TE Vfgh Erkenntnis 1997/5/25 B2863/96

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Veröffentlicht am 25.05.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen Antragstellung vom Inland aus trotz bereits abgelaufenen Sichtvermerks ohne Berücksichtigung der besonderen persönlichen Umstände im Falle des Beschwerdeführers; Anwendung der alten Rechtslage zu Recht aufgrund des Zeitpunkts der Antragstellung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, befindet sich seit 1989 in Österreich; er lebt in Gemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und der gemeinsamen minderjährigen Tochter, welche ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Auch der Bruder und dessen Familie sowie der Vater des Beschwerdeführers wohnen im Bundesgebiet. Für seinen Aufenthalt wurden dem Beschwerdeführer mehrere Sichtvermerke erteilt, der letzte war bis zum 1. Mai 1993 gültig. Am 19. Juli 1993 beantragte der Beschwerdeführer beim zuständigen Magistratischen Bezirksamt in Wien die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, das am 1. Juli 1993 in Kraft getreten war. Dies in der Annahme, daß die ihm von der Fremdenpolizei über Jahre vertraute Praxis, daß ein Antrag auf Verlängerung des Sichtvermerkes - auch nach Ablauf desselben - erst mit vollständigen Unterlagen eingebracht werden sollte, von der nach dem Aufenthaltsgesetz für aufenthaltsrechtliche Agenden zuständigen Behörde weiter fortgesetzt würde.

Der Landeshauptmann von Wien als Behörde erster Instanz wies seinen Antrag mit Bescheid vom 14. Jänner 1994, Z MA 62-9/1505035/1, unter Hinweis auf §6 Abs2 AufG, BGBl. 466/1992 idF vor der Novelle BGBl. 351/1995 ab, weil sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes (1. Juli 1993) nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Es komme daher nur mehr eine Antragstellung vom Ausland aus in Betracht.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers blieb erfolglos. Im abweisenden Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Juli 1996, Z116.892/2-III/11/95, wurde begründend ausgeführt, daß im Fall des Beschwerdeführers, der sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, nicht von einem Überleitungsfall im Sinne des §13 AufG gesprochen werden könne. Eine Antragstellung im Inland, welche in Ausnahmefällen durch die Judikatur ermöglicht werde, sei im gegenständlichen Fall nicht zulässig, weshalb durch die Einbringung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung beim Magistratischen Bezirksamt in Wien die Verfahrensvorschrift des §6 Abs2 AufG verletzt worden sei. Er befände sich seit 2. Mai 1993 illegal im Bundesgebiet. Dies rechtfertige die Annahme, daß die öffentliche Ruhe, näherhin das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich gefährdet sei.

II. 1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher sich der Beschwerdeführer in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt erachtet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

2. In der Beschwerde wird ausgeführt, daß die von der belangten Behörde vorgenommene Interpretation des §6 Abs2 AufG - wie in den dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14148/1995 zugrundegelegenen Fällen - dieser Vorschrift einen mit Art8 EMRK in Widerspruch stehenden Inhalt zugemessen habe. Die belangte Behörde könne dem Beschwerdeführer auch seinen illegalen Aufenthalt nicht zum Vorwurf machen, weil der illegale Aufenthalt allein auf die lange Verfahrensdauer (3 Jahre) zurückzuführen sei.

3. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf die Sache einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht.

1. Der angefochtene Berufungsbescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Juli 1996 wurde dem Beschwerdeführer am 7. August 1996 zugestellt und damit erlassen. In diesem Zeitpunkt stand die durch die Novelle BGBl. 351/1995 geänderte Fassung des §6 Abs2 AufG in Geltung. §6 Abs2 AufG hat in dieser Fassung folgenden Wortlaut:

"(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Begründet eine Einbringung auf dem Postweg oder durch Vertretung die Vermutung, daß diese Regelung umgangen werden soll, kann die persönliche Einbringung verlangt werden. Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: im Fall des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft, des Asyls oder des Aufenthaltsrechts gemäß §1 Abs3 Z1; weiters in den Fällen des §7 Abs2, des §12 Abs4 und einer durch zwischenstaatliche Vereinbarung oder durch eine Verordnung gemäß §14 FrG ermöglichten Antragstellung nach Einreise; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß §Abs3 Z4 festgelegt ist. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung und auf Änderung des Aufenthaltszwecks kann bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung auch vom Inland aus gestellt werden."

Dieselbe Vorschrift lautete in der Fassung vor der Novelle BGBl. 351/1995 wie folgt:

"(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung kann auch vom Inland aus gestellt werden."

Die Begründung des angefochtenen Bescheides nennt die herangezogene Fassung des §6 Abs2 AufG zwar nicht, doch läßt sich durch die nahezu wörtliche Zitierung des §6 Abs2 AufG aF erkennen, daß die vor der Novelle bestandene Fassung gemeint ist. Das wird auch in der Beschwerde nicht bestritten. Diese Fassung wurde von der belangten Behörde auch zu Recht herangezogen. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 13. Juni 1997 B676/96 dargelegt hat, richtet sich die Zulässigkeit eines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung jedenfalls dann, wenn eine Gesetzesnovelle (etwa in einer Übergangsbestimmung) nichts anderes bestimmt, nach der im Zeitpunkt der Antragseinbringung bestandenen Gesetzeslage. Dies im Hinblick darauf, daß §6 Abs2 AufG in der novellierten Fassung die Möglichkeit der Inlandsantragstellung gegenüber der früheren Rechtslage zumindest teilweise einschränkt. Der vorliegende Antrag des Beschwerdeführers ist - da er am 19. Juli 1993 eingebracht wurde - demnach nach §6 Abs2 AufG in der Fassung vor der Novelle BGBl. 351/1995 zu beurteilen.

2. In seinem Erkenntnis VfSlg. 14148/1995, welches zum §6 Abs2 AufG in der Fassung vor der Novelle BGBl. 351/1995 ergangen ist, hat der Verfassungsgerichtshof bereits mit ausführlicher Begründung dargetan, daß der Fall von Fremden, welche sich Jahre bzw. Jahrzehnte lang in Österreich rechtmäßig aufhielten und die Frist zur Stellung eines Antrages gemäß §13 Abs1 AufG nur relativ kurz versäumt haben, unter §6 Abs2 zweiter Satz AufG aF zu subsumieren ist, demnach der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch im Inland eingebracht werden kann.

Die belangte Behörde hat im Fall des Beschwerdeführers, der sich seit 1989 in Österreich aufhält und hier familiäre Bindungen hat, hingegen die Bestimmung des §6 Abs2 erster Satz AufG aF angewandt und dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung versagt, der Antrag müsse vom Ausland aus eingebracht werden, nur weil der Beschwerdeführer den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit (2 Monate) nach dem Ablauf der Geltungsdauer seiner letzten Aufenthaltsberechtigung gestellt hat. Damit hat die belangte Behörde aber bei der Erlassung ihres Bescheides dem §6 Abs2 AufG idF vor der Novelle BGBl. 351/1995 einen verfassungswidrigen, weil dem Art8 EMRK widersprechenden Inhalt unterstellt, was den angefochtenen Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belastet. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-

enthalten.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Bescheiderlassung, Auslegung eines Bescheides, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2863.1996

Dokumentnummer

JFT_10029475_96B02863_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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