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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32005D0370 AarhusKonvention Art6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag.a Merl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, über die Revision der Bürgerinitiative "s" in F, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2017, W193 2114926-1/28E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Landesregierung, mitbeteiligte Parteien: 1. Land Vorarlberg,
2. Stadt Feldkirch, 3. V GmbH in B, alle vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Spruchpunkt A) I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 27. September 2018, Ro 2015/06/0008, verwiesen. Daraus ist Folgendes festzuhalten:
Über Antrag des Landes Vorarlberg vom 4. Jänner 2010 wurde mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung (Landesregierung) vom 11. März 2010 gemäß § 2, § 3 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 7 und § 39 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang 1 Z 9 lit. h (Spalte 3) des Bundesgesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 - UVP-G 2000) festgestellt, dass für das im Antrag des Landes Vorarlberg dargestellte und in den mit diesem Antrag vorgelegten Projektunterlagen näher ausgeführte Vorhaben "Verkehrssystem F" der Tatbestand des Anhanges 1 Z 9 lit. h UVP-G 2000 erfüllt werde und somit eine Umweltverträglichkeitsprüfung (in der Folge: UVP) im vereinfachten Verfahren durchzuführen sei.
Unter Spruchpunkt I. des Bescheides der Landesregierung vom 9. September 2014 stellte diese fest, dass der (auch im vorliegenden Verfahren) revisionswerbenden Bürgerinitiative gemäß § 19 Abs. 1 Z 6 und Abs. 2 sowie § 39 UVP-G 2000, BGBl. Nr. 697/1993 idF BGBl. I. Nr. 14/2014, in Verbindung mit § 57 AVG die Parteistellung im zugrunde liegenden vereinfachten UVP-Genehmigungsverfahren zukomme.
Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien vom 6. Oktober 2014 wurde mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 21. April 2015 der Beschwerde stattgegeben und Spruchpunkt I. des Bescheides vom 9. September 2014 dahingehend abgeändert, dass der revisionswerbenden Bürgerinitiative im zugrunde liegenden vereinfachten UVP-Genehmigungsverfahren Beteiligtenstellung zukomme.
Mit dem eingangs angeführten Erkenntnis Ro 2015/06/0008 wurde das Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
2 Mit Bescheid der Landesregierung vom 15. Juli 2015 wurde der drittmitbeteiligten Partei gemäß §§ 17 Abs. 1, 3, 4 und 6 in Verbindung mit 24f Abs. 1, 39 Abs. 1 sowie Anhang 1 Z 9 lit. h UVP-G 2000 die Genehmigung für die Errichtung des Vorhabens erteilt.
3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Bürgerinitiative wurde mit dem angefochtenen Beschluss des BVwG vom 6. April 2017 in Spruchpunkt A) I. gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
4 Begründend stütze sich das BVwG auf sein - dem Revisionsverfahren zu Ro 2015/06/0008 zugrunde liegendes - Erkenntnis vom 21. April 2015, wonach es der revisionswerbenden Bürgerinitiative im gegenständlichen vereinfachten UVP-Genehmigungsverfahren an der zur Beschwerdeerhebung erforderlichen Parteistellung mangle. Dieser komme gemäß § 19 Abs. 1 Z 6, Abs. 2 sowie Abs. 4 UVP-G 2000 bloß Beteiligtenstellung mit dem Recht auf Akteneinsicht zu. Die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG gleichlautend mit den bereits im Erkenntnis vom 21. April 2015 dargestellten Ausführungen zum Fehlen von hg. Rechtsprechung zur Frage der Beteiligtenstellung von Bürgerinitiativen im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß § 19 Abs. 2 UVP-G 2000.
5 Gegen Spruchpunkt A) I. des Beschlusses richtet sich die vorliegende Revision.
6 Das BVwG legte die Akten des Verfahrens vor. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die revisionswerbende Bürgerinitiative schließt sich dem
BVwG in ihren Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision an.
8 Der vorliegend zu beurteilende Revisionsfall gleicht in
seinen rechtlichen und tatsächlichen Gründen jenem, der dem Erkenntnis VwGH 27.9.2018, Ro 2015/06/0008, zugrunde lag, weshalb auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen werden kann.
9 Wie der Verwaltungsgerichtshof - zusammengefasst - in dem vorgenannten Erkenntnis ausgesprochen hat, ist eine Bürgerinitiative, sofern sie die verfahrensrechtlichen Anforderungen des nationalen Gesetzgebers erfüllt, als Teil der betroffenen Öffentlichkeit im Sinne Art. 1 Abs. 2 lit. e UVP-RL anzusehen. Nach der (näher dargestellten) Judikatur des EuGH kommt ihr daher in Verfahren gemäß Art. 9 Abs. 2 iVm Art. 6 Aarhus-Konvention ein Recht auf Beteiligung als Partei zu, unabhängig davon, ob ein solches Verfahren innerstaatlich als "ordentliches" Genehmigungsverfahren oder als vereinfachtes Verfahren ausgestaltet ist. Der in § 19 UVP-G 2000 vorgesehene Ausschluss der Parteistellung von Bürgerinitiativen in vereinfachten Verfahren hat unangewendet zu bleiben.
10 Danach ändert auch nichts, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG eine rechtskräftige Entscheidung des BVwG hinsichtlich des Fehlens der Parteistellung der revisionswerbenden Bürgerinitiative vorhanden war. Einerseits wirkt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 42 Abs. 3 VwGG die Aufhebung eines Bescheides bzw. nunmehr eines Erkenntnisses oder Beschlusses eines VwG ex tunc, d.h. sie wirkt auf den Zeitpunkt der Erlassung des aufgehobenen Aktes zurück (vgl. Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 398, und etwa VwGH 30.6.1994, 91/06/0174). Es besteht daher schon deshalb auch keine bei der Entscheidung im vorliegenden Fall zu beachtende Bindungswirkung. Darüber hinaus wäre auch die rechtskräftige Entscheidung hinsichtlich des Fehlens der Parteistellung nach unionsrechtlichen Grundsätzen als verdrängt anzusehen.
11 Für den gegenständlichen Revisionsfall bedeutet dies, dass die Wendung in § 19 Abs. 1 Z 6 UVP-G 2000 "ausgenommen im vereinfachten Verfahren (Abs. 2)", § 19 Abs. 2 leg. cit als Ganzes und die Worte "oder als Beteiligte (Abs. 2)" in § 19 Abs. 4 UVP-Gesetz 2000 unangewendet zu bleiben haben.
12 Ausgehend davon erweist sich die vom BVwG zur Begründung der Zurückweisung vertretene Auffassung, der revisionswerbenden Bürgerinitiative käme keine Parteistellung, sondern bloß Beteiligtenstellung zu, als unzutreffend.
13 Der angefochtene Beschluss war daher im angefochtenen Umfang - also in seinem Spruchpunkt A) I., mit dem die Beschwerde der revisionswerbenden Bürgerinitiative mangels Parteistellung zurückgewiesen wurde - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
14 Die vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG entfallen.
15 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 30. Jänner 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62015CJ0664 Protect Natur-, Arten- und LandschaftschutzSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017060025.J00Im RIS seit
06.03.2019Zuletzt aktualisiert am
22.03.2019