TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/13 W105 1434867-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.2018
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Entscheidungsdatum

13.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W105 1434867-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.01.2018, Zl. 13-821214104-171327757, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Pashtunen und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, stellte am 06.09.2012 nach schlepperunterstützter illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 18.04.2013, Zl. 12 12.141-BAI, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.) und ihn gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

3. In Erledigung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.08.2014, Zl. W176 1434867-1/4E, Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Spruchpunkte II. und III. des bekämpften Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde betreffend Spruchpunkt I. ausgeführt, dass das BFA zu Recht davon ausgegangen sei, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers tatsachenwidrig sei, weiters könne dem Vorbringen nicht entnommen werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan im Hinblick auf allgemeine Merkmale wie Volksgruppenzugehörigkeit oder religiöses Bekenntnis Verfolgung fürchten müsste; auch hätten sich diesbezüglich keine von Amts wegen aufzugreifenden Hinweise ergeben.

In Bezug auf Spruchpunkt II. wurde seitens des BVwG wie folgt ausgeführt:

"Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass das Bundesasylamt den entscheidungsrelevanten Sachverhalt, um abschließend klären zu können, ob dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren ist, nur ansatzweise ermittelt hat:

In seinem Erkenntnis vom 06.06.2013, Zl. U 144/2013, hob der Verfassungsgerichtshof ein Erkenntnis des Asylgerichtshofes u.a. deshalb auf, weil dieser keine Feststellungen zur Sicherheitslage in der (engeren) Heimatregion des Asylwerbers getroffen hatte, was aber insbesondere deshalb erforderlich gewesen wäre, weil die Sicherheitslage in Afghanistan regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt variiere (vgl. auch VfSlg. 19.695/2012). Zum Anreiseweg wurden keine konkreten Feststellungen getroffen.

Das Bundesasylamt hat (wie im Verfahrensgang gezeigt) keine konkreten und hinreichend aktuellen Feststellungen zu Laghman, der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, getroffen, dies wohl in Hinblick auf die Annahme, ihm sei, auch wenn er keine Bezugspersonen mehr in seiner Herkunftsprovinz haben sollte zumutbar, sich in Kabul anzusiedeln.

Angesichts der notorischen Verhältnisse in Afghanistan ist jedoch die Existenz eines familiären Netzwerks für den Aufbau einer Lebensgrundlage nach einer Rückkehr - mangels entsprechender staatlicher Strukturen - von elementarer Bedeutung (vgl. etwa VfGH 13.3.2013, U 2185/12 m.w.N.; 6.6.2013, U 144/2013; 7.6.2013, U 565/2012; vgl. überdies VwGH 12.12.2007, 2006/19/0239, wonach die Effektivität eines familiären Netzwerks eingehend zu überprüfen ist). Dieser Ermittlungsfehler des Bundesasylamtes ist umso gravierender, als im angefochtenen Bescheid sogar die Risiken des Fehlens familiärer Strukturen ausdrücklich erörtert wurden.

Überdies führt das Bundesasylamt aus, der Beschwerdeführer könne sich bei seiner Rückkehr an Hilfseinrichtungen wenden, verkenne in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass "von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränkten Ausmaß gewährt werden können". Des Weiteren wurde festgestellt, in Kabul gebe es keine Organisation, die Rückkehrer direkt nach der Ankunft unterstütze. Diesbezüglich wird auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 06.06.2014, Zlen. U 2043/2012-15, U 2102/2013-10 und U 2105/2012-26, verwiesen, in denen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen damit begründet wurde, dass eine Einzelfallprüfung bezogen auf Kabul unterlassen worden sei. Dies fällt besonders ins Gewicht, da für den Beschwerdeführer eine familiäre Anknüpfung in Kabul nicht ersichtlich ist. Auch in Hinblick auf die Möglichkeit, sich in Kabul an Hilfseinrichtungen zu wenden, ist eine Prüfung, inwieweit sich ein Beschwerdeführer tatsächlich an diese wenden könne, unterlassen worden. Vor diesem Hintergrund sagen die getroffen Feststellungen des Bundesasylamtes gerade nichts darüber aus, ob der Beschwerdeführer von diesen Einrichtungen in einem Maß unterstützt werden würde, welche zur Führung eines menschenwürdigen Lebens in Kabul erforderlich ist.

Damit fehlen auch konkrete Feststellungen zu den Möglichkeiten des Beschwerdeführers, sich in Afghanistan eine Lebensgrundlage aufzubauen."

4. Mit Bescheid vom 09.12.2014, Zl. 13-821214104, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 09.12.2015 erteilt.

Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass den Länderfeststellungen zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Laghman) zu entnehmen sei, dass das Bedrohungspotential dort aufgrund der Aktivitäten der Taliban und der Hezb-e Islami Gulbuddin, welche diese Provinz als Durchzugsgebiet in andere Provinzen nützen würden, beträchtlich sei. Die Provinz Laghman werde als Hochburg der Taliban nahe Kabul angesehen. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass ihm im Herkunftsstaat Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohe, dass die Abschiebung im Lichte von Art. 3 EMRK unzulässig sei. Er habe somit darzutun vermocht, dass er bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG ausgesetzt sein wäre.

5. Am 07.12.2015 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes beim BFA.

6. Mit Bescheid vom 18.12.2015 wurde ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 09.12.2017 erteilt.

7. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 11.12.2017 brachte der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Gesundheitszustandes an, dass er keine Krankheiten habe und gesund sei. Weiters gab er auf die Frage, ob er noch mit seinen in Afghanistan lebenden Angehörigen Kontakt habe, an, dass er nur mit seinem Vater Kontakt habe. Er wüsste nicht, wie es seinen Verwandten gehe. Sein Vater sage zwar immer, dass es ihnen gut gehe, er glaube dies jedoch nicht. Seine Familie lebe derzeit noch in Laghman, sein Vater sei jedoch fast immer bei der Arbeit in XXXX. Wie er mitbekommen habe, sei die Sicherheitslage in Laghman ganz schlecht, jedoch wüsste er nicht, wie es wirklich sei. Nach Vorhalt, dass sich die Sicherheitslage in Kabul derart verbessert habe, dass im Falle des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht mehr vorliegen würden, gab der Beschwerdeführer an, dass sich die Lage in Kaul verschlechtert habe. Ein sicherer Aufenthalt sei für ihn in Kabul nach wie vor nicht möglich. Er habe sich außerdem an das Leben in Österreich gewöhnt. Er lebe hier anders als in Afghanistan. Weiters habe er seit 2 Jahren eine österreichische Freundin. Abhängigkeitsverhältnisse gebe es keine.

8. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid vom 05.01.2018, Zl. 12-821214104-171327757, wurde

-

dem Beschwerdeführer der ihm mit Bescheid vom 09.12.2014, Zl. 13-821214104, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.),

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dem Beschwerdeführer die mit Bescheid vom 09.12.2014, Zl. 13-821214104, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.),

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dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.),

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gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.),

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gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.),

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gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung (noch) schwierigen Allgemeinsituation zugesprochen worden sei. Es sei festgestellt worden, dass der Sachverhalt zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes nun nicht mehr vorliege. Was die spezifische Situation in Afghanistan betreffe, habe der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die Judikatur des EGMR jüngst ausgesprochen, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Wie die belangte Behörde festgestellt habe, handle es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen Mann, der über Berufserfahrung verfüge, ledig sei und keine Kinder habe. Eine Beurteilung dahingehend, dass ihm eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne, lasse sich aus den getroffenen Feststellungen nicht ableiten. Vielmehr sei es auch den UNHCR-Richtlinien zufolge alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben. Es werde von der belangten Behörde nicht verkannt, dass er in Laghman geboren und aufgewachsen sei und keine familiären Anknüpfungspunkte in Kabul habe, demgegenüber müsse jedoch maßgeblich berücksichtigt werden, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen arbeitsfähigen jungen Mann handle, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Er verfüge außerdem über Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft und inzwischen auch durch seine Arbeit in Österreich in der Gastronomie und im Metallgewerbe. Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation gehe hervor, dass beispielsweise in Kabul sowie im Umland und auch in anderen Städten eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung stünden. Hinzu komme, dass er mit seiner Familie in Afghanistan in Kontakt stehe. Zu seiner Heimatprovinz Laghman könne festgestellt werden, dass die Sicherheitslage weiterhin volatil sei, weshalb ihm im Falle der Rückkehr ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle der Rückkehr in die angrenzende Provinz Balkh (bzw. in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif) ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Stadt Kabul Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen könnte und in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde. Es habe somit nicht festgestellt werden können, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Ebenso würden in seinem Herkunftsstaat Hilfsorganisationen fungieren, an die er sich wenden könnte. Bei einer Rückkehr sei es für ihn zumutbar, sich mit Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Eine Integration in das Sozial- und Arbeitssystem in seinem Heimatland Afghanistan sei ebenfalls zumutbar. Seine in Österreich angelernten Fähigkeiten und Kenntnisse könnte er durchaus in seinem Herkunftsstaat zu Nutze machen.

Da die Gründe für den zugesprochenen subsidiären Schutz nicht mehr vorliegen würden, der Beschwerdeführer gesund, volljährig, arbeitswillig sei und über arbeitstechnische Qualifikationen verfüge, wäre es für ihn durchaus nunmehr möglich und zumutbar, in seinem Herkunftsland Fuß zu fassen. Aus dem Vorbringen und der allgemeinen Situation im Herkunftsland alleine sei somit nichts ersichtlich, was im Falle einer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen lassen würde. Der Beschwerdeführer könnte in Kabul, Mazar e Sharif oder Herat demnach Arbeit, Sicherheit und zumutbare Lebensbedingungen vorfinden, umso mehr er diese drei als sicher eingestuften Gebiete zumindest über den Luftweg sicher erreichen könne.

9. Mit E-Mail vom 02.02.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde nur zum Schein auf die Punkte des Erkenntnisses des BVwG in dessen behebender Entscheidung vom 28.08.2014 eingegangen wäre, da der Bescheid nur generalisierend auf den Länderbericht eingehe, aber nicht auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers. Zudem müsse die Behörde selbst konzedieren, dass eine Rückkehr in die Provinz Laghman unzumutbar sei und nur für den Zeitraum unmittelbar nach einer Rückkehr nach Kabul nicht von einer Gefährdung ausgegangen werden könne. Dies genüge aber nicht, um den subsidiären Schutz zu versagen. Art. 3 EMRK nehme den Staat auch für den Zeitraum, nach dem die öffentliche Aufmerksamkeit nach einer Abschiebung sich gelegt habe, in die Pflicht, seine Normunterworfenen auf subsidiären Schutz angewiesenen Personen, zu schützen. Dabei sei eben auf die besondere Lage der Einwohner von Laghman und deren mangelnden Perspektiven in anderen afghanischen Provinzen zu verweisen. Der mehrfache Verweis darauf, dass der Beschwerdeführer jung, gesund und arbeitsfähig sei, bedeute gerade bei der Sicherheitslage in Afghanistan eine besondere Gefahr, weil dieser Personenkreis in besonderem Maße als Zielgruppe von Zwangsrekrutierungen durch rivalisierende Akteure im Bürgerkrieg anzusehen sei. Bei richtiger Würdigung des Vorbringens, seiner individuellen Situation und der konkreten aktuellen Situation in Afghanistan hätte die belangte Behörde anders entscheiden und ihm subsidiären Schutz zuerkennen müssen, ebenso hätte die Rückkehrentscheidung ersatzlos behoben werden müssen.

10. Am 07.02.2018 langten die Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

11. Mit Verfügung vom 10.10.2018, Zl. W105 1434867-2/9Z, wurden dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers das Länderinformationsblatt (LIB) zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 sowie die UNHCR-Guidlines zu Afghanistan vom 30.08.2018 übermittelt und wurde die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Person

Der männliche, volljährige, ledige, gesunde, und arbeitsfähige Beschwerdeführer (ohne Obsorgepflichten) wurde am XXXX geboren, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Pashtunen an und bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Richtung. Er spricht Dari, Pashtu und Urdu. Er wurde in der Provinz Laghman geboren und lebte dort mit seinen Eltern und zwei Schwestern sowie zwei Brüdern im Elternhaus. Er besuchte im Heimatland keine Schule und hat seit seinem 12. Lebensjahr als Schäfer sowie in der Landwirtschaft gearbeitet. Im Jahr 2012 verließ der Beschwerdeführer Afghanistan und reiste mit Schlepperunterstützung illegal nach Österreich, wo er am 06.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer hatte keine Probleme mit den Behörden im Heimatland. Auch hatte er keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit.

1.2. Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Seit seiner Antragstellung befindet sich der Beschwerdeführer auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse auf dem Niveau A1 besucht, jedoch kein entsprechendes Sprachdiplom erworben.

Der Beschwerdeführer hat zwischenzeitlich bei einer Metallveredelungsfirma gearbeitet und ist seit 05.01.2018 als Lagerarbeiter für die Firma XXXX tätig.

Der Beschwerdeführer führt laut eigenen Angaben seit dem Jahr 2016 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Volleyball in einer Mannschaft in R. und geht ins Fitnessstudio.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mit Urteil des XXXX vom XXXX, Zl. XXXX, wegen § 146 StGB zu einer Geldstrafe von 80 TS zu je 9 €, im NEF zu 40 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, unter einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Er nahm bis 30.04.2015 Leistungen der Grundversorgung in Anspruch.

1.3. mögliche Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Dem Beschwerdeführer würde zwar bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Provinz Laghman ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Jedoch liefe der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen wurde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer kann die Stadt Mazar-e Sharif oder Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Die Stadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternativ zum Mohnanbau werden. Die Stadt Herat ist eine vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Sie ist relativ sicher. Die Taliban konnten die Stadt Herat nicht einnehmen, da sie von den Sicherheitskräften sehr gut bewacht ist. In Herat ist nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Insgesamt ist die Sicherheitslage in der Stadt Herat als ausreichend sicher zu bewerten.

Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke - wie fallbezogen vom Beschwerdeführer angegeben - schwach ausgeprägt bzw. nicht vorhanden sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Da der Beschwerdeführer gesund ist, kann auch nicht festgestellt werden, dass er im Falle der Rückkehr nach Mazar e Sharif oder Herat Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018:

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016)

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 11.09.2018, S. 71).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 11.09.2018, S. 71).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 11.09.2018, S. 72).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 11.09.2018, S. 61f).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in 16 Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB 11.09.2018, S. 107).

Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand, sodass die Stadt sicher erreichbar ist (LIB 11.09.2018, S. 107, 228 f).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (LIB 11.09.2018, S. 107).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Die Provinz Herat zählt zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (LIB 11.09.2018, S. 108).

Nach zehn Jahren der Entminung sind nun 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 11.09.2018, S. 108).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen

Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 11.09.2018, S. 109).

Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (LIB 11.09.2018, S. 110).

Rechtsschutz / Justizwesen

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

as afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert (SIGAR 30.4.2018b).

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren (DB 23.3.2010). Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind (GRIPS 1.2010). Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben (USIP 5.2014). Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern (MoI o.D.).

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden (SIGAR 30.4.2018a). Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen (AAN 5.7.2017; vgl. AAN 22.5.2018). Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen (AAN 22.5.2018; vgl. AAN 5.7.2017). Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AAN 31.1.2017).

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden (SIGAR 30.4.2018a). Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw. (AAN 5.7.2017).

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (SIGAR 30.4.2018a).

Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2017 von Transparency International, belegt Afghanistan von 180 Ländern den 177. Platz (TI 21.2.2018). Einer Umfrage zufolge betrachten 83,7% der Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes. Die Provinzen mit der höchsten Korruptionswahrnehmung sind Kabul mit 89,6%, Uruzgan mit 87,9%, Nangarhar mit 87,8% und Helmand mit 86,9% (AF 2017).

Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für amtliche Korruption vor, jedoch setzt die Regierung diese Vorschriften nicht effektiv um. Berichten zufolge gehen Beamte oft ungestraft korrupten Praktiken nach. Korruption ist in der afghanischen Gesellschaft verbreitet und die Geldflüsse des Militärs, der internationalen Geldgeber und des Drogenhandels verschärfen das Problem zusätzlich. Verschiedene Bereiche sind von Korruption betroffen. Zahlreiche staatliche Infrastrukturprojekte der letzten 15 Jahre wurden auf Basis von Günstlingswirtschaft vergeben. Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet, insbesondere

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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