TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 W182 1263535-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W182 1263535-4/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Hubert WAGNER, LLM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018, Zl. 750977508/170105025/BMI-BFA_STM_AST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen

Bescheides wird insofern stattgegeben, als gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre und 6 Monate herabgesetzt wird.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird insofern stattgegeben, als der Spruchpunkt zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß §§ 9 Abs. 1 und Abs. 4, 10 Abs. 1 Z 5, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, §§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 4, Abs. 9 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Sunnit, hat im Herkunftsland zuletzt in Grosny in der Republik Tschetschenien gewohnt, reiste im Juli 2005 im Alter von XXXX Jahren mit seinen Eltern und Brüdern illegal nach Österreich ein und stellte hier am 16.07.2005 einen Asylantrag.

Sein Asylantrag wurde im Wesentlichen mit den individuellen Fluchtgründen seines Vaters begründet, eigene Fluchtgründe wurden für den BF nicht geltend gemacht.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 22.11.2005, Zl. 05 09.775-BAG, den Asylantrag des BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBL. I Nr. 101/2003 ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Russland" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus. Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF keine eigenen Fluchtgründe habe, sondern wegen der Probleme des Vaters, die als nicht glaubwürdig erachtet worden seien, nach Österreich geflohen sei.

1.2. Die dagegen erhobene Berufung wurde nach einer Verhandlung am 30.10.2006 mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 07.11.2006, Zl. 263.535/2-III/07/05, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBL. I Nr. 101/2003 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Russland nicht zulässig sei, wobei ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.11.2007 erteilt wurde (Spruchpunkt II. und III.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Vater des BF eine Glaubhaftmachung einer individuellen Verfolgungsgefahr im Herkunftsland aufgrund massivster Widersprüche zwischen seinen und den Angaben seiner Gattin zu den fluchtauslösenden Vorfällen nicht gelungen sei, jedoch eine Gesamtbetrachtung der Rückkehrsituation des BF und seiner Familie anzustellen gewesen sei. Dazu wurde weiters begründend ausgeführt: "Es ist unbestritten, dass in Tschetschenien für alle dort ansässigen Personen, insbesondere jedoch für Kinder, aufgrund der Kriegshandlungen die Sicherheitslage sehr angespannt und die humanitäre Not groß ist. So hat der Unabhängige Bundesasylsenat bereits mehrfach, zuletzt etwa in der Entscheidung vom 11.05.2006, Zl. 254.578/0- V/13/04, festgestellt, dass "die tschetschenische Bevölkerung unter sehr schweren Bedingungen lebt. Die Grundversorgung der Bevölkerung, insbesondere in Grosny, mit Nahrungsmitteln ist äußerst mangelhaft. Die Lieferung von Nahrungsmitteln durch internationale Hilfsorganisationen in das Krisengebiet ist nur sehr begrenzt und punktuell möglich. Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser etc.) und Gesundheitssystem sind nahezu vollständig zusammengebrochen. Etwa 50% des Wohnraums ist seit dem ersten Krieg (1994-1996) zerstört. Die Arbeitslosigkeit beträgt nach der offiziellen Statistik 30% (russischer Durchschnitt: 4%), nach inoffiziellen Schätzungen 80%. Das reale Pro-Kopf-Einkommen ist sehr niedrig. Es beträgt nach den offiziellen Statistiken etwa ein Zehntel des Einkommens in Moskau. Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industriebetriebe überwiegend zerstört sind. Viel Geld wird in Tschetschenien mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient. Viele Familien leben auch davon, dass ein Ernährer in der Ferne arbeitet und ihnen Geld schickt. Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist völlig unzureichend. Durch die Zerstörungen und Kämpfe besonders in der Hauptstadt Grosny sind medizinische Einrichtungen in Tschetschenien weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Wichtige medizinische Einrichtungen in Grosny und Umgebung sind nach Augenzeugenberichten stark beschädigt oder zerstört. Der Wiederaufbau verläuft weiterhin sehr schleppend (Ad-hoc- Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 13.12.2004, S. 15 f.)." UNHCR rät von einer Rückkehr nach Tschetschenien weiterhin ab (vgl. Beil. A des Verhandlungsprotokolles vom 30.10.2006)." Angesichts dessen erschien es dem Unabhängigen Bundesasylsenat nicht hinlänglich unwahrscheinlich, dass der BF samt seiner Familie bei Rückkehr in Hinblick auf die bestehende Sicherheits- und Versorgungslage in der tschetschenischen Republik einem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Eine realistisch wahrscheinliche Relokation in andere Gebiete der Russischen Föderation außerhalb der tschetschenischen Republik wäre laut damaliger Einschätzung des Unabhängigen Bundesasylsenat dem BF und seiner Familie nicht zumutbar gewesen.

1.3. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 07.10.2010, Zlen 2007/20/0456 -0461-6, wurde Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 07.11.2006 in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass seitens des Unabhängigen Bundesasylsenats den in der Berufungsverhandlung vorgelegten ärztlichen Bestätigungen vom Oktober 2006, wonach bei der Mutter des BF eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden sei und sie an ständig wiederkehrenden Kopfschmerzen leide, keine Beachtung geschenkt und in den beweiswürdigenden Erwägungen den möglichen Einfluss der allfälligen Traumatisierung der Mutter des BF auf ihr Aussageverhalten nicht berücksichtigt worden sei.

In einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 25.01.2011 wurde für den BF die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 22.11.2005, Zl. 05 09.775-BAG, von seiner gesetzlichen Vertretung zurückgezogen, welcher sohin rechtskräftig wurde.

Am 24.10.2016 stellte der BF zuletzt einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG 2005.

1.4. Der BF wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2011, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , wobei die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen Tätern als Mittäter drei Personen, indem sie diesen den Weg versperrten und Schläge androhten, ein Mobiltelefon im Wert von € 300,- und € 9,- an Bargeld geraubt haben. Als mildernd wurde vom Gericht der bisherige ordentliche Lebenswandel sowie das Geständnis, als erschwerend kein Umstand bewertet.

Weiters wurde der BF mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2012, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1, 130 erster Fall StGB, des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , wobei XXXX unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt. Den Verurteilungen lag zugrunde, dass der BF am XXXX 2011 indem er einer Person, die XXXX , eine Geldbörse, in der sich u.a. Bargeld im Wert von € XXXX und eine Bankkontokarte befand, aus der Hose weggenommen hat, um sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Weiters hat er einen XXXX , eine XXXX und einen XXXX der von ihm bestohlenen Person unterdrückt. Unter Vorlage der genannten Urkunden und der Kontokarte hat er bei einer Bank unter Vorspiegelung einer Verfügungsberechtigung eine Auszahlungsanweisung in der Höhe von € XXXX unter Nachahmung der Unterschrift der bestohlenen Person unterfertigt, um sich über das fremde Konto zu bereichern. Weiters hat der BF in Kaufhäusern am XXXX 2012 Waren im Wert von € XXXX gestohlen und am XXXX 2012 Waren im Wert von € XXXX versucht zu stehlen. Als mildernd wurde vom Gericht das Geständnis und das Alter unter 21 Jahren, als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens und fünf Vergehen sowie die einschlägige Vorstrafe bewertet.

Zuletzt wurde der BF mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2018, Zl. XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , wovon XXXX bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt. Den Verurteilungen lag zugrunde, dass der BF am XXXX .2017 bei einem Geschäftslokal ein Fenster eingeschlagen und die versperrte Eingangstür mit einem Brecheisen aufzuheben versucht hat, um sich durch Zueignung fremder beweglicher Sachen zu bereichern. Als er von einer anderen Person bei der Tat beobachtet wurde, hat er von seinem Vorhaben abgelassen. Als mildernd wurde vom Gericht der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, als erschwerend zwei einschlägige Vorstrafen bewertet.

2. Dem BF wurde mit Schreiben des Bundesamtes vom 18.12.2017 mitgeteilt, dass die Behörde beabsichtigt, aufgrund der strafrechtlichen Verurteilungen dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen. Weiters werde beabsichtigt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung zu treffen. Der BF wurde in diesem Zusammenhang aufgefordert, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Dazu wurde er aufgefordert, allfällige Urkunden zum Nachweis einer möglichen Integration in Österreich, wie etwa Arbeitsbestätigungen, Einkommensnachweise, Sprachzertifikate und Schulabschlusszeugnisse vorzulegen. Weiters wurde dem BF ein Fragenkatalog von 15 Fragen zu seinen familiären und privaten Verhältnissen im In- und Herkunftsland aufgetragen zu beantworten. Dem BF wurde dafür eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen eingeräumt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass für den Fall, dass innerhalb der Frist keine Stellungnahme bei der Behörde einlange, das Bundesamt davon ausgehe, dass er das Vorgehen der Behörde akzeptiere, und auf dieser Grundlage entschieden werde.

Das Schreiben wurde dem BF am 22.12.2017 nachweislich durch persönliche Übernahme zugestellt. Der BF ist der Aufforderung des Bundesamtes jedoch nicht nachgekommen und hat auch keine Stellungnahme abgegeben.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der dem BF mit Erkenntnis vom 07.11.2006, Zl. 263.535/2-III/07/05, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), dem BF die ihm mit Erkenntnis vom 07.11.2006, Zl. 263.533/2-III/07/05, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VII.) sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, ein auf 6 Jahre befristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen (Spruchpunkt VIII.). Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Lage in der Russischen Föderation, vor allem in Bezug auf Tschetschenien nicht mehr so darstelle, dass dies zu Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, weshalb dem BF bereits aus diesem Grund der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen gewesen sei. Außerdem habe er den Tatbestand gem. § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 erfüllt, indem er mehrmals straffällig geworden und zu Freiheitsstrafen von insgesamt XXXX verurteilt worden sei. Gem. § 9 Abs. 4 AsylG 2005 sei die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden gewesen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor, eine Rückkehrentscheidung wurden nach § 9 Abs. 1 - 3 BFA-VG und seine Abschiebung gemäß § 46 FPG als zulässig erachtet. Gemäß § 18 BFA-VG stelle sein Verbleib in Österreich eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar und sei seine sofortige Ausreise erforderlich. Gem. § 55 Abs. 4 FPG habe das Bundesamt von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt werde, was der Fall sei. Schließlich sei gegen den BF gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot zu verhängen gewesen.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 28.02.2018 wurde dem BF ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

4. Gegen diese Entscheidung erhob der BF durch seinen anwaltlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde. Darin wurden erhebliche Verfahrensfehler und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht. So werde dem BF ungeprüft und unbewiesen in bekämpften Bescheid vorgehalten, dass er nicht integriert bzw. selbsterhaltungsfähig sei. Nach eigenen Angaben halte sich der BF seit 07.11.2006 aufgrund des Status als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich auf. Er beziehe Sozialhilfe (Mindestsicherung), sei arbeitsfähig, arbeitswillig, habe aber nie eine Fixanstellung bekommen. Im Sinne der sozialen Integration sei auf ein Schreiben einer Personalservice GmbH vom 16.03.2018 zu verweisen, dem zufolge der BF als bemüht eingeschätzt werde und nach Möglichkeit ehe-baldigst in den Unternehmen integriert werden solle. Zutreffend sei, dass der BF insgesamt zu über XXXX Freiheitstrafe aufgrund zahlreicher Vergehen nach dem StGB verurteilt worden sei. Der Begründung des Bundesamts, dass der BF eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich darstelle, könne jedoch nicht gefolgt werden, da es sich bei den Straftaten des BF um solche handle, die als minderschwere Vergehen gelten würden und die zum großen Teil nachgesehen worden seien. Weiters stellte es einen erheblichen Verfahrensfehler dar, dass der BF nicht einvernommen worden sei. In Tschetschenien habe der BF keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte. Bei einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK sei auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Bedacht zu nehmen. Hinzu trete noch, dass der BF mit seinen Eltern und Geschwistern überwiegend in Österreich aufgewachsen sei und somit sehr starke Anknüpfungspunkte in Österreich vorliegen würden und eine erhebliche Integration in die österreichische Gesellschaft gegeben sei. Eine Abschiebung würde einen unzulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht des BF auf Privat und Familienleben darstellen. Weiters wurde auf einen Jahresbericht von Amnesty International aus dem Jahr 2017 zum Thema Nordkaukasus und Tschetschenien verwiesen, wonach dort zahlreiche Menschenrechtsverletzungen wie unfaire Gerichtsverfahren, Folterungen und Misshandlungen stattfinden würden. Auch würde es an einer angemessenen medizinischen Versorgung fehlen. Letztlich wurde noch auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu mehr als zehnjährigen Inhaltsaufenthalten verwiesen. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.04.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG idgF, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

6. Am 22.06.2018 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seines Vaters, seines volljährigen Bruders, seines rechtsfreundlichen Vertreters sowie einer Dolmetscherin der tschetschenischen Sprache statt. Das Beschwerdeverfahren des BF wurde zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG mit den Beschwerdeverfahren seines Vaters sowie seines volljährigen Bruders, denen ebenfalls durch Bescheide des Bundesamtes der Status des subsidiären Schutzberechtigten aberkannt wurde, zusammengezogen.

In der Verhandlung brachte der BF u.a. vor, dass er kinderlos und ledig sei. Er lebe auch mit keiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt. Er sei zur Zeit zwar bei seiner Mutter gemeldet, wohne aber bei einem Freund und schlafe woanders. Er komme mit seiner Mutter nicht klar und könne nicht von ihr leben. Er wolle auf eigenen Füßen stehen. Der BF haben in Österreich die Hauptschule abgeschlossen, jedoch keine Berufsausbildung absolviert. Nach dem Schulabschluss habe er als Friseur gearbeitet und dann sei er drei Tage Gerüstbauer gewesen. Ansonsten habe er nicht viel gearbeitet. Manchmal habe er Geld von seinen Eltern bekommen. Zurzeit lebe er von der Mindestsicherung. Zu seiner Tätigkeit als Friseur befragt gab er an, eine Zeit lang nach Schulabschluss für Freunde, die eine Friseurausbildung hatten, ein Geschäft auf seinen Namen angemeldet zu haben, weil diese glaublich das Geschäft nicht mit ihren Namen anmelden hätten können. Der BF habe dann das Geschäft beim Handelsgericht abmelden lassen. Danach befragt, wovon er die ganze Zeit gelebt habe, gab der BF an: "Von den Eltern und Freunden, natürlich habe ich auch die Mindestsicherung bekommen." Der BF habe einen Job als Hilfskraft bei einem Hotel angeboten bekommen, wo auch seine Mutter arbeite. Beweismittel konnte der BF dazu nicht vorliegen. Zu seiner letzten Verurteilung befragt, gab der BF an, dass er angeblich einbrechen hätte wollen, aber nichts damit zu tun gehabt habe. Er sei aber beschuldigt worden. Danach befragt, was er bei einer Rückkehr in die Russische Föderation befürchten würde, gab der BF an, dass er keinen Kontakt dorthin habe. Alle seine Freunde wären in Österreich. Er würde sich im Herkunftsland nicht auskennen und wüsste auch nicht, was er dort anfangen sollte. Er sei im Alter von glaublich 10 Jahren nach Österreich gekommen und sei schon seit 14 oder 15 Jahren hier. Er wolle auch weiter hier leben. Danach befragt, ob er außer wirtschaftlicher Probleme noch andere Schwierigkeiten zu befürchten hätte, gab der BF im Wesentlichen an, dass er Probleme wegen seines Vaters hätte. Sein Vater sei dort immer mitgenommen und geschlagen worden. Der BF wisse nicht, was in Tschetschenien "abgehe", er habe keinen Kontakt. Der BF bestätigte die Frage, dass er keine Probleme im Herkunftsland hätte, wenn auch sein Vater keine Probleme dort hätte. Der BF habe in Tschetschenien die Schule besucht. Im Herkunftsland würden sich die Großeltern mütterlicherseits sowie Onkel und Tanten aufhalten.

Der Vater des BF brachte u.a. vor, dass sich drei Brüder samt den Familien und Kindern in Tschetschenien aufhalten würden, seine Söhne hätten ab und zu Kontakt zu den Onkeln und Cousins. Weiters brachte er vor, dass er sich sicher sei, dass er und seine Söhne in Tschetschenien regelmäßig festgenommen werden würden, um von ihm Geld abzupressen. Er habe keine finanzielle Möglichkeit, seine Söhne zu schützen. Alle würden wissen, dass er aus Österreich zurückgekommen sei und vermuten, dass er ein reicher Mann sei. Sie seien eine Finanzierungsquelle für die tschetschenischen Behörden. Alle tschetschenischen Männer, die jetzt in Europa seien, seien für die tschetschenischen Behörden Wahhabiten und gegen Kadyrov eingestellt.

Der Bruder des BF brachte u.a. vor, dass sich im Herkunftsland die Onkel und Cousins väterlicherseits, weiters die Großeltern, Onkeln, Tanten und Cousins und Cousinen mütterlicherseits aufhalten. Er habe zumindest einmal im Jahr Kontakt zu den Cousins väterlicherseits.

Die Verhandlung mit dem BF konnte in deutscher Sprache geführt werden, eine Zuhilfenahme der Dolmetscherin war nicht erforderlich. Dem BF wurden Länderberichte zu Kenntnis gebracht und ihm dazu eine Frist von zwei Wochen für eine Stellungnahme eingeräumt.

7. In einer Stellungnahme vom 10.07.2018 wurde auf einen Bericht von Amnesty international aus dem Jahr 2015 hingewiesen, wonach es im Dezember 2014 in Tschetschenien zu wiederholten Übergriffen und Schikanen gegen Menschenrechtsaktivisten gekommen sei. Laut eines Berichtes von Amnesty International aus dem Jahr 2008 seien 3.000 bis 5.000 Menschen durch den Geheimdienst in Tschetschenien zum "Verschwinden" gebracht worden, wobei die Fälle in den letzten Jahren abgenommen haben, jedoch kein einziger Verantwortlicher verurteilt worden sei. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty international würden die Menschenrechtslage in Tschetschenien schon seit langem kritisieren. Auch im Jahresbericht 2017 sei etwa von öffentlichem Druck auf Behörden und Justiz genauso die Rede wie von Schikanen, denen Menschenrechtsverteidiger immer wieder ausgesetzt seien. Diese Feststellungen würden genau mit den Angaben des BF und seinen Ängsten bzw. Befürchtungen übereinstimmen. Diese würden die in einer zivilisierten Gesellschaft rechtswidrigen Handlungen betonen, die obendrein den klaren Vorgaben der Menschenrechtskonvention widersprechen. Eine Abschiebung wäre nach den angeführten Erkenntnissen und Stellungnahmen unmenschlich. Dies werde auch durch den Umstand, dass der BF mittlerweile in Österreich verwurzelt sei und dieses Land als Heimatland betrachte, da er die meiste Zeit seines Lebens hier verbracht habe und keine sozialen Kontakt - außer Glückwunschkarten zu besonderen Anlässen - zu seinen Angehörigen in Tschetschenien habe, bekräftigt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Aufgrund der der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Sunnit, reiste im Juli 2005 im Alter von XXXX Jahren illegal mit seinen Eltern und Geschwistern nach Österreich ein und wurde für ihn am 16.07.2005 ein Asylantrag gestellt.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 07.11.2006, Zl. 263.535/2-III/07/05, wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Russland gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 nicht zulässig sei, wobei ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.11.2007 erteilt wurde. Begründend wurde die Entscheidung - insbesondere auch im Hinblick auf die vulnerable Situation des BF als Kind - im Wesentlichen auf die infolge der Kriegshandlungen sehr angespannte allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Tschetschenien gestützt. Die behaupteten individuellen Fluchtgründe des Vaters des BF wurden für unglaubwürdig erachtet.

Ein Aufenthaltstitel nach dem NAG ist dem BF nie zugekommen.

Der XXXX jährige BF ist gesund und arbeitsfähig. Im Herkunftsland halten sich drei Onkel sowie Cousins väterlicherseits, weiters die Großeltern, Onkel, Tanten und Cousins und Cousinen mütterlicherseits auf.

In Österreich halten sich die Mutter sowie drei Brüder des BF auf. Ein gemeinsamer Haushalt besteht trotz vorübergehender Meldung defacto seit Jahren nicht mehr. Gegen den ebenfalls in Österreich aufhältigen Vater sowie den volljährigen Bruder des BF wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag zur Zl. W182 1263533-4 und W182 1263536-4, eine vom Bundesamt verhängte Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot bestätigt. Der ledige und kinderlose BF lebt auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Der BF weist seit August 2018 keine Meldeadresse im Bundesgebiet mehr auf.

Der BF wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2011, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , wobei die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Weiters wurde der BF mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2012, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1, 130 erster Fall StGB, des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , wobei XXXX unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Zuletzt wurde der BF mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2018, Zl. XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , wovon XXXX bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Der BF hat in Österreich den Pflichtschulabschluss absolviert, hat darüber hinaus keine Berufs- oder sonstige Ausbildung abgeschlossen. Der BF verfügt über gute Deutschkenntnisse. Er ist seit Schulabschluss kaum über einen signifikanten Zeitraum einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Auch eine aktuelle Erwerbstätigkeit wurde bis dato nicht nachgewiesen.

Der BF hat im Herkunftsland bis zu seinem 11 Lebensjahr die Schule besucht und verfügt über entsprechende Tschetschenisch- und Russisch-Sprachkenntnisse.

Der BF konnte nicht glaubwürdig dartun, dass ihm im Herkunftsland mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verfolgung seitens der Behörden oder privater Personen drohen würde.

Dem BF droht bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kein reales Risiko einer Verletzung im Sinne der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Im Übrigen wir der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.

1.2. Zur Situation in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

In Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, ist die gesamte Regierungsspitze auf Befehl Moskaus festgenommen worden, insgesamt sieben Personen: der kommissarische Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und vier weitere ranghohe Beamte. Ihnen wird Korruption vorgeworfen. Persönliche Waffen der Politiker wurden beschlagnahmt. Die Politiker wurden von Sicherheitskräften aus Moskau in Handschellen zum Flughafen gebracht und zu Vernehmungen in die russische Hauptstadt geflogen. Die muslimisch geprägte russische Teilrepublik Dagestan wird von Korruption und islamistischem Extremismus geprägt und macht Moskau Sorgen. Präsident Wladimir Putin entsandte im vergangenen Oktober den ehemaligen russischen Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew, um für Ordnung zu sorgen. Im Januar war bereits der Bürgermeister der Hauptstadt, Mussa Mussajew, wegen Amtsmissbrauchs verhaftet worden (Euronews 6.2.2018, vgl. Kurier 5.2.2018). Der Präsident der Republik Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ist im September 2017 von seinem Amt aus Altersgründen zurückgetreten (Ostexperte.de 28.9.2017). Am 9.10.2017 wird daraufhin Wladimir Wasiljew zum kommissarischen Oberhaupt der Republik Dagestan ernannt (Länderanalysen - Chronik 9.10.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

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Euronews (6.2.2018): Dagestan: Gesamte Regierung in Handschellen abgeführt,

http://de.euronews.com/2018/02/06/dagestan-gesamte-regierung-in-handschellen-abgefuhrt, Zugriff 7.2.2018

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FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

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FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

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Kurier (5.2.2018): Russland: Regierungsspitze in Dagestan festgenommen,

https://kurier.at/politik/ausland/russland-regierungsspitze-in-dagestan-festgenommen/309.777.147, Zugriff 7.2.2018

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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Ostexperte.de (28.9.2017): Präsident von Dagestan verkündet Rücktritt,

https://ostexperte.de/praesident-von-dagestan-verkuendet-ruecktritt/, Zugriff 7.2.2018

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Mena Watch (10.5.2017): Russland setzt auf sunnitische Soldaten in Syrien,

http://www.mena-watch.com/russland-setzt-auf-sunnitische-soldaten-in-syrien/, Zugriff 21.7.2017

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Russland Analysen (9.10.2017): Chronik: Russland im Jahr 2017, http://www.laender-analysen.de/russland/chroniken/Chronik_RusslandAnalysen_2017.pdf, Zugriff 7.2.2018

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Standard (25.4.2017): Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich,

https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

1.1. Nordkaukasus allgemein

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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