TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 W182 1263533-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W182 1263533-4/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Hubert WAGNER, LLM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018, Zl. 751050205/170006588/BMI-BFA_STM_AST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen

Bescheides wird insofern stattgegeben, als gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herabgesetzt wird.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird insofern stattgegeben, als der Spruchpunkt zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß §§ 9 Abs. 1 und Abs. 4, 10 Abs. 1 Z 5, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, §§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 4, Abs. 9 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Sunnit, hat im Herkunftsland zuletzt in Grosny in der Republik Tschetschenien gewohnt, reiste im Juli 2005 mit seiner damaligen Frau und seinen Kindern illegal nach Österreich ein und stellte hier am 16.07.2005 einen Asylantrag.

Seinen Asylantrag begründete er im Wesentlichen damit, dass er Anfang 2000 bewaffneten Widerstandskämpfern geholfen habe, deswegen einvernommen worden sei, wobei es "nichts Offizielles" gebe. Im August 2004 seien Russisch sprechende, maskierte Männer in schwarzer Uniform in die Wohnung gekommen, hätten ihn "nach Namen gefragt" sowie Geld gewollt und USD 10.000,- sowie den Goldschmuck erhalten. Der BF sei von den unbekannten Männern mitgenommen, befragt, gefoltert sowie misshandelt und am zweiten Tag auf einer Mülldeponie ausgesetzt worden. Ihm sei unter Drohung aufgetragen worden, beim nächsten Mal noch mehr zu bezahlen. Nach einem Kurzaufenthalt in Inguschetien sei der BF im November 2004 mit seiner Frau und den Kindern ausgereist. Die Kinder bezogen sich auf die Fluchtgründe ihrer Eltern.

Laut einer im Juli 2005 eingelangten ärztlichen Stellungnahme wurde sowohl beim BF als auch bei seiner Gattin eine krankheitswertige psychische Störung, die sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit daran hindere, ihre Interessen im Verfahren wahrzunehmen, verneint.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 22.11.2005, Zl. 05 10.502-BAG, den Asylantrag des BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBL. I Nr. 101/2003 ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Russland" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus. Das Bundesasylamt ging von der Unglaubwürdigkeit des individuellen Vorbringens des BF aus.

1.2. Die dagegen erhobene Berufung wurde nach einer Verhandlung am 30.10.2006 mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 07.11.2006, Zl. 263.533/2-III/07/05, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBL. I Nr. 101/2003 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Russland nicht zulässig sei, wobei ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.11.2007 erteilt wurde (Spruchpunkt II. und III.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem BF eine Glaubhaftmachung einer individuellen Verfolgungsgefahr im Herkunftsland aufgrund massivster Widersprüche zwischen seinen und den Angaben seiner Gattin zu den fluchtauslösenden Vorfällen nicht gelungen sei, jedoch eine Gesamtbetrachtung der Rückkehrsituation des BF und seiner Familie, insbesondere seiner 4 minderjährigen Kinder, anzustellen gewesen sei. Dazu wurde weiters begründend ausgeführt: "Es ist unbestritten, dass in Tschetschenien für alle dort ansässigen Personen, insbesondere jedoch für Kinder, aufgrund der Kriegshandlungen die Sicherheitslage sehr angespannt und die humanitäre Not groß ist. So hat der Unabhängige Bundesasylsenat bereits mehrfach, zuletzt etwa in der Entscheidung vom 11.05.2006, Zl. 254.578/0- V/13/04, festgestellt, dass "die tschetschenische Bevölkerung unter sehr schweren Bedingungen lebt. Die Grundversorgung der Bevölkerung, insbesondere in Grosny, mit Nahrungsmitteln ist äußerst mangelhaft. Die Lieferung von Nahrungsmitteln durch internationale Hilfsorganisationen in das Krisengebiet ist nur sehr begrenzt und punktuell möglich. Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser etc.) und Gesundheitssystem sind nahezu vollständig zusammengebrochen. Etwa 50% des Wohnraums ist seit dem ersten Krieg (1994-1996) zerstört. Die Arbeitslosigkeit beträgt nach der offiziellen Statistik 30% (russischer Durchschnitt: 4%), nach inoffiziellen Schätzungen 80%. Das reale Pro-Kopf-Einkommen ist sehr niedrig. Es beträgt nach den offiziellen Statistiken etwa ein Zehntel des Einkommens in Moskau. Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industriebetriebe überwiegend zerstört sind. Viel Geld wird in Tschetschenien mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient. Viele Familien leben auch davon, dass ein Ernährer in der Ferne arbeitet und ihnen Geld schickt. Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist völlig unzureichend. Durch die Zerstörungen und Kämpfe besonders in der Hauptstadt Grosny sind medizinische Einrichtungen in Tschetschenien weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Wichtige medizinische Einrichtungen in Grosny und Umgebung sind nach Augenzeugenberichten stark beschädigt oder zerstört. Der Wiederaufbau verläuft weiterhin sehr schleppend (Ad-hoc- Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 13.12.2004, S. 15 f.)." UNHCR rät von einer Rückkehr nach Tschetschenien weiterhin ab (vgl. Beil. A des Verhandlungsprotokolles vom 30.10.2006)." Angesichts dessen erschien es dem Unabhängigen Bundesasylsenat nicht hinlänglich unwahrscheinlich, dass der BF samt seiner Familie bei Rückkehr in Hinblick auf die bestehende Sicherheits- und Versorgungslage in der tschetschenischen Republik einem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Eine realistisch wahrscheinliche Relokation in andere Gebiete der Russischen Föderation außerhalb der tschetschenischen Republik wäre laut damaliger Einschätzung des Unabhängigen Bundesasylsenat dem BF -noch dazu mit einer Ehegattin und 4 minderjährigen Kindern - nicht zumutbar gewesen.

1.3. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 07.10.2010, Zlen 2007/20/0456 -0461-6, wurde Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 07.11.2006 in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass seitens des Unabhängigen Bundesasylsenats den in der Berufungsverhandlung vorgelegten ärztlichen Bestätigungen vom Oktober 2006, wonach bei der Gattin des BF eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden sei und sie an ständig wiederkehrenden Kopfschmerzen leide, keine Beachtung geschenkt und in den beweiswürdigenden Erwägungen den möglichen Einfluss der allfälligen Traumatisierung der Gattin des BF auf ihr Aussageverhalten nicht berücksichtigt worden sei.

In einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 25.01.2011 hat der BF die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 22.11.2005, Zl. 05 10.502-BAG, zurückgezogen, welcher sohin rechtskräftig wurde.

Am 24.10.2016 stellte der BF zuletzt einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG 2005.

1.4. Der BF wurde mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom XXXX .2011, Zl. XXXX , wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 1 StGB zu einer XXXX rechtskräftig verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am XXXX durch das Einfahren in eine durch Rotlicht gesperrte Kreuzung und einen Zusammenstoß mit einem anderen PKW fahrlässig einer Person eine an sich leichte Körperverletzung verbunden mit einer Gesundheitsschädigung mit Berufsunfähigkeit von nicht mehr als dreitägiger Dauer zugefügt hat.

Weiters wurde der BF mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2014 (rechtskräftig am XXXX .2014), Zl. XXXX , wegen gewebsmäßigen Diebstahl gemäß § 15 StGB, §§ 127, 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , die bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt. Den Verurteilungen lag zugrunde, dass der BF am XXXX .2013 und XXXX 2014 Waren im Wert von insgesamt € XXXX zu stehlen versucht hat. Als mildernd wurde das reumütige, umfassende Geständnis, dass es beim Versuch geblieben ist und die Schadensgutmachung gewertet.

Noch innerhalb der Probezeit wurde der BF erneut einschlägig straffällig.

Er wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX .2017, Zl XXXX , wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten gewebsmäßigen Diebstahls sowie des Vergehens der Urkundenfälschung gemäß §§ 127, 130 Abs. 1 1 Fall StGB, § 15 StGB, § 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , wovon XXXX bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt. Den Verurteilungen lag zugrunde, dass der BF in einem Kaufhaus am XXXX .2016 Waren in Wert von € XXXX gestohlen bzw. am XXXX .2016 Waren in Wert von XXXX zu stehlen versucht hat, am 17.02.2017 in Zusammenwirken mit einem Mittäter Waren im Wert von etwa € XXXX gestohlen hat, wobei er gewerbsmäßig gehandelt hat. Weiters hat er in Zusammenwirken mit seinem Sohn am XXXX .2015 bei der Anmeldung eines Fahrzeuges bei der Zulassungsstelle eine gefälschte Vollmacht zum Nachweis eines Rechtsverhältnisses gebraucht. Als mildernd wurde das teilweise Geständnis, als erschwerend die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen strafbarer Handlungen gewertet.

2. In einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 19.12.2017 zur Prüfung der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er inzwischen geschieden sei, bei verschiedenen Bekannten wohne und Sozialhilfe erhalte. Er wolle jedoch seine Frau wieder standesamtlich heiraten. Auf die Frage, ob er in Österreich gearbeitet habe, gab der BF an: "Ich habe offiziell nur Probezeit bekommen, habe aber nie eine fixe Anstellung erhalten. Ich habe eine Woche in Graz, als ich vor sechs Jahren noch hier war, am Bau gearbeitet." Im Herkunftsland würden drei Brüder des BF leben. In das Herkunftsland könne er nicht zurückkehren, da er dort große Probleme habe. In seiner Asyl-Einvernahme habe er alles angegeben und sei nunmehr aufgrund eines Schlaganfalles sehr vergesslich. Man habe ihm über einen Verwandten ausrichten lassen, dass, wenn er könne, er nicht nach Hause zurückkehren solle. Sein Bruder habe ihm ausgerichtet, dass er nicht zurückkehren solle. Der BF wisse nicht, wer ihn verfolgen würde, vielleicht Kadyrov oder Putin, er könne es nicht sagen. Er habe während des Krieges getötet, aber sei nicht verurteilt worden. Die anderen seien aber verurteilt und getötet worden. Der BF würde auf jeden Fall getötet werden. Die russischen Behörden würden ihn verfolgen.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der dem BF mit Erkenntnis vom 07.11.2006, Zahl 263.533/2-III/07/05, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), dem BF die ihm mit Erkenntnis vom 07.11.2006, Zl. 263.533/2-III/07/05, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VII.) sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, ein auf 6 Jahre befristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen (Spruchpunkt VIII.). Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Lage in der Russischen Föderation, vor allem in Bezug auf Tschetschenien nicht mehr so darstelle, dass dies zu Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, weshalb dem BF bereits aus diesem Grund der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen gewesen sei. Außerdem habe er den Tatbestand gem. § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 erfüllt, indem er mehrmals straffällig geworden und zu Freiheitsstrafen von insgesamt XXXX verurteilt worden sei. Gem. § 9 Abs. 4 AsylG 2005 sei die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden gewesen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor, eine Rückkehrentscheidung wurden nach § 9 Abs. 1 - 3 BFA-VG und seine Abschiebung gemäß § 46 FPG als zulässig erachtet. Gemäß § 18 BFA-VG stelle sein Verbleib in Österreich eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar und sei seine sofortige Ausreise erforderlich. Gem. § 55 Abs. 4 FPG habe das Bundesamt von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt werde, was der Fall sei. Schließlich sei gegen den BF gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot zu verhängen gewesen.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 28.02.2018 wurde dem BF ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

4. Gegen diese Entscheidung erhob der BF durch seinen anwaltlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde. Darin wurde auf die Angaben des BF während der Einvernahme am 19.12.2017 verwiesen, wonach er u.a. im Herkunftsland auf jeden Fall getötet werden würde. Der BF habe in Österreich vier Söhne, die hier aufgewachsen seien. Eine Abschiebung würde dazu führen, dass die Familie aus ihrem gewohnten und insbesondere die Kinder aus ihrem natürlichen und bekanntem sozialen Umfeld herausgerissen werden würden. Eine Abschiebung würde einen unzulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht des BF auf Privat und Familienleben darstellen. Der BF beziehe Sozialhilfe (Mindestsicherung), sei arbeitsfähig, arbeitswillig, habe aber nie eine fixe Anstellung bekommen. Der BF sei aufgrund eines Schlaganfalles in Behandlung gewesen. Dazu wurde weiter auf ein vorgelegtes Schreiben einer Personalservice GmbH vom 16.03.2018 verwiesen, wonach der BF als bemüht eingeschätzt und nach Möglichkeit ehe-baldigst in das Unternehmen integriert werden solle. Zutreffend sei, dass der BF insgesamt zu über zwei Jahren Freiheitsstrafe aufgrund zahlreicher Vergehen verurteilt worden sei. Es sei dennoch nicht davon auszugehen, dass der Aufenthalt des BF eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich wäre, zumal dieser nur minderschwere Vergehen begangen habe, die zum großen Teil nachgesehen worden seien. Weiters wurde auf einen Jahresbericht von Amnesty International aus dem Jahr 2017 zum Thema Nordkaukasus und Tschetschenien verwiesen, aus dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen wie unfaire Gerichtsverfahren, Folterungen und Misshandlungen stattfinden würden. Auch würde es an einer angemessenen medizinischen Versorgung fehlen. Letztlich wurde noch auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu mehr als zehnjährigen Inhaltsaufenthalten verwiesen. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.04.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG idgF, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

6. Am 22.06.2018 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seiner beiden älteren Söhne, seines rechtsfreundlichen Vertreters sowie einer Dolmetscherin der tschetschenischen Sprache statt. Das Beschwerdeverfahren des BF wurde zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG mit den Beschwerdeverfahren von zwei volljährigen Söhnen des BF, denen ebenfalls durch Bescheide des Bundesamtes der Status des subsidiären Schutzberechtigten aberkannt wurde, zusammengezogen. In der Verhandlung brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er befürchte, wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen für die Unabhängigkeit in der Zeit vor dem ersten und zweiten Tschetschenienkrieg Probleme zu bekommen, bzw. weil er nunmehr so lange im Ausland gewesen sei und die Leute vermuten würden, dass er deswegen wohlhabend sei. Man würde ihn gegen Geld verraten bzw. würde er regelmäßig festgenommen werden, um von ihm und seiner Familie Geld abzupressen. Sie seien eine Finanzierungsquelle für die tschetschenischen Behörden. Alle tschetschenischen Männer, die jetzt in Europa seien, seien für die tschetschenischen Behörden Wahhabiten und gegen Kadyrov eingestellt. Der BF habe keine finanzielle Möglichkeit, seine Söhne zu schützen. Auch wenn er sich außerhalb Tschetscheniens in der Russische Föderation aufhalten würde, würde man seinen Aufenthalt ausforschen bzw. würde er neue Probleme bekommen, weil er dann ein Tschetschene unter Russen sei und der Hass der Russen auf die Tschetschenen sehr groß sei. Seine Brüder würden sich nach wie vor in Tschetschenien mit ihren Familien aufhalten. Der BF habe kaum Kontakt zu seinen Brüdern. Einer seiner Brüder habe in Tschetschenien eine höhere Position und sei jetzt auch auf der Seite von Kadyrov und habe ihm damals angedeutet, dass er von ihm nicht angerufen werden wolle, da es problematisch für ihn sein könnte, da der BF damals an Demonstrationen teilgenommen habe. Der BF habe im Tschetschenienkrieg aktiv Kämpfer mit Waffen und Medikamenten unterstützt und habe im zweiten Krieg im Jahr 2000 auch Kämpfer gerettet, indem er sie versteckt bzw. an einen sicheren Ort gebracht habe. Später sei er verraten worden und danach nach Inguschetien geflüchtet. In Tschetschenien sei er zuletzt im Jahr 2001 gewesen. Die Frage, ob es noch einen Vorfall gegeben habe, nachdem er verraten worden sei, verneinte der BF. Der BF habe in Österreich keinen fixen Wohnungsplatz. Er wohne bei Freunden und bei einem Sohn. Mit seiner Ex-Frau lebe er zurzeit noch nicht zusammen. Er wolle aber wieder mit ihr zusammen sein. In Österreich würden sich vier Söhne aufhalten. Auf die Frage, was er in Österreich gearbeitet habe, gab der BF an, versucht zu haben, zu arbeiten und mehrmals mit der Probezeit begonnen zu haben. Später habe er immer wieder Probleme mit der Wirbelsäule gehabt und habe längere Zeit nicht arbeiten können. Er sei nur für Probezeiten genommen worden. Er habe Deutschkurse besucht, aber keinen Abschluss gemacht. Er werde versuchen, Prüfungen zu machen. Im Herkunftsland habe er auf verschiedenen Baustellen gearbeitet. Dem BF wurden Länderberichte zu Kenntnis gebracht und ihm dazu eine Frist von 2 Wochen für eine Stellungnahme eingeräumt.

7. In weiterer Folge wurde ein medizinisches Gutachten einer ärztlichen Gutachterin der Pensionsversicherungsanstalt nach einer Untersuchung des BF am XXXX nachgereicht, wonach der BF nach einem XXXX im XXXX im selben Jahr nach Physiotherapie in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen worden sei. Eine vorgeschlagene Reha wie auch eine vorgeschlagene Nikotinkarenz seien nach dem Insult vom BF abgelehnt worden. Der BF sei in "zufriedenstellenden AZ und normalen EZ". Die Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit sei unauffällig. Sein Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis sowie biografisches Gedächtnis sei soweit beurteilbar unauffällig. Es gebe keine Gedächtnis-, Denk- oder Wahrnehmungsstörungen. Der BF sei in Österreich noch nie berufstätig gewesen. Laut der gleichfalls vorgelegten Chefärztlichen Stellungnahme vom XXXX reiche das Gesamtleistungskalkül des BF für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus und liege auch ein Berufsschutz nicht vor.

Weiters wurde eine Bestätigung einer Personalleasingfirma vorgelegt, wonach der BF voraussichtlich am 16.07.2018 als Hilfsarbeiter beschäftigt werde.

In einer Stellungnahme vom 10.07.2018 wurde auf einen Bericht von Amnesty international aus dem Jahr 2015 hingewiesen, wonach es im Dezember 2014 in Tschetschenien zu wiederholten Übergriffen und Schikanen gegen Menschenrechtsaktivisten gekommen sei. Laut eines Berichtes von Amnesty International aus dem Jahr 2008 seien 3.000 bis 5.000 Menschen durch den Geheimdienst in Tschetschenien zum "Verschwinden" gebracht worden, wobei die Fälle in den letzten Jahren abgenommen haben, jedoch kein einziger Verantwortlicher verurteilt worden sei. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty international würden die Menschenrechtslage in Tschetschenien schon seit langem kritisieren. Auch im Jahresbericht 2017 sei etwa von öffentlichem Druck auf Behörden und Justiz genauso die Rede wie von Schikanen, denen Menschenrechtsverteidiger immer wieder ausgesetzt seien. Diese Feststellungen würden genau mit den Angaben des BF und seinen Ängsten bzw. Befürchtungen übereinstimmen. Diese würden die in einer zivilisierten Gesellschaft rechtswidrigen Handlungen betonen, die obendrein den klaren Vorgaben der Menschenrechtskonvention widersprechen. Eine Abschiebung wäre nach den angeführten Erkenntnissen und Stellungnahmen unmenschlich. Dies werde auch durch den Umstand, dass der BF mittlerweile in Österreich verwurzelt sei und dieses Land als Heimatland betrachte, da er die meiste Zeit seines Lebens hier verbracht habe und keine sozialen Kontakt - außer Glückwunschkarten zu besonderen Anlässen - zu seinen Angehörigen in Tschetschenien habe, bekräftigt.

8. Laut eines vom Bundesamt im Juli in Kopie übermittelten Abschlussberichtes einer Landespolizeidirektion an eine Staatsanwaltschaft vom XXXX wurde der BF am XXXX in einer Filiale einer Modekette einschlägig auffällig und vom Ladendetektiv die Polizei verständigt, wobei der Verdacht auf versuchten Diebstahl besteht.

9. Laut vom Bundesamt übermittelter Mitteilungen eines Bezirkspolizeikommandos vom November 2018 an das Bundesamt hat sich der BF bei Personenkontrollen in Zuge einer Schwerpunktaktion am

XXXX und XXXX jeweils von der XXXX kommend vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes u.a. mit einem Ende November 2017 ausgestellten Reisepass der Russischen Föderation ausgewiesen, der auch Ein- und Ausreisestempel von Ungarn und der Ukraine enthält.

10. Einem zum Stichtag eingeholten Speicherauszug aus dem GVS-Betreuungsinformationszentrum zufolge hat der BF von Juli 2005 bis 31.08.2012 nahezu durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung bezogen. Seit 01.08.2017 bezieht er wieder Leistungen (Krankenversicherung) aus der Grundversorgung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Aufgrund der der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Sunnit, reiste im Juli 2005 illegal mit seiner damaligen Frau und seinen Kindern nach Österreich ein und stellte hier am 16.07.2005 einen Asylantrag.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 07.11.2006, Zl. 263.533/2-III/07/05, wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Russland gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 nicht zulässig sei, wobei ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.11.2007 erteilt wurde. Begründend wurde die Entscheidung - insbesondere auch im Hinblick auf die vulnerable Situation der 4 minderjährigen Kinder des BF - im Wesentlichen auf die infolge der Kriegshandlungen sehr angespannte allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Tschetschenien gestützt. Die behaupteten individuellen Fluchtgründe des BF wurden für unglaubwürdig erachtet.

Ein Aufenthaltstitel nach dem NAG ist dem BF nie zugekommen.

Der XXXX -jährige BF ist arbeitsfähig. Er hat im Herkunftsland auf Baustellen gearbeitet. Im Herkunftsland halten sich drei Brüder und deren Familien auf.

Der BF wurde mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom März 2011 wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagsätzen rechtskräftig verurteilt.

Weiters wurde er mit Urteil eines Landesgerichtes vom April 2014 wegen gewebsmäßigen Diebstahl gemäß § 15 StGB, §§ 127, 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, die bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Noch innerhalb der Probezeit wurde der BF erneut einschlägig straffällig und wurde neuerlich mit Urteil eines Landesgerichtes vom April 2017 wegen gewebsmäßigen Diebstahl und Urkundenfälschung gemäß §§ 127, 130 Abs. 1 1 Fall StGB, § 15 StGB, § 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wovon 10 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Der BF konnte keine abgeschlossenen Deutschprüfungen nachweisen. Besonders qualifizierte Deutschkenntnisse konnten gleichfalls nicht nachgewiesen werden, der BF kann sich aber auf Deutsch verständigen. Die Beiziehung einer Dolmetscherin zur Verhandlung war erforderlich.

Der BF konnte trotz über 13-jährigen Aufenthalt am Arbeitsmarkt bisher nicht nachhaltig Fuß fassen und ist die ganze Zeit über nahezu keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen.

In Österreich halten sich die Ex-Frau sowie 2 volljährige und 2 minderjährige Söhne auf. Der BF lebt bisweilen bei einem volljährigen Sohn, der seinerseits von der Mindestsicherung lebt. Der BF führt keine Lebensgemeinschaft. Der BF ist seit 2015 - mit Unterbrechungen durch Haftaufenthalte - obdachlos gemeldet.

Der BF konnte nicht glaubwürdig dartun, dass ihm im Herkunftsland mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verfolgung seitens der Behörden oder privater Personen drohen würde.

Dem BF droht bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kein reales Risiko einer Verletzung im Sinne der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Im Übrigen wir der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.

1.2. Zur Situation in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

In Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, ist die gesamte Regierungsspitze auf Befehl Moskaus festgenommen worden, insgesamt sieben Personen: der kommissarische Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und vier weitere ranghohe Beamte. Ihnen wird Korruption vorgeworfen. Persönliche Waffen der Politiker wurden beschlagnahmt. Die Politiker wurden von Sicherheitskräften aus Moskau in Handschellen zum Flughafen gebracht und zu Vernehmungen in die russische Hauptstadt geflogen. Die muslimisch geprägte russische Teilrepublik Dagestan wird von Korruption und islamistischem Extremismus geprägt und macht Moskau Sorgen. Präsident Wladimir Putin entsandte im vergangenen Oktober den ehemaligen russischen Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew, um für Ordnung zu sorgen. Im Januar war bereits der Bürgermeister der Hauptstadt, Mussa Mussajew, wegen Amtsmissbrauchs verhaftet worden (Euronews 6.2.2018, vgl. Kurier 5.2.2018). Der Präsident der Republik Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ist im September 2017 von seinem Amt aus Altersgründen zurückgetreten (Ostexperte.de 28.9.2017). Am 9.10.2017 wird daraufhin Wladimir Wasiljew zum kommissarischen Oberhaupt der Republik Dagestan ernannt (Länderanalysen - Chronik 9.10.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

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Euronews (6.2.2018): Dagestan: Gesamte Regierung in Handschellen abgeführt,

http://de.euronews.com/2018/02/06/dagestan-gesamte-regierung-in-handschellen-abgefuhrt, Zugriff 7.2.2018

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FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

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FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

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Kurier (5.2.2018): Russland: Regierungsspitze in Dagestan festgenommen,

https://kurier.at/politik/ausland/russland-regierungsspitze-in-dagestan-festgenommen/309.777.147, Zugriff 7.2.2018

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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Ostexperte.de (28.9.2017): Präsident von Dagestan verkündet Rücktritt,

https://ostexperte.de/praesident-von-dagestan-verkuendet-ruecktritt/, Zugriff 7.2.2018

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Mena Watch (10.5.2017): Russland setzt auf sunnitische Soldaten in Syrien,

http://www.mena-watch.com/russland-setzt-auf-sunnitische-soldaten-in-syrien/, Zugriff 21.7.2017

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Russland Analysen (9.10.2017): Chronik: Russland im Jahr 2017, http://www.laender-analysen.de/russland/chroniken/Chronik_RusslandAnalysen_2017.pdf, Zugriff 7.2.2018

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Standard (25.4.2017): Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich,

https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

1.1. Nordkaukasus allgemein

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwa

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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