Entscheidungsdatum
18.12.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I419 2210875-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.11.2018, Zl. XXXX, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen,
dass Spruchpunkt I zu lauten hat: "Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß § 57 AsylG wird Ihnen nicht erteilt."
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer wurde am 13.08.2016 beim wiederholten Aufenthalt im Bundesgebiet nach einer Telefonüberwachung im Besitz von Drogen angetroffen und festgenommen. Er befindet sich seither in Haft und verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe.
2. Mit dem bekämpften Bescheid hat das BFA dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 Asylgesetz" nicht erteilt (Spruchpunkt I), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II), festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III), über ihn ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt IV) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V).
3. Die Beschwerde bringt vor, der Beschwerdeführer habe seit 1993 in Italien gelebt, könne dort legal arbeiten und habe dort Familie und eine Aufenthaltsberechtigung. Er sei bereit, nach seiner Haft unverzüglich und freiwillig nach Italien auszureisen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine privaten, familiären, beruflichen oder sonstigen sozialen Bindungen, abgesehen von der Justizanstalt auch über keine eigene gesicherte Unterkunft und keine ausreichenden Existenzmittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Sein Privatleben beschränkt sich auf die Kontakte zu Mithäftlingen und Justizpersonal sowie Behördenverfahren.
Er hat bereits am 23.10.2006 anschließend an seine Einreise unter einem der Aliasnamen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, dessen Abweisung, verbunden mit der Ausweisung des Beschwerdeführers, der AsylGH am 09.09.2008 bestätigt hat. Zu einem unbekannten Zeitpunkt ist der Beschwerdeführer nach Italien gereist, wo er sich 2011 aufhielt, und später nach Österreich zurückgekehrt, nach eigenen Angaben in der zweiten Jahreshälfte 2016, ohne seinen Wohnsitz zu melden.
Er ist volljährig, gesund und arbeitsfähig, außerhalb der Haftanstalt ohne Wohnsitz im Inland, verheiratet und sorgepflichtig für zwei Kinder. Er spricht Ibo und Englisch. Italien hat ihm einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu Arbeitszwecken als selbständiger Händler erteilt und die dortige Botschaft des Herkunftsstaats ihm einen Reisepass ausgestellt.
Es kann nicht festgestellt werden, ob seine Frau und die beiden Kinder in seinem Herkunftsstaat oder in Italien wohnen.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich wie folgt strafgerichtlich verurteilt:
Vom XXXX am 21.12.2006 wegen des gewerbsmäßig begangenen Vergehens nach § 27 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten und 14 Tagen, von denen 5 Monate und 14 Tage bedingt nachgesehen wurden,
und am 23.04.2007 wegen des gleichen, wieder gewerbsmäßig begangenen Vergehens zu 7 Monaten Freiheitsstrafe, wobei die bedingte Nachsicht aus der ersten Strafe widerrufen wurde,
vom BG XXXX am 13.12.2008 wegen des Vergehens der Körperverletzung zu 2 Monaten Freiheitsstrafe, sowie neuerlich
vom XXXX am 23.01.2017 wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels und der Vorbereitung von Suchtgifthandel zu vier Jahren Freiheitsstrafe, weil er 174 Bodypacks mit Kokain und 31 mit Heroin mit mindestens 1.023 g Reinsubstanz Kokain und mindestens 98,29 g Heroin mit dem Vorsatz erworben und besessen hatte, dass dieses Suchtgift in Verkehr gesetzt werde, wobei es sich um die 68,2-fache respektive 35,53-fache Grenzmenge des § 28b SMG handelte, sowie dazu beigetragen hatte, dass es aus Holland- aus und nach Österreich eingeführt wurde. Motiv war, dass der Beschwerdeführer mit seinem Einkommen nicht das Auslangen fand.
Die BH XXXX hat am 15.03.2007 wider den Beschwerdeführer ein mit 10 Jahren bemessenes Rückkehrverbot erlassen. In Italien ist er den Behörden wegen Fahrens ohne Führerschein und Dokumentenfälschung in Zusammenhang mit einem Führerschein bekannt.
1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat:
Der Beschwerdeführer hat betreffend eine Rückkehr in den Herkunftsstaat keine auf diesen Staat bezogenen Bedenken geltend gemacht. Auch sonst wurde im Verfahren nichts bekannt, was fallbezogen gegen einen neuerlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers dort spräche.
1.3 Zum Vorbringen:
Der Beschwerdeführer kann in Italien einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen. Das BFA hat ihn bisher nicht aufgefordert, dorthin auszureisen.
Es gibt keinen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt oder automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt sein wird.
2. Beweiswürdigung:
2.1 Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA einschließlich des Urteilsvermerks des Strafgerichts und des Beschwerdeaktes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt und das Erkenntnis des AsylGH vom 09.09.2008 eingesehen.
2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers einschließlich Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben sowie die vorliegenden Urkunden, ansonsten auch auf die unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.
Die Negativfeststellung zum Aufenthaltsort seiner Kinder und der Gattin beruht darauf, dass der Beschwerdeführer dazu im Straf- und im Verwaltungsverfahren unterschiedliche Angaben gemacht hat, einmal dahingehend, dass diese im Herkunftsstaat lebten (AS 5), dann, dass sie samt den Eltern des Beschwerdeführers in Italien lebten (AS 205). Im Asylverfahren hatte er dagegen bereits 2006/07 angegeben, er habe keine Angehörigen im EU-Raum und sein Vater sei verstorben, Letzteres auch im fremdenrechtlichen Verfahren.
Nach seinen Angaben im Asylverfahren hat er den Herkunftsstaat, wo seine Schwester und seine Mutter leben würden, im September 2006 verlassen. Nunmehr gibt er an, seit 1993 in Italien gelebt zu haben. Auch daraus lässt sich nichts über den Aufenthalt der Kernfamilie schlussfolgern.
2.3 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:
Das Vorbringen zu den familiären Anknüpfungen in Italien konnte wie oben dargestellt nicht übernommen werden, wobei die rechtliche Beurteilung zeigt, dass dazu fallbezogen keine Feststellungen vonnöten sind.
Was die Arbeitserlaubnis und den Aufenthaltstitel dort betrifft, liegt eine Bestätigung der Polizei-Koordinationsstelle vor.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) (Abweisung der Beschwerde):
3.1 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels (Spruchpunkt I)
Im Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheids sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 Asylgesetz" nicht erteilt werde. Damit war offensichtlich das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemeint (S. 7 des Bescheids, AS 231). Dem war durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Aus der Beschwerde und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich auch keine Hinweise, die nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt. Der Beschwerdeführer hätte zudem im Falle des § 57 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 den Ausschlussgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen sich gelten zu lassen.
3.2 Zur Rückkehrentscheidung
Nach § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Drittstaatsangehöriger sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Nach § 31 Abs. 1 Z. 3 FPG halten sich Fremde unter anderem dann rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat - z. B. also Italien - ausgestellten Aufenthaltstitels sind, und zwar solange sie keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen und höchstens bis zu drei Monate, wobei Art. 21 SDÜ gilt.
Letztere Bestimmung regelt in ihrem Abs. 1, dass Drittausländer, die Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels einer Vertragspartei sind, sich auf Grund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen dürfen, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1 lit. a, c und e SDÜ genannten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen.
Zu diesen Einreisevoraussetzungen gehören, neben dem Besitz allenfalls nötiger weiterer Dokumente, ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts, oder die Fähigkeit, diese Mittel auf legale Weise zu erwerben. Die Person darf außerdem keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, nationale Sicherheit oder internationalen Beziehungen einer Vertragspartei sein.
Aus den Feststellungen ergibt sich, dass für einen rechtmäßigen Aufenthalt mindestens eine der erforderlichen Voraussetzungen fehlte, da es dem Beschwerdeführer an Geld und hinreichenden legalen Erwerbsmöglichkeiten mangelte. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer seit seiner Straffälligkeit beim ersten Aufenthalt zweifellos eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ist, wie schon aus der demonstrativen Aufzählung von delinquentem Verhalten in § 53 Abs. 3 Z. 1 f FPG erhellt, wo bereits eine Verurteilung zu drei Monaten unbedingter Freiheitsstrafe zur zwingenden Annahme sogar schwerwiegender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit führt, ebenso aber auch die rechtskräftige Verurteilung wegen einer in den ersten drei Monaten nach Einreise begangenen Vorsatztat.
Damit erweist sich der gegenwärtige Aufenthalt des Beschwerdeführers als von Beginn an unrechtmäßig, weil die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 SDÜ nicht vorlagen, konkret der lit. c und e. Inzwischen hat er haftbedingt auch längst die erlaubte Aufenthaltsdauer überschritten.
Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist demnach bereits seit der Einreise unrechtmäßig. Im Ergebnis ist damit die Voraussetzung des § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erfüllt. Zusätzlich hat sich ergeben, dass der Beschwerdeführer eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung für Italien hat. Die Sonderbestimmung des § 52 Abs. 6 FPG ordnet an, dass bei Fremden, die eine Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedsstaates haben, die Rückkehrentscheidung zudem nur unter der Voraussetzung zu erlassen ist, dass diese ihrer Pflicht nicht nachkommen, unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates auszureisen, oder ihre sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
Unverzüglich bedeutet ohne unnötigen Aufschub. Die Tatsache der Inhaftierung hindert den Beschwerdeführer an der Ausreise und bewirkt deren notwendigen Aufschub. Allerdings ist unmittelbar anschließend an seine Entlassung die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, wie sich aus der massiven, wenn auch durch die Festnahme auf kurze Zeit beschränkten, Delinquenz zusammen mit dem angegebenen Geldbedarf des Beschwerdeführers ergibt. Auch aus § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG folgt, dass fallbezogen seine Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass der Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ist. Somit ist auch im vorliegenden Fall die Rückkehrentscheidung vorgesehen.
Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.
Eine individuelle Abwägung der berührten Interessen ergibt, dass ein Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.
Der Beschwerdeführer verfügt über kein Familienleben in Österreich und hat ein solches auch nicht behauptet. Zu prüfen war daher ein etwaiger Eingriff in sein Privatleben. Unter diesem Aspekt ist auf die Feststellung zu verweisen, dass ein solches über die genannten Alltags- und Behördenkontakte hinaus nicht vorliegt.
Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer zu seinem Herkunftsstaat, in dem er - folgt man den Angaben zum Zeitpunkt seiner Ausreise im Asylverfahren - den Großteil seines Lebens verbracht hat, 35 von 48 Jahren, sprachliche und kulturelle Verbindungen und die Möglichkeit, alte oder neue soziale Kontakte zu pflegen.
Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber. Zuerst steht ihnen das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.
Im konkreten Fall kommt dazu, dass der Beschwerdeführer die Legalität seiner Einreise vorgetäuscht hat, indem er zwar mit Reiseurkunden, aber ohne die materiellen Voraussetzungen legaler Einreise die Binnengrenze querte. Er lebt nun als Strafgefangener in der Justizanstalt und weist kaum Integrationsmerkmale auf.
Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot verpflichten Drittstaatsangehörige zur Ausreise in den Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat und enthalten die normative Anordnung, für den festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet derjenigen Mitgliedsstaaten einzureisen, für die die Rückführungs-RL gilt, und sich dort nicht aufzuhalten (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151 mwH). Das BFA verkennt das, wenn es wegen des italienischen Aufenthaltstitels wähnt, das Verbot beschränke sich auf Österreich (S. 14 des Bescheids, AS 245; zur nationalen Ausschreibungsliste für Fälle aufrechter fremder Aufenthaltstitel siehe unter 3.4). Die Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen darf daher nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, vielmehr muss auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten mitberücksichtigt werden (vgl. VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).
Was die Rückkehrentscheidung alleine anbelangt, wird dabei der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Italien angesichts der vorangehenden Trennung durch die Strafhaft in Österreich an Gewicht verloren haben, auch im Hinblick auf die nach seinen Angaben dort befindliche Kernfamilie. Der Eingriff ist - wenn diese sich tatsächlich dort aufhält - in seiner Schwere dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer durch seine Verbrechen die räumliche Trennung bewusst riskierte, sodass er gegenüber der Notwendigkeit, die von der Anwesenheit des Beschwerdeführers ausgehende Gefahr zu bannen, keine solche Bedeutung erlangt, dass von der - grundsätzlich nicht im Ermessen stehenden (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237) - Rückkehrentscheidung abzusehen wäre. Diese Gefahr ergibt sich schon aus der zitierten gesetzlichen Vermutung des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG.
Sollten die italienischen Behörden die Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers entziehen, wäre der Kontakt mit den Kindern und der Gattin außer im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers z. B. mittels Treffen in Drittländern, telefonisch, durch Austausch von Videoaufnahmen und Fotos sowie (bei entsprechendem Alter der Kinder) über elektronische Medien möglich. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden.
3.3 Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III):
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.
Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig betont die Rechtsprechung des VwGH jedoch unter Hinweis auf jene des EGMR, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.
Zur Feststellung, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist, ist ausführen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Das gilt auch, wenn eine Unterstützung durch Angehörige ausbleiben sollte. Der Beschwerdeführer ist ausreichend gesund und daher erwerbsfähig.
Er spricht zwei Landessprachen, ist arbeitsfähig und hat in Nigeria bereits gelebt, weshalb er dort zweifelsfrei die Möglichkeit hat, am Arbeitsmarkt fündig zu werden, ob mit körperlicher oder anderer Arbeit.
Die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz werden jedenfalls im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer möglicherweise in Österreich - auch ohne Drogenhandel - wirtschaftlich besser leben kann, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen somit im vorliegenden Fall Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.
Zudem besteht in Nigeria keine so extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.
Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass in Nigeria das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch in der Beschwerde nicht behauptet.
Es ist dem Beschwerdeführer auch unbenommen, sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden. Aufgrund all dessen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät, sodass auch der Spruchteil III des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.
3.4 Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt IV):
Mit einer Rückkehrentscheidung kann auch dann ein Einreiseverbot verbunden werden, wenn der Betroffene über einen Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats verfügt (Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht II, Anm. 3 zu § 53 FPG), wobei mit "Mitgliedstaaten" jene gemeint sind, für welche die Rückführungs-RL gilt (VwGH 22.05.2013, 2013/18/0021). Zu diesen zählt Italien.
Bei der Erlassung und Bemessung eines Einreiseverbots sind demnach in Bezug auf das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen nicht allein seine Verhältnisse in Österreich "in den Blick zu nehmen", sondern auch die Situation des Fremden in den anderen Mitgliedstaaten (VwGH 28.05.2015, Ra 2014/22/0037 mwH).
Der räumliche Geltungsbereich eines Einreiseverbots umfasst die genannten Staaten, eine Einschränkung ist nicht möglich (VwGH 28.05.2015, Ra 2014/22/0037). Weder steht aber die Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) der Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels entgegen, noch muss sie ein Mitgliedstaat unter allen Umständen aufrechterhalten (13.09.2012, 2011/23/0413).
Die rechtlich gebotene Vorgehensweise beschreibt Art. 25 Abs. 2 f SDÜ: Stellt sich heraus, dass ein Drittausländer, der über einen gültigen Aufenthaltstitel einer der Vertragsparteien verfügt, zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, konsultiert die ausschreibende Vertragspartei jene, die den Aufenthaltstitel erteilt hat, um zu prüfen, ob ausreichende Gründe für dessen Einziehung vorliegen. Ist der Aufenthaltstitel nicht eingezogen, dann zieht die ausschreibende Vertragspartei die Ausschreibung zurück, wobei es ihr unbenommen bleibt, den Betroffenen in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen. Das Fortbestehen der Ausschreibung hängt also davon ab, ob der Aufenthaltstitel endet (vgl. Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht II, Anm. 3 zu § 53 FPG).
Der Betroffene kann sich auf die Rechtswirkungen, die sich aus diesem vom ausschreibenden Vertragsstaat einzuleitenden Konsultationsverfahren ergeben, sowie auf die sich daraus ergebenden Verpflichtungen berufen (EuGH 16.01. 2018, C-240/17, E).
Ob die italienischen Behörden aus diesem Anlass den Aufenthaltstitel einziehen, werden sie unter Wahrung des Art. 8 EMRK entscheiden können, wie oben dargelegt, auch wenn das Einreiseverbot in Kraft tritt. Je nach Inhalt der Entscheidung ist dann dem Beschwerdeführer über die Erfüllung der Sorgepflicht auf finanzieller Basis hinaus eine Fortsetzung des Familienlebens in Italien oder auch in Drittländern möglich, auch mit kürzeren Trennungsphasen als durch die aktuelle Strafhaft, die der Beschwerdeführer durch seine Verbrechen riskiert hat. Ergänzend dazu besteht weiterhin die oben beschriebene Kontaktmöglichkeit.
Nach § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, und zwar grundsätzlich für bis zu 10 Jahre. Eine solche Tatsache, die auch bei der Bemessung der Dauer zu berücksichtigen ist, ist nach Abs. 3 Z. 1 die gerichtliche Verurteilung des Drittstaatsangehörigen zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zumindest sechs Monaten, eine solche zu einer unbedingten von mindestens drei Monaten, aber auch seine mehrfache Verurteilung wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen sowie nach Z. 2 seine Verurteilung wegen einer innerhalb von drei Monaten nach Einreise begangenen Vorsatztat.
Die Verurteilungen des Beschwerdeführers erfüllen damit - teils mehrfach - den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG, die erste als auch jenen des § 53 Abs. 3 Z. 2 FPG. Damit liegen die Voraussetzungen mehrfach vor, was sich auch auf die Dauer eines Einreiseverbots auswirkt. Die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe erreichte zudem das Acht- bzw. 16-fache der eben genannten Strafhöhen.
Der Beschwerdeführer hat zwei Verbrechen nach dem SMG begangen und dabei mit Kokain im Kilo- und mit Heroin im zweistelligen Dekagramm-Bereich die Volksgesundheit gefährdet.
Der VwGH hat im Fall eines Drittstaatsangehörigen, der ein nach Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verhängtes Einreiseverbot von zehn Jahren bekämpfte, entschieden, dass die dadurch entstehenden Beeinträchtigungen seines in Deutschland ablaufenden Privat- und Familienlebens wegen seines großen Gefährdungspotentials im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Kauf genommen werden müssen (15.12.2011 2011/21/0237).
Insofern hat das BFA die Verhältnismäßigkeit nicht verletzt, wenn es angesichts der Verurteilung zu vier Jahren, also einem Drittel mehr, das Einreiseverbot ebenso mit zehn Jahren bemisst.
Der Beschwerdeführer befindet sich gegenwärtig in Strafhaft, sodass die Zeit noch zu wenig weit fortgeschritten ist, um ihm einen Gesinnungswandel zu attestieren. Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, die Dauer des Einreiseverbots sei unangemessen, ist dem - außer der angeführten Judikatur - auch entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer bereits mindestens einmal illegal zurückgekehrt und wieder dem Drogenhandel nachgegangen ist.
Im vorliegenden Beschwerdefall sind auch keine anderen Umstände zutage getreten, die dem Gericht eine Reduzierung der Befristung nahelegen würden. Nach all dem war die Beschwerde auch betreffend diesen Spruchpunkt IV abzuweisen.
3.5 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde (Spruchpunkt V):
Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Durchsetzungsaufschub und zur aufschiebenden Wirkung ausgeführt, dass gesondert zu begründen ist, inwieweit die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers geboten sein soll. Die auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Bezug nehmenden Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sind, vermögen die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes nicht zu ersetzen (VwGH vom 21.11.2006, 2006/21/0171 mwH).
Nach § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise eines Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist oder Fluchtgefahr besteht.
Die sofortige Ausreise erweist sich als nötig in diesem Sinne, wie bereits oben zu § 52 Abs. 6 FPG ausgeführt. Der Beschwerdeführer verfügt auch über keine Unterkunft und keine familiären Bindungen im Inland und, abgesehen von dem bei der Entlassung auszuzahlenden Teil der Arbeitsvergütung, über kein Arbeitseinkommen. Auch angesichts der so drohenden jederzeitigen Möglichkeit weiterer Angriffe gegen unterschiedliche geschützte Rechtsgüter besteht daher die Notwendigkeit, mit dessen Ausreise nicht zuzuwarten.
Bereits unmittelbar aus § 55 Abs. 4 FPG ergibt sich, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht festzulegen ist, wenn die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde. Es besteht daher - im Anschluss an die Haftentlassung (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237) - keine Frist für die freiwillige Ausreise.
Daher war die Beschwerde auch betreffend den Spruchpunkt V abzuweisen.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).
Der Sachverhalt weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Gericht knapp sechs Wochen liegen - die gebotene Aktualität auf. Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Relevanz des Privat- und Familienlebens bei Rückkehrentscheidungen oder zur ganzheitlichen Verhaltensbeurteilung bei der Verhängung und Bemessung von Einreiseverboten.
Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.
Schlagworte
Abschiebung, Asylverfahren, Aufenthaltsberechtigung besondererEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I419.2210875.1.00Zuletzt aktualisiert am
05.03.2019