TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/6 W105 2185817-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.11.2018
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Entscheidungsdatum

06.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W105 2185817-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb., Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018, Zahl 1072076807-150613447, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.10.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG

2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 04.06.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.06.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe Hazara sei. Er sei am XXXX in Kabul geboren. Er habe "vor ca. vier Jahren mit seiner Familie" Afghanistan, in Richtung Iran verlassen. In Afghanistan hätten sie wirtschaftliche Probleme gehabt und sei sein Vater verschwunden und hätten sie niemanden mehr gehabt, der sie finanziell unterstützt hätte. Im Iran seien sie als Afghanen sehr schlecht behandelt worden und hätten kaum Rechte gehabt. Nach Afghanistan könne er nicht zurückkehren, da er dort niemanden habe.

2. Am 06.06.2016 meldete sich der Antragsteller für die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan und korrigierte er sein Geburtsdatum auf den XXXX. Weiterhin erklärte er, die freiwillige Heimkehr nicht in Anspruch nehmen zu wollen und habe er sein Geburtsdatum nur deshalb geändert, damit er als über 18-jähriger gezählt werde.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXXvom XXXX wurde der Antragsteller gem. § 27 Abs. 1 Z 1 1., 2. und 8. Fall, Abs. 2 SMG § 15 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten, bedingt, auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2017 gab der Antragsteller an, am XXXX im Iran geboren zu sein, er besitzte jedoch die Staatsangehörigkeit Afghanistans. Seine Eltern seien aufgrund des Bürgerkriegs zum vormaligen Zeitpunkt nach dem Iran verzogen. Entgegen seinen Angaben in der Erstbefragung sei er eigentlich noch nie in Afghanistan gewesen, sondern sei er aus dem Iran gekommen. Die Geschichte mit Afghanistan stimme nicht. Er habe keinen Vater mehr und könne seine Mutter nicht arbeiten, da sie krank sei. Seine Brüder seien als Tagelöhner tätig. Es sei gerade genug Geld da, um die Familie zu ernähren. Er sei geboren und aufgewachsen im Iran und habe dort drei Jahre eine afghanische Schule besucht. Ab dem achten Lebensjahr habe er zu arbeiten begonnen; als Blumenverkäufer auf der Straße und habe er später als Hilfsarbeiter bei einem Schlosser gearbeitet. Im 18. Lebensjahr habe er sich entschlossen, den Iran zu verlassen und sei er nunmehr seit drei Jahren hier. Für die Reise habe er ca. 3.500,- EUR bezahlt. Im Iran lebe seine Kernfamilie, eine Tante und zwei Cousins sowie zwei Cousinen mütterlicherseits. Im Iran sei der Umgang mit den Afghanen sehr schlecht gewesen und seien sie von den Mullahs immer als minderwertig angesehen und dementsprechend schlecht behandelt worden. Eines Tages, auf dem Weg zur Arbeit, sei er von der Polizei festgenommen worden und habe man ihn vor die Wahl gestellt, entweder nach Afghanistan abgeschoben zu werden oder nach Syrien in den Krieg zu ziehen. Die Zukunftsaussichten seien sehr schlecht gewesen und hätte er nicht in die Schule gehen dürfen. Sie seien mehrfach festgenommen worden und nach Bestechung erst freigekommen. Erst nachdem er hätte in den Krieg ziehen sollen, habe er sich entschlossen auszureisen.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 09.01.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 04.10.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

5. Die belangte Behörde traf Feststellungen dergestalt, dass der Antragsteller afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sei, sowie schiitischen Glaubens sei. Er sei in Kabul/Afghanistan geboren (sic!) habe mehrere Jahre im Iran gelebt. Er habe eine dreijährige Schule besucht und sodann als Blumenverkäufer sowie Hilfsarbeiter bei einem Schlosser gearbeitet. Es könne nicht festgestellt werden, dass im Falle einer Abschiebung nach Kabul sein Recht auf Leben gefährdet sei oder er Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen wäre. Die Sicherheitslage in Kabul sei ausreichend sicher. Es könne nicht festgestellt werden, dass er im Fall einer Rückkehr nach Kabul in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Er laufe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung oder Unterkunft nicht befriedigen zu können.

Im Weiteren wurde auf seine strafrechtliche Verurteilung, sowie auf absolvierte Deutschprüfungen und Kurse verwiesen.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, mit welcher der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens aufgrund mangelhafter Beweiswürdigung angefochten wird. Im Sachverhalt wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Eltern des Beschwerdeführers vor dem Krieg und Unterdrückung aus Afghanistan in den Iran geflohen seien und sei der Beschwerdeführer im Iran geboren und aufgewachsen. Er habe es auch schwer gehabt einer Arbeit nachzugehen, weil er immer durch eine Festnahme die Abschiebung nach Afghanistan zu befürchten gehabt hätte. Wegen einer ihm angedrohten Zwangsrekrutierung wegen des Krieges in Syrien sei er nun nach Europa geflohen. Er habe die Deutschzertifikate A1 und A2 erworben, sei ehrenamtlich tätig gewesen und besuche eine Übergangsklasse. Inhaltlich wurde gerügt, dass die Behörde unzureichende Länderfeststellungen getroffen hätte; dies unter Hinweis auf verschiedenste Quellen zur Sicherheitslage in Kabul. Der Vorhalt, dass Kabul eine sichere Stadt für Normalbürger sei, sei insofern nicht schlagend, als der Beschwerdeführer gewiss nicht als afghanischer Normalbürger angesehen werden könne, wenn er sein gesamtes Leben im Ausland verbracht habe. In Hinblick auf eine drohende Verfolgung des Antragstellers aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara, es wurde auf Länderberichte aus den Jahren 2016 und 2017 verwiesen. Der Beschwerdeführer habe nachvollziehbar vorgebracht, dass er in Afghanistan verfolgt werde und weil er diesbezüglich auf die riesigen Profile des UNHCR verwiesen. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer im wehrfähigem Alter befinde, er einer religiösen Minderheit der Schiiten, sowie der ethnischen Minderheit der Hazara angehöre, jahrelang im Iran gelebt habe und nun nach Österreich geflohen sei und sich den westlichen Werten angepasst habe, falle er jedoch in mehrere Risikoprofile der erwähnten UNHCR-Richtlinie. Unter Tatsache, dass er den Großteil seines Lebens im Ausland verbracht habe, werde ihm überdies eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt. Im vorliegenden Fall liege jedoch keine innerstaatliche Fluchtalternative für den Antragsteller vor, da er überall in Afghanistan Verfolgung zu befürchten habe. Die Situation des Antragstellers bei Rückkehr wurde überdies der Beschwerde zwei Berichte einer bundesdeutschen, fachkundigen Person beigeschlossen.

7. Der Antragsteller wurde sodann zur anberaumten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht für den 29.10.2018 vorgeladen und wurde im Rahmen der Ladung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 29.06.2018 als Beweismittel zur Situation in Afghanistan eingeführt.

Am 29.10.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer teilnahm und der eine Dolmetscherin für die Sprachen Dari und Farsi beigezogen wurde. Das BFA verzichtete anlässlich der Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an der Verhandlung.

8. In der Beschwerdeverhandlung wurde eingangs auf die mittlerweile in Abrede bestellten erstniederschriftlichen Angaben des Antragstellers zu seiner Herkunft Bezug genommen; sowie auf erweisliche unterschiedliche Angaben zum Geburtsdatum. Weiterhin bekräftigte der Antragsteller unter Hinweis, das seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aufgenommene Protokoll. Das weitere Rechtsgespräch stellte sich dar wie folgt:

"R: Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF: Im Iran.

R: Wo im Iran sind Sie geboren?

BF: In XXXX.

R: Beschreiben Sie Ihre Lebenssituation in den letzten Jahren.

BF: Es war sehr schwer. Ich hatte dort ein schweres Leben, war dort Flüchtling, meine Eltern auch. Ich musste von dort weggehen.

R: Was war der Anlass für Sie, dass Sie weggegangen sind?

BF: Mein Fluchtgrund war, dass ich zu dieser Zeit 16Jahre alt war und in die Arbeit ging. Auf dem Weg Richtung Arbeit, wurde ich von der iranischen Polizei festgehalten worden und sie sagten mir, entweder schieben wir dich nach AFG ab, oder du musst nach Syrien in den Krieg ziehen.

R: Welche Verwandten von Ihnen leben noch im Iran?

BF: Meine Tante mütterlicherseits, ich habe zwei Cousins und zwei Cousinen.

R: Wo ist die Mutter?

BF: Meine Mutter und meine drei Schwestern und vier Brüder sind im Iran.

R: Wovon leben diese Angehörigen dort?

BF: mein jüngerer Bruder, der jetzt 18 wird, arbeitet dort als Hilfsarbeiter, wo ich selber arbeitete. Tagsüber verdient er das Geld, abends ist das Geld wieder weg, es ist der Tagesumsatz. Bis vor einem Jahr hat meine Mutter bei iranischen Familien gereinigt und Wäsche geputzt, seit ca. einem Jahr wurde sie krank. Sie kann nicht mehr als einen Kilo Gramm heben.

R: Wie viel kostete Ihre Reise nach Österreich?

BF: 3,5 Tausend Euro.

R: Woher kam das Geld?

BF: Es war sehr schwierig für mich, ich borgte es mir von Nachbarn aus. Eine Woche vor meiner Ausreise habe ich das Geld zusammenbekommen.

R: Nennen Sie die Namen bitte.

BF: XXXX, XXXX und XXXX. Es sind drei verschiedene Familien.

R: Nennen Sie die vollen Namen.

BF: XXXX XXXX, XXXX.XXXX kannte ich nicht wirklich nahe, meine Mutter kannte ihn. Ich wei9ß den Nachnamen nicht.

R: Sind das alles Personen afg. Herkunft?

BF: Ja.

R: Damit geben Sie selbst die Antwort, wie die gesellschaftliche oder wirtschaftliche Situation der Afghanen im Iran ist. Was sagen Sie dazu?

BF: Ja, das ist das was ich sagte. Es war schwierig das Geld zusammenzubekommen. Sie belästigen meine Mutter und gehen jeden Tag vor ihre Haustüre und wollen das Geld zurückhaben.

R: Die Leute wissen genau, dass das Geld nicht sofort zurückfließen kann, wenn Sie nach Europa gehen.

BF: Meine Idee war es, wenn ich nach Österreich komme, dass ich die Sprache lerne, mir eine Arbeit suche und eben von meinem Gehalt ihnen einen Teil wieder zurückbezahle.

R: Sie sind als Analphabet nach Österreich gekommen?

BF: Ja, aber ich habe 3 Jahre die afg. Schule besucht, es war eine illegale Schule.

R: Gerade vorhin sagten Sie, dass Sie keine Schulbildung haben?

BF: 3 Jahre besuchte ich die Schule. Ich kann in ein Buch reinschauen. Es ist nicht so wichtig.

R: Sie sagten bei der ersten Einvernahme etwas ganz anderes, Sie haben drei verschiedene Geburtsdaten, Sie wurden straffällig. Machen Sie möglichst gleichbleibende Angaben, konzentrieren Sie sich.

R: Aus welcher Region in AFG stammt Ihre Familie ursprünglich?

BF: Aus XXXX. Mehr weiß ich nicht, sie sagten mir, dass die Familie aus XXXX stammt, genau weiß ich es nicht.

R: Vor dem BFA konnten Sie dies noch konkretisieren.

BF: Ich weiß es nicht mehr, es wurde mir gesagt, dass Sie von XXXX nach XXXX gingen.

R: Warum sind Ihre Eltern weg?

BF: IN AFG war Krieg, ein kalter Krieg.

R: Wie meinen Sie das jetzt?

BF: Es war früher ein Krieg, wo ein großer Krieg war. Dann ist der Bürgerkrieg ausgebrochen. Der war religiös.

R: Welche Sprachen sprechen oder verstehen Sie?

BF: Farsi, ich bin geboren und aufgewachsen damit. Dari kann ich ein bisschen, weil meine Mutter zu Hause Dari sprach. Ich kann auch Deutsch, soweit, dass ich meine Sachen rüberbringen kann.

R: Das ist es?

BF: Ja. Ich kann auch ein paar Wörter auf Englisch.

R: Was können Sie mir über Ihren Vater erzählen?

BF: Mein Vater ist 2016 gestorben. Das war auch der Grund, warum ich wieder freiwillig zurückkehren wollte. Weil meine Mutter sagte, dass sie es jetzt sehr schwer haben und sie sagte mir auch, ich solle hier so schnell wie möglich meine Arbeit erledigen oder wieder zurückkehren, damit ich ihnen dort helfen kann. Oder zumindest Geld zu ihnen schicken kann. Meine Mutter sagte mir, mein Platz sei nicht hier im Iran. Das war aber nachdem ich von der Polizei festgehalten wurde und, dass ich nicht in den Krieg ziehen soll und nicht nach AFG zurück soll, da ich in AFG niemanden mehr habe und niemanden mehr kenne.

R: Was gibt es noch wichtige zu erzählen zum Vater und zur Mutter?

BF: Das Leben war nicht so gut. Es war sehr schwer für meine Eltern. 2 Schwestern von mir sind in AFG geboren. Sie sind mit meinen zwei Schwestern damals in den Iran gegangen. Das mit dem Krieg, stellte dann für die Hazara mehr Probleme dar. Dann waren wir Flüchtlinge im Iran, sie lebten im Karaj und dann bin ich weggegangen. Ich bin dort geboren.

R: Ihr Eltern haben bis zu Ihrer Ausreise in einem Haus in Karaj gelebt?

BF: Mein Vater hat uns verlassen. Da war mein Bruder Erfan bereits ein Jahr alt. Ich war damals 12, als unser Vater uns verließ. Wir sind insgesamt 8 Kinder. Er hat die Mutter alleine mit 8 Kindern zurückgelassen. Sie haben immer miteinander gestritten. Geld hat er nicht geschickt. Das war dann auch der Grund, warum ich mit der Arbeit als Hilfsarbeiter begann.

R: Welche Arbeiten haben Sie in den letzten Jahren vor der Ausreise gemacht?

BF: Türgriffe haben wir hergestellt aus Metall. Ich habe in einer Art Schlosserei gearbeitet, eine Ausbildung haben ich nicht, aber ich habe einfach so dort gearbeitet.

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

BF: Mir geht es eigentlich gut, aber ich habe mir am Fuß ein Band gerissen. Das habe ich letztens bei der Einvernahme nicht gesagt. Es passierte bei einem Unfall. Ich war zu Fuß unterwegs in Richtung Arbeit und ein Auto hat mich angefahren. Ich ging zum Arzt und in einem Monat habe ich wieder einen Termin. Es ist manchmal schwierig, wenn ich gehe, dann falle ich zu Boden und habe kein Gefühl mehr im Fuß/Bein.

R: Dem Akt sind einige Unterlagen ersichtlich, wonach Sie sich bemühten sich zu integrieren. Was sagen Sie dazu? Haben Sie noch Unterlagen vorzulegen?

BF legt vor: Radiologiebefund vom 09.10.2018, Schulbestätigung, Bestätigung des XXXX vom 16.10.2018, Bestätigung der XXXX - Anmeldebestätigung vom 17.10.2018, mehrere Bestätigungen von XXXX zu ehrenamtlichen Beschäftigung. ÖSD Zertifikat A1 Anmeldung. Arbeitsvertrag unter aufschiebender Bedingung als Lagerarbeiter der XXXX und der Umgebung vom 16.10.2018 sowie drei Reverenzschreiben Weiters zwei Farbfotos, die den BF im Kreise seiner Freunde und Betreuerinnen zeigen.

Diese Unterlagen werden in Kopie zum Akt genommen.

R: Sie sind Angehöriger der Volksgruppe der Hazara? Stimmt das?

BF: Ja, das stimmt.

R: Waren Sie in einer Weise politisch tätig?

BF: Nein.

R: Haben Sie noch Verwandtschaften/Bindungen in AFG?

BF: Nein, niemanden. Ich kenne AFG selber nicht.

R: Würden Sie selbst von sich behaupten, dass Sie sehr flexibel sind und sich leicht anpassen können?

BF: Ja, und ich liebe es hier zu sein und ich versuche es auch hier zu bleiben. Eine große Bitte an Sie ist es, mir eine Chance zu geben. Ich habe hier jetzt eine Familie gefunden. Manche sagen, es kann nicht sein, dass man sich innerhalb von drei Jahren an etwas gewohnt hat. Ich habe mich aber an Österreich gewohnt und ich habe hier eine Familie. Ich will hier, wie die anderen Leute arbeiten und ich versuche ein normales und gutes Leben zu führen.

BF: Ich bin gezwungen worden meine Familie zu verlassen. Das Problem ist, dass ich für den Iran eine AB Karte hatte, die ich jetzt nicht mehr hatte. Wenn ich jetzt zurückkehre, habe ich nichts mehr. D.h. ich kann nicht mehr nach AFG oder in den Iran zurück.

R: Was stellen Sie sich beruflich für Ihr weiteres Leben in Österreich vor?

BF: ich habe sehr versucht meine Sprache zu verbessern. Ich habe mich für den B1 Kurs eingetragen, ich fand eine Arbeit in einem Lagerhaus, ich habe viele Freunde letztes Jahr kennengelernt. Über XXXX (heute anwesende Zuhörerin) lernte ich die Leute kennen.

R: Welchen Beruf stellen Sie sich vor? Wieder in der Metallbearbeitung?

BF: Ich möchte nur arbeiten. Dort im Lager zu arbeiten ist positiv für mich, da dort nur Österreicher sind und ich möchte deren Leben in Österreich lernen.

R: Möchten Sie noch etwas sagen?

BF: Weil Sie sagen, dass die Iraner nicht so schlecht wie die Afghanen behandelt werden oder dass es dort keinen Krieg gibt. Ich und meine Familie wurden sehr schlecht behandelt. Wir sind wie Diener behandelt und angesehen worden und, dass dort kein Krieg herrscht stimmt auch nicht. Ich möchte Sie bitten, weil das Recht habe ich nicht, Ihnen einen Befehl auszusprechen, aber ich bitte Sie um eine Chance, dass Sie mir helfen und ich möchte hierbleiben.

R: Können Sie nocheinmal die namen jener Personen nenenn, von denen Sie das Geld für die Reise nach Europa bekommen haben?

BF: XXXX,XXXX und XXXX"

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurden mehrere schriftliche Unterlagen zur Integrationsbemühung des Antragstellers vorgelegt.

9. Mit Schreiben vom 24.10.2018 bezog der Antragsteller zur Länderdokumentation schriftlich Stellung. Hierbei bezog sich der Antragsteller ua. auf eine Anfragebeantwortung seitens amnesty international vom 05.02.2018 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden, wonach kein Teil Afghanistans als sicher gelten könne und herrsche landesweit ein unberechenbarer bewaffneter Konflikt. Jede Abschiebung nach Afghanistan verstoße gegen das Refoulement-Verbot. Unter einem wurde neuerlich auf die Expertise einer bundesdeutschen Expertin vom 28.03.2018 verwiesen, wonach die Gefahr bestehe, allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden. Die Bedrohung sei besonders für Personen anzunehmen, die nach längerer Abwesenheit aus dem Ausland nach Afghanistan zurückkehren würden. Weiterhin wurde auf eine Entscheidung eines französischen Gerichtes verwiesen, worin ausgesprochen wurde, dass ein real risk einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestehe. Des Weiteren wurde hinsichtlich der Sicherheitslage auf Berichte von UNAMA sowie EASO (auszugsweise) verwiesen. Im Rahmen einer am 12.03.2018 in Wien gehaltenen Präsentation der stellvertretenden Leiterin des UNHCR-Büros in Kabul sei festgehalten worden, dass weder Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif sicher für Zivilisten sei und es seien auch Hazara gehäuft Opfer von Anschlägen in Großstädten. Es bestehe aufgrund der schlechten Sicherheitslage keine zumutbare interne Fluchtalternative. Der Beschwerdeführer wäre im Falle einer Neuansiedlung in den genannten Städten überdies von einer unzumutbaren Härte betroffen. So seien die Aufnahmekapazitäten der größeren Städte, angesichts des Rückgangs der wirtschaftlichen Entwicklung sowie aufgrund begrenzter Möglichkeiten beschränkt. So fehle es an Verfügbarkeit einer angemessenen Unterbringung und grundlegenden Versorgungsleistungen. 73,8% der städtischen Bevölkerung lebe in Slums. Die wirtschaftliche und humanitäre Notsituation werde in Afghanistan seit 2016 noch verschärft; dies durch die hohe Zahl an Binnenflüchtlingen, sowie Rückkehrern aus Pakistan und dem Iran. Die extrem angespannte Lage, insbesondere auch in Kabul, mache es so gut wie unmöglich, ein Einkommen zu verdienen, regelmäßig zu essen, eine Unterkunft zu finden und andere Grundbedürfnisse zu befriedigen. Unter anderem wurde auf die seitens UNHCR erlassenen Guidelines verwiesen, worin sich UNHCR klar zu den Voraussetzungen für eine zumutbare interne Flucht- und Schutzalternative, vor dem Hintergrund der enormen Versorgungsschwierigkeit in afghanischen Großstädten, äußere. In diesem Zusammenhang wurde auf die große Zahl von fast zwei Millionen Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan verwiesen. Weiters führe UNHCR an, dass es im Rückkehrkontext auf die Wichtigkeit der Verfügbarkeit und des Zugangs zu sozialen Netzwerken und dem Existieren von Familienmitgliedern oder Mitgliedern der ethnischen Gruppe bedürfe. Eine zumutbare interne Fluchtalternative sei sohin für den Beschwerdeführer jedenfalls nicht gegeben. Ausdrücklich sei dies von UNHCR hinsichtlich Kabul in Abrede gestellt worden. Der Antragsteller sei im Iran geboren und sozialisiert worden. Er verfüge über keinerlei Ortskenntnisse und würden ihm jegliche familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan fehlen. Er habe lediglich drei Jahre im Iran die Schule besucht und verfüge über keine Berufsausbildung, lediglich über Berufserfahrung als Hilfsarbeiter. Es würde der Antragsteller bei Rückkehr gleichsam als "Fremder im eigenen Land" erkannt werden. Weiterhin verwies die Stellungnahme auf Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes, in welchen in ähnlich gelagerten Fällen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei. Weiterhin sei der Beschwerdeführer hervorragend integriert. Er besuche den Deutschkurs B1, er habe im Verfahren noch weitere Unterstützungsschreiben vorgelegt. Es liege des Weiteren ein Arbeitsvorvertrag der Österreichischen Lagerhausgenossenschaft vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans und führt den von ihm im Verfahren angegebenen Namen. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Der Antragsteller ist im Iran geboren und aufgewachsen und genoss dort eine dreijährige Schulbildung. Der Antragsteller hat im Iran als Hilfsarbeiter sowie Mitarbeiter in einer Schlosserei gearbeitet. Der Vater des Antragstellers ist verstorben; die Mutter sowie weitere Geschwister leben nach wie vor im Iran.

Der Antragsteller leidet unter keinerlei psychischen oder physischen Beeinträchtigungen.

Der Beschwerdeführer stellte am 04.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Antragsteller ist rechtskräftig strafrechtlich verurteilt. Der Antragsteller hat während seines Aufenthaltes in Österreich mehrere Integrationsbemühungen, darunter Kursteilnahmen sowie Sprachkurse absolviert. Der Antragsteller hat im Verfahren mehrere Empfehlungsschreiben vorgelegt.

Zu den geltend gemachten Fluchtgründen wird vom erkennenden Gericht Folgendes festgehalten:

Der Antragsteller ist im Iran geboren und aufgewachsen und hat dort bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt. Der Antragsteller war daher in der Vergangenheit in Afghanistan keinerlei Verfolgung ausgesetzt. Es kann auch nicht erkannt werden, dass der Antragsteller pro futuro im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre.

Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Hazara), seiner Religion (schiitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich den überwiegenden Teil seines Lebens im Iran sowie zuletzt in Europa aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre.

Auch die Kumulierung verschiedener Merkmale (Hazara, schiitischer Moslem, Sozialisierung außerhalb Afghanistans, Fehlen eines sozialen Netzwerks) begründet keine asylrelevante Verfolgungsgefahr.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig, gesund und steht nicht wegen schwerwiegender Krankheitsbilder in ärztlicher Behandlung.

Der Antragsteller hat im Iran eine dreijährige Basisschulbildung genossen, sowie arbeitete er jahrelang als angelernter Schlosser. Der Beschwerdeführer hat zum Lebensunterhalt seiner Familie im Iran beigetragen.

Dass der Beschwerdeführer Verwandte in Afghanistan hat, konnte nicht festgestellt werden.

Mangels erweislicher Anknüpfungspunkte in der mutmaßlichen Herkunftsregion des Antragstellers ist es ihm jedoch möglich und zumutbar, sich in der Hauptstadt Kabul oder auch in Mazar-e Sharif oder Herat niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer der in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und hat eine (nicht staatliche) Schule besucht. Er kann lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer hat zwar nie in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat gelebt und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts seines guten Gesundheitszustandes, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner Berufserfahrung könnte er sich dennoch in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er seine Berufserfahrung als Schlosser und Straßenverkäufer nutzen könnte. Mit dem Leben in einer Großstadt ist der Beschwerdeführer insoweit vertraut, als er bis zu seiner Ausreise in der Großstadt Karaj (Karadsch) gewohnt hat. Der Beschwerdeführer konnte auch bisher durch einfache Arbeiten für sich sorgen. Ihm wäre daher auch der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat möglich. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Der Beschwerdeführer hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Im Ergebnis ist aufgrund der bisherigen Berufserfahrung von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Seine Familie hält sich im Iran auf. Er hat keine Familienangehörigen oder Verwandte im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich alleine. Er verfügt über freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen. Seine Bindung zu Afghanistan ist trotz der Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Iran geboren, aufgewachsen und sozialisiert wurde insbesondere unter dem Aspekt seiner Sozialisierung in einem afghanischen Familienverband, des langjährigen Aufenthalts in einem muslimisch geprägten Land, seiner Muttersprache Dari und der daraus abgeleiteten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur - deutlich intensiver als jene zu Österreich.

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Er ist in Österreich nicht legal beschäftigt.

Zur Lage in Afghanistan wird zentral nachstehende Quelle zugrunde gelegt:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 29.06.2018;

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation

Afghanistan in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018:

"...

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

...

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

...

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

...

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

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Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

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Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

Haqqani-Netzwerk

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban, hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).

Al-Qaida

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

3.1 Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.). Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

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Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

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Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 ziv

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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