TE Vwgh Erkenntnis 1999/5/27 96/19/2050

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Veröffentlicht am 27.05.1999
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Index

20/02 Familienrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
EheG §23;
EheG §27;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des 1959 geborenen R M in Wien, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Mai 1996, Zl. 305.975/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der nach der Aktenlage (vgl. OZ. 32 des Verwaltungsaktes) über eine vom 31. Dezember 1994 bis zum 30. April 1995 gültige Aufenthaltsbewilligung verfügte, stellte am 17. März 1995 beim Magistrat der Stadt Wien einen Antrag auf Verlängerung dieser Bewilligung. Dieser Antrag wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 13. September 1995 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft in Österreich abgewiesen und erwuchs in Rechtskraft.

Am 28. Dezember 1995 stellte der Beschwerdeführer beim Magistrat der Stadt Wien erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Im Verwaltungsverfahren legte er u.a. einen vom 14. September 1992 bis zum 13. September 1997 gültigen Befreiungsschein (vgl. OZ. 68 des Verwaltungsaktes) vor.

In einer niederschriftlichen Einvernahme vom 8. Februar 1996 gab die Ehegattin des Beschwerdeführers beim Magistrat der Stadt Wien wörtlich folgendes an (vgl. OZ 87 des Verwaltungsaktes;

Eigennamen sind anonymisiert):

"Mit 14 Jahren machte ich Ferialpraxis als Pferdepflegerin in der Krieau, dabei lernte ich Herrn J. F. kennen. Er war damals 16 Jahre alt. Er entwickelte sich zu einem guten Bekannten und stellte mich im Jahre 1992 Herrn R. M. (dem Beschwerdeführer) vor. Die Familie M. (des Beschwerdeführers) war eine nette Familie. F. J. war meines Wissens ebenfalls mit einer Bekannten der Familie verheiratet, die wiederum mit einem anderen Jugoslawen zusammengelebt hat. Ich wollte von meinen Eltern weg, deshalb heiratete ich ihn. F. J. brachte mich auf die Idee, er sagte, daß ich auf diese Art schneller rauskomme. F. J. war auch mein Trauzeuge. Es gab keine Hochzeitsfeier. Ich habe für die Eheschließung kein Geld erhalten. Ich habe meinen Gatten öfters bei seiner Familie besucht. Ich habe es abgelehnt, mit meinem Gatten die Ehe zu vollziehen. Mitte 1993 habe ich meinen Gatten das letzte mal gesehen. Als ich einmal meine Dokumente holen wollte war er verschwunden. Ich bin bereits mit der Staatsanwältin Frau Dr. J. in Kontakt, da ich die Ehe für nichtig erklären lassen möchte, da nie eine Ehegemeinschaft bestand."

Mit Schreiben vom 8. Februar 1996 hielt die Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer vor, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß dieser seine Ehe nur geschlossen habe, "um sich fremdenrechtliche Vorteile zu verschaffen".

In einer Stellungnahme vom 20. Februar 1996 brachte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers vor, etwa neun Monate nach der Eheschließung habe die Ehegattin den Beschwerdeführer verlassen und jede weitere Kontaktaufnahme unterlassen. Er ersuche daher um neuerliche Einvernahme der Ehegattin.

Mit Bescheid vom 26. Februar 1996 wies der Landeshauptmann von Wien - ohne die Ehefrau des Beschwerdeführers neuerlich einvernommen zu haben - den Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) ab, weil der Beschwerdeführer gezeigt habe, daß er durchaus bereit sei, eine Scheinehe einzugehen, "um Vorschriften zu umgehen". Sein Aufenthalt stelle eine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und brachte neuerlich vor, von seiner Ehegattin nach neunmonatiger Ehe völlig unmotiviert verlassen worden zu sein. Eine weitere Einvernahme seiner Ehegattin sei unterblieben.

Die Berufung wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 6. Mai 1996 gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, aufgrund der dem Antrag beigelegten Heiratsurkunde sei ersichtlich, daß der Beschwerdeführer am 7. September 1992 eine österreichische Staatsbürgerin geehelicht habe.

Wörtlich führte der Bundesminister für Inneres anschließend folgendes aus:

"Ihre Gattin hat jedoch der Behörde I. Instanz gegenüber angegeben, daß die zwischen ihr und Ihnen am 7. September 1992 geschlossene Ehe nur deshalb eingegangen wurde um Ihnen problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und in weiterer Folge die österreichische Staatsbürgerschaft zu beschaffen. Es besteht, bzw. bestand weder eine Lebensgemeinschaft, noch wurde die Ehe jemals vollzogen.

Eine diesbezügliche Stellungnahme durch Sie vom 20. Februar 1996 konnte die glaubwürdigen Aussagen ihrer Gattin, nicht widerlegen."

Weiters wurde angeführt, bereits wenige Tage nach der Verehelichung sei ein Antrag auf einen Befreiungsschein eingebracht worden, ein solcher sei auch mit Gültigkeit vom 14. September 1992 bis zum 13. September 1997 ausgestellt worden. Durch die seitens der Behörde "ausreichend recherchierten Handlungen des Antragstellers" seien nach Ansicht der Berufungsbehörde ausreichend Tatbestände einer Scheinehe gegeben. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stelle die rechtsmißbräuchliche Eingehung einer Ehe durch einen Fremden zwecks Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen ein Verhalten dar, welches dazu führe, daß die öffentliche Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Fremden in Österreich gefährdet werde. Aufgrund des "angeführten Sachverhaltes und der eindeutigen Rechtsprechung" sei der Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abzulehnen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser mit Beschluß vom 29. Juni 1996, B 2078/96-3, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie vom Beschwerdeführer ergänzt. Er erachtet sich in seinem Recht auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung verletzt und bekämpft den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 5. Juni 1996) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich.

§ 5 Abs. 1 AufG lautete (auszugsweise):

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ..."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

Da ein rechtzeitig gestellter Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers bereits rechtskräftig abgewiesen worden war, wertete die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag zu Recht nicht als Verlängerungsantrag. Der angefochtene Bescheid ist demnach auch nicht gemäß § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 außer Kraft getreten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Eingehen einer Ehe nur zum Schein, um sich eine fremdenrechtlich bedeutsame Bewilligung zu verschaffen, ein Verhalten, das eine gravierende Mißachtung der den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften bildet. Es rechtfertigt grundsätzlich die Annahme, der weitere Aufenthalt des Fremden werde die öffentliche Ordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gefährden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. November 1996, Zl. 96/19/1601, mwN). Voraussetzung für die Annahme dieser fremdenrechtlichen Konsequenz ist allerdings die eindeutige (vgl. das eben zitierte hg. Erkenntnis) und - was für die vorliegende Beschwerdesache von Bedeutung ist - mängelfreie Feststellung, daß die Ehe in der Absicht geschlossen wurde, die Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Bewilligungen zumindest (erheblich) zu erleichtern. Für die Entscheidung der Aufenthaltsbehörde über das Vorliegen des dargestellten Grundes für die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung ist die Frage, ob ein derartiges Verhalten eines Fremden vorliegt, als Vorfrage zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1996, Zl. 96/19/1651).

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides läßt sich die Annahme der belangten Behörde erkennen, der Beschwerdeführer habe seine Ehe nur geschlossen, um sich fremdenrechtlich bedeutsame Bewilligungen zu verschaffen (dies wird insbesondere durch den Hinweis auf die Ausstellung eines Befreiungsscheines verdeutlicht).

Soweit sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die bereits wiedergegebenen Angaben der Ehegattin des Beschwerdeführers im Verfahren vor der Behörde erster Instanz (eine weitere Einvernahme nach der am 8. Februar 1996 ist aus dem Verwaltungsakt nicht ersichtlich) bezieht, erweisen sich ihre Ausführungen allerdings zumindest zu einem Teil als aktenwidrig. Von einer dezidierten Aussage der Ehegattin des Beschwerdeführers, die Ehe sei am 7. Dezember 1992 nur geschlossen worden, um dem Beschwerdeführer problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und in weiterer Folge die österreichische Staatsbürgerschaft zu beschaffen, kann nämlich keine Rede sein. In der Aussage der Ehegattin wird explizit nur eine Motivation für die Eheschließung genannt, nämlich daß die Ehegattin ihr Elternhaus verlassen könne. Aufgrund dieser Aktenwidrigkeit sind auch die Bescheidausführungen, der Beschwerdeführer habe "die glaubwürdigen Aussagen" seiner Ehefrau nicht widerlegen können, für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar.

Der Beschwerdeführer hat weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde die Feststellung der Behörde erster Instanz bestritten, die Ehe sei nicht vollzogen worden (eine diesbezügliche Feststellung enthält der angefochtene Bescheid nicht). Ebensowenig bestreitet der Beschwerdeführer, bereits wenige Tage nach der Eheschließung einen Antrag auf Erteilung einer Befreiungsscheines gestellt und einen solchen auch erhalten zu haben (der Befreiungsschein wurde vom Beschwerdeführer im Verfahren selbst vorgelegt). Sollte die belangte Behörde aufgrund dieser unbestrittenen Feststellung über den Nichtvollzug der Ehe sowie des vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Befreiungsscheines der Auffassung gewesen sein, dies in ihre Beweiswürdigung einbeziehen zu können und daraus folgern zu können, der Beschwerdeführer habe seine Ehe nur zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Vorteile geschlossen, so hätte sie gemäß § 60 AVG in der Bescheidbegründung die bei ihrer Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen darzulegen gehabt. Die belangte Behörde hat jedoch jede Beweiswürdigung unterlassen. Der in der Bescheidbegründung enthaltene Satz "Durch die seitens der Behörde ausreichend recherchierten Handlungen des Antragstellers sind nach Ansicht der Berufungsbehörde ausreichend Tatbestände einer Scheinehe gegeben." kann eine solche Beweiswürdigung nicht ersetzen. Es stellt im übrigen auch keinesfalls eine offenkundige Tatsache dar, daß ein Fremder eine Ehe, mag sie auch nicht vollzogen worden sein und er im Anschluß an die Eheschließung einen Befreiungsschein erhalten haben, nur oder überwiegend zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Vorteile geschlossen hat (mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Ehegattin habe ihn, nachdem sie neun Monate bei ihm gewohnt habe, verlassen, setzt sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinander).

Die belangte Behörde hat daher keine - im Lichte des hg. Erkenntnisses vom 12. November 1996, Zl. 96/19/1601 - mängelfreie Feststellung über die Absicht bei der Eheschließung getroffen, die es rechtfertigen würde, von einer Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Bundesgebiet durch einen (weiteren) Aufenthalt des Beschwerdeführers auszugehen. Aufgrund der oben aufgezeigten Aktenwidrigkeit sowie der ihr vorzuwerfenden Mängel bei der Beweiswürdigung und der Begründung des angefochtenen Bescheides kann nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der unterlaufenen Verfahrensfehler zu anderen Feststellungen und damit zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher ungeachtet des Umstandes, daß der Beschwerdeführer das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels in der angeführten Richtung nicht behauptet hat (vgl. hiezu zB. das hg. Erkenntnis vom 5. April 1965, Slg. Nr. 6649/A, sowie zum Aufgreifen einer Aktenwidrigkeit von Amts wegen die hg. Erkenntnisse vom 16. März 1978, Zl. 2028/77, und vom 14. September 1984, Zl. 84/02/0030) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Mai 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996192050.X00

Im RIS seit

21.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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