TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/5 W172 2177367-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2018
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Entscheidungsdatum

05.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W172 2177367-1/21E

Schriftliche Ausfertigung des am 05.10.2018

mündlich verkündeten Beschlusses und Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin MORITZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Steinergasse 3/12, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2017, Zl. 1064259503-150391096, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.07. und 05.10.2018

A)

-

beschlossen:

I. Das Verfahren über die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG i.d.g.F. eingestellt.

-

zu Recht erkannt:

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.10.2019 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: "BF") stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 18.04.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 i.d.g.F. (im Folgenden auch: "AsylG 2005").

Am 18.04.2015 erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers durch die LPD Kärnten.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 20.07.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: "BFA") niederschriftlich einvernommen.

3. Mit oben im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 24.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und es wurde gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (im Folgenden auch: "BFA-VG") eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden auch: "FPG") erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen alle Spruchpunkte dieses Bescheides wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde mit oben im Spruch genannten Schriftsatz vom 08.11.2017 erhoben.

5.1. Am 02.07. und 05.10.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer als Partei teilnahm. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung.

In diese Verhandlung wurden Unterlagen und darauf aufbauende aktuelle Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan (s. weiter unten Pkt. II.1.2.) eingeführt.

Ferner wurde die vom Beschwerdeführer beantragte Zeugin XXXX in der Verhandlung vom 02.07.2018 einvernommen.

In dieser Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer nach Rechtsberatung auch seiner Rechtsvertretung die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurückgezogen.

Am Schluss dieser Verhandlung wurde die gegenständliche Entscheidung mündlich verkündet.

5.2.1. In der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2018 wurden folgende - verfahrenswesentliche - Angaben getätigt (BF: Beschwerdeführer, D:

Dolmetscherin, RI: Richter, RV: Rechtsvertreter, SV:

Sachverständiger):

"Befragt vom RI über seinen Aufenthalt in Österreich gibt der BF an:

Ich bin seit drei Jahren und drei Monaten in Österreich. Weiters befragt gebe ich an, dass ich zunächst sechs Monate in einer Flüchtlingsunterkunft in XXXX in Niederösterreich gelebt habe, danach musste ich nach XXXX , Oberösterreich, umziehen, wo ich in eine Flüchtlingsunterkunft für minderjährige Asylwerber untergebracht war. Seitdem ich meine Ausbildung als Prozesstechniker bei der Firma XXXX begonnen habe, lebe ich in einer Flüchtlingsunterkunft der Volkshilfe seit 02.09.2017 in XXXX . Als ich nach XXXX umgezogen bin, habe ich zwei bis drei Wochen lang Deutschkurse besucht. Dann besuchte ich eine extra für Flüchtlingskinder eingerichtete Klasse im Rahmen einer Übergangsstufe in einer Schule, ein Schuljahr lang. Nachgefragt gebe ich an, dass diese Schule die HAK/HASCH XXXX war. Weiters befragt führe ich an, dass ich, nachdem ich in der Übergangsstufe sehr gute Noten erhielt, die erste Klasse der HASCH besuchen durfte. Im Oktober 2016 besuchte ich einen dreitägigen "Schnuppertag" bei der Firma XXXX . Im August 2017 erhielt ich dann ein Schreiben von XXXX , wonach ich die Ausbildung dort beginnen könne. Ab September 2017 besuchte ich dort zunächst eine zweieinhalb Monate lange Grundausbildung, danach wurde ich einer bestimmten Abteilung zugeteilt, wo ich eine Ausbildung für zehn Wochen machte. In dieser Zeit wurde ich dann in verschiedenen Abteilungen eingeschult. Die "richtige" Ausbildung begann dann mit dem Besuch der Berufsschule ab dem 19.04.2018. Nachgefragt gebe ich an, dass ich die HASCH nur ein Jahr bis zum Sommer 2017 besucht habe. Dann habe ich meinen Ausbildungsplatz bei der XXXX erhalten. Weiters befragt gebe ich an, dass ich an Deutschkursen als höchstes Niveau schließlich B1 absolviert habe. Meine Betreuer haben mich sehr motiviert, dass ich diese Deutschkurse neben dem Schulbesuch absolvieren sollte, da sie meinten, dass gute Deutschkenntnisse eine große Rolle für die Arbeit spielen würden. Befragt zu österreichischen Freunden gebe ich an, dass ich manche in XXXX in der Schule, manche in der Flüchtlingsunterkunft, wo die dort ehrenamtlich tätig waren, kennengelernt habe; auch im Fußballverein, wo ich spiele und auch manche in der Ausbildung in XXXX , die auch gute Menschen sind. Befragt nach Mitgliedschaften in Vereinen gebe ich an, dass ich beim "Roten Kreuz" und beim Fußballverein SK XXXX Mitglied bin. Weiters war ich zwei Jahre lang Mitglied einer Musikschule. Außerdem war ich während meines Schulbesuches in der HASCH auch Mitglied der "HAK-Band". Befragt nach gemeinnützigen Tätigkeiten führe ich an, dass ich im Sommer 2015 für die Gemeinde XXXX während meiner Schulferien, pro Monat maximal 22 Stunden; arbeiten durfte, d. h. ich war insgesamt die zwei Monate lange 44 Stunden für die Gemeinde XXXX tätig. Weiters habe ich während der sogenannten "Flüchtlingswelle" Flüchtlingen beim Essenverteilen geholfen, vor allem Flüchtlingen, die nicht in Österreich bleiben, sondern weiterreisen wollten. Auch war ich in den Sommerferien 2015 in einem Seniorenheim im Rahmen des "Roten Kreuzes" tätig. Ich suchte dieses einmal in der Woche am Wochenende auf, wo ich Senioren half und mit ihnen spazieren ging. Befragt, ob ich eine Partnerschaft mit einer in Österreich lebende Person hätte, verneine ich dies.

Der RI stellt fest, dass der BF teilweise auch in Deutsch antwortet bzw. manche Missverständnisse bei der Rückübersetzung mit Hinweisen in deutscher Sprache korrigiert bzw. in deutscher Sprache auch ergänzende Anmerkungen macht.

[...]

Befragt vom RI gibt die Zeugin an:

Ich habe den auf den auf meinen Führerschein angeführten Namen. Ich bin österreichische Staatsbürgerin und bin am XXXX in XXXX geboren. Ich lebe seit dem 7. Juli 2017 in Wien, nämlich in XXXX . Ich bin ledig und habe keine Kinder. Ich studiere an der Universität Wien "Vergleichende Literaturwissenschaften". Befragt, seit wann ich den BF kenne, gebe ich an, seit 2015, nachdem das UMF-Haus von der Caritas in XXXX eröffnet wurde. In XXXX bin ich aufgewachsen. "UMF" steht für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge. Ich bin dorthin gegangen und habe den Jungen dort bei Hausaufgaben geholfen. Zunächst bis Sommer 2016, dann hielt ich mich ein halbes Jahr in Paris auf, und dann von Februar bis Juni 2017. Danach bin ich nach Wien gezogen. Als ich mit meinen Besuchen in das UMF-Haus begann, war ich damals in der siebten Klasse im Gymnasium in XXXX . Ich besuchte einmal wöchentlich das Heim während der Schulzeit. Während der Schulferien waren die Besuche etwas unregelmäßiger. Später besuche ich sogar zweimal wöchentlich das Heim, wo ich nur noch bestimmte Junge Deutsch unterrichtete, darunter war auch der BF. Auf die Frage, wie ich den BF erlebt habe, gebe ich an, dass es am Anfang für mich schwierig war, da ich ca. zwölf Jungen um mich gehabt habe, die erst ein halbes Jahr in Österreich waren und kaum Deutsch konnten. Ich erzählte ihnen von meiner Schule und über Philosophie. Der BF war daran sehr interessiert, er kannte einen iranischen Philosophen, über den wir uns unterhielten. Am Anfang war die Kommunikation sehr schwierig. Wir hatten kein Wörterbuch, nutzten nur "Google" zur Übersetzung. Wir verständigten uns mit Händen und Füßen, zum Teil dann auch in Englisch. Nach einem halben Jahr wurde die Verständigung aber schon leichter, es wurde nur noch bei bestimmten Verständigungsschwierigkeiten nachgefragt. Der BF wollte immer die besten Noten, über einen Dreier war er schon unglücklich, obwohl ich ihn sagte, dass dies bei seinen Deutschkenntnissen schon eine große Leistung wäre. Er war immer ehrgeizig und sehr freundlich. Wenn ich in das Heim kam und jemand sang, war das er. Er war immer fröhlich. Er half auch bei Sommerfesten des UMF-Hauses mit. Dabei kochte er für ca. 40 Personen. Beim Sommerfest im Jahr 2016 war ich nicht dabei, ich war aber beim Sommerfest im Jahr 2017 dabei, diese waren jeweils nach dem Ende des Ramadans. Im Rahmen dieses dreitägigen Sommerfestes, wurde auch das sogenannte "Zuckerfest" gefeiert, sie feierten dieses üblicher Weise am Ende des Ramadans stattfindenden Fest mit uns nach.

Auf Hinweis des SV möchte ich hinweisen, dass mir bekannt ist, dass der Begriff "Zuckerfest" tatsächlich kein afghanischer sei, sondern von Türken für das Ende des Ramadans verwendet wird. Allerdings wurde in der Einladung des UMF-Hauses der Begriff "Zuckerfest" angeführt (Anmerkung des SV: Der afghanische Begriff hierfür lautet "Aid-e Ramadan" am Ende des Fastens. Außerdem gibt es noch das Opferfest "Aid-e Qorban", das zwei Monate nach dem Ramadan stattfindet).

Befragt, wie ich ihn bei der Ausübung seiner Religion erlebte, gebe ich an, dass er den Ramadan feiert und diesen auch einhält, so auch im letzten Jahr. Er zeigte mir seinen Koran und wir unterhielten uns über Gemeinsamkeiten zwischen seiner und meiner Religion. Ich würde ihn nicht als strengen Moslem bezeichnen, auch er sieht sich nicht so. Im Umgang mit Frauen verhält er sich so, wie es auch meine österreichischen Freunde tun, der einzige Unterschied ist, ich spreche mit ihm nicht in oberösterreichischem Dialekt. Wir treffen uns gemeinsam mit meinen Freunden, dann sprechen wir Hochdeutsch, dass er uns auch versteht. Mein Freund, der Physik studiert, lernte mit ihm gemeinsam dieses Fach. Sie verstehen sich. Er war auch mit meinen Freunden bei einem Geigenkonzert dabei. Die Unterhalte ist manchmal schwierig, weil meine Freunde oft nicht wissen, worüber sie mit ihm sprechen sollten. Er ist aber immer sehr freundlich und interessiert, selbst gegenüber Personen, wo er merkt, dass Vorurteile vorhanden sind. Befragt, welchen iranischen Philosophen der BF meinte, gebe ich an, dass ich ihn nicht kenne. Ich habe nochmals darüber nachgedacht, ich habe auch damals meinen Philosophieprofessor nach diesen Philosophen gefragt, er antwortete mir, dass er ihn nicht kenne, da er sich nicht in östliche Philosophie so gut auskenne. Befragt, ob ich auch nach meinem Umzug nach Wien mit dem BF in Kontakt sei, gebe ich an, dass wir über "Whats App" und über "Snapchat" miteinander kommunizieren. So tauschen wir z. B. Fotos aus, während ich U-Bahn fahre. Unser Kontakt ist beinahe täglich. Ich habe ihn außerdem zuletzt letzte Weihnachten von XXXX abgeholt. Wir gingen spazieren. Wir gingen zum UMF-Haus, die eine Abschlussfeier hielten, weil sie im Jänner dann geschlossen hatten. Auch jetzt in Wien habe ich mich mit dem BF getroffen.

[...]

RI: Welchen iranischen Philosophen meinten Sie im Gespräch mit der Zeugin?

BF: Er heißt XXXX . Ich habe ihn in Zusammenhang mit einem mathematischen Beispiel erwähnt. Er sagte mir, dass durch eine Formel von ihm, man dieses Beispiel lösen konnte. Wir haben uns aber letztlich darüber nicht verständigen können.

SV: Der BF ist offensichtlich sehr gebildet. Er kennt sich sogar besser in Mathematik aus als der vorhin erwähnte Gymnasiallehrer. Dieser Mathematiker hatte auch eine andere Lösung für eine mathematische Formel. Mit vollem Namen heißt er Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi. Wie ihn der BF aussprach, ist die in Afghanistan und Iran übliche Namensgebung. Dieser Mathematiker ist einer im islamischen Raum bekannter Gelehrter, der im 8. Jahrhundert lebte.

SV: Woher stammen Ihre Eltern aus Afghanistan?

BF: Meine Eltern stammen aus der Provinz Day Kundi, XXXX .

SV: Wie alt waren Sie als Sie Afghanistan verlassen haben?

BF: Ich war zwei Monate alt.

SV: Waren Sie wieder in Afghanistan?

BF: Nein.

SV: Waren Sie wieder in Afghanistan?

BF: Nein.

SV: Warum sind Ihre Eltern in den Iran gegangen?

BF: Nach meiner Geburt ist mein Vater gestorben, nachgefragt, ob er verstorben ist oder ermordet wurde, gebe ich an, dass weiß ich nicht. Es gab damals Bürgerkrieg in Afghanistan, es hat viele politische Gruppierungen gegeben. Meine Mutter hat sich mit der Familie ihres Gatten nicht gut verstanden, daher ist sie in den Iran gereist mit ihrer Familie.

SV: Haben Sie in Afghanistan väterlicherseits noch Verwandte?

BF: Es kann sein, dass ich in Day Kundi, in meinem Heimatdorf noch Verwandte habe, aber ich weiß nicht, in wieweit diese mit mir verwandt sind, wenn es welche sind, kann es sein, dass diese Verwandte auch woanders hingereist sind.

SV: Waren Sie das einzige Kind Ihrer Eltern von Ihrem Vater?

BF: Ja, damals war ich das einzige Kind meiner Eltern.

SV: Warum ist die Familie Ihres Vaters nicht ausgereist, sondern Ihre Mutter?

BF: Das weiß ich nicht, ich kenne niemanden seitens meines Vaters. Es kann sein, dass sie nicht mehr dort leben und von dort ausgereist sind und woanders in Afghanistan vielleicht leben.

[...]

RV an BF: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

BF: Hazara.

RV: Sie sprechen Dari. Sprechen Sie ein akzentfreies Dari oder ein Dari von jemanden, wo man bemerkt, dass dieser nicht aus Afghanistan stammt oder nicht in Afghanistan lebt?

BF: Bevor ich nach Europa gekommen bin, habe ich ein "reines", akzentfreies Farsi gesprochen. In Griechenland war ich eine Zeit lang im Gefängnis. Dort gab es auch Menschen aus Afghanistan und Pakistan, die Afghanen haben mich wegen meiner Aussprache insofern diffamiert, als sie mich demütigend/negativ als "Iraner" bezeichneten. Während meines Gefängnisaufenthaltes, habe ich mich dann bemüht, Dari wie ein Afghane zu sprechen. Als ich dann vorübergehend in Flüchtlingsunterkünften gelebt habe, so auch in XXXX , kannte ich junge afghanische Männer, über die ich meine Dari-Kenntnisse in afghanischen Akzent verbesserte.

RV: Welche Freiheiten in Österreich schätzen Sie, die Sie in Afghanistan nicht leben könnten?

BF: Die wichtigste Freiheit für mich, ist die Freiheit auf Bildung, die ich hier in Österreich in Anspruch nehme, diese Freiheit habe ich weder in Afghanistan noch im Iran. Ich könnte weder in Afghanistan noch im Iran bei Feierlichkeiten, Veranstaltungen oder Partys teilnehmen, wie ich dies in Österreich tue. Eine Teilnahme in Afghanistan oder im Iran hätte gefährliche Konsequenzen für mich.

RI an D: Was für eine Art von Dari spricht der BF?

D: Bevor der RV diese Frage stellte, habe ich auf diesen Aspekt nicht geachtet, danach stellte ich fest, dass der BF ein Dari spricht, das typisch für Afghanen ist, die im Iran leben, d. h. er spricht ein Dari mit typischen iranischen Begriffen."

5.2.2. In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 05.10.2018 wurden folgende - verfahrenswesentliche - Angaben getätigt (BF:

Beschwerdeführer, RI: Richter, RV: Rechtsvertreter, SV:

Sachverständiger):

"RV an BF: Waren Sie schon jemals in Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat?

BF: Nein, niemals.

RV: Von wo können Sie Dari sprechen?

BF: Im Iran haben wir Zuhause mit der Familie Dari gesprochen. Nach meiner Ankunft in Griechenland wurde ich inhaftiert, ich war 7 Monate lang im Gefängnis. Aufgrund meines Dialektes gab es Probleme mit den anderen afghanischen Häftlingen. Damals habe ich daher beschlossen, den Dari Dialekt zu sprechen und nicht mehr Farsi.

RV an SV: Woher nehmen Sie die Information, dass Personen, die eine Dari-Farsi-Sprache aufweisen, längere Zeit in Großstädten wie Kabul, Mazar-e-Sharif oder in der Stadt Ghazni sich aufgehalten haben?

SV: Aufgrund meiner Erfahrung und aufgrund von Gesprächen mit Afghanen, sowohl im Ausland als auch in Afghanistan habe ich festgestellt, dass Personen, die eine Mischung aus verschiedenen Dialekten der Farsi Sprache sprechen aus verschiedenen Großstädten kommen, die ich im Gutachten angeführt habe. Beim erstmaligen Anhören dieser Personen stelle ich dann fest, dass sie in Großstädten gelebt haben. Allerdings beim BF ist es nachvollziehbar, dass er seine Mischung aus Farsi und Hoch-Dari, wie dies in afghanischen Großstädten gesprochen wird, erst durch seinen mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt mit Afghanen sich aneignen musste. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass der BF durchaus sich noch nie in Großstädten wie Kabul, Mazar-e-Sharif oder in der Stadt Ghazni sich aufgehalten hat.

RV: Sprechen Afghanen, die mit afghanischen Eltern im Iran aufgewachsen sind, auch diese Mischung aus Farsi und Dari?

SV: Meiner Erfahrung nach lernen afghanische Schiiten und Hazaras, die im Babyalter nach Iran ausgewandert sind, den iranischen Farsi Dialekt automatisch. Die Ausnahme ist bei Eltern, die sehr nationalistisch eingestellt sind und die daher wollen, dass Kinder den Dari Dialekt beibehalten, weil sie vielleicht wollen, dass diese später Politiker werden. Wobei letztere Feststellung hier eher Nicht-Schiiten betrifft. Zu 99 % lernen aber Afghanen im Iran Farsi und bestehen oft bei ihrer Ersteinvernahme in Österreich auf einen Dolmetscher in Farsi, unabhängig davon ob sie sunnitisch oder schiitisch sind. Im Iran versuchen die afghanischen Eltern, dass ihre Kinder nicht auffallen, weil die iranische Gesellschaft sehr rassistisch gegenüber den Afghanen eingestellt ist. Daher versuchen die Afghanen, ihre Sprache an diejenige der Iraner anzupassen. Die rassistische Einstellung trifft vor allem die Hazara, weil diese schon durch ihr Äußeres auffallen. In Österreich sind die Hazaras skeptisch gegenüber Dolmetschern, vor allem, wenn diese paschtunischer Herkunft sind, weil sie befürchten, dass diese aus ethnischen Gründen falsch übersetzen würden. Leider gibt es in Österreich außerhalb des BVwG oft schlechte Dolmetscher, sodass Hazaras, die im Iran aufgewachsen sind, auf einen iranischen Dolmetscher bestehen.

RI: Aus meiner gerichtlichen Erfahrung stelle ich aber fest, dass die meisten Asylwerber aus Afghanistan einen Dari Dialekt sprechen und nicht Hoch-Farsi.

SV: Das stimmt. Allerdings ist die Farsi-Sprache lingua franca in all diesen Ländern, auch wenn diese dann in verschiedenen Dialekten gesprochen wird. Die afghanische Medienlandschaft orientiert sich an den Iran und daher ist die iranische Farsi in Afghanistan allgemein als Hochsprache angesehen. Sobald Afghanen in den Iran reisen oder mit Iranern in Kontakt kommen, versuchen sie im iranischen Dialekt der Farsi Sprache zu kommunizieren.

SV: Ergänzend zu meinem schriftlichen Gutachten vom 27.08.2018 führe ich an, dass der BF nach meiner Sachkenntnis auf alle Fälle Anpassungsschwierigkeiten nach seiner Rückkehr in Afghanistan haben wird. Er hat keinen Familienrückhalt, aber auch keinen weitschichtigen Verwandtschaftskreis dort, an den er sich anlehnen könnte. Ein Jugendlicher wie der BF benötigt im Falle der Abwesenheit eines Familienrückhalts effektive Betreuung durch eine Jugendorganisation, die ihn ausbildet und ihm eine Zukunftsperspektive ermöglicht.

Die Sicherheitslage in Kabul ist auch derzeit volatil und es kommen im Durchschnitt täglich 60 bis 100 Personen durch Selbstmordanschläge und Raketenabwürfe ums Leben. Die Sicherheitslage in Herat und in Mazar-i Sharif ist ähnlich wie die in Kabul. Z.B. kommen in Herat mehr Entführungen vor.

RI an BF: Sind Sie immer noch bei der Lehre bei XXXX ?

BF: Ja. Der voraussichtliche Abschluss wird 2021 sein.

R: Wie religiös sind Sie?

BF: Einige Sachen mache ich mit, wie Ramadan und Moharam. Ich versuche, sie einzuhalten und damit Gott zufriedenzustellen. Ich habe aber auch Spaß im Leben, ich trinke ab und zu auch Alkohol.

SV: Wie ich dies bei Afghanen kenne, die in ähnlicher Situation wie der BF sind, verhält es sich so, dass deswegen diese manche religiösen Riten wie Ramadan oder Moharam einhalten, weil sie nicht von der schiitischen Gesellschaft ausgeschlossen werden wollen, wenn sie mit einem anderen Verhalten auffallen würden.

Der RI stellt fest, dass der BF ein sehr westlich orientiertes Auftreten hat."

6. In das Verfahren wurden neben den vom BFA und vom Bundesverwaltungsgericht eingeführten (s. weiter unten) u.a. folgende entscheidungsrelevante Bescheinigungsmittel vorgelegt, nämlich:

-

ÖSD-Zertifikate A2 und B1;

-

Schulbesuchsbestätigungen, insbesondere das Jahreszeugnis der Handelsschule XXXX und der Berufsschule XXXX ;

-

Spielerpass SK XXXX ;

-

Mitarbeiter-Card Rotes Kreuz;

-

Arbeitsbestätigungen vom Stadtamt XXXX ;

-

Lehrvertrag Prozesstechniker mit XXXX ;

-

Entgeltabrechnung von XXXX ;

-

Zwischendienstzeugnis der XXXX ;

-

Referenzschreiben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person und zum Vorbringen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den oben im Spruch wiedergegebenen Namen, ist am XXXX .1999 in Afghanistan geboren, Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara sowie dem moslemischen Glaubensbekenntnis an. Seine Familie stammt aus der Provinz Day Kundi, XXXX in Afghanistan. Sein Familienstand ist ledig. Seine Muttersprache ist Dari, seine gesprochene Sprache ist Farsi. Die Grundschule besuchte der Beschwerdeführer von 2006 bis 2011 im Iran, er weist keine Berufsausbildung auf, im Iran war er beruflich zuletzt als Hilfsarbeiter am Bau tätig. Er lebte im Iran, seit er zwei Monate alt ist, zuvor war er noch in Afghanistan aufhältig. In Afghanistan leben keine weiteren Familienangehörigen von ihm mehr. Er und seine Familienangehörigen weisen kein Vermögen auf.

Darüberhinaus werden die oben von der mündlichen Verhandlung wiedergegebenen Abschnitte (s. oben Pkt. I.5.2.) zum Inhalt der Feststellungen erhoben.

1.2. Zur politischen und menschenrechtlichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

I. Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz

1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 22.08.2018:

"Daikundi / Dai Kundi / Daykundi

Die Provinz Daikundi ist seit dem Jahr 2014 autonom (UNDP 5.2.2017); davor war sie ein Distrikt der Provinz Uruzgan (Pajhwok. o.D.). Daikundi liegt 460 km vom Westen Kabuls entfernt und grenzt an die Provinzen Uruzgan im Südwesten, Bamyan im Osten, Ghor im Norden, Ghazni im Süden und Helmand im Nordosten (Pajhwok o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: der Provinzhauptstadt Nieli/Nili, Ashtarly, Khijran/Kajran, Khedir/Khadir, Kitti/Kiti, Miramor, Sang Takh/Sang-e Takht, Shahristan/Shahrestan (Pajhwok o. D.; vgl. UNOCHA 4.2014). Der Distrikt Gizab, früher Teil von Daikundi, unterliegt der Administration von Uruzgan (UNODC 11.2017). Mit 86% der Bevölkerung bestehend aus Hazara gilt die Provinz Daikundi als die zweitgrößte Region, in der Mitglieder dieser ethnischen Gruppe leben (UNDP 5.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 475.848 geschätzt (CSO 4.2017).

Daikundi ist eine gebirgige Provinz mit kleinen Dörfern, die über unasphaltierte Straßen verbunden werden (Pajhwok 6.9.2017). In den letzten 17 Jahren wurden Quellen zufolge in der Provinz nur zehn Kilometer an Straßen gebaut. Dennoch sind laut Regierung Projekte für die Implementierung des Straßenbaus im Gange (Tolonews 5.11.2017).

Dennoch gilt die Provinz für Anrainer/innen als unterentwickelt - viele Gegenden haben wenig oder gar keinen Zugang zu Elektrizität; Gesundheitsleistungen und anderen elementaren Leistungen (Tolonews 15.11.2016; vgl. auch: Xinhua 1.10.2016).

Bis September 2017 war Daikundi die einzige Provinz im Land, die eine Frau als Gouverneurin vorweisen konnte; Ende September 2017 wurde Masooma Muradi dann von einem Mann ersetzt (Kurier 27.9.2017; vgl. TET 27.9.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Einer Quelle zufolge ist Daikundi eine sichere Provinz (Tolonews 10.3.2018). Im September wurde von einer Zunahme afghanischer Binnenvertriebener (IDP) berichtet, die in Daikundi Zuflucht gesucht hatten (Pajhwok 6.9.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 3 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Bild kann nicht dargestellt werden

Im gesamten Jahr 2017 wurden 43 zivile Opfer (16 getötete Zivilisten und 27 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Blindgänger/Landminen, gefolgt von Bodenoffensiven und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 59% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018). Eine weitere Quelle berichtete allerdings von keinen Opfern im Jahr 2017 in der Provinz Daikundi (Pajhwok 14.1.2018).

Militärische Operationen in Daikundi

Im März 2017 wurden in Daikundi 31 Aufständische durch die ANSF getötet (GIM o.D.). In den letzten 17 Jahren sind in Daikundi keine ausländischen Streitkräfte ums Leben gekommen (Pajhwok 1.1.2018). Ende Dezember 2017 wurde Daikundi einer Quelle zufolge als ruhige Provinz beschrieben (LAT 10.12.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Daikundi

Daikundi zählt zu den Provinzen, in denen die Anzahl der Taliban gering ist (Pajhwok 1.2.2018). Der Zusammenhalt zwischen den Bewohnern ethnisch homogenerer Gesellschaften wie in Panjsher, Bamyan und Daikundi wird als Grund für die geringe Anzahl an Anschlägen betrachtet: Da die Bewohner dieser Provinzen mehrheitlich einer Ethnie zugehören, würden diese keine aufständischen Aktivitäten erlauben (Pajhwok 14.1.2018). Des Weiteren wurde für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 keine IS-bezogenen Sicherheitsvorfälle in der Provinz Daikundi gemeldet (ACLED 23.2.2018).

Quellen:

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (23.2.2018):

Islamic State in Afghanistan,

https://www.acleddata.com/2018/02/23/islamic-state-in-afghanistan/, Zugriff 8.3.2018

-

CSO - Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (4.2017):

Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, http://cso.gov.af/Content/files/%D8%AA%D8%AE%D9%85%DB%8C%D9%86%20%D9%86%D9%81%D9%88%D8%B3/Final%20Population%201396.pdf, Zugriff 4.5.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (12.2017): EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Security Situation, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_Afghanistan_security_situation_2017.pdf#page=1&zoom=auto,-468,842, Zugriff 8.3.2018

-

GIM (o.D.): A global display of terrorism and other suspicious events, https://www.globalincidentmap.com/home.php, Zugriff 6.3.2018

-

Kurier (27.9.2017): Afghanistan: Einzige Gouverneurin durch Mann ersetzt,

https://kurier.at/leben/afghanistans-einzige-gouverneurin-verliert-posten-an-einen-mann/288.673.371, Zugriff 6.3.2018

-

LAT - Los Angeles Times (10.12.2017): There are the Afghanistan's best troops. The U.S. is backing a plan to create many more of them, http://www.latimes.com/world/asia/la-fg-afghanistan-special-operations-20171209-htmlstory.html, Zugriff 8.3.2018

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Pajhwok (10.3.2018): Kabul Exhibition Displays Life In Daikundi, https://www.tolonews.com/arts-culture/kabul-exhibition-displays-life-daikundi, Zugriff 12.3.2018

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Pajwhok (8.2.2018): Daikundi farmers' interest grows in saffron cultivation,

https://www.pajhwok.com/en/2018/02/08/daikundi-farmers%E2%80%99-interest-grows-saffron-cultivation, Zugriff 12.3.2018

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Pajhwok (1.2.2018): New appointments reflect power struggle within Taliban,

https://www.pajhwok.com/en/2018/02/01/new-appointments-reflect-power-struggle-within-taliban, Zugriff 6.3.2018

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Pajhwok (14.1.2018): 2017 casualties: nearly 25,000 people killed, wounded in Afghanistan,

https://www.pajhwok.com/en/2018/01/14/2017-causalities-nearly-25000-people-killed-wounded-afghanistan, Zugriff 6.3.2018

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Pajhwok (1.1.2018): 17 foreign troops killed in Afghanistan in 2017,

https://www.pajhwok.com/en/2018/01/01/17-foreign-troops-killed-afghanistan-2017, Zugriff 6.3.2018

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Pajhwok (6.9.2017): What is the UN doing to resolve conflict in Afghanistan,

https://www.pajhwok.com/en/2017/09/06/what-un-doing-resolve-conflict-afghanistan, Zugriff 6.3.2018

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Pajhwok (o.D.): Daikundi province background profile, http://elections.pajhwok.com/en/content/daikundi-province-background-profile, Zugriff 6.3.2018

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TET - The Express Tribune (27.9.2017): Afghanistan's only female governor replaced by man,

https://tribune.com.pk/story/1517780/afghanistans-female-governor-replaced-man/, Zugriff 12.3.2018

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Tolonews (5.11.2017): Bazar: Daikundi Road Delays Discussed, https://www.tolonews.com/bazar/bazar-daikundi-road-delays-discussed, Zugriff 8.3.2018

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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2018):

Afghanistan: Protection of Civilians in Armed Conflict - Annual Report 2017,

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/15_february_2018_-_afghanistan_civilian_casualties_in_2017_-_un_report_english_0.pdf, Zugriff 1.3.2018

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UNDP - United Nations Development Programme (5.2.2017): The Secret Behind Nili Market's Success in Daikundi, http://www.af.undp.org/content/afghanistan/en/home/ourwork/democraticgovernance/successstories/SecretBehindNiliMarkt.html, Zugriff 6.3.2018

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UN OCHA (4.2014): Daykundi Province District Atlas, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/Daykundi.pdf, Zugriff 12.3.2018

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UNODC - United Nations Office on Drugs and Crime (11.2017):

Afghanistan Opium Survey 2017,

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Afghan_opium_survey_2017_cult_prod_web.pdf, Zugriff 13.3.2018"

II. Lage der Hazara

2. Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 27.06.2016 zur Situation der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan (a-9695-1):

"Chris Johnson, die in den Jahren 1996 bis 2004 unter anderem als Mitarbeiterin in der im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO Oxfam und der Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) in Afghanistan tätig war, schreibt in einer aus dem Jahr 2000 stammenden Studie zu Hazarajat, dass dieses Gebiet die Provinz Bamiyan sowie Teile von benachbarten Provinzen umfasse. Die exakten Grenzen des Hazarajat seien umstritten, doch würden diese für den Zweck der Studie mit jenen des Gebietes alten Schura gleichgesetzt, das die folgenden Distrikte umfasse: Schebar, Bamiyan, Panjao, Waras, Yakawlang (Provinz Bamiyan); Balchab (Jowzjan); Dar-e-Souf (Samanghan); Lal o Sari Jangal (Ghor); Dai Kundi, Sharistan (Uruzgan); Malistan, Jaghori, Nawor (Ghazni); Behsud I und Behsud II (Wardak). Obwohl es auch möglich sei, historisch von einem noch größeren Gebiet Hazarajat zu sprechen, würden alle genannten Distrikte im Allgemeinen als Teil des Hazarajat anerkannt, und diese Definition des Gebietes entspreche auch den Realitäten der Arbeit der Hilfsorganisationen. Das Hazarajat stelle das am stärksten mono-ethnische Gebiet Afghanistans dar. Die Bevölkerung des Gebiets setze sich überwiegend aus Imami-Schiiten zusammen, obwohl es dort auch einige Ismaili-Schiiten sowie auch sunnitische Hazara gebe. Das am stärksten ethnische gemischte Gebiet innerhalb des Hazarajat sei die Provinz Bamiyan, deren Bevölkerung sich zu 67% aus Hazara, 15% aus Tadschiken, 14% aus Sayyed und zu knapp 2% aus Paschtunen sowie 2% aus Quizilabasch zusammensetze. Insgesamt habe es in den zwei Jahrzehnten vor Veröffentlichung der Studie eine Zunahme an ethnischen Spannungen gegeben, die sich nicht von der politischen Entwicklung loslösen lasse.

Doch auch innerhalb der ethnischen Gruppe der Hazara gebe es Gegensätze und ein System von Untergruppen, das derart komplex sei, dass sich das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder dieser Gruppen als eigene Gruppe angesehen hätten, je nach Zeit in Abhängigkeit von den in dem Gebiet aktiven politischen Bewegungen unterschiedlich gewesen sei. Die Gruppenzugehörigkeit gehe sowohl aus Mustern traditioneller Führung in Bezug auf Land, Familie und Religion ab und diese Führungsmuster könnten sich überschneiden. Am ambivalentesten sei der Status der Sayyed, welche die traditionelle religiöse Führung der Hazara bilden und rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung des Hazarajat ausmachen würden. Sie würden ihre Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführen und seien ursprünglich Araber gewesen. Während Ehen zwischen Hazara-Männern und Sayyed-Frauen selten seien, komme es häufig zu Eheschließungen zwischen Sayyed-Männern und Hazara-Frauen. Manchmal würden sich Sayyed selbst als Hazara bezeichnen und auch von anderen als solche bezeichnet. In anderen Fällen würden sich die Sayyed als eigene Gruppe bezeichnen.

In einem Update zur Sicherheitslage in Afghanistan vom September 2015 thematisiert die regierungsunabhängige Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die Situation von Hazara wie folgt:

‚Diskriminierung gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten sind verbreitet und es kommt immer wieder zu Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, welche zu Todesopfern führen. Die Diskriminierung Angehöriger der Hazara äußert sich in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung. Hazara wurden überdurchschnittlich oft zu Opfern gezielter Ermordungen' (SFH, 13.09.2015).

Der im April 2016 veröffentlichte Länderbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zur Menschenrechtslage (Berichtsjahr 2015) hält fest, dass im November 2015 unbekannte Bewaffnete mindestens 14 Hazara-Männer aus Bussen in der Provinz Zabul entführt hätten. Über deren Verbleib hätten bis Dezember 2015 keine Informationen vorgelegen. Im Februar 2015 hätten Aufständische 31 Hazara-Männer aus einem Bus in der Provinz Zabul entführt und im Mai 2015 19 Geiseln und im November 2015 acht weitere freigelassen. Mit Stand November 2015 seien die übrigen vier Geiseln weiterhin vermisst gewesen. Im März 2015 sei es im ganzen Land zu Protesten gekommen, bei denen Demonstrierende die Regierung aufgefordert hätten, die 31 im Februar entführten Hazara freizubekommen. Im November 2015 seien in Städten im ganzen Land Proteste ausgebrochen, nachdem Aufständische mit mutmaßlichen Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) sieben Hazara in der Provinz Zabul enthauptet hätten, darunter zwei Frauen und ein neunjähriges Mädchen. Die Demonstrationen seien ein Ausdruck öffentlichen Unmuts gegen die Unfähigkeit der Regierung gewesen, mit der Bedrohung durch Aufständische fertig zu werden und hätten ein Licht auf die Ängste der Hazara vor weiteren Anschlägen geworfen.

Weiters berichtet das USDOS von fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung von Hazara in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Haft. Laut NGOs seien Hazara-Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als Nicht-Hazara-Beamte. Aus mehreren Provinzen, darunter Ghazni, Zabul und Baghlan, seien eine Reihe von Entführungen von Hazara berichtet worden. Die Entführer hätten Berichten zufolge ihre Opfer erschossen, enthauptet, Lösegeld für sie verlangt oder sie freigelassen. Wie das USDOS weiter bemerkt, seien ethnische Hazara, Sikhs und Hindus zusätzlich zur allgemeinen gesellschaftlichen Diskriminierung weiterhin von Diskriminierung bei der Jobeinstellung und bei der Zuteilung von Arbeiten betroffen.

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) bemerkt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Jahr 2015, dass sie während des Jahres 2015 einen starken Anstieg bei Entführungen und Tötungen von Hazara-ZivilistInnen durch regierungsfeindliche Kräfte verzeichnet habe. So hätten regierungsfeindliche Kräfte zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2015 mindestens 146 Mitglieder der Hazara-Gemeinde bei insgesamt 20 verschiedenen Vorfällen getötet. Mit Ausnahme eines einzigen Vorfalls hätten sich alle in ethnische gemischten Gebieten ereignet, die sowohl von Hazara als auch von Nicht-Hazara-Gemeinden besiedelt seien, und zwar in den Provinzen Ghazni, Balch, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jowzjan und Ghor. UNAMA habe die Freilassung von 118 der 146 entführten Hazara bestätigen können. 13 entführte Hazara seien von regierungsfeindlichen Kräften getötet worden, während zwei weitere während der Geiselhaft verstorben seien. UNAMA habe den Verbleib der übrigen Geiseln nicht eruieren können. Die Motive für die Entführungen seien unter anderem Lösegelderpressung, Gefangenenaustausche, Verdacht der Spionage für die Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und Nichtbezahlung illegaler Steuern gewesen. In manchen Fällen seien die zugrundeliegenden Motive unbekannt gewesen.

UNAMA führt folgende Beispiele für Entführungen und anschließende Tötungen von Hazara an: Am 23.02.2015 seien im Bezirk Shajoy der Provinz Zabul 30 Hazara-Insassen zweier öffentlicher Busse, die von Herat nach Kabul unterwegs gewesen seien, entführt worden. Drei der Entführungsopfer seien während ihrer Gefangenschaft getötet worden, während zwei offenbar aufgrund von natürlichen Ursachen verstorben seien. Zwischen Mai und August 2015 seien die übrigen Geiseln freigelassen worden, nachdem es Beri

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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