Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 2005 §11;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 31. August 2018, W237 1258678- 3/8E und W237 1405993-3/7E, jeweils betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines unbefristeten Einreiseverbotes sowie insbesondere die Feststellung der (Un-)Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation (mitbeteiligte Parteien:
1. M S, und 2. H B, beide in Wien und beide vertreten durch Jakob Fux, p.A. Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, Schottengasse 3a/1/59, 1010 Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die beiden Mitbeteiligten sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und stammen aus Grosny/Tschetschenien. Sie sind nach islamischem Ritus verheiratet und haben zwei minderjährige Kinder (geboren 2015 und 2016).
2 Sie kamen 2002 (Erstmitbeteiligte) bzw. 2008 (Zweitmitbeteiligter) nach Österreich. Beiden wurde hier der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Juni 2015 wurden die Mitbeteiligten wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB zu Freiheitsstrafen in der Dauer von 19 Monaten (Erstmitbeteiligte) bzw. 21 Monaten (Zweitmitbeteiligter) verurteilt. Dem lag im Wesentlichen zu Grunde, dass die Mitbeteiligten im Sommer 2014 dreimal versucht hatten, nach Syrien zu reisen, um sich durch Kampfhandlungen, durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise durch "Stärkung der Gruppenmoral" an der Terrororganisation IS zu beteiligen.
4 Im September/Oktober 2015 wurden die Mitbeteiligten bedingt aus der Strafhaft entlassen.
5 Mit Bescheiden vom 2. Juli 2016 (Erstmitbeteiligte) bzw. vom 18. November 2015 (Zweitmitbeteiligter) erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten ab und sprach aus, dass ihnen gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zukomme; damit verband es jeweils die Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei. Die gegen diese Bescheide - mit Ausnahme der Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung - erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnissen vom 11. Oktober 2016 (Erstmitbeteiligte) bzw. vom 14. April 2016 (Zweitmitbeteiligter) als unbegründet ab.
6 Mit weiteren Bescheiden vom 8. Juni 2018 (Erstmitbeteiligte) bzw. vom 30. Mai 2018 (Zweitmitbeteiligter) sprach das BFA aus, dass den Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht zuerkannt werde. Unter einem erließ es jeweils gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot. Außerdem stellte das BFA jeweils gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Mitbeteiligten gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei, erkannte Beschwerden gegen die Rückkehrentscheidungen gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.
7 In Bezug auf die Entscheidungen nach § 52 Abs. 9 FPG stellte das BFA jeweils fest, dass den Mitbeteiligten im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Teilen des Landes, außerhalb Tschetscheniens, zur Verfügung stehen werde; eine Wiedereinreise in die Russische Föderation könne daher ohne Gefährdung ihrer Person erfolgen. In diesem Zusammenhang gab das BFA dann "relevante Auszüge aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation mit Stand 28.05.2018" wieder. Außerdem verwies es auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 29. Juni 2017 sowie von ACCORD vom 28. September 2017 und schließlich - unter auszugsweiser Darstellung der zugrunde liegenden nationalen Entscheidungen - auf die Entscheidung des EGMR 7.11.2017, X./Deutschland, 54646/17, in der ausgeführt worden war, dass angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer dieses Falles nicht mit den Konflikten im Nordkaukasus in Verbindung stehe, keine ernsthaften Gründe für die Annahme bestünden, er wäre im Falle seiner Abschiebung nach Russland tatsächlich der Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung ausgesetzt. Im Rahmen seiner Überlegungen zur Beweiswürdigung hielt das BFA dazu fest, dass sich eine Rückkehr der Mitbeteiligten in die Republik Tschetschenien als problematisch erweisen könnte und die Möglichkeit bestehe, dass sie als tschetschenische Rückkehrer nach einer Einreise in die Russische Föderation die Aufmerksamkeit der russischen Behörden auf sich ziehen würden; es gebe (aber) keine substantiierten Anhaltspunkte dafür, dass ihnen eine generelle Verfolgung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Strafe bzw. die Todesstrafe drohe. Die genannten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation und von ACCORD zeichneten sich in erster Linie dadurch aus, dass sie sich nicht auf Erfahrungswerte hätten stützen können; aus beiden gehe hervor, dass es Informationen über den Umgang mit vergleichbaren Fällen im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation tatsächlich (noch) nicht gebe; ein ähnliches Bild "von fehlender konkreter Information zu vergleichbaren Fällen" zeichne auch die Begründung der EGMR-Entscheidung vom 7. November 2017 aus. In seiner rechtlichen Begründung hielt das BFA dann noch fest, es könne nicht mit hinlänglicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass den Mitbeteiligten im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien keine Art. 3 EMRK-widrige Behandlung drohe. Wie jedoch schon in der Beweiswürdigung ausgeführt, stehe ihnen eine innerstaatliche Fluchtalternative in andere Landesteile der Russischen Föderation offen.
8 Die Mitbeteiligten erhoben gegen diese Bescheide Beschwerde. Mit Erkenntnissen je vom 31. August 2018 wies das BVwG diese Beschwerden, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 sowie gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidungen und der Einreiseverbote richteten, jeweils als unbegründet ab. Bezüglich des vom BFA getroffenen Ausspruchs nach § 52 Abs. 9 FPG gab es den Beschwerden statt und stellte jeweils fest, dass die Abschiebung der Mitbeteiligten gemäß § 46 iVm § 50 FPG in die Russische Föderation unzulässig sei. Schließlich behob das BVwG die Aussprüche des BFA über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidungen ersatzlos und änderte die Entscheidungen des BFA über die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise jeweils dahingehend ab, dass gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG diese Frist 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte das BVwG eine Revision gegen seine Erkenntnisse gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils für zulässig.
9 Die stattgebenden Entscheidungen betreffend die Feststellungen nach § 52 Abs. 9 FPG begründete das BVwG in seinen beiden Erkenntnissen im Wesentlichen gleichlautend im Kern damit, dass das BFA und das BVwG an die in den Aberkennungsverfahren in Rechtskraft erwachsene Beurteilung der Unzulässigkeit (insbesondere) der Abschiebung der Mitbeteiligten in die Russische Föderation gebunden seien. Das wäre nur dann anders, wenn sich in den dieser Beurteilung zugrunde liegenden Feststellungen eine solche Änderung ergeben hätte, dass vom Vorliegen einer neuen Sache auszugehen wäre. Das sei jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere seien in Bezug auf Tschetschenien keine Änderungen im Sinne einer Verbesserung der Situation der Mitbeteiligten im Falle ihrer Rückverbringung dorthin zu ersehen. Es werde im Gegenteil angesichts der getroffenen Länderfeststellungen - der Beurteilung des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes (in dem der oben unter Rn. 7 genannten Entscheidung des EGMR vom 7. November 2017 zugrunde liegenden Fall) folgend - als maßgeblich wahrscheinlich erachtet, dass die Mitbeteiligten in Tschetschenien nach wie vor der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wären.
10 Damit bleibe zu prüfen - so das BVwG weiter -, ob sich womöglich hinsichtlich der Bewegungsfreiheit der Mitbeteiligten innerhalb der Russischen Föderation, des dortigen Meldewesens und der Lage von Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens seit der rechtskräftigen Beurteilung im Aberkennungsverfahren Änderungen ergeben hätten, die eine neue - anders lautende - Beurteilung der Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative erforderlich machten. Eine strukturelle Änderung der Situation in diesen Aspekten sei allerdings nicht erkennbar, es seien somit (insgesamt) der Berichtslage zur Situation für die Mitbeteiligten in ihrem Herkunftsstaat keine maßgeblichen Änderungen seit Rechtskraft der Erkenntnisse des BVwG in den Aberkennungsverfahren zu entnehmen.
11 Das BFA sei unter Berufung auf den der genannten EGMR-Entscheidung vom 7. November 2017 zugrunde liegenden Beschluss des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes davon ausgegangen, dass den Mitbeteiligten die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in anderen Landesteilen der Russischen Föderation offen stehe. Mit den Entscheidungen der deutschen Gerichte und des EGMR werde allerdings kein neuer Sachverhalt in Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung der Mitbeteiligten in die Russische Föderation dargetan, sondern lediglich eine andere Beurteilung des gleichen Sachverhalts getroffen, der bereits den Erkenntnissen im Aberkennungsverfahren zugrunde gelegen habe. In diesen Verfahren sei die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative durch die Mitbeteiligten nicht gesehen worden. Dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative durch das deutsche Bundesverwaltungsgericht und den EGMR aber auf anderen Feststellungen über die Situation im Herkunftsstaat der Mitbeteiligten beruhen würde, sei nicht zu sehen und vom BFA auch nicht dargetan worden.
12 Es hätten sich somit - so das BVwG zusammenfassend - weder in den Rechtsvorschriften noch in der maßgeblichen Sachlage Änderungen ergeben, die die Rechtskraft des Ausspruchs der Unzulässigkeit der (insbesondere) Abschiebung der Mitbeteiligten in die Russische Föderation durchbrechen würden. Da gemäß § 52 Abs. 9 FPG mit Erlassung einer Rückkehrentscheidung festzustellen sei, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, sei in Stattgabe der Beschwerde festzustellen gewesen, dass die Abschiebung der Mitbeteiligten in die Russische Föderation unzulässig sei. Damit könne aber auch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung keinen Bestand haben, was in weiterer Folge den abändernden Ausspruch über die Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bedinge.
13 Gegen die stattgebenden bzw. abändernden Aussprüche dieser Erkenntnisse (Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG, ersatzlose Behebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung sowie Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise) richtet sich die vorliegende Revision des BFA, zu der die Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstatteten.
14 Diese Revision erweist sich entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig.
15 Das BVwG hat in seinen Zulassungsbegründungen, auf die noch im Detail einzugehen sein wird, einleitend festgehalten, es bestehe eine klare Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend, dass mit einer Refoulement-Beurteilung in Bezug auf den Herkunftsstaat eines Fremden eine zu beachtende Rechtskraftwirkung einhergehe, deren Durchbrechung nur dann gerechtfertigt sei, wenn sich nach Erlassung der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hätten, also eine neue Sache vorliege, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gelten würde. Von einer nachträglichen Änderung der Sache sei der Fall zu unterscheiden, dass der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt werde oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorgelegen, aber erst später bekannt geworden seien. Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage sei von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und binde Gerichte und Behörde, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehöre (Verweis auf VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0293).
16 Diesem Befund des BVwG ist zuzustimmen, und es ist - entgegen der in der Amtsrevision vertretenen Ansicht des BFA - nicht zu sehen, warum das für das Verhältnis einer Feststellung über die Unzulässigkeit (insbesondere) einer Abschiebung nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 zur Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG anders sein sollte. Richtig ist nur, dass § 52 Abs. 9 FPG nach seinem Wortlaut für den Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ausnahmslos anordnet, es sei gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Insoweit wird von dem die materielle Rechtskraft kennzeichnenden Umstand der "Unwiederholbarkeit" abgegangen. Dass das auch für die "Unabänderlichkeit" - "das bedeutendste Merkmal der Rechtskraftwirkung" (Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 16 (Stand April 2018) mit Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) - gelte, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen. Im Gegenteil zeigt § 51 Abs. 5 FPG, dass eine rechtskräftige Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat nur dann geändert werden kann, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt wesentlich geändert hat. (Dass Rückkehrentscheidungsverfahren seit dem FrÄG 2015 von § 51 FPG nicht mehr erfasst werden, ist - siehe die ErläutRV 582 BlgNR 25. GP 20 zur Novellierung dieser Bestimmung - nur dem Umstand geschuldet, dass für solche Verfahren in § 52 Abs. 9 FPG ohnehin eine amtswegige Feststellung vorgesehen ist; vgl. auch die auf die Neufassung des § 46a FPG durch das FrÄG 2015 bezugnehmenden ErläutRV aaO sowie die ErläutRV 1523 BlgNR 25. GP 33 zur Änderung des § 52 Abs. 9 FPG durch das FrÄG 2017, in denen einerseits im Zusammenhang mit einem neuen Abspruch nach § 52 Abs. 9 FPG auf eine Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes Bezug genommen und andererseits ausgeführt wird, "als von der Rechtskraft des seinerzeitigen Zulässigkeitsausspruchs nicht umfasste neue Sache erfordert eine nachträglich eintretende wesentliche Verbesserung der im Zielstaat vorherrschenden Umstände in rechtlicher Hinsicht bloß eine abweichende bzw. neue Bewertung der Zulässigkeit gemäß § 52 Abs. 9 FPG.)
17 Dass gegenständlich keine "Vorfragenkonstellation" vorliegt, wie das BFA unter Verweis auf die - hypothetische - Aussage in Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 9, es wäre das Vorliegen einer Vorfrage zu verneinen, wenn zwei Behörden über die selbe Rechtsfrage als Hauptfrage zu entscheiden hätten, anmerkt, vermag nichts daran zu ändern, dass das BFA von seiner in Rechtskraft erwachsenen Feststellung über die Unzulässigkeit der Abschiebung der Mitbeteiligten in die Russische Föderation ohne Sachverhaltsänderung nicht abweichen durfte. Indem das BFA die Zulässigkeit seiner Amtsrevision u.a. auch damit begründet, es fehle Rechtsprechung dazu, wie eine nach einem Ausspruch gemäß § 8 Abs. 3a iVm § ? Abs. 2 AsylG 2005 eingetretene Sachverhaltsänderung im Herkunftsstaat vom BFA aufgegriffen werden könne, geht es letztlich der Sache nach selbst von einer Rechtskraftwirkung der gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 getroffenen Feststellung über die Unzulässigkeit (insbesondere) der Abschiebung in den Herkunftsstaat eines Fremden aus. Das hat der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen auch in seinem Erkenntnis VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 12, bekräftigt, wo er - ebenfalls mit dem Vorbringen konfrontiert, es fehle Rechtsprechung dazu, wie eine nach einem Ausspruch gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 eingetretene Sachverhaltsänderung im Herkunftsstaat vom BFA aufgegriffen werden könne - ausgeführt hat, die mit dem FNG geschaffene Regelung des § 52 Abs. 9 FPG ermögliche es, im Fall von geänderten Verhältnissen im Rückkehrentscheidungsverfahren selbst einen "actus contrarius" zur Feststellung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 zu setzen. Insoweit wurde die vom BVwG aufgezeigte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (siehe oben Rn. 15) von diesem auch schon - im Übrigen nach Stellung des im angefochtenen Erkenntnis und in der Amtsrevision auch angesprochenen Vorabentscheidungsersuchens VwGH 14.12.2017, EU 2017/0011, in dem es um die hier nicht relevante Frage der Möglichkeit der Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten geht - für die vorliegende Konstellation bestätigt.
18 Das BVwG hat seine Entscheidung am Boden der von ihm selbst dargestellten verwaltungsgerichtlichen Judikatur (siehe oben Rn. 15) getroffen. Es gelangte dabei zu dem auch in der Amtsrevision letztlich nicht in Abrede gestellten Ergebnis, die tatsächliche Lage in der Russischen Föderation habe sich in Bezug auf die die Mitbeteiligten betreffenden "refoulementrelevanten Umstände" seit Ergehen der Feststellungen über die Unzulässigkeit ihrer Abschiebungen im Aberkennungsverfahren nicht geändert bzw. verbessert, sondern diese seien in der jüngeren Judikatur (namentlich des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes und des EGMR) nur anders beurteilt worden. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ließ das BVwG dennoch zu, weil sich aus dieser jüngeren Judikatur zu vergleichbaren Fällen "denkmöglich auch argumentieren" ließe, dass sich die "refoulementrelevanten Umstände durchaus geändert haben müssen".
19 Diese Überlegung geht ins Leere, weil eben fallbezogen nicht zu sehen ist, welche maßgebliche Sachverhaltsänderung - konkret und nicht bloß theoretisch abstrakt - eingetreten sein soll. Eine solche Sachverhaltsänderung kann aber auch nicht, wie vom BVwG weiter hypothetisch in den Raum gestellt, schon per se in der neueren Judikatur zu vergleichbaren Fällen erblickt werden. Schließlich ist es richtig, dass sich eine (relevante) Lageänderung im Herkunftsstaat eines Fremden regelmäßig in neuen Länderberichten dokumentiert. Neue Länderberichte stellen aber nur neue Beweismittel dar. Sie vermögen gegebenenfalls neue Entwicklungen zu belegen und können, wenn das nicht der Fall ist und sie sich auf schon vor Abschluss des Erstverfahrens entstandene ("alte") Tatsachen beziehen, allenfalls eine Wiederaufnahme rechtfertigen (VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159). Sie bewirken für sich betrachtet aber keine Sachverhaltsänderung. Das mag in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - weil sachverhaltsbezogen nicht von Relevanz - verschiedentlich nur undeutlich zum Ausdruck gebracht worden sein. Argumente dafür, neue Länderberichte konstituierten schon als solche eine neue Sachlage, vermag das BFA jedoch nicht vorzubringen, weshalb seinen Ausführungen über die von ihm in den Bescheiden vom 30. Mai 2018 bzw. vom 8. Juni 2018 herangezogenen neueren Berichte - ohne aufzuzeigen, daraus hätte sich gegenüber dem Zeitpunkt der Vorentscheidungen in den Aberkennungsverfahren eine Änderung der maßgeblichen Umstände im Herkunftsstaat der Mitbeteiligten ableiten lassen - von vornherein keine Bedeutung zukommt.
20 Auch insoweit ist die Rechtslage klar, weshalb insgesamt nicht zu erkennen ist, dass sich fallbezogen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG stellen würden. Die vorliegende Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.
Wien, am 24. Jänner 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung FeststellungsbescheideRechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018210011.J00Im RIS seit
04.03.2019Zuletzt aktualisiert am
17.04.2019