TE Bvwg Beschluss 2018/12/20 W173 2003022-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.12.2018

Norm

ASVG §67 Abs10
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W173 2003022-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR über die Beschwerde von XXXX, vertreten durch Dr. Elisabeth Hrastnik, RÄ als Masseverwalterin im Schuldenregulierungsverfahren GZ XXXX, Hauptplatz 11 (Atrium) Top 16a, 7400 Oberwart, gegen den Bescheid der Burgenländischen Gebietskrankenkasse, Esterhazyplatz 3, 7000 Eisenstadt, vom 14.8.2012, Zl XXXX, betreffend Haftung gemäß §§ 67 Abs. 10 iVm 83 ASVG beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid vom 14.8.2012 wird behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Burgenländische Gebietskrankenkasse zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 14.8.2012, XXXX, wurde Herr XXXX (in der Folge BF) als Geschäftsführer von der Burgenländischen Gebietskrankenkasse (in der Folge belangten Behörde) gemäß §§ 67 Abs. 10 i.V.m. 83 ASVG verpflichtet, die auf dem Beitragskonto der Beitragsschuldnerin XXXX, rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 19.6.2012) in der Höhe von Euro 26.942,99 zuzüglich Verzugszinsen seit 20.6.2012 mit derzeit 8,88% berechnet von Euro 25.560,92 binnen fünfzehn Tagen nach Bescheidzustellung bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.

In der Begründung wurde auf den angeschlossenen Rückstandsausweis vom 14.8.2012 mit den ausgewiesenen Beiträgen samt Nebengebühren, die nicht eingebracht werden hätten können, verwiesen. Es sei beim LG Eisenstadt das anhängige Sanierungsverfahren am 20.6.2012 mit einer Quote von 23 % aufgehoben worden. Die aushaftenden Beiträge seien uneinbringlich gewesen. Unter Hinweis auf die Bestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG stützte sich die belangte Behörde darauf, dass der BF als Geschäftsführer zur Vertretung der Beitragsschuldnerin berufen sei. In dieser Funktion gehöre es zu seinen Pflichten dafür zu sorgen, Beiträge bei Fälligkeit zu entrichten. Trotz Mahnung und Betreibungsmaßnahmen hätten die Beitragsschulden nicht eingebracht werden können. Daraus resultiere eine schuldhafte Verletzung der dem Geschäftsführer obliegenden Pflichten. Es sei daher die Haftung für die Beiträge samt Nebengebühren auszusprechen und bescheidmäßig abzusprechen. Angeschlossen war der diesbezügliche mit 14.8.2013 datierte Rückstandsausweis für die Beiträge für die Zeiträume 09/2011 und 10/2011.

2. Gegen den Bescheid vom 14.8.2012 erhob der BF vertreten durch Dr. Elisabeth Hrastnik, RA, als Masseverwalterin Einspruch mit Schriftsatz vom 17.9.2012 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit hinsichtlich eines Teilbetrages von Euro 15.378,40. Bestätigt wurde die Funktion des Geschäftsführer des BF bei der insolventen XXXX sowie das Insolvenzverfahren vor dem LG Eisenstadt mit einem Sanierungsplan und einer Quote von 23% sowie die rechtskräftige Aufhebung des Sanierungsverfahrens. Es sei der BF als Geschäftsführer des genannten Unternehmens jedoch seinen Verpflichtungen umfassend nachgekommen. Trotz wirtschaftlicher Turbulenzen, des Konkurrenzdrucks und des Ausfalls eines Auftraggebers des Unternehmens habe der BF in jedem Stadium darauf Bedacht genommen, keinen Gläubiger zu bevorzugen und dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu entsprechen. Für den Zeitraum Oktober 2011 liege keine Haftung des BF als Geschäftsführer des genannten Unternehmens vor. Es wäre für diesen Zeitraum zu berücksichtigen gewesen, dass Löhne und Gehälter nicht mehr ausbezahlt worden seien, sodass in Sinne der Gläubigergleichbehandlung keine Berechtigung bestanden habe, Zahlungen auf Beitragsforderungen vorzunehmen. Dies hätte zu einer Gläubigerbevorzugung geführt. Es werde daher insbesondere der angefochtene Bescheid hinsichtlich der aus den Lohn- und Gehaltsforderungen für den Oktober 2011 anfallenden Sozialversicherungsbeiträge samt Zinsen bekämpft. Der angefochtene Bescheid werde daher auf Grund des Teilbetrages von Euro 15.378,40 bekämpft. Es sei die Beitragsschuld mit Euro 11.564,90 festzusetzen.

3. Am 6.3.2014 wurde der Verwaltungsakt samt Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergibt sich aus der Schilderung des Verfahrensgangs und insbesondere der darin wiedergegebenen Bescheidbegründung.

2. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.). § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Der angefochtene Bescheid vom 14.8.2012 umfasst, soweit er vom BF bekämpft wird, in der Bescheidbegründung nach Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmungen lediglich eingeschränkte Sachverhaltseckpunkte und eine Bezugnahme auf den angeschlossenen, einen Bescheidbestandteil bildenden Rückstandausweis sowie einen Hinweis auf die allgemeine Verpflichtung des BF als Geschäftsführer dafür Sorge zu tragen, Beiträge bei Fälligkeit zu entrichten, die trotz Mahnung und Betreibungsmaßnahmen nicht hätten eingebracht werden können. Es sind im angefochtenen Bescheid weder Erwägungen zu den vorgeworfenen konkretisierten Pflichtverstößen des BF, noch Feststellungen hinsichtlich der Umstände, zu welchem Zeitpunkt die Meldung iSd §§ 33ff ASVG für wen hätten erfolgen müssen, sowie diese Meldungen für wen unterblieben sind und diese Unterlassung kausal für die Uneinbringlichkeit war. Die belangte Behörde hat es damit unterlassen, notwendige konkrete und geeignete Schritte zur Ermittlung des Sachverhaltes zu setzten, auf denen die Haftung des BF in der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation beruht.

Zwar ist, was die Frage nach dem Vorliegen einer kausalen schuldhaften Pflichtverletzung des BF betrifft, grundsätzlich eine solche schon dann anzunehmen, wenn der Vertreter keine Gründe anzugeben vermag, dass ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung, für die Beitragsentrichtung zu sorgen, unmöglich war. Es ist also seine Sache, die Gründe darzulegen und entsprechende Beweisangebote zu erstatten, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, die ihm obliegende Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls seine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf (VwGH 29.6.1999, 99/08/0075). Allerdings darf diese besondere Behauptungs- und Beweislast auch nicht überspannt und so aufgefasst werden, dass die Behörde von jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre (VwGH 12.4.1994, 93/08/0232). Allenfalls wären auch allfällige Ermittlungsschritte im Hinblick auf die Frage der Gläubigergleichbehandlung durchzuführen.

Der vorliegende Sachverhalt erweist sich zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Haftung des BF daher als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind. Eine vollständige Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich (vgl dazu zur Geschäftsführerhaftung VwGH 12.11.2018, Ra 2018/08/0228).

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchzuführen haben und dem BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unter Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3. Zu Spruchpunkt B (Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Geschäftsführer, Haftung, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W173.2003022.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten