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E000 EU- Recht allgemein;Norm
12010P/TXT Grundrechte Charta Art18;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. August 2018, W237 2202387-1/4E, betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 BFA-VG (Mitbeteiligter: X Y Z, A), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der aus Somalia stammende Mitbeteiligte stellte am 2. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 6. Juli 2018 wurde dieser Antrag vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach die Behörde aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.). Weiters erließ sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.) und er gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 2. Juli 2018 verloren habe (Spruchpunkt VI.), und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.) sowie dass einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt VIII.).
3 In seiner Begründung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse und erkennbar (auch) in Bezug auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung - aus, die Identität des Mitbeteiligten, über den vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 2. Juli 2018 die Untersuchungshaft wegen des Verdachtes des Suchtgifthandels verhängt worden sei, stehe nicht fest. Er sei "persönlich nicht glaubwürdig". Soweit er im Asylverfahren "namentlich genannt" werde, diene dies lediglich der Individualisierung als Verfahrenspartei. Er sei gegenüber europäischen Behörden mit wechselnden Identitäten aufgetreten. Die Korrespondenz mit einer italienischen Behörde habe ergeben, dass er dort mit "Aliasdatensätzen" - mit zwei anderen Namen und Geburtsdaten als jenen Personendaten, die er in Österreich gegenüber Behörden angegeben habe - verzeichnet sei. Er habe trotz Aufforderung keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität vorgelegt. Es sei somit "in Gesamtschau" seines Verhaltens davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte seine Identität zu verschleiern und die Behörde über seine Identität zu täuschen suche. Es könne betreffend seine Herkunft lediglich seinen Angaben zur Nationalität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gefolgt werden.
4 Da der Mitbeteiligte versucht habe, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über seine wahre Identität zu täuschen, seien die in § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG genannten Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfüllt. Es sei im Interesse eines geordneten Fremdenwesens die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme geboten. Der Antrag auf internationalen Schutz habe keine Aussicht auf Erfolg. Es drohe dem Mitbeteiligten in seinem Heimatland "auch keine sonstige reale und menschenrechtsrelevante Gefahr", weshalb es ihm zumutbar sei, den Ausgang seines Verfahrens dort abzuwarten. Sein Interesse am Verbleib im Bundesgebiet habe gegenüber dem Interesse Österreichs auf eine rasche und effektive Durchsetzung der Rückkehrentscheidung zurückzutreten.
5 Mit dem in Revision gezogenen (Teil-)Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit sich diese gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung richtete, Folge und hob Spruchpunkt VIII. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ersatzlos auf. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
6 In seiner Begründung stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, aufgrund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, könne die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung keinen Bestand haben. Aus diesem Urteil ergebe sich, dass aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben im Fall der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Erlassung einer mit der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen seien. Dabei genüge es nicht, von deren zwangsweisen Vollstreckung abzusehen. Die im vorliegenden Fall von der Behörde herangezogene Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG stehe im Widerspruch zur Rückführungsrichtlinie, weshalb sie unangewendet zu lassen sei. Daher sei der mit Spruchpunkt VIII. des beim Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheides erfolgte Ausspruch ersatzlos zu beheben.
7 Die Zulassung der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Rechtsfrage.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte in der Folge eine ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ein. Die Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten nach Durchführung des Verfahrens nach § 30a VwGG dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
10 Die Amtsrevision, die sich zu ihrer Zulässigkeit nicht allein auf das Fehlen von Rechtsprechung beruft, sondern zudem darlegt, weshalb sich nach Ansicht der revisionswerbenden Behörde die Beurteilung des Verwaltungsgerichts als rechtswidrig darstellt, erweist sich vor dem Hintergrund dieses Vorbringens als zulässig und berechtigt.
11 Zunächst ist festzuhalten, dass der Mitbeteiligte den Antrag auf internationalen Schutz am 2. Mai 2016 gestellt, hat. Somit unterfällt der gegenständliche Fall dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, weil der Antrag jedenfalls nach jenem Zeitpunkt gestellt wurde, den Art. 52 Abs. 1 Verfahrensrichtlinie als spätest möglich ansieht. Auf die im Vorabentscheidungsersuchen C-297/17 aufgeworfene und vom EuGH noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob diese Richtlinie nach der Übergangsbestimmung des Art. 52 Abs. 1 auch für Fälle anwendbar sein kann, in denen der Antrag auf internationalen Schutz vor dem 20. Juli 2015 gestellt worden ist, muss daher hier nicht Bedacht genommen werden.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mittlerweile mit der (auch) hier maßgeblichen Rechtsfrage des Näheren in seinem Erkenntnis vom 13. Dezember 2018, Ro 2018/18/0008, auseinandergesetzt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
13 Aus den dort genannten Gründen erweist sich die - nicht näher differenzierende - Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG müsse jedenfalls immer aufgrund Widerspruchs zum Unionsrecht gänzlich unangewendet bleiben, als unzutreffend. Schon deshalb kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.
14 Der vorliegende Fall erfordert aber noch nachstehende ergänzende Ausführungen:
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat im genannten Erkenntnis Ro 2018/18/0008 betont, dass es der EuGH in der besonderen Verfahrenskonstellation eines Asylverfahrens, in dem die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 6 und 8 Verfahrensrichtlinie erfüllt sind, offenkundig für zulässig erachtet, den weiteren Verbleib des Betroffenen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nur solange zu gestatten, bis das Gericht die Rechtmäßigkeit der sofortigen Aufenthaltsbeendigung überprüft hat.
16 Sofern diese gerichtliche Entscheidung darauf Bedacht nimmt, dass die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 8 Verfahrensrichtlinie erfüllt sind, der Grundsatz der Nichtzurückweisung nach Art. 18, 19 Abs. 2 GRC eingehalten wird und die durch Art. 47 GRC garantierten Verfahrensrechte des Betroffenen nicht verletzt werden, wird dadurch den rechtlichen Leitlinien, wie sie sich aus der - im Erkenntnis Ro 2018/18/0008 näher beleuchteten - Rechtsprechung des EuGH ergeben, entsprochen.
17 Der österreichische Gesetzgeber hat zwar keine Abweisung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet gemäß Art. 32 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie vorgesehen, aber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, in den in Art. 31 Abs. 8 Verfahrensrichtlinie genannten Fällen ein beschleunigtes Prüfungsverfahren durchzuführen (siehe § 27a AsylG 2005: "In den in § 18 Abs. 1 BFA-VG genannten Fällen kann das Verfahren beschleunigt geführt werden. Diese Verfahren sind längstens innerhalb von fünf Monaten zu entscheiden. Diese Frist kann jedoch überschritten werden, sofern dies zur angemessenen und vollständigen Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz erforderlich ist. Diesfalls gilt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG.").
18 Das (bereits mehrfach genannte) Erkenntnis Ro 2018/18/0008 enthält insoweit auch - vor dem Hintergrund des dort für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung herangezogenen Grundes - die Aussage, dass der im dort gegenständlichen Verfahren maßgebliche Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG in Art. 31 Abs. 8 lit. j Verfahrensrichtlinie Deckung findet.
19 Im hier gegenständlichen Fall hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG gestützt. Die Verfahrensrichtlinie enthält entsprechende, aber nach ihrem Wortlaut nicht völlig deckungsgleiche Tatbestände in ihrem Art. 31 Abs. 8 lit. c und lit. d. Es ist daher geboten, bei der Auslegung des § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG auf die diesbezüglich korrespondierenden Tatbestände der Verfahrensrichtlinie Bedacht zu nehmen (vgl. auch die in der Regierungsvorlage betreffend ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018, BGBl. I Nr. 56/2018, zur (gemäß § 56 Abs. 12 BFA-VG mit Wirkung vom 1. September 2018 erfolgten) Änderung des § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG enthaltenen Erläuterungen (RV 189 BlgNR 26. GP, 30), worin ausgeführt wurde, die "Aufnahme der Wortfolge ¿durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten' in Z 3 erfolgt im Einklang mit Art. 46 Abs. 6 lit. a iVm Art. 31 Abs. 8 lit. c der Verfahrens-RL, wobei die von der Richtlinie vorgegebenen Möglichkeiten mit der vorgesehenen Änderung in größerem Umfang ausgeschöpft werden sollen.").
20 Das Bundesverwaltungsgericht hat es ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht, die Aberkennung der aufschiebende Wirkung sei infolge unionsrechtlicher Vorschriften von vorherein als gänzlich unzulässig anzusehen, unterlassen, Feststellungen zu treffen, die eine dem Gesetz solcherart entsprechende Beurteilung ermöglicht hätten.
21 Nach dem Gesagten ist das angefochtene (Teil-)Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Es war daher aus dem (vorrangig wahrzunehmenden) erstgenannten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 31. Jänner 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62018CO0269 C u.a. VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018140002.J00Im RIS seit
04.03.2019Zuletzt aktualisiert am
20.03.2019