TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/10 W173 2174464-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2018
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Entscheidungsdatum

10.09.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W173 2174464-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Vorsitzende und die Richterin Mag. Angela Schidlof sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Lange Gasse 53, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 4.9.2017, betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A)

Der angefochtene Bescheid vom 4.9.2017 wird aufgehoben.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des festgestellten Grades der Behinderung in der Höhe von sechzig (60) von Hundert (vH) vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Auf Grund des Antrags von Frau XXXX , geb. am XXXX (in der Folge BF) zur Ausstellung eines Behindertenpasses am 9.6.2016 wurde von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX eingeholt, der einen Gesamtgrad der Behinderung von 40% ermittelt. Dieser beruhte auf folgenden Leiden: 1. Insulinpflichtige Diabetes mellitus (Pos.Nr. 09.02.02. - GdB 40%), 2. Schilddrüsenunterfunktion im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoidits (Pos.Nr. 09.01.01. - GdB 20%), 3. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Pos.Nr. 02.01.01. - GdB 20%), 4.

Abnützungserscheinungen an beiden Hüft- und Kniegelenken (Pos.Nr. 02.02.01. - GdB 10%), 5. Vitiligobefall beider Beine, Psoriasisbefall (Pos.Nr. 01.01.01. - GdB 10%), 6. Zustand nach Magenverkleinerungsoperation und willkürliche Gewichtsreduktion (Pos.Nr. gz 07.04.02. - GdB 10%) und 7. knöchern geheilter Oberarmbruch links mit endlagige Funktionsstörung des linken Schultergelenkes (Pos.Nr. 02.06.01. - GdB 10%). Das führende Leiden wurde durch die übrigen Leiden mangels maßgeblichen Zusammenwirkens nicht erhöht. Mit Bescheid vom 26.9.2016 wurde der Antrag der BF vom 9.6.2016 abgewiesen.

2. Am 1.6.2017 beantragte die BF neuerlich die Ausstellung eines Behindertenpasses i.V.m der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und legte dazu medizinische Befunde vor. Die belangte Behörde holte ein medizinisches Sachverständigengutachten ein. Im Gutachten vom 31.8.2017 führte Dr XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der BF auszugsweise Nachfolgendes aus:

"........................

Anamnese:

Es gibt ein SVG v. 21.07.2016 mit 40% (Diabetes Insulin incl PNP 40, Hashimoto 20,WS 20, Hüft- und Kniegelenke 10, Vitiligo, Psoriasis 10,Z.n.Magenverkleinerungs OP 10, Z.n. Oberarmbruch li 10)

Derzeitige Beschwerden:

Es werden Sensibilitätsstörungen an beiden UE und an beiden Händen angegeben sowie feinmotorische Störungen der Finger bds. Das Einfädeln von Zwirn zB fällt mir schwer. Der BZ ist neu eingestellt worden, mit der derzeitigen Einstellung geht es eigentlich recht gut.

Mein Hauptproblem ist die Polyneuropathie. Ich habe Schwierigkeiten beim Überwinden höherer Stufen und ich fühle mich dabei unsicher. Vormittags ist es besser, nachmittags wird es dann schlechter. Das ist auch der Grund warum ich die Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel beantragt habe. Niedrige Stufen kann ich überwinden, höhere Stufen machen mir aber große Schwierigkeiten.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Pregabalin, TASS Thyrex, Atorvastatin, Neurobion f.,Insulin-Lantus, Novorapid wenn BZ über 240,Trulicity, Metformin und Jardiance

Sozialanamnese: Pensionistin, verwitwet, 2 erw. Kinder, wohnt in einem Einfamilienhaus.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

2016-11, Befundbericht, Neuro., XXXX : hochgradige progrediente sensomotorische Polyneuropathie.

2017-05, Ärztliche Stellungnahme, AKH Wien STW Ambulanz: Durch eine komplexe Therapie mit Insulin-Lantus, Novorapid über 240 BZ Trulicity, Metformin und Jardiance ist es mit einem zusätzlich empfohlenen Korrekturschema mit NovoRapid gelungen, die Stoffwechseleinstellung zu verbessern und somit den HbA1c Wert deutlich zu senken. Aufgrund der Polyneuropathie ist die Patientin jedoch in ihrer Mobilität deutlich eingeschränkt

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: adipös,

Größe: 170,00 cm, Gewicht: 97,00 kg Blutdruck: 140/80

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput/Collum: unauffällig, keine Lippenzyanose, keine

Halsvenenstauung, Sensorium: Umgangssprache wird anstandslos verstanden

Haut und Schleimhäute: Vitiligo an beiden Handrücken, am Abdomen und an beiden

Oberschenkeln, Psoriasis re Gehörgang, beide Ellenbögen und auch leicht an beiden Fußrücken. Lymphkoten nicht tastbar

Hals: frei beweglich

Schilddrüse nicht vergrößert, keine Gefäßgeräusche, Venen nicht gestaut

Thorax: symmetrisch, mäßig elastisch,

Lunge: sonorer Klopfschall, VA, keine Dyspnoe beim Gang im Zimmer

Herz: reine Herzgeräusche

Abdomen: unauffällig, über Thoraxniveau, einige kleine Narben nach endosk. Magen OP, rektal nicht untersucht

Wirbelsäule:

Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Kein wesentlicher Hartspann

HWS: altersentsprechende Beweglichkeit, Drehung und Seitneigung bds frei. KJA: 1 cm

BWS: altersentsprechende Beweglichkeit

LWS: altersentsprechende Beweglichkeit FBA: 20 cm

Neurologisch: Es werden Sensibilitätsstörungen an beiden UE und an beiden Händen angegeben sowie feinmotorische Störungen der Finger bds.

Obere Extremitäten:

Schultergelenk rechts Seitliches Anheben: 140°, Anheben nach vorne:

160° Schultergelenk links Seitliches Anheben: 120°, Anheben nach vorne: 140°

Nackengriff: bds möglich, Schürzengriff: bds möglich, re minimal erschwert

Hand- und Fingergelenke: keine signifikanten Funktionseinschränkungen

Der Pinzettengriff ist beidseits mit allen Fingern möglich.

Der Faustschluss ist beidseits mit allen Fingern möglich.

Grobe Kraft bds nicht vermindert.

Untere Extremitäten:

Hüftgelenk rechts: Beugung: 110°, Rotation: 40-0-40°

Hüftgelenk links: Beugung: 110°, Rotation: 40-0-40°

Kniegelenk rechts: 0-0-140°

Kniegelenk links: 0-0-140°

Sprunggelenke: beidseits annähernd normale Beweglichkeit, Fußheben und -senken bds durchführbar.

Zehenstand beidseitig möglich, und Fersenstand beidseitig etwas erschwert, Einbeinstand bds möglich, beide Beine können im Stehen bis ca 30 cm angehoben werden,

Fußpulse bds palpabel, Keine Ödeme, keine postthrombotischen Veränderungen.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Etwas verlangsamt und unsicher wirkend, kommt in normalen Straßenschuhen, mit 1 Gehstock. Freies Gehen im Untersuchungsraum auch ohne Gehhilfen möglich.

Status Psychicus:

Zeitlich, örtlich und zur Person orientiert. Wirkt in der Kommunikation unauffällig, freundlich, die Stimmungslage ist ausgeglichen. Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB%

1

Insulinpflichtiger Diabetes Oberer Rahmensatz, da bereits Sekundärschaden (Polyneuropathie, mit sensorisch-sensibler Symptomatik, jedoch ohne maßgebliche motorische Ausfälle).

09.02.02

40

2

Schilddrüsenfunktion im Rahmen einer Hashimotothyreoiditis Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Einstellungsprobleme bei derzeit hyperthyreoter Stoffwechsellage.

09.01.01.

20

3

Abnützungen der Wirbelsäule Heranziehung dieser Position mit dem oberen Rahmensatz, da mäßige radiologische Veränderungen jedoch nur geringfügige Funktionseinschränkungen und ohne radikuläre Symptomatik.

02.01.01.

20

4

Abnutzungserscheinungen an beiden Hüft- und Kniegelenken Unterer Rahmensatz, da zwar Krepitieren beidseits, jedoch keine Funktionseinschränkung nachweisbar.

02.02.01.

10

5

Vitiligo, Psoriasisbefall Wahl dieser Position, da kein ständiges Therapieerfordernis besteht.

01.01.01.

10

6

Zustand nach Magenverkleinerungsoperation und willkürliche Gewichtsreduktion gZ Position Unterer Rahmensatz, da gutes postoperatives Ergebnis

07.04.02.

10

7

Zustand nach geheiltem Oberarmbruch links mit endlagiger Funktionsstörung des linken Schultergelenkes

02.06.01

10

Gesamtgrad der Behinderung

40 v.H.

 

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden Position 1 wird von den anderen Leiden nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken vorliegt.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: xxx

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Keine funktionelle Veränderung objektivierbar.

.........................

X Dauerzustand

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine. Das Leiden: Polyneuropathie, mit sensorisch-sensibler Symptomatik, jedoch ohne maßgebliche motorische Ausfälle, verursacht eine leicht- bis mäßiggradige Einschränkung der Mobilität, welche jedoch nicht derartig ausgeprägt ist um das Erreichen, das Be- und Entsteigen sowie die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich zu erschweren. Insgesamt ist daher aus allgemeinmedizinischer Sicht die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als zumutbar zu beurteilen.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein

.............................."

3. Mit Bescheid vom 4.9.2017 wurde der Antrag der BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses auf Grund des ermittelten Gesamtgrades der Behinderung abgewiesen. Nach Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen stützte sich die belangte Behörde in der Begründung auf das eingeholte ärztliche Gutachten, das einen Bestandteil der Bescheidbegründung bilde. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behinderten-passes würden nicht vorliegen, da ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 % festgestellt worden sei.

4. Mit 13.10.2017 datiertem Schreiben erhob die BF Beschwerde gegen den Bescheid vom 4.9.2017. Unter Bezugnahme auf ihre Diabeteserkrankung brachte die BF vor, dass bei der Einstufung nicht berücksichtigt worden sei, dass sie bis zu 4 Insulingaben täglich benötige sowie hohe Blutzuckeramplituden habe. Wegen der ungünstigen Wechselwirkung mit der Polyneuropathieerkrankung wäre dieses Leiden mit 50% einzustufen gewesen. Zudem leide sie unter Depression. Deswegen sei sie seit mehr als 10 Jahren mit Unterbrechungen in Behandlung. Verwiesen werde auf den psychiatrischen Befund von Dr. XXXX vom 6.10.2017. Unzutreffend sei auch, dass sie im Untersuchungsraum ohne Gehhilfe gegangen sei. Freies Gehen sei nämlich überhaupt nicht geprüft worden. Sie könne auch nicht im Stehen ihre Beine bis 30cm anheben, zumal eine hochgradige progrediente sensomotorische Polyneuropathie vorliege, die ihre Mobilität erheblich beeinträchtige. Sie leide unter schweren neuropathischen Defiziten. Es sei ihr nicht möglich, kürzere Distanzen (300m) zu bewältigen oder Treppen zu überwinden. Zudem bestehe hochgradige Sturzgefahr. Eine NLG-Messung belege eine ausgeprägte, gemischte axonal, demyelinisierende, sensomotorische Polyneuropathie. Zwischen dem neurologischen Leiden, dem psychiatrischen Leiden und dem orthopädischen Leiden bestehe eine ungünstige Wechselwirkung, die eine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung um 2 Stufen rechtfertige. Beantragt wurden die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einholung von Sachverständigengutachten aus den Bereichen der Neurologie/Psychiatrie, internen Medizin und Orthopädie. Angeschlossen waren medizinische Befunde.

5. Am 24.10.2017 legte die belangte Behörde den Beschwerdeakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

6. Auf Grund des Vorbringens der BF wurden vom Bundesverwaltungsgericht ergänzende medizinische Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie sowie zusammenfassend aus dem Bereich der Allgemeinmedizin eingeholt. Dr. XXXX FA für Neurologie und Psychiatrie, führte nach einer persönlichen Untersuchung des BF auszugsweise Nachfolgendes im Gutachten vom 24.4.2018 aus:

"......................

Anamnese: Keine Begleitung. Es besteht seit einigen Jahren eine zunehmende vermutlich diabetische Polyneuropathie (DD CDIP) mit Gangstörung.

Nervenärztliche Betreuung: keine

Subjektive derzeitige Beschwerden: Es werden Feinmotorikstörungen in den OE angegeben und eine Gangstörung bis sensomotorischen Defiziten in den UE angegeben.

Sozialanamnese: Lebt alleine, pensioniert, kein Pflegegeld

Medikamente (neurologisch/psychiatrisch): Pregabalin 150mg, Dominal forte, Halcion

Neurostatus: Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen, bis auf Feinmotorikstörung bds.

Die Muskelreflexe sind seitengleich nicht auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen distal betonte Paresen

Fersen-/Zehenspitzen-/Einbeinstand bds nicht möglich

Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich nicht auslösbar.

Die Koordination ist mäßig ataktisch gestört, die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ.

Stell- und Haltereflexe deutlich reduziert. Die Sensibilität wird in den OE und UE distal betont (handschuhförmig bzw. strumpfförmig) als vermindert angegeben. Das Gangbild ist mit Rollator bereitbasig unsicher, freies Gehen fast nicht möglich, geht mit Rollator.

Psychiatrischer Status: örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert, keine Antriebsstörung, Auffassung regelrecht, keine kognitiven Defizite, Affekt ausgeglichen, Stimmungslage dysthym, Ein- und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.

1. Diagnsoe:

Polyneuropathie 04.06.02 50%

Unterer Rahmensatz, da fortgeschrittene Symptomatik, Fortbewegung mit Hilfsmittel ist möglich.

Stellungnahme

Abl. 35-36: Neueinschätzung der diabetischen Polyneuropathie

Abl. 11-12: Neueinschätzung der diabetischen Polyneuropathie

Abl. 26-31: Neueinschätzung der sensomotorischen Ausfälle

Änderung zum VGA (Abl 13-16) mit Neueinschätzung der Polyneuropathie.

Dauerzustand.

..............................."

Im zusammenfassenden Sachverständigengutachten führte Dr. XXXX ,

Arzt für Allgemeinmedizin, nach einer persönlichen Untersuchung der

BF im Gutachten vom 29.6.2018 auszugsweise Nachfolgendes aus:

"...............................

Aktuell vorliegend ist ein nervenärztliches Sachverständigengutachten von Herrn Dr. XXXX vom 24. April 2018. Eingeschätzt wird eine Polyneuropathie mit einem Behinderungsgrad von 50 %.

Sozialanamnese: Verwitwet, 2 Kinder, der Sohn wartet im Wartezimmer. Die BF lebt alleine.

Vorerkrankungen:

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Polyneuropathie, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der Hüft- und Kniegelenke, Schilddrüsenunterfunktion, Vitiligo, Psoriasis, Zustand nach Magenverkleinerungsoperation vor 2,5 a, Zustand nach Oberarmbruch links - anamnestisch vor etwa 3 Jahren.

Subjektive Beschwerdesymptomatik:

Sie könne nicht Stiegensteigen, da ihr die Kraft fehle. Stiegensteigen könne sie nur, wenn sie sich festhalte bzw. mit Hilfe. Fallweise bestehe eine Übelkeit, ein Gehen weiter Strecken sei nicht möglich, sie sei am Tag müde. Sie habe Schmerzen von Seiten der Polyneuropathie. Die Beschwerden bestehen laut eigenen Aussagen entweder von Seiten der Wirbelsäule oder aufgrund der Zuckerkrankheit. Fallweise seien die Beschwerden morgens besser, sobald sie müde werde, seien die Beschwerden wieder schlechter. Auch bestehen Kribbelparästhesien an beiden unteren Extremitäten, besonders Unterschenkel und Vorfüssen. Eine Zuckerkrankheit sei ein Zufallsbefund gewesen. Kontrollen werden im AKH durchgeführt. Der letzte HbA1c sei 8 % gewesen. Der Langzeit-Zuckerwert sei bei Diagnosestellung 16 % gewesen. Seit 5 Jahren laufe eine Insulintherapie. Nach langem Stehen werde sie teilweise schwindlig und sie könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht fahren. Anamnestisch Zustand nach Blinddarmentfernung als Kind, Zustand nach Meniskusoperation rechts vor etwa 3 Jahren, Zustand nach Magenverkleinerungsoperation vor 2,5 Jahren mit einer Gewichtsabnahme von ca. 30 kg. Die Schilddrüse sei gut eingestellt. Sie esse gerne und mach wenig Bewegung. Sie habe einen neuen Rollator. Einen Rollator verwende sie seit 3 Jahren.

Medikamentöse Therapie:

Pregabalin, Thrombo Ass, Thyrex, Atorvastatin, Neurobion, Insulin Lantus 26 Einheiten morgens, Novorapid wenn Blutzuscker über 250mg/dl: 6-4-bei Bedarf weitere Gaben. Glucophage. Dominal forte bei Bedarf, Praxiten bei Bedarf, Halcion bei Bedarf, Voltarn bei Bedarf, Sirdalud bei Bedarf.

Befunde: ......................

Status Präsens: Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: gut,

Körpergröße: 170cm, Körpergewicht: 100kg, Caput: ua. keine

Lippenzyanose, keine Halsvenenstauung, Cor: reine Herztöne,

rhythmische Herzaktion, Blutdruck: 140/70

Pulmo..............

Beurteilung und Stellungnahme aus allgemeinärztlicher Sicht mit

Zusammenfassung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens:

Beantwortung der gestellten Fragen:

2.

2.1. Neueinschätzung und -begründung:

1. Polyneuropathie 04.06.02. 50%

Unterer Rahmensatz, da fortgeschrittene Symptomatik, Fortbewegung mit Hilfsmittel ist möglich.

2. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus 09.02.02. 40%

Oberer Rahmensatz, da Behandlung mittels höherdosierter Insulingabe und oraler Therapie bei dokumentierten Sekundärschäden, jedoch aktuell Fehlen einer instabilen Stoffwechsellage, Fehlen von Hypoglykämie bei Vorliegen eines guten Allgemeinzustandes und sehr gutem Ernährungszustandes.

3. Abnützungen der Wirbelsäule 02.01.01. 20%

Heranziehen dieser Position mit dem oberen Rahmensatz, da geringbis mäßiggradige funktionelle Einschränkungen objektivierbar.

4. Abnützungserscheinungen an beiden Hüft- und Knie- 02.02..01. 20%

Gelenken

Oberer Rahmensatz, da geringgradige funktionelle Einschränkungen in den Hüftgelenken bei insgesamt frei beweglichen Kniegelenken.

5. Innenohrläsion beidseits 12.02.01. 20%

Wahl dieser Position, da rechts gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit bei geringgradiger Schwerhörigkeit links. Tabelle Kolonne 2, Zeile 3

6. Schilddrüsenunterfunktion im Rahmen einer Hashimoto- 09.01.01. 10%

Thyreoiditis

Unterer Rahmensatz, da medikamentös kompensierbar bei Fehlen von Komplikationen.

7. Vitiligo, Psoriasisbefall 01.01.01. 10%

Wahl dieser Position, da kein ständiges Therapieerfordernis besteht.

8. Zustand nach Magenverkleinerungsoperation und g.Z.07.04.02. 10%

willkürlicher Gewichtsreduktion

Unterer Rahmensatz, da gutes postoperatives Ergebnis.

9. Zustand nach geheiltem Oberarmbruch links 02.06.01. 10%

Wahl dieser Position, da geringgradige Funktionsstörung des linken Schultergelenks über der Horizontalebene.

Gesamtgrad der Behinderung: 60%

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung.

Leiden 2 stellt ein maßgebliches zusätzliches Leiden dar, welches mit dem führenden Leiden 1 wechselseitig negativ zusammenwirkt und erhöht um eine Stufe. Die übrigen Leiden wirken mit dem führenden Leiden 1 nicht auf maßgebliche Weise funktionell negaitv zusammen und erhöhen nicht weiter.

Stellungnahme zu Veränderungen zum Vorgutachten vom einer 31.August 2017:

Neuaufnahme von Leiden Nummer 1 (Polyneuropathie), dieses führende Leiden.

Keine Änderung hinsichtlich der Einschätzung bezüglich der Zuckerkrankheit (Leiden 2). Anhebung des Behinderungsgrades hinsichtlich Leiden Nummer 4 bei objektivierbaren geringgradigen funktionellen Einschränkungen der Hüftgelenke. Neuaufnahme von Leiden Nummer 5. Absenkung von Leiden Nummer 6, da aktuell ohne Hinweis auf Komplikationen.

2.2. Eine ärztliche Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.

2.3. Der Gesamt-GdB ist ab Antragstellung (1.Juni 2017) anzunehmen.

........................................."

7. Die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten von Dr. XXXX und Dr. XXXX wurden dem Parteiengehör unter Einräumung einer zweiwöchigen Stellungnahmefrist unterzogen. Die BF brachte keine Einwendungen gegen die eingeholten Gutachten vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Auf Grund des Antrages der BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses am 9.6.2016 wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, in dem ein Gesamtgrad der Behinderung von 40% ermittelt wurde. Dieser beruhe auf folgenden Leiden: 1. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Pos.Nr. 09.02.02. - GdB 40%), 2. Schilddrüsenunterfunktion (Pos.Nr. 09.01.01. GdB 20%),

3. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Pos.Nr. 02.01.01. -GdB 20%), 4. Abnützungserscheinungen an beiden Hüft- und Kniegelenken (Pos.Nr. 02.02.01. - GdB 10%), 5. Vitiligobefall beider Beine, Psoriasisbefall (Pos.Nr. 01.01.01. - GdB 10%), 6. Zustand nach Magenverkleinerungsoperation und willkürliche Gewichtsreduktion (Pos.Nr. gz 07.04.02. - GdB 10%) und 7. knöchern geheilter Oberarmbruch links mit endlagige Funktionsstörung des linken Schultergelenkes (Pos.Nr. 02.06.01. - GdB 10%). Das führende Leiden wurde durch die übrigen Leiden mangels maßgeblichem ungünstigem Zusammenwirkens nicht erhöht. Mit Bescheid vom 26.9.2016 wurde der Antrag der BF vom 9.6.2016 abgewiesen.

1.2. Am 1.6.2017 beantragte die BF neuerlich die Ausstellung eines Behindertenpasses. Es erfolgte eine persönliche Untersuchung der BF durch den medizinischen Sachverständige, Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin. Es wurden im Gutachten vom 31.8.2017 folgende Leiden der BF berücksichtigt: 1. Insulinpflichtiger Diabetes (Pos.Nr. 09.02.02. - GdB 40%), 2. Schilddrüsenunterfunktion im Rahmen einer Hashimotothyreoiditis (Pos.Nr. 09.01.01. GdB 20%), 3. Abnützungen der Wirbelsäule (Pos.Nr. 02.01.01. -GdB 20%), 4. Abnützungserscheinungen an beiden Hüft- und Kniegelenken (Pos.Nr. 02.02.01. - GdB 10%), 5. Vitiligo, Psoriasisbefall (Pos.Nr. 01.01.01. - GdB 10%), 6. Zustand nach Magenverkleinerungsoperation und willkürliche Gewichtsreduktion (Pos.Nr. gz 07.04.02. - GdB 10%) und 7. Zustand nach geheiltem Oberarmbruch links mit endlagige Funktionsstörung des linken Schultergelenkes (Pos.Nr. 02.06.01. - GdB 10%). Der Gesamtgrad der Behinderung der BF betrug 40v.H. Das führende Leiden wurde durch die übrigen Leiden wegen fehlendem maßgeblichen ungünstigen Zusammenwirkens nicht erhöht. Basierend auf diesem medizinischen Sachverständigengutachten wurde mit Bescheid vom 4.9.2017 der Antrag der BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen. Dagegen erhob die BF Beschwerde.

1.3. Auf Grund des Vorbringens der BF wurden vom Bundesverwaltungsgericht ergänzende medizinische Sachverständigengutachten eingeholt. Der nervenfachärztliche Sachverständige Dr. XXXX stufte im Gutachten vom 24.4.2018 die Polyneuropathieerkrankung der BF unter die Pos.Nr. 04.06.02. mit einem Grad der Behinderung von 50% ein. Im zusammenfassenden Gutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 29.6.2018 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 60% ermittelt. Dieser beruhte auf folgenden Leiden: 1. Polyneuropathie (Pos.Nr. 04.06.02.

- GdB 50%, 2.Insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Pos.Nr. 09.02.02. - GdB 40%), 3.Abnützungen der Wirbelsäule (Pos.Nr. 02.01.01. - GdB 20%), 4.Abnützungserscheinungen an beiden Hüft- und Kniegelenke (Pos.Nr. 02.02.01. - GdB 20%), 5.Innenohrläsion beidseits (Pos.Nr. 12.02.01. -GdB 20%), 6.Schilddrüsenunterfunktion im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoiditis (Pos.Nr. 09.01.01. - GdB 10%), 7.Vitiligo, Psoriasisbefall (Pos.Nr. 01.01.01. - GdB 10%), 8.Zustand nach Magenverkleinerungsoperation und willkürlicher Gewichtsredukiton (Pos.Nr. g.Z.07.04.02. - GdB 10%), 9.Zustand nach geheiltem Oberarmbruch links (Pos.Nr. 02.06.01. - GdB 10%). Da Leiden 2 ein maßgebliches zusätzliches Leiden darstellte und mit dem führenden Leiden wechselseitig negativ zusammenwirkte, wurde das führende Leiden um eine Stufe erhöht. Die übrigen Leiden wirkten nicht maßgeblich funktionelle mit dem führenden Leiden negativ zusammen und erhöhten daher nicht. Es bestand ein Dauerzustand.

1.4. Der Grad der Behinderung beträgt bei der BF 60%. Die BF erfüllt daher die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses.

2. Beweiswürdigung

Es wird auf die oben auszugsweise wiedergegebenen, vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten vom 24.4.2018 (Dr. XXXX ) und vom 29.6.2018 (Dr. XXXX ) verwiesen. In den genannten Gutachten wird auf die Art der Leiden der BF und deren Ausmaß ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die Gutachter setzten sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden der BF auseinander. Dr. XXXX kam zusammenfassend auf Grund der Gesundheitsbeeinträchtigung der BF nachvollziehbar zu einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H.

Die getroffenen Einschätzungen der vom Bundesverwaltungsgericht beigezogenen Gutachter Dr. XXXX und zusammenfassend Dr. XXXX entsprachen den festgestellten Funktionseinschränkungen der BF. Die Parteien haben gegen diese schlüssigen Sachverständigengutachten, die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholt und dem Parteiengehör unterzogen wurden, auch keinen aussagekräftigen medizinischen Befund oder ein medizinisches Gutachten mehr vorgelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. In der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation liegen die Voraussetzungen für eine meritorische Entscheidung vor (Vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005).

3.1.Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr. 283/1990, idgF (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG). Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Die beigezogenen medizinischen Sachverständigen haben die Einschätzung des Grades der Behinderung auf Basis der Einschätzungsverordnung, BGBl II Nr. 261/2010, vorgenommen. Dieser Maßstab ist für die Einschätzung des Grades der Behinderung heranzuziehen und in den gesetzlichen Bestimmungen (§ 41 Abs. 1BBG) verankert.

Die BF ist den schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen Dr. XXXX und Dr. XXXX nicht mit neuen aussagekräftigen Befunden oder einem Sachverständigengutachten im Rahmen des ihr durch das Bundesverwaltungsgericht eingeräumten Parteiengehörs auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten (vgl VwGH 27.5.2014, Ro 2014/11/0033; 17.8.2016, Ra 2016/11/0095 u. 0096).

Die eingeholten Sachverständigengutachten, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht stützt, stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung bzw. Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Die Sachverständigengutachten wurden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen der BF ein Ausmaß von 60% erreichen und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen (vgl VwGH 27.5.2014, Ro 2014/11/0041; 21.9.2010, 2007/11/0228), war spruchgemäß zu entscheiden.

3.2.Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

Im gegenständlichen Fall ist für die Entscheidung maßgebend, ob die dauernden Gesundheitsschädigungen der BF ein Ausmaß erreichen, welches für die Ausstellung eines Behindertenpasses erforderlich ist. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie bereits oben ausgeführt wurde, wurden diese als nachvollziehbar und schlüssig erachtet. Der Sachverhalt ist darüber hinaus geklärt und daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

3.3.Zu Spruchpunkt B (Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W173.2174464.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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