TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/14 L518 2202765-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.12.2018
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Entscheidungsdatum

14.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

1) L518 2202765-1/22E

2) L518 2202763-1/12E

3) L518 2202764-1/11E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 04.12.2018 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, von XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, mj. XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, alle vertreten durch RA Dr. BLUM und MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2018, Zl. XXXX, Zl. XXXX und Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.12.2018, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz (AsylG 2005) §§ 9, 18 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) und §§ 55, 52 und 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als "bP1" bis "bP3" bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik Armenien und brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 07.10.2016 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge "bB") Anträge auf internationalen Schutz ein.

Die bP 1 ist die Mutter der inzwischen volljährigen bP 2 und der minderjährigen bP 3.

Die bP reisten legal mit einem italienischen Visum, gültig von XXXX bis XXXX2016 mit dem Flugzeug nach Italien. Von dort aus reisten sie nach Österreich weiter. Das eingeleitete Dublin Verfahren blieb erfolglos. Von den bP wurden Stellungnahmen im Rahmen des Dublin-Verfahrens bzw. Zulassungsverfahrens eingebracht und unter anderem ein ärztlicher Befund vorgelegt, wonach die bP 3 transportunfähig war. Hinsichtlich der bP 1 wurde eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 24.01.2017 betreffend den Gesundheitszustand eingeholt.

I.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. der belangten Behörde brachten die bP im Wesentlichen Folgendes vor:

Der Ehegatte der bP 1 habe bei einer Sicherheitsfirma, welche der Familie des Präsidenten gehörte, gearbeitet. Dort sei ein Video von einer ungesetzlichen Handlung verschwunden und sei der Ehegatte verdächtigt worden, dafür verantwortlich zu sein. Die bP bzw. der Ehegatte seien dann zu Hause aufgesucht, bedroht und geschlagen worden. Schließlich seien die bP 1-3 an Mittelmeerfieber erkrankt, welches in Armenien nicht behandelbar sei.

bP2 - bP3 beriefen sich auf die Gründe der bP1 und auf den gemeinsamen Familienverband.

Vorgelegt wurden von den bP mittels Urkundenvorlagen und Stellungnahmen diverse medizinische Unterlagen alle bP sowie die Schwester der bP 1 betreffend, eine Schulnachricht für die bP 3, Bestätigung des wissenschaftlichen Zentrums für Expertise der Arzneimittel Armenien, Bestätigung der medizinischen Universität in Jerewan.

Das BFA holte eine Anfragebeantwortung (vom 16.02.2018) hinsichtlich der von den bP in Österreich erhaltenen Medikamente bzw. der Behandlung von familiären Mittelmeerfieber

ein, welche in den Feststellungen wiedergegeben wird.

I.3. Die Anträge der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Den Beschwerden wurde gem. § 18 (1) Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde nicht gewährt.

In Bezug auf sämtliche bP wurde ein im Spruch inhaltlich gleichlautender Bescheid erlassen, weshalb sich aus dem Titel des Familienverfahrens gem. § 34 AsylG ebenfalls kein anderslautender Bescheid ergab.

I.3.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft und führte hierzu Folgendes aus (Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf bP1):

Wie aus den vorgelegten Befunden ersichtlich laborieren Sie an familiärem Mittelmeerfieber. Wie aus der oben eingefügten Staatendokumentationsanfrage ersichtlich ist, sind sämtliche Wirkstoffe welche benötigt werden in Armenien erhältlich. Für die nicht vorhandene Mefenaminsäure gibt es alternative Wirkstoffe namens Diclofenac, Naproxen und Ibuprofen. Anakinra ist nicht in Armenien verfügbar. Jedoch gibt es einen alternativen verfügbaren Wirkstoff Tocilizumab. Im Allgemeinen wird bezüglich des familiären Mittelmeerfiebers Infliximap als Alternative zu Anakinra angeführt. Die Behandlung von Mittelmeerfieber ist stationär als auch ambulant möglich und steht dafür Internisten, Gastroenterologen und Rheumatologen zur Verfügung.

? Betreffend die Feststellungen der Gründe für das Verlassen des

Herkunftsstaates:

Gerade im Asylverfahren ist das Vorbringen des Antragstellers oft das einzige Beweismittel, welches von der Partei der Behörde zur Verfügung gestellt wird. Die niederschriftlichen Angaben der Partei stellen daher im überwiegenden Teil des Verfahrens die wesentliche Entscheidungsgrundlage dar. Im Asylverfahren liegt oft ein geradezu sachtypischer Beweisnotstand vor, weshalb das Vorbringen auf die Glaubhaftigkeit und die Person des Asylwerbers selbst auf die Glaubwürdigkeit zu prüfen sind. Ein Vorbringen wird dann glaubhaft sein, wenn es vier Grundanforderungen erfüllt:

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, dh. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist ua. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Ihr beim BFA vorgelegtes Vorbringen entspricht jedoch nicht diesen genannten Anforderungen, zumal Sie beim BFA bloß ein höchst vages und abstraktes Vorbringen dargelegt haben.

Der Kern Ihres Fluchtvorbringens bezieht sich auf die Arbeit Ihres Gatten. Sie gaben an, dass Ihr Gatte als technischer Ingenieur in einer Videoüberwachungsfirma gearbeitet hätte. Diese Arbeit wäre gut bezahlt gewesen. Bei der Firma namens "XXXX" würde es sich um eine staatliche Firma handeln. Der Präsident sowie die Polizei wären die Gründer dieser genannten Firma. Es wäre ein Mord in Jerewan geschehen und Ihrem Gatten wäre vorgehalten worden, dass dieser das entsprechende Videoband verschwinden hätte lassen. Erkundigt man sich im World Wide Web über die von Ihnen genannte Firma, sind keinerlei seriöse Webseiten darüber abrufbar. Es gibt keine eigene Website zu dieser Firma und ist auch keine E-Mail Adresse angeführt. Besucht man die Facebook- Seite der genannten Firma so scheint diese ebenfalls nicht "staatlichen Niveau" zu entsprechen. Die Beiträge haben zu wenig "Likes" um anzunehmen, dass es sich hier tatsächlich um eine Firma von der Polizei und von Präsidenten persönlich handeln würde. Zudem erscheinen Beiträge sehr unregelmäßig. Solch politisch wichtige Persönlichkeiten und staatlich fugierende Einrichtungen besitzen explizite Angestellte welche die PR im Internet übernehmen bzw. Facebook Aktivitäten etc.

Zudem reisten Sie legal aus Armenien aus und gaben sogar an, dass Sie selbst mit Ihrer Familie bei der Botschaft in Jerewan gewesen wären um sich Ihre Pässe abzuholen.

Interessant ist weiters, dass Sie nach Italien gewollt hätten, obwohl dort der Schwiegersohn des Präsidenten in der armenischen Botschaft tätig wäre. Hierzu konfrontiert meinten Sie nur, dass Sie daran nicht gedacht hätten. Es ist durchaus anzunehmen, dass man solche Dinge, auch in einer Stresssituation nicht vergessen würde.

Widersprüchlich ist auch, dass Sie zu Anfang meinten, dass Ihr Gate gut bezahlt worden wäre, dieser jedoch mit Ihrer Familie nicht hätte ausreisen können, da Sie sich dies nicht leisten hätten können.

Festzuhalten ist weiters, dass Sie zu dem Vorfall welcher Ihnen passiert wäre und in welchem Sie persönlich involviert gewesen wären nichts Stichhaltiges angeben konnten. Sie waren auch nicht in der Lage konkrete Datumsangaben zu machen. Es war Ihnen nur möglich lapidar anzugeben, dass das Videoband vor ungefähr 6 Monaten oder länger verschwand bevor Sie ausreisten und der Überfall hätte sich ein Monat vor Ihrer Ausreise ereignet. Sie würden auch annehmen, dass der Überfall an einem Montag stattgefunden hätte, da es der Tag nach dem Wochenende gewesen wäre.

Auch zu dem Vorfall selbst gaben Sie nur sehr allgemeine Angaben an. So meinten, Sie das es zu Handgreiflichkeiten zwischen den Männern und Ihrem Mann gekommen wäre wobei Sie auch hineingezogen worden wäre. Sie und Ihr Gatte wären verletzt worden. Ihr Gatte hätte am Kopf als auch am Körper geblutet. An Details könnten Sie sich nicht erinnern, da Sie dies verdrängt hätten. Sie reisten im Jahr 2016 legal mit dem Flugzeug aus Armenien aus. Es ist nicht allzu lange her, als dass Sie dies so sehr verdrängt hätten, dass Sie sich nicht daran erinnern könnten.

Nochmals darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Einvernahme die einzige Möglichkeit ist Ihre Glaubwürdigkeit zu zeigen, versuchten Sie, Ihre Krankheit- familiäres Mittelmeerfieber- als Ausrede für Ihre Unwissenheit zu benutzen. Es ist nicht bekannt, dass ein Schub durch Stress ausgelöst wird. Es handelt sich hier um periodische Ausbrüche welche mittels Medikamente kontrolliert bzw. gemildert werden. Nicht plausibel ist weiters, dass Sie nach dem Überfall, welcher eine Stunde gedauert hätte, warteten bis Ihre Kinder von der Schule gekommen würden. Mitarbeiter des Staates oder selbst dem Präsidenten persönlich, wären Personendaten leicht zugänglich. Hätte dieser wirklich Ihre Kinder bei dem Überfall dabei haben wollen, so wäre dieser nicht Montagmorgen passiert.

Denn hier bestünde die realistische Annahme, dass niemand zu Hause wäre. Daher wäre die Gefahr auch groß, dass diese die Kinder auf wem nach Hause von der Schule hätten abfangen könnten. In einer solchen Situation in welcher man sich in der Tat verfolgt und bedroht fühlen würde, wäre der erste Instinkt einer Mutter, die Kinder zu sich zu holen und diese in Sicherheit zu bringen. Keine Mutter würde in einer solchen Situation warten bis die Kinder nach Hause kommen würden. Man würde diese zumindest von der Schule abholen, da man überall Gefahren sehen würde. Weiters wäre man in einer solchen Situation in der Lage sich an die genaue Uhrzeit zu erinnern, als die Kinder nach Hause gekommen wären, da es sich hier um einen Moment der Erleichterung gehandelt hätte.

Nicht nachvollziehbar sind Ihre Beschreibungen bezüglich der Verletzungen Ihres Gatten. Das eine Person nach Schlägen und auf der Schulter und am Rücken bluten würden, sei so dahingestellt.

Fragwürdig ist weiters, weshalb Ihre Tochter Stress hätte wenn jemand an der Tür klopfen würde, da diese bei dem angeblich passierten Überfall nicht anwesend gewesen wäre. Es ist anzunehmen, dass es sich hier um eine lapidare Aussage handelt, welche Sie angaben, um Ihr Vorbringen zu intensiveren. Anzumerken ist weiters, dass auf eine Einvernahme Ihrer Tochter seitens der Behörde verzichtet wurde, da sich diese gemäß Ihren Angaben an Ihre Asylantragsgründe anschließen würde und keine eigenen Asylgründe hätten. Auf eine Zeugeneinvernahme wurde hier verzichtet, da anzunehmen ist, dass die Sachverhalte von Ihnen und Ihrer Tochter sich nach einer solchen Dauer durchaus decken würden. Sie hätten genug Zeit gehabt um Ihre Angaben ausführlich aufeinander abzudecken und daher könnte dem kein Wahrheitsgehalt beigemessen werden. Zudem ist Ihr Vorbringen schon im Kern unglaubwürdig.

Während der Einvernahme gaben Sie wiederholt an, dass Sie sich an diesen Überfall nicht erinnern wollten würden, oder dies aufgrund Ihrer Krankheit, familiäres Mittelmeerfieber, nicht möglich wäre. Abgesehen von dem von Ihnen behaupteten Vorfall wären Sie persönlich konkret verfolgt oder bedroht worden in Armenien. Nicht zu vergessen ist weiters, dass Sie in Ihrer Erstbefragung im Oktober 2016 keinerlei Angaben bezüglich einem Überfall gemacht haben. Sie schilderten nur, dass Ihr Mann als technischer Ingenieur in einer Firma gearbeitet hätte und ein Videoband verschollen wäre. Wäre in der Tat der von Ihnen behauptet Überfall geschehen, so hätten Sie dies mit Sicherheit auch in Ihrer Erstbefragung erwähnt und nicht erst in Ihrer Niederschrift im Jänner 2018. Selbst die Tatsache, dass Sie an familiärem Mittelmeerfieber laborieren, rechtfertigt dies nicht.

Zutiefst unglaubwürdig erscheint es weiters, dass Sie keinen Kontakt mehr mit Ihrem Gatten hätten seit dem Sie aus Armenien ausgereist wären.

Zusammengefasst kommt das BFA zu dem Schluss, dass Ihre Angaben rund um Ihren Fluchtgrund als unglaubwürdig zu betrachten sind und Ihr gesamtes Fluchtvorbringen ein gedankliches Konstrukt Ihrerseits darstellt.

? betreffend die Feststellung Ihrer Situation im Falle der Rückkehr:

Sie konnten keine individuelle Verfolgung bzw. Gefährdung glaubhaft machen. Da nach den ho. Länderfeststellungen im gesamten Staatsgebiet Armeniens keine allgemeine Gefahr festgestellt werden konnte, geht die Behörde davon aus, dass Ihnen in Ihrem Heimatstaat auch keine individuelle bzw. konkrete Bedrohung i. S. des Art. 2 bzw. 3 EMRK droht.

Zudem gilt Armenien als sicherer Herkunftsstaat!

Sie verfügen über eine mehrjährige Schulausbildung. Sie sind volljährig und waren auch in der Vergangenheit in der Lage den Lebensunterhalt für sich als auch für Ihre Kinder aufzubringen, daher ist davon auszugehen, dass Sie durch die Aufnahme einer eigenen Arbeitstätigkeit sich in Armenien den Lebensunterhalt sichern können. Falls Ihre Krankheit die Arbeitstätigkeit nicht zulassen würde, so ist zu betonen, dass in Armenien eine Grundversorgung vorhanden ist. Auch verfügen Sie über Familienangehörige. Ihr Vater als auch Ihre Schwester würden ebenfalls mit Ihnen in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren. Dadurch werden Sie auch nicht in eine ausweglose finanzielle bzw. wirtschaftliche Notlage geraten.

Zu einer Rückkehrgefährdung aufgrund Ihrer Erkrankungen wird nachfolgendes angeführt:

Wie aus den Länderberichten zu entnehmen ist, ist eine medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet. Auch ist die primärere medizinische Versorgung grundsätzlich kostenfrei. Eingeschränkt gilt dies für die sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung. Auch ist der Ausbildungsstand des medizinischen Personals zufriedenstellend. Anhand einer speziellen Anfrage wurde ersichtlich, dass Ihre angeführten Krankheiten (familiäres Mittelmeerfieber, posttraumatische Belastungsstörung) in Armenien durchaus behandelbar sind. Weiters sind auch die von Ihnen benötigten Wirkstoffe bzw. Alternativen dazu in Ihrem Heimatland verfügbar.

Sie laborierten bereits vor Ihrer Ausreise an familiärem Mittelmeerfieber. Seit dem Sie in Österreich wären, wären die Symptome schlimmer geworden. Wie konkret die Ausreise möglich gewesen wäre aufgrund der schweren Symptomatik konnten Sie nicht angeben.

In Bezug auf die weitern bP wurde in sinngemäßer Weise argumentiert.

I.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Armenien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

I.3.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Da die bP aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen, wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung aberkannt (§ 18 [1] 1 BFA-VG).

I.4. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die bP ein glaubwürdiges Vorbringen erstattet hätten und überdies ihre Erkrankung in Armenien nicht adäquat behandelt werden könnte.

Vorgelegt wurde von den bP:

* Liste empfohlene Medikation bP 1

* Ärztliche Begutachtung betreffend Schwester der bP 1 vom 06.02.2018 und vom 13.04.2018

* Befund betreffend bP 1 vom 19.07.2018

I.5. Die Beschwerdevorlage langte am 06.08.2018 beim BVwG, Außenstelle Linz ein.

Nach Einlangen der Beschwerdeakte wurde im Rahmen einer Prüfung des Vorbringens festgestellt, dass den Beschwerden die aufschiebende Wirkung nicht zuzuerkennen ist (§ 18 Abs. 5 BFA-VG).

I.6. Für den 04.12.2018 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt. Ebenso wurde - in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich der Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und wurden die bP aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.

Es wurde am 27.11.2018 eine Stellungnahme eingebracht und wurden diverse Unterlagen vorgelegt. Auch in der Verhandlung selbst wurden Unterlagen zur Integration sowie zu den Erkrankungen vorgelegt.

Zu Beginn der Verhandlung brachten die befragten bP vor, bisher die Wahrheit gesagt zu haben und brachten keine Umstände vor, welche gegen die Annahme der Beweiskraft iSd § 15 AVG in Bezug auf die bisher durchgeführten Einvernahmen Zweifel aufkommen ließen.

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis des BVwG vom selben Tag mündlich verkündet.

Die Beschwerden wurden spruchgemäß als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Die bP wurden iSd § 29 Abs. 2 a VwGVG über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 4 zu verlangen bzw. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, belehrt.

Nach Verkündung der Erkenntnisse wurde den bP sowie deren rechtsfreundlicher Vertretung eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt.

Fristgerecht wurde die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Erkenntnisse begehrt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

II.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien

Bei den bP handelt es sich um im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Armenier, welche aus einem überwiegend von Armeniern bewohnten Gebiet stammen und sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennen.

Die bP1 und 2 sind junge, arbeitsfähige Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.

Die Pflege und Obsorge der minderjährigen bP 3 ist durch deren Eltern gesichert.

Der Ehegatte der bP 1 und Vater von bP 2 und 3, die Schwiegereltern der bP 1 und die Mutter der bP 1 leben nach wie vor in Armenien. Die bP haben vor ihrer Ausreise bei den Schwiegereltern gelebt.

Die Schwester der bP 1 lebt mit ihren drei Kindern sowie dem Vater der bP 1 ebenfalls in Österreich als Asylwerber, dies bereits seit Jänner 2014. Ihre Anträge auf internationalen Schutz wurden von der bB erstinstanzlich negativ entschieden und wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen erlassen. Die Schwester leidet ebenfalls an familiären Mittelmeerfieber. Die bP werden von Schwester und Vater der bP 1 unterstützt in Österreich.

Die bP leiden alle an familiären Mittelmeerfieber und stehen deswegen in Behandlung. Aus dem Befund vom 09.01.2017 geht hervor, dass bei der bP 1 eine Therapie mit NSAIDs und Cholchizin gestartet wurde. Unter dieser Behandlung kam es demnach zu einer Verbesserung der Schmerz- und Fiebersymptomatik, jedoch nicht zu einer Beschwerdefreiheit. Aus dem Schreiben vom 25.04.2017 geht hervor, dass mangels wesentlicher Besserung mit einer Anakinratherapie begonnen werde. Falls auch diese keinen Erfolg bringe, solle eine Tacilizumab-Gabe erwogen werden.

Bei der bP 2 wurde am 09.12.2016 zwei Monate nach der Einreise aufgrund monatlicher, ca. 2-3 Tage andauernder Fieberschübe mit Bauchschmerzen eine Behandlung der FMF - Mutation (Mittelmeerfieber) mit Cholchizin begonnen. Im Befund vom 12.07.2017 wird festgehalten, dass eine Steigerung der Colchizindosis erfolgt und bei weiterbestehen der Schübe ev. mit Kineret begonnen werden soll.

Die bP 3 wurde in Österreich erstmalig am 19.10.2016 im Krankenhaus vorstellig. Angegeben wurde, sie hätte seit 20 Tagen Fieber, an diesem Tag war sie jedoch ohne Fieber. Zur Abklärung der Erkrankung wurde sie bis 21.10.2016 stationär aufgenommen, während des Aufenthalts war sie durchgehend fieberfrei und in gutem Allgemeinzustand. Am 09.12.2016 wurde mit einer Colchizin Behandlung der bP 3 begonnen.

Aktuell werden die bP 2 und 3 mit Colchizin als Hauptwirkstoff behandelt. Mit Stand 22.01.2018 wurde die bP 1 mit Tramal, Kineret, Mexalen, Colchicin, Novalgin und Trittico behandelt. Diese Medikamente sind in Armenien erhältlich bzw. gibt es die Wirkstoffe (Kineret, Wirkstoff Anarkinra - Alternativer Wirkstoff dazu Tocilizumab; Es wir auch Infliximap als Alternative zu Anarkinra in den Feststellungen hierzu angeführt; vgl. unten). Seit 26.07.2018 wird die bP 1 ua. mit Canakinumab (Ilaris) behandelt, dieser Wirkstoff ist in Armenien nicht erhältlich, es gibt jedoch den Wirkstoff Tocilizumab, auf welchen die bP 1 ursprünglich umgestellt werden hätte sollen bzw. hat sie schon Kineret, mit dem gleichen Wirkstoff in Österreich vor der Umstellung erhalten. Jedenfalls ist in Armenien eine Behandlung von familiären Mittelmeerfieber vorhanden und sind auch unterschiedliche Medikamente hierfür verfügbar.

Gemäß Gutachten vom 07.02.2017 liegt bei der bP eine Angst und depressive Störung gemischt oder PTSD vor. Als zu setzende Maßnahmen wurde angeführt, dass die Behandlung mit Antidepressiva wie auch jene mit Colchizin fortgeführt werden soll. Die Behandlung der organischen Krankheit (familiäres Mittelmeerfieber) muss demnach im Zielland gewährleistet sein. Die bP ist seit ca. 1 Jahr in Österreich in Psychotherapie und bekommt Medikamente wegen der psychischen Erkrankung.

Die bP 1 hat in Armenien die Grundschule und im Anschluss die Universität besucht. Auch die bP 2 und 3 besuchten die Schule.

Die bP 1 hat Pädagogik studiert, hat als Hausfrau gearbeitet und ist ihr Ehegatte für den Unterhalt der Familie aufgekommen.

Die bP sprechen Armenisch und verfügen über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Die bP 1 spricht auch etwas Russisch und Englisch und hat die A1 Prüfung abgelegt. Die bP 2 hat am Jugendcollege der Stadt Wien teilgenommen.

Die bP 3 besucht in Österreich die Schule. Die bP 2 besucht die Tourismus- und Wirtschaftsschule und hat einen Basisbildungskurs Deutsch besucht.

Sie leben von der Grundversorgung und sind strafrechtlich unbescholten.

Sie möchten offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und halten sich seit ca. 2 Jahren im Bundesgebiet auf.

Die bP besuchen in Österreich die armenische Kirche, die bP 2 ist bei den armenischen Pfadfindern.

Die Identität der bP steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Armenien

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 9.5.2018, Wahl von Oppositionsführer Pashinyan zum Ministerpräsidenten (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage).

Am 8.5.2018 wurde Oppositionsführer Nikol Pashinyan von Staatspräsident Armen Sarkisyan zum Ministerpräsidenten ernannt, nachdem das Parlament Pashinyan mit 59 zu 42 Stimmen in das Amt gewählt hatte. Vor der Abstimmung kündigte der Fraktionsvorsitzende der regierenden Republikanischen Partei Armeniens (HHK), Vahram Baghdasaryan, an, dass die HHK den Pashinyan-Unterstützern elf Stimmen leihen würde - genug, um zusammen mit den Stimmen der Oppositionsabgeordneten die nötige Unterstützung zur Wahl zu gewährleisten (RFE/RL 8.5.2018).

Der Fraktionschef der Republikanischen Partei, Vagram Bagdasaryan, sagte vor der Abstimmung, seine Partei unterstütze Paschinyan lediglich, um die Stabilität des Landes zu sichern. Nun kann Paschinyan von der Verfassungsänderung profitieren, die den Staatspräsidenten auf eine weitgehend repräsentative Rolle degradiert und die Befugnisse des Regierungschefs erweitert hat. Zunächst dürfte die bisherige Regierungspartei dem neuen Ministerpräsidenten das Regieren schwer machen: Sie verfügt im Parlament weiter über eine Mehrheit von 58 der 105 Sitze. Paschinyan versprach vor der Abstimmung einen entschlossenen Kampf gegen Korruption und politische Verfolgung. Russland sicherte er eine Fortsetzung der engen Beziehungen zu. Der russische Präsident Wladimir Putin seinerseits gratulierte zum Wahlsieg. Paschinyans Wahl gelang erst im zweiten Anlauf. Zwar hatte die bisher regierende Republikanische Partei keinen eigenen Kandidaten aufgestellt, sie versagte Paschinyan am 1. Mai aber die Unterstützung. Der Oppositionsführer rief daraufhin seine Anhänger zu massiven Protesten und einem Generalstreik auf (WZ 8.5.2018). Daraufhin gab die Republikanische Partei am 2.5.2018 bekannt, dass sie bereit sei, die Kandidatur von Nikol Pashinyan im Interesse der Stabilität des Landes zu unterstützen (JAMnews 8.5.2018).

Quellen:

* JAMnews (8.5.2018): Velvet Revolution leader elected as PM of Armenia, https://jam-news.net/?p=100877, Zugriff 9.5.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (8.5.2018): Armenian Protest Leader Formally Appointed Prime Minister, https://www.rferl.org/a/armenian-protest-leader-pashinian-gets-second-chance-prime-minister-parliamentary-vote-may-8/29214380.html, Zugriff 9.5.2018

* WZ - Wiener Zeitung (8.5.2018): Oppositionsführer Paschinian wird Regierungschef,

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/963598_Oppositionsfuehrer-Paschinian-wird-Regierungschef.html, Zugriff 9.5.2018

KI vom 24.4.2018, Massenproteste_Rücktritt von Premierminister Sargsyan (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage)

Nach Massenprotesten, die elf Tage andauerten, ist der armenische Premierminister, Serzh Sargsyan, am 23.4.2018 zurückgetreten. Der ehemalige Präsident, der zehn Jahre das Land regierte, war am 17.4.2018 mit klarer Mehrheit vom Parlament zum Premierminister gewählt worden. Schon vorher gab es lautstarke Proteste gegen diese Wahl. Sie galt nicht nur Oppositionellen als Schlusspunkt einer Intrige, in deren Verlauf 2015 die Verfassung geändert wurde, um dem amtierenden Präsidenten Sargsyan auch nach seiner zweiten Amtszeit die Macht im Land zu sichern (FR 23.4.2018, vgl. The Guardian 23.4.2018).

Am 23.4.2018 überstürzten sich die Ereignisse. Während des ganzen Wochenendes waren die Proteste weitergegangen und hatten an Stärke zugenommen, auch in anderen Städten des Landes, obwohl die Polizei zeitweise massiv einschritt und mehrere hundert Demonstranten festnahm, unter ihnen auch Oppositionsführer Nikol Paschinyan sowie zwei weitere Abgeordnete der Opposition, die eigentlich parlamentarische Immunität genießen. Das hatte den Zorn der Demonstranten nur noch angeheizt. Nach Einschätzung von Beobachtern versammelten sich am 22.4.2018 auf dem Platz der Republik gegen 170.000 Personen, darunter auch ein paar Hundert unbewaffnete Soldaten in Uniform. Der Verteidigungsminister drohte mit Konsequenzen. Der bisherige Ministerpräsident und neue erste Vizeregierungschef, Karen Karapetyan, traf sich in Folge mit den festgenommenen Parlamentsabgeordneten, gegen die bereits Klage wegen Verstoßes gegen die Versammlungsfreiheit erhoben worden war, und erwirkte deren Freilassung (NZZ 23.4.2018). Nikol Paschinyan forderte inzwischen die Bildung einer Übergangsregierung sowie vorzeitige Neuwahlen (AN 23.4.2018).

Quellen:

* AN - Armenian News (23.4.2018): Armenian opposition leader: Snap parliamentary elections are needed, https://news.am/eng/news/447929.html, Zugriff 24.4.2018

* FR - Frankfurter Rundschau (23.4.2018): Ministerpräsident Sargsjan tritt nach Protesten zurück,

http://www.fr.de/politik/armenien-ministerpraesident-sargsjan-tritt-nach-protesten-zurueck-a-1492456, Zugriff 24.4.2018

* The Guardian (23.4.2018): Shock as Armenia's prime minister steps down after 11 days of protests, https://www.theguardian.com/world/2018/apr/23/serzh-sargsyan-resigns-as-armenias-prime-minister-after-protests, Zugriff 24.4.2018

* NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.4.2018): Volksproteste zwingen Armeniens Regierungschef zum Rücktritt, https://www.nzz.ch/international/armenien-ruecktritt-von-praesident-sargsjan-erzwungen-ld.1379927, Zugriff 24.4.2018

KI vom 13.12.2017, Gesetz zur häuslichen Gewalt verabschiedet (relevant für Abschnitt: 18.1. Frauen).

Das armenische Parlament verabschiedete am 8.12.2017 gegen den Widerstand einiger Abgeordneter ein Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Kritiker des Gesetzentwurfs argumentierten, dass die Einmischung der Regierung in Familienangelegenheiten den traditionellen Werten Armeniens zuwiderlaufe und das Gefüge der armenischen Gesellschaft untergraben würde.

Maro Matosian, Direktorin des " Yerevan's Women's Support Center " sagte, dass das neue Gesetz die häusliche Gewalt leider nicht direkt kriminalisiert, sondern sich auf das Strafgesetzbuch bezieht, das derzeit als Entwurf vorliegt. Das Gesetz besteht auch auf Versöhnung, was als negativer Punkt betrachtet werden könnte. In Fällen von häuslicher Gewalt ist dies laut Matosian keine akzeptierte Praxis, weil es ein Ungleichgewicht der Macht gibt und das Opfer dominiert wird. Die Versöhnungsklausel könnte schädlich sein, da ein Polizist oder Sozialarbeiter laut Matosian ein Opfer auffordern kann, nach Hause zurückzukehren und zu versuchen, sich mit dem Ehemann zu versöhnen.

Laut Gesetz werden die armenischen Strafverfolgungsbehörden jedoch verpflichtet sein, die Gewalt in Familien, die das Leben oder die Gesundheit ihrer Mitglieder bedroht, zu beenden. Die Polizei kann auch einen gewalttätigen Ehepartner zwingen, das Haus des Opfers zu verlassen und 20 Tage lang fern zu bleiben. Die Gerichte können dieses Verbot um 18 Monate verlängern. Das Gesetz legt auch fest, dass die Definition von häuslicher Gewalt nicht auf physische Gewalt beschränkt, sondern auch auf sexuelle, psychische und wirtschaftliche Gewalt ausgedehnt werden kann (AW 8.12.2017). Nebst der Prävention häuslicher Gewalt, den Schutz und die Sicherheit der Opfer garantiert das Gesetz auch die notwendige psychologische, rechtliche, soziale und gegebenenfalls vorübergehende finanzielle Unterstützung der Opfer (PAN 8.12.2017).

Quellen:

* The Armenian Weekly (8.12.2017): Armenia Adopts Law against Domestic Violence at Last,

https://armenianweekly.com/2017/12/08/armenia-adopts-law-domestic-violence-last/, Zugriff 13.12.2017

* PanArmenian Network (8.12.2017) National Assembly passes Armenia's domestic violence law, http://www.panarmenian.net/eng/news/249690/, Zugriff 13.12.2017

Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hat etwas über 3 Millionen Einwohner (2016). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier, 1,2% Jesiden, 0,4% Russen und Angehörige kleinerer Minderheiten wie Assyrer, Kurden oder Griechen (NSS-RA 2013, vgl. CIA 12.1.2017).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik. Das Ein-Kammer-Parlament (Nationalversammlung) hat 131 Mitglieder und wird alle fünf Jahre gewählt. Die Verfassung von 2005 wurde zuletzt durch das Referendum vom 06.12.2015 weitreichend geändert. Die neue Verfassung sieht die Umwandlung des bisherigen semi-präsidialen Regierungssystems in ein parlamentarisches System vor. Das Amt des Staatspräsidenten wird im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert (AA 3.2017a).

Die Opposition warf dem amtierenden Präsidenten Sarksyan, dessen letzte Amtszeit 2018 ausläuft, vor, das Amt des Regierungschefs anzustreben (Standard 7.12.2015). Laut zentraler Wahlkommission stimmten bei einer Beteiligung von 50,5 Prozent 63,5 Prozent für die Annahme der Verfassungsänderungen. Die Oppositionspartei Armenischer Nationalkongress warf der Regierung Wahlbetrug vor. Hunderte Demonstranten protestierten gegen den Ausgang (RFE/RL 7.12.2015). NGOs, wie das Anti-Korruptions-Zentrum von Transparency International, berichteten von massiven Unregelmäßigkeiten, darunter über 900 Verletzungen der Wahlordnung sowie Fälle von Einschüchterung (Caucasian Knot 9.12.2015, vgl. EN 7.12.2015).

Die regierende Republikanische Partei Armeniens gewann bei den Parlamentswahlen vom 2.4.2017 über 49% und die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Das Mitte-Rechts-Bündnis des russlandfreundlichen Oligarchen Gagik Tsarukyan erreichte 27%. Daneben schaffte das Bündnis Yelq und die nationalistische Armenische Revolutionäre Föderation den Einzug ins Parlament (EN 3.4.2017; vgl. PA 4.4.2017). Insbesondere die künftige Orientierung des Landes vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise zwischen einer EU-Annäherung einerseits und einem starken Bündnis mit Russland infolge des militärischen Konflikts mit Aserbaidschan andererseits, dominierten thematisch den Wahlkampf (RFL/RL 3.4.2017).

Trotz der Einhaltung der Grundfreiheiten und der guten Administrierung der Parlamentswahlen unter Einführung neuer Technologien, wurden die Wahlen durch glaubwürdige Berichte über Stimmenkauf und Druckausübung auf WählerInnen, Beamte sowie Angestellte von Privatunternehmen überschattet (OSCE/ODIHR 3.4.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Aussenpolitik_node.html#doc339304bodyText3, Zugriff 4.5.2017

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Caucasian Knot (9.12.2015): TI states gross violations at Armenian referendum, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/33921/, Zugriff 4.5.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (12.1.2017): The World Factbook, Armenia;

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 4.5.2017

-

Der Standard (7.12.2015): Armenien: Ja zu umstrittener Verfassungsänderung,

http://derstandard.at/2000027073366/Armenier-stimmten-fuer-umstrittene-Verfassungsaenderung, Zugriff 4.5.2017

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EN - Eurasiannet.org (7.12.2015): Armenia: Widespread Reports of Irregularities Mar Constitutional Referendum, http://www.eurasianet.org/node/76461, Zugriff 4.5.2017

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EN - EurasiaNet.org (3.4.2017): Armenia: Voters Opt for More of the Same, http://www.eurasianet.org/node/83066, Zugriff 4.4.2017

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NSS-RA - National Statistical Service of the Republic of Armenia (2013): The Results of 2011 Population Census of the Republic of Armenia, Table 5.1: Population (urban, rural) by Ethnicity, Sex and Age, http://armstat.am/en/?nid=517, http://armstat.am/file/doc/99486253.pdf, Zugriff 5.5.2017

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (3.4.2017): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017:

Statement of Preliminary Findings and Conclusions, http://www.osce.org/office-for-democratic-institutions-and-human-rights/elections/armenia/309156?download=true, Zugriff 4.4.2017

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PA - PanARMENIAN Network (4.4.2017): Republican Party of Armenia secures 55 parliamentary seats, http://www.panarmenian.net/eng/news/236627/, Zugriff 4.5.2017

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RFL/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.12.2015): Protesters Gather in Yerevan, Claim Fraud In Armenian Referendum,http://www.rferl.org/content/armenia-referendum-sarkisian/27410980.html, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (3.4.2017): Ruling Republican Party Wins 'Tainted' Armenian Elections, http://www.rferl.org/a/armenian-vote-parliament-sarkisian-tsarukian/28404992.html, Zugriff 4.5.2017

Sicherheitslage

Kernproblem für die armenische Außenpolitik bleibt der Konflikt um Nagorny Karabach sowie die in diesem Zusammenhang geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei. Seit dem Krieg (1992-94) um das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach, halten armenische Verbände etwa 17% des aserbaidschanischen Staatsgebiets (Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen) besetzt. Im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen mussten ca. eine Million Menschen ihre angestammte Heimat verlassen, überwiegend Aserbaidschaner, aber auch bis zu 200.000 Armenier. An der Waffenstillstandslinie kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Trotz der seit 1994 laufenden Vermittlungsbemühungen der Ko-Vorsitzstaaten (USA, Russland, Frankreich) der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und regelmäßiger Treffen der Außenminister Armeniens und Aserbaidschans bzw. der beiden Staatspräsidenten ist eine Lösung des Konflikts um Nagorny Karabach weiterhin nicht in Sicht (AA 3.2017a).

Bei heftigen Gefechten vom 2.4 bis 5.4.2016, den schwersten seit 22 Jahren zwischen den Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan an der Frontlinie zu Nagorny Karabach, kam es zu Opfern unter den militärischen Einheiten. Laut aserbaidschanischen Angaben starben auch Zivilisten (Standard 3.4.2016, RFL/RL 4.4.2016). Das Verteidigungsministerium der de facto Republik Nagorny Karabach berichtete ebenfalls von zivilen Opfern (CN 2.4.2016). Am 5.4.2016 vereinbarten Aserbaidschan und Nagorny Karabach einen Waffenstillstand. Im Zuge der viertägigen Kampfhandlungen starben mehr als 64 Menschen (Standard 5.4.2016).

Am 25.2.2017 kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen armenischen und Truppen von Nagorny Karabach einerseits und der aserbaidschanischen Armee andererseits, bei denen mindestens fünf aserbaidschanische Armeeangehörige den Tod fanden. Am 1.3.2017 wurde bei einem aserbaidschanischen Artillerieangriff u.a. eine armenische Kaserne zerstört und tagsdrauf griff Armenien aserbaidschanische Stellungen an (EurasiaNet 10.3.2017).

Mitglieder der außerparlamentarischen Oppositionsgruppe "Gründungsparlament" besetzten am 17.7.2016 in Jerewan eine Polizeistation und nahmen zeitweise mehrere Geiseln. Ein Polizist starb dabei (RFE/RL 17.7.2016). Die Geiselnehmer forderten die Freilassung von Schirajr Sefiljan, eines inhaftierten Oppositionsführers, und den Rücktritt des Staatspräsidenten. Kriegsveteran Sefiljan kritisierte vor allem das Verhalten der Regierung im Konflikt um die Region Nagorny Karabach (DW 17.7.2016). In der darauf folgenden Woche kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Demonstranten verlangten eine Versorgung der Geiselnehmer mit Lebensmitteln, was die Polizei jedoch ablehnte. Nach offiziellen Angaben wurden 51 Personen verletzt und 136 verhaftet (NZZ 21.7.2016). Bei erneuten Zusammenstößen am 29.7.2016 zwischen Sympathisanten der Besetzer der Polizeistation und Sicherheitskräften wurden 75 Personen verletzt und 20 verhaftet (RFE/RL 30.7.2016). Nach zwei Wochen endete der Konflikt um die besetzte Polizeistation mit der Kapitulation der bewaffneten Gruppe (RFE/RL 1.8.2016, vgl. Spiegel online 31.7.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Aussenpolitik_node.html#doc339304bodyText3, Zugriff 4.5.2017

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CN - Caucasus Knot (2.4.2016): One child killed and two wounded in shelling in the Karabakh conflict zone, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35119/, Zugriff 4.5.2017

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Der Standard (3.4.2016): Bergkarabach: Militärische Eskalation im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034103285/Bergkarabach-Militaerische-Eskalation-am-Kaukasus, Zugriff 4.5.2017

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Der Standard (5.4.2016): Waffenruhe nach vier Tagen Krieg im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034245475/Waffenruhe-nach-vier-Tagen-Krieg-im-Kaukasus, Zugriff 4.5.2017

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DW - Deutsche Welle (17.7.2016): Blutige Geiselnahme in Armeniens Hauptstadt,

http://www.dw.com/de/blutige-geiselnahme-in-armeniens-hauptstadt/a-19406245, Zugriff 4.5.2017

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EurasiaNet.org (10.3.2017): Karabakh: Diplomatic Attention Needed to Address Growing Risks, http://www.eurasianet.org/node/82771, Zugriff 4.5.2017

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (21.7.2016): Blutiges Patt in Armenien, http://www.nzz.ch/international/europa/proteste-und-geiselnahme-blutiges-patt-in-armenien-ld.106951, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.4.2016): Baku Announces Cease-Fire Amid Continued Karabakh Fighting, http://www.rferl.org/content/azerbaijan-armenia-nagorno-karabakh-violence-erupts/27651414.html, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.8.2016): Remaining Gunmen In Armenia Standoff Surrender, http://www.rferl.org/content/armenia-yerevan-standoff-police-killed/27890220.html, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.7.2016): Armed Attackers Storm Yerevan Police Headquarters, http://www.rferl.org/media/video/armenia-police-hq/27863342.html, Zugriff 4.5.2017

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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