Entscheidungsdatum
03.01.2019Norm
AsylG 2005 §57Spruch
W234 1434166-3/3E
TEILERKENNTNIS:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas Horvath über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Asyl in Not, gegen Spruchpunkt VI. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2018, Zl. 599783307/14886343, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes wurde ein Folgeantrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III) und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV). Unter einem wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht bestehe (Spruchpunkt VII). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zum Verfahrensgang:
1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 09.08.2012 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Ebenso am selben Tag fand die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Am 19.12.2012 und am 14.02.2013 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch Bundesasylamt einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er gefoltert worden sei und zwar im Juni oder Juli 2004, im Jänner 2008 und im März 2008. Der Beschwerdeführer sei dabei am Ellenbogen, am Kopf und an den Knien verletzt worden. Der Beschwerdeführer leide zusätzlich an psychischen Erkrankungen.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.03.2013 wurde der Antrag auf internationalen Schutz für die Zuerkennung des Status des Asyl- (Spruchpunkt I) wie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II) abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.07.2013 wurde die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
1.1.2. Am 17.04.2014 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.05.2014 wurde dieser Folgeantrag wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
1.1.3.1. Am 17.08.2014 stellte der Beschwerdeführer den hier maßgeblichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Anlässlich seiner Erstbefragung zu diesem Antrag gab er am 19.08.2014 an, massive Probleme mit den tschetschenischen Behörden wie mit seinen Verwandten zu haben. Der Beschwerdeführer sei religiös geworden und fürchte daher eine Verfolgung in Russland. Außerdem habe der Beschwerdeführer sehr große Probleme, die er nicht einmal erzählen könne; sein ganzes Leben lang hätte er diese Probleme gehabt. Der Beschwerdeführer habe in Russland keine Existenzgrundlage; er habe sein Haus und weiteren Besitz verkauft. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er den Tod sowie unterdrückt und erniedrigt zu werden.
1.1.3.2. Mit Aktenvermerk vom 08.10.2014 stellte das Bundesamt das Verfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 wegen unbekannten Aufenthaltsortes des Beschwerdeführers ein; denn eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes sei ohne seine Einvernahme nicht möglich.
1.1.3.3. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 12.03.2015 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 21 StGB iVm § 107 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Da der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt am 29.09.2014 nicht zurechnungsfähig gewesen sei, sei keine Strafe, sondern die genannte Maßnahme auszusprechen.
Dieser Maßnahmenvollzug dauert nach wie vor an.
1.1.3.4. Nach Fortsetzung desselben wurde das Asylverfahren des Beschwerdeführers mit Verfahrensanordnung vom 24.03.2015 gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen.
1.1.3.5. Mit Schreiben vom 03.10.2018 erstattete eine namentlich bezeichnete klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin für die Justizanstalt XXXX eine psychologische Stellungnahme. Demnach stehe der Beschwerdeführer in regelmäßiger klinisch-psychologischer Behandlung in der Justizanstalt. Er leide an paranoider Schizophrenie, einer psychischen Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch, einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit einer unspezifischen Angst- und depressiven Symptomatik sowie an einem als fraglich angesehenen Schädel-Hirn-Trauma. Die letztgenannten Symptome würden auf traumatische Erfahrungen im Herkunftsstaat sowie auf psychische Belastungen wegen seiner homosexuellen Orientierung zurückgehen. Die homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers habe in psychologischen Gesprächen exploriert werden können. Diese sexuelle Thematik sei für den Beschwerdeführer sehr scham- und angstbesetzt. Wegen drohender Repressalien im Herkunftsstaat hätte der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung lange Zeit in Richtung der Heterosexualität ändern wollen. Das späte Coming-out des Beschwerdeführers sei mit Verleugnung und Verdrängung seiner nicht-heterosexuellen Neigung vor sich selbst erklärbar. In der Justizanstalt lebe der Beschwerdeführer seine homosexuelle Neigung mit Mitpatienten aus. Seine Angst vor einer Abschiebung, welche für ihn Folter und Tod nach sich ziehen würde, sowie seine Homosexualität wäre für den Beschwerdeführer extrem belastend, würde zu einer Chronifizierung seiner psychischen Symptomatik beitragen und eine erfolgreiche psychologische Behandlung erschweren. Noch für sehr lange Zeit werde der Beschwerdeführer eine psychopharmakologische und psychotherapeutische Behandlung benötigen. Eine Rückkehr in den Herkunftsstaat würde eine Verschlimmerung seiner psychischen Symptome sowie eine Zunahme seiner Gefährlichkeit wegen erhöhten psychischen Stresses nach sich ziehen.
1.1.3.6. Am 04.10.2018 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. In dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, an Hepatitis C und Schizophrenie zu leiden. Erstmals sei beim Beschwerdeführer im Jahr 2012 Schizophrenie diagnostiziert worden; die betreffenden Symptome habe er jedoch bereits im Herkunftsstaat aufgewiesen. Die Unterlagen zur Erkrankung des Beschwerdeführers würden bei dessen Vertreterin aufliegen; der Beschwerdeführer selbst verfüge über keinerlei Unterlagen, weil kein Tschetschene davon erfahren dürfe. Der Beschwerdeführer müsse regelmäßig Medikamente einnehmen und bedürfe mehrmals pro Woche psychiatrischer Betreuung. Der Beschwerdeführer sei in der Stadt XXXX in Russland geboren worden und habe vor seiner Ausreise im Jahr 2012 in XXXX gelebt. Die Wohnung, welche der Beschwerdeführer bewohnte, habe seiner Schwester gehört; er selbst hätte dort mit seiner Mutter gelebt. Im Herkunftsstaat würden noch die Mutter sowie vier Schwestern des Beschwerdeführers mit ihren jeweiligen Familien leben. Eine Schwester lebe im Bezirk XXXX , eine weitere im Dorf XXXX und eine Schwester in der Stadt XXXX . Der Beschwerdeführer stehe zu seiner Mutter sowie zu seinen Schwestern im Herkunftsstaat in Kontakt. Eine weitere Schwester lebe in XXXX ; diese besuche den Beschwerdeführer in der Justizanstalt einmal pro Monat. Vor seiner Ausreise hätten die Schwestern den Beschwerdeführer unterstützt; dieser habe kein anderes Einkommen gehabt und keinen eigenen Wohnsitz. Er habe nur ein wenig auf einer Baustelle gearbeitet. Fünf Jahre lang habe der Beschwerdeführer die Schule besucht. Die finanzielle Situation des Beschwerdeführers sei vor seiner Ausreise sehr schlecht gewesen. Er habe im Herkunftsstaat keine Möglichkeit gehabt zu arbeiten. Er würde dort auch keine Pension bekommen; für seine Diagnose gebe es dort keine Unterstützung. Im Herkunftsstaat werde der Beschwerdeführer zwar nicht von Behörden gesucht, sei aber mehrmals gefoltert worden. Den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stelle der Beschwerdeführer, weil er in Tschetschenien und in den sonstigen Teilen der Russischen Föderation eine ausgeschlossene Person sei. Er würde dort erniedrigt werden und könne nicht mehr dort leben. Oft sei der Beschwerdeführer aus psychischen Gründen bewusstlos gewesen. Früher sei es ihm peinlich gewesen, darüber zu sprechen. Er habe sich geschämt; dies sei kulturell bedingt. Das Problem des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat bestehe darin, dass er homosexuell sei. Schon seit seiner Kindheit weise er diese Ausrichtung auf. Nunmehr schäme er sich nicht mehr und könne davon berichten. Der Beschwerdeführer habe dies nicht schon früher angegeben, weil er sich geschämt und nicht gewusst hätte, ob er davon berichten dürfe. Auch habe er sich an anderen Tschetschenen orientiert, welche im Asylverfahren allesamt Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat behauptet hätten; daher habe der Beschwerdeführer angenommen, auch er müsste solch einen Fluchtgrund vorbringen. Erst 2014 habe ihm eine Therapeutin mit tschetschenischem Hintergrund geraten, die Wahrheit zu sagen und seine Homosexualität den Behörden gegenüber offenzulegen. In Tschetschenien dürfe man nicht homosexuell sein. Homosexuelle würden von ihren eigenen Verwandten umgebracht; auch die Leute von Kadirov würden Homosexuelle verschwinden lassen. Auch würden Personen, welche unter Psychosen leiden, in Tschetschenien umgebracht werden.
Von der homosexuellen Ausrichtung des Beschwerdeführers würden neben Unterstützern, Ärzten und einem früheren wie einem aktuellen Partner auch die Tschetschenen in der Justizanstalt wissen. Ferner würde der Nachbar seiner Schwester in Österreich von seiner Homosexualität wissen. Auch Einwohnern von XXXX , wo der Beschwerdeführer aufgewachsen sei, sei seine Homosexualität bekannt. Ferner würden auch die Mutter und die in Österreich lebende Schwester von seiner Homosexualität wissen; er habe ihnen vor ein paar Monaten davon erzählt. Ob sie es schon zuvor gewusst hätten, könne der Beschwerdeführer nicht genau sagen. Schon vor seiner Erzählung hätte jedoch der Gatte seiner in XXXX lebenden Schwester den Beschwerdeführer geschlagen und gefragt, ob er schwul wäre. In der Justizanstalt führe der Beschwerdeführer eine Partnerschaft mit einem namentlich bezeichneten Mitpatienten; mit diesem sei er seit 2016 zusammen. Zuvor habe er mit einem anderen Mithäftling eine homosexuelle Beziehung unterhalten. Leider halte der Partner des Beschwerdeführers ihre Partnerschaft nicht geheim, sondern erzähle davon. Aus Angst vor den Tschetschenen in der Justizanstalt hätte der Beschwerdeführer die Beziehung nämlich geheim halten wollen. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer seine Homosexualität seit seiner Kindheit nicht mehr ausgelebt, weil man dies nicht dürfe. Er habe dann Drogen genommen, um von der Homosexualität loszukommen. In Österreich habe der Beschwerdeführer erstmals 2015 seine Homosexualität ausgelebt. Zuvor habe er mit seiner Schwester gelebt und Drogen genommen; er habe von homosexuellen Betätigungen abgesehen, um ihren Ruf nicht zu schädigen, weil auch er Tschetschene sei. Im Herkunftsstaat hätte der Beschwerdeführer keine Gelegenheit, sich anderswo niederzulassen, um seinen Problemen in Tschetschenien zu entgehen. Denn die Behörden der anderen Landesteile würden Personen an die tschetschenischen Behörden übergeben, wenn sie von deren Homosexualität erfahren würden.
1.1.3.7. Mit Schreiben vom 15.10.2018 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu jenem Länderinformationsmaterial, das ihm in der Einvernahme vom 04.10.2018 ausgehändigt worden war. Darin verweist der Beschwerdeführer insbesondere auf die prekäre Sicherheitslage homosexueller Personen und die unzureichende medizinische Versorgung psychisch Kranker.
1.1.3.8. Mit Schreiben vom 16.10.2018 berichtete die Justizanstalt XXXX durch näher genannte Mitarbeiter, darunter der Leiter des psychiatrischen Dienstes und der Betreuungsbereiche, über den Beschwerdeführer. Bei ihm seien paranoide Schizophrenie, Polytoxikomanie, welche in geschützter Umgebung gegenwärtig abstinent sei, und Hepatitis C diagnostiziert worden. Ferner liege beim Beschwerdeführer der Verdacht auf eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor. Der Beschwerdeführer befinde sich seit 13.09.2014 im Maßnahmenvollzug der Justizanstalt XXXX . Während seines Aufenthalts in der Justizanstalt habe er mit mehreren Patienten homosexuelle Kontakte aufgenommen; in Freiheit habe der Beschwerdeführer überwiegend heterosexuelle Partnerinnen gehabt, wobei er angegeben hätte, schon damals homosexuelle Neigungen gehabt, aber nicht ausgelebt zu haben. Rückblickend sei das Sexualverhalten des Beschwerdeführers als bi- oder ambisexuell zu bezeichnen, wobei er die homosexuelle Komponente aus kulturellen Gründen nicht ausgelebt hätte. In der Zwischenzeit sei eine Verfestigung der homosexuellen Orientierung eingetreten. Der Beschwerdeführer behaupte, auch nach seiner Entlassung als schwuler Mann leben zu wollen, was sein Leben in der Heimat in Gefahr bringen könnte. Aus Angst vor Repressionen trachte der Beschwerdeführer danach, seine homosexuellen Neigungen vor tschetschenischen Mitinsassen zu verbergen. Denn er befürchte, dass diese Informationen nach Tschetschenien weitergeben könnten und er dort umgebracht würde.
1.1.3.9. Mit Schreiben vom 18.10.2018 teilte der Leiter des psychiatrischen Dienstes unter Betreuungsbereiche der Justizanstalt XXXX eine Auflistung der aktuellen Medikation des Beschwerdeführers mit.
1.1.3.10. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers für die Zuerkennung des Status des Asyl- (Spruchpunkt I) wie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III) und eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen (Spruchpunkt IV). Unter einem wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI) und ausgesprochen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht bestehe (Spruchpunkt VII). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG idgF wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII).
Dies begründet das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass nicht habe festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat einer Verfolgung oder Bedrohung - seitens des Staates oder privater Akteure - im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt wäre. Insbesondere habe wegen des Umstands, dass der Beschwerdeführer seine Homosexualität in vorangegangenen Asylverfahren verschwieg und nicht schon früher geltend machte, nicht festgestellt werden können, dass er homosexuell sei und deswegen Repressionen im Herkunftsstaat zu erwarten hätte. Auch würde der Beschwerdeführer in der Stellungnahme der Justizanstalt XXXX vom 16.10.2018 als vor dem Maßnahmenvollzug "bi- oder ambisexuell" bezeichnet, was ebenso gegen seine Homosexualität spreche.
Ferner leide der Beschwerdeführer unter paranoider Schizophrenie, Polytoxikomanie (er sei jedoch gegenwärtig in schützender Umgebung abstinent) und Hepatitis C; auch bestehe bei ihm der Verdacht einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Jedoch verfüge der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat über ein soziales Netz, das ihn unterstützen könnte. Der Beschwerdeführer sei jung und arbeitsfähig. Auch seien seine Erkrankungen im Herkunftsstaat hinreichend behandelbar. Im Falle seiner Rückkehr habe er keine Verletzung seiner Rechte zu erwarten, welche die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gebiete. Mit Blick auf die örtlichen Gegebenheiten sei auch die Zulässigkeit seiner Abschiebung festzustellen. Ferner sei der Beschwerdeführer in Österreich noch nicht derart intensiv integriert, dass dies der Beendigung seines Aufenthalts hier dauerhaft entgegenstehen würde. Auch ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 sei ihm nicht zu erteilen. Wegen des strafgerichtlichen Urteils, mit welchem er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde, sei gegen ihn ein Einreiseverbot für die Dauer von sieben Jahren zu verhängen.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 20.11.2018 zu Handen seiner Vertreterin zugestellt.
1.1.3.11. Gegen diesen Bescheid richtet sich die hier teilweise zu erledigende Beschwerde, welche am 18.12.2018 zur Post gegeben wurde.
1.2. Zu den örtlichen Gegebenheiten in der Russischen Föderation:
Rechtsschutz / Justizwesen
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).
Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu
Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).
Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).
Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018
* EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018
* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018
* ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
* US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018
Folter und unmenschliche Behandlung
Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von
Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).
Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen "Komitee gegen Folter" kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).
Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018).
Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).
Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung "Novaya Gazeta" veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018
* EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018
* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 3.8.2018
* HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 3.8.2018
* ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
* NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.7.2018): Ein Foltervideo setzt Ermittlungen gegen Russlands Strafvollzug in Gang, https://www.nzz.ch/international/foltervideo-setzt-ermittlungen-gegen-russlands-strafvollzug-in-gang-ld.1405939, Zugriff 2.8.2018
* Standard.at (3.11.2017): Putins Beauftragte will Folter in Tschetschenien aufklären,
https://derstandard.at/2000067068023/Putins-Beauftragte-will-Folter-in-Tschetschenien-aufklaeren, Zugriff 3.8.2018
* US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018
Allgemeine Menschenrechtslage
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:
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Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
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Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
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Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
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Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
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Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
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Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
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Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 21.5.2018).
Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).
Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).
Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).
Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 8.8.2018
* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 8.8.2018
* GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 8.8.2018
* ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
0. 1. 2. 3. 4. Tschetschenien
NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).
Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).
Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).
In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).
Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 8.8.2018
* HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 8.8.2018
* ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
Homosexuelle
Homosexualität ist in Russland nicht strafbar (AA 21.5.2018). Seit Juni 2013 gilt in Russland das Gesetz zum Verbot der Propaganda von nicht traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen. Als Sanktionen sieht das Gesetz Geldstrafen sowie die Schließung von Medien, die diese Propaganda verbreiten, vor (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Im September 2014 entschied der russische Verfassungsgerichtshof, dass das Gesetz nicht gegen die russische Verfassung verstößt. In einem Bericht von HRW vom Dezember 2014 stellt die Organisation fest, dass das Gesetz zu einem Ansteigen der Gewalt und Belästigung von LGBTI geführt hat. Anti-LGBTI Gruppierungen haben das Gesetz u.a. als Rechtfertigung für Kampagnen gegen einzelne Personen in öffentlichen Positionen (z.B. Lehrer) benutzt. Die russischen Behörden kommen ihrer Verpflichtung, gegen homophobe Gewalt vorzugehen und diese zu ahnden, nicht nach. Im September 2014 wurde das Sankt Petersburger LGBTI Festival "Queer-Fest" durch Proteste und Bombendrohungen gestört. 2015 wurde die Durchführung einer Gay Pride-Parade in Moskau zum wiederholten Male verboten. Schon 2011 wurde Russland deswegen im Fall Alekseyev vs. Russland vom EGMR verurteilt. Mehrere LGBTI-Organisationen befinden sich derzeit im Register der sog. ausländischen Agenten des Justizministeriums. Der EGMR beurteilte das oben genannte Gesetz in einem Urteil vom 20. Juni 2017 als willkürlich und diskriminierend (ÖB Moskau 12.2017).
In der Bevölkerung nehmen starke Vorbehalte gegenüber Homosexualität zu, seitdem sie durch die orthodoxe Kirche und islamische Prediger, zunehmend auch durch staatliche Medien und durch in den sozialen Netzen aktive homophobe russische Bürger gefördert werden. Bei der Zahl von Gewaltverbrechen gegen Homosexuelle verzeichnet die Menschenrechtsorganisation SOVA für das Jahr 2016 einen Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Von einer hohen Dunkelziffer ist jedoch auszugehen (AA 21.5.2018).
Als besonders gravierend gilt die Lage sexueller Minderheiten im Nordkaukasus. Im April 2017 berichtete die Novaya Gazeta über die massive Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien, die von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde (ÖB Moskau 12.2017). Über 100 Männer, die man für schwul hielt, sollen in Tschetschenien verschleppt und in Geheimgefängnissen gefoltert und anderweitig misshandelt worden seien. Einige der Männer seien getötet worden. Überlebende berichteten, es habe sich um eine von den Behörden koordinierte Gewaltkampagne gehandelt. Augenzeugen sagten aus, einige der gefangen genommenen Männer seien getötet worden, andere habe man ihren Familien übergeben, damit diese sie gemäß lokalen "Traditionen" töteten, um die "Familienehre" zu wahren (AI 22.2.2018, vgl. AA 21.5.2018, HRW 18.1.2018). Nach Angaben der Autorin der Artikel [in der Novaya Gazeta] und der NGO "LGBT-Netzwerk" gab es Anfang 2017 zwei Verfolgungswellen gegenüber Homosexuellen. In mindestens sechs Fällen seien die Opfer ermordet worden. Andere konnten nach Freilassung aus Tschetschenien fliehen. Menschenrechtsorganisationen (z.B. das LGBT-Netzwerk, Amnesty International, Human Rights Watch), Regionalexperten und ausländische Beobachter sehen für diese Menschen auch in anderen Teilen Russlands akute Lebensgefahr durch Angehörige tschetschenischer Sicherheitsorgane oder durch ihre eigene Verwandtschaft ("Ehrenmorde"). Konkrete Vorfälle dieser Art sind bisher - vermutlich auch aufgrund des mit Homosexualität verbundenen schweren Tabus in der Region, sowie Furcht vor Repressionen nach Zeugenaussagen - allerdings nicht bekannt geworden (AA 21.5.2018). Aufgrund der internationalen Berichterstattung und Kritik wurde die Problematik rasch von politischer Seite aufgegriffen, wobei Präsident Putin gegenüber der Ombudsfrau für Menschenrechte, Tatjana Moskalkova, entsprechende Unterstützung zur Aufklärung der Vorwürfe zusicherte. Der Ombudsmann für Menschenrechte in Tschetschenien behauptete hingegen, bislang keine Beschwerden zur Lage von LGBTI-Personen erhalten zu haben (ÖB Moskau 12.2017). Im Sommer 2017 hatte das tschetschenische Oberhaupt Ramzan Kadyrow behauptet, dass es überhaupt keine Homosexuellen in Tschetschenien gäbe (ÖB Moskau 12.2017, vgl. HRW 18.1.2018), und andernfalls deren Deportation ins Ausland vorgeschlagen. Die Einleitung der Untersuchungen verliefen zunächst schleppend, zumal bislang nur wenige der Betroffenen aus Furcht vor Drangsalierungen Bereitschaft zeigten, sich den Behörden anzuvertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Staatspräsident Putin hat eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet, die bisher zu keinen Ergebnissen geführt hat (AA 21.5.2018).
Die russische NGO "LGBT-Netzwerk" eröffnete eine Hotline für Homosexuelle in unmittelbarer Gefahr und leistete Hilfe bei der Evakuierung von 79 Personen. Die meisten dieser Personen haben im Ausland Zuflucht gefunden. Angeblich hat die tschetschenische Polizei Angehörige von jenen, die geflohen sind, unter Druck gesetzt, die Aufenthaltsorte der Geflohenen preiszugeben und zwangen sie, Dokumente zu unterschreiben, die besagten, dass die geflohenen Männer während der "Säuberung" außerhalb von Tschetschenien gereist sind (HRW 18.1.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 27.8.2018
* HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 27.8.2018
* ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
Bewegungsfreiheit
In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].
Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).
Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).
Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
* AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
* ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf, Zugriff 30.8.2018
* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 22.8.2018