliktforschung des Österreichisches Bundesheeres (6.11.2017): Briefing Notes 6.11.2017, per Email am 6.11.2017

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Iraqinews (15.11.2017): Terrorism index: Iraq two slots away from world's least peaceful country, https://www.iraqinews.com/features/terrorism-index-iraq-two-slots-away-worlds-least-peaceful-country/, Zugriff 23.11.2017

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K24 - Kurdistan 24 (8.8.2017): Iraq ranks third least peaceful country in the world: Report,

http://www.kurdistan24.net/en/news/a5f19b70-94f2-4744-b300-6632c34e3659, Zugriff 23.11.2017

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Liveuamap (17.11.2017): 17. November 2017, http://isis.liveuamap.com/ , Zugriff 22.11.2017

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MEE - Middle East Eye (16.11.2017): The hunt for rogue IS fighters in Iraq's vast desert,

http://www.middleeasteye.net/news/nowhere-left-run-rogue-fighters-ambush-iraqi-forces-hunting-them-down-1394927173, Zugriff 22.11.2017

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MOI - Musings on Iraq (3.11.2017): 1,093 Killed 721 Wounded In Iraq In October 2017 ,

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/11/1093-killed-721-wounded-in-iraq-in.html , Zugriff 22.11.2017

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MRG - Minority Rights Group - Ceasefire Center for Civilian Rights (10.2017): Security Situation and sectarian tensions in the city of Baghdad, per Email am 12.9.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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