TE Vwgh Beschluss 2019/2/12 Ra 2019/22/0031

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Veröffentlicht am 12.02.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
NAG 2005 §11 Abs1 Z4;
NAG 2005 §24;
NAG 2005 §30 Abs1;
NAG 2005 §37 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des A U in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 27. September 2018, VGW- 151/013/2214/2018, betreffend ua. Wiederaufnahme von Verfahren nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, erhielt über seinen Antrag vom 9. Dezember 2011 auf Grund seiner am 18. November 2011 geschlossenen Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin V B mit Wirkung vom 21. Jänner 2014 einen bis 21. Jänner 2015 gültigen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Der Aufenthaltstitel wurde zunächst bis 22. Jänner 2016 und in der Folge bis 23. Jänner 2019 verlängert. Mit Beschluss vom 5. Juli 2016 wurde die Ehe des Revisionswerbers mit V B geschieden. Am 22. September 2016 stellte der Revisionswerber einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". Die belangte Behörde verständigte die Landespolizeidirektion (LPD) Wien gemäß § 37 Abs. 4 NAG vom Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe. Diese teilte nach einer Befragung des Revisionswerbers und der V B mit, dass sich dieser Verdacht bestätigt habe.

2 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (belangte Behörde) vom 8. Jänner 2018 wurden die drei dargestellten rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder aufgenommen. Der Erstantrag vom 9. Dezember 2011 wurde auf Grund des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 NAG abgewiesen. Die weiteren (Verlängerungsbzw. Zweckänderungs-)Anträge vom 19. Dezember 2014, 14. Dezember 2015 und 22. September 2016 wurden mangels Vorliegen eines gültigen Aufenthaltstitels gemäß § 24 NAG abgewiesen.

Unter Verweis auf den Altersunterschied zwischen den vormaligen, jeweils bereits zuvor verheiratet gewesenen Ehepartnern von 18 Jahren sowie insbesondere den Bericht der LPD Wien, dem zufolge bei der Befragung des Revisionswerbers und der V B der Eindruck entstanden sei, dass sich diese kaum kennen würden und sich nicht füreinander interessiert hätten, nahm die belangte Behörde an, dass die Ehe mit V B lediglich geschlossen worden sei, um sich im Aufenthaltstitelverfahren darauf berufen zu können. Ein gemeinsames Familienleben sei nie beabsichtigt gewesen und nie geführt worden. Indem der Revisionswerber bewusst unrichtige Angaben zu seiner vorgeblichen Ehe gemacht habe, habe er sich die Erteilung der Aufenthaltstitel erschlichen. Dies bedinge die Wiederaufnahme der Verfahren.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. September 2018 wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der der Revisionswerber, seine frühere Ehefrau V B und der mit den Erhebungen betraute Beamte der LPD Wien vernommen wurden, als unbegründet ab. Dem Revisionswerber wurde der Ersatz der Barauslagen für die beigezogene Dolmetscherin auferlegt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Das Verwaltungsgericht verwies auf ein im Jahr 2008 in Ungarn verhängtes Aufenthaltsverbot, auf Grund dessen der Revisionswerber zwischenzeitig seinen Namen habe ändern lassen, um weiterhin die - für die seit dem Jahr 2001 mehrere Monate pro Jahr erfolgte Arbeitsaufnahme in Österreich benötigten - Visa zu erhalten. Im Jahr 2011 habe er die damals in Privatkonkurs befindliche österreichische Staatsbürgerin V B geheiratet und sich bei dieser angemeldet. Eine eheliche Gemeinschaft habe allerdings nicht stattgefunden. Seinen Urlaub habe er - nie von V B begleitet - in Bosnien verbracht, wo seine erste Ehefrau mit den beiden gemeinsamen Söhnen lebte. Nach Erteilung des ersten Aufenthaltstitels habe er seinen älteren Sohn nach Wien geholt, der einen von ihm abgeleiteten Aufenthaltstitel erhalten habe.

Im Rahmen der Beweiswürdigung verwies das Verwaltungsgericht zunächst auf die aus Anlass des Erstantrags erstmals durchgeführten Ermittlungen wegen des Verdachts einer Aufenthaltsehe, denen zufolge in der (vorgeblich gemeinsamen) Wohnung nichts auf eine eheliche Gemeinschaft hingedeutet habe. Die Befragungen des Revisionswerbers und der V B (durch die LPD Wien im Jahr 2017 sowie im Zuge der mündlichen Verhandlung) hätten - so das Verwaltungsgericht - ein gegenseitiges Desinteresse (betreffend die Vergangenheit, Kinder und Verwandtschaft des bzw. der jeweils anderen) ergeben. Dafür, dass es dem Revisionswerber "um die unproblematische Arbeitsaufnahme in Österreich ging", spreche auch die zur Umgehung des (ungarischen) Aufenthaltsverbotes erfolgte vorübergehende Namensänderung und die diesbezüglich wahrheitswidrige Angabe bei der österreichischen Botschaft, wonach er früher nie einen anderen Namen geführt habe.

Dadurch, dass der Revisionswerber die Ehe mit V B zum überwiegenden oder ausschließlichen Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels geschlossen habe, habe er - so das Verwaltungsgericht abschließend - eine für ihn günstige Entscheidung erschlichen und die belangte Behörde sei zur Wiederaufnahme berechtigt gewesen. Auf Grund des als erwiesen angenommenen Sachverhaltes seien die Anträge in der Folge abzuweisen gewesen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 In seinem Zulässigkeitsvorbringen rügt der Revisionswerber zum einen ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung.

7 Nach seiner ständigen Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes unterliegt nur in beschränktem Maße, nämlich nur hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit, nicht aber hinsichtlich ihrer Richtigkeit, einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (siehe VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0211, Rn. 7, mwN).

8 Eine derartige Unvertretbarkeit vermag der Revisionswerber mit seinem Vorbringen nicht aufzuzeigen. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht aus den Vernehmungen des Revisionswerbers und der V B ein Desinteresse am jeweils anderen Ehepartner ableitete und dies - unter Berücksichtigung des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks und neben anderen Anhaltspunkten - für seine Beweiswürdigung heranzog. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers kann dem Verwaltungsgericht auch nicht entgegengetreten werden, wenn es ein vor der Eheschließung erfolgtes - vom Revisionswerber nicht bestrittenes - aufenthaltsrechtliches Fehlverhalten zumindest ergänzend berücksichtigte (vgl. zur Bedeutung der Verschweigung eines früheren Namens auch VwGH 18.10.2012, 2011/22/0261). Soweit der Revisionswerber eine fehlende Auseinandersetzung mit den das Eingehen einer Aufenthaltsehe bestreitenden Aussagen des Revisionswerbers und der V B in der mündlichen Verhandlung moniert, ist dem entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht die Aussagen insoweit als nicht glaubwürdig erachtet hat und dass eine solche einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0160, Rn. 10). Dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre, führt für sich genommen noch nicht zur Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung (vgl. erneut VwGH Ra 2018/22/0211, Rn. 8, mwN).

9 Zum anderen führt die Revision ins Treffen, bereits bei der Prüfung des Erstantrags des Revisionswerbers habe der Verdacht auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestanden. Trotz dieses Verdachts sei der Aufenthaltstitel erteilt worden. Bei den (2015 und 2016 erfolgten) Verlängerungen habe die belangte Behörde keine weiteren Ermittlungen durchgeführt und damit ihre Ermittlungspflichten verletzt. Dieser Mangel schließe es aus, objektiv unrichtige Parteiangaben als ein "Erschleichen" zu werten. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme habe nicht den Zweck, jegliche Fehler der Behörde - etwa im Zuge der Sachverhaltsermittlung - nachträglich zu korrigieren.

10 Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wieder aufzunehmen, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Unter diesen Voraussetzungen kann gemäß § 69 Abs. 3 AVG die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Erschleichen" eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/22/0174, Rn. 7, mwN). Vorliegend hat sich der Revisionswerber in den (zunächst bewilligten und in der Folge wieder aufgenommenen) Aufenthaltstitelverfahren auf seine Ehe mit V B berufen. Damit lagen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG grundsätzlich vor.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert ein "Erschleichen" zudem, dass die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen ist und ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere Ermittlungen durchzuführen (siehe VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0076, Rn. 11, mwN). Mit dem bloßen Hinweis, bereits im Verfahren über den Erstantrag hätten Verdachtsmomente betreffend eine Aufenthaltsehe bestanden, sowie mit der Rüge, die belangte Behörde habe in den Verfahren über die Verlängerungsanträge keine weiteren Ermittlungen durchgeführt, zeigt die Revision allerdings nicht auf, inwiefern diesen Verfahren betreffend die ursprüngliche Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel ein - ein "Erschleichen" ausschließender - relevanter Verfahrensmangel anhafte (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2018/22/0032, Rn. 10; 23.11.2017, Ra 2017/22/0185, Rn. 10).

13 Soweit in der Revision an einer Stelle darauf verwiesen wird, die LPD Wien habe (anlässlich der im Verfahren über den Erstantrag des Revisionswerbers durchgeführten Ermittlungen) keine "Scheinehe" feststellen können, ist darauf hinzuweisen, dass die vorläufige Ergebnislosigkeit von Erhebungen betreffend den Nachweis einer Aufenthaltsehe aus Anlass einer Verständigung nach § 37 Abs. 4 NAG dem nicht entgegensteht, den Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe (etwa) im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens erneut aufzugreifen (vgl. VwGH 20.8.2013, 2013/22/0157). Der Umstand, dass dem Revisionswerber trotz einer Befassung der LPD Wien aus Anlass des Verfahrens über seinen Erstantrag der beantragte Aufenthaltstitel erteilt worden ist, steht einer neuerlichen Überprüfung (und gegebenenfalls Wiederaufnahme der bereits abgeschlossenen Verfahren) bei Vorliegen weiterer Anhaltspunkte (wie etwa einer zwischenzeitig erfolgten Scheidung) für sich genommen nicht entgegen. Dem Revisionsvorbringen, auch nach der Scheidung des Revisionswerbers von V B am 5. Juli 2016 seien Verlängerungsanträge des Revisionswerbers eingebracht und positiv erledigt worden, ist entgegenzuhalten, dass der nach der Scheidung eingebrachte Antrag des Revisionswerbers (der Zweckänderungsantrag vom 22. September 2016) erst mit dem hier zugrunde liegenden Bescheid vom 8. Jänner 2018 - und dies abweisend - erledigt worden ist.

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

15 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 12. Februar 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220031.L00

Im RIS seit

07.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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