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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §24 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der S W in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Holzinger, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Karlsgasse 15/Top 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. September 2018, Zl. W255 2198196- 1/6E, betreffend Berichtigung und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktserivce Wien Schloßhofer Straße),
Spruch
<spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Berichtigung der Notstandshilfe richtet.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen (Rückforderung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 1. März 2018 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass gemäß § 38 iVm § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug der Notstandshilfe der Revisionswerberin für den Zeitraum 1. Juli 2017 bis 31. Jänner 2018 "widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" werde und die Revisionswerberin gemäß § 38 iVm § 25 Abs. 1 AlVG zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von EUR 4.487,05 verpflichtet werde. Begründend wurde ausgeführt, die Revisionswerberin hätte erkennen müssen, dass die ihr irrtümlich (unter Nichtanrechnung ihrer Witwenpension) zu hoch ausbezahlte Notstandshilfe nicht gebührt hätte.
2 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, die vom AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 3. Mai 2018 abgewiesen wurde.
3 In ihrem Vorlageantrag brachte die Revisionswerberin (wie schon zuvor im Verfahren vor dem AMS) vor, ihr sei aufgefallen, dass die ausbezahlte Leistung höher als bisher gewesen sei, weshalb sie in der "Serviceline" des AMS angerufen habe; vom Mitarbeiter der "Serviceline" sei sie gefragt worden, ob sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse geändert hätten, worauf sie auf die an ihren Sohn geleisteten Alimentationszahlungen hingewiesen hätte; der Mitarbeiter habe daraufhin gemeint, dass "die Mitarbeiter der Servicezone schon wissen, was sie tun". In der Folge habe sie sich darauf verlassen, dass die Bemessung der Notstandshilfe korrekt sei. Abschließend beantragte die Revisionswerberin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.
5 Es stellte, soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich, fest, dass die Revisionswerberin durch Mitteilung vom 19. Juli 2017 erstmals erfahren habe, dass ihr Notstandshilfe in einem deutlich höheren Umfang als zuvor zuerkannt worden sei. Am 24. Juli 2017 habe sie das AMS aufgesucht und eine Bestätigung über Unterhaltszahlungen an ihren Sohn eingereicht; im Zuge dieser Vorsprache habe sie ihren höheren Bezug nicht thematisiert. Mit Mitteilung vom 24. Juli 2017 habe das AMS die Revisionswerberin über ihren auf Grund dieser Unterhaltszahlungen geringfügig erhöhten Bezug (EUR 30,12 statt EUR 29,15 täglich) informiert. Am 27. Juli 2017 habe die Revisionswerberin mit dem AMS telefonisch Kontakt aufgenommen und sich erkundigt, warum ihr EUR 30,12 statt EUR 29,15 zuerkannt worden seien. Sie habe im Zuge dieses Telefonats nicht ihren generell deutlich höheren Bezug im Vergleich zum Jahr 2016 und zur ersten Jahreshälfte 2017 (rund EUR 30,-- statt rund EUR 10,--) thematisiert. All das ergebe sich nachvollziehbar aus dem Auszug aus dem EDV-System des AMS und den "diesbezüglichen Angaben" der Revisionswerberin.
6 Das Bundesverwaltungsgericht folgerte daraus, dass der Revisionswerberin der zu hohe Leistungsanspruch aufgefallen sei, sodass die Rückforderung des unberechtigt Empfangenen gemäß § 25 Abs. 1 AlVG gerechtfertigt sei.
7 Die beantragte Verhandlung führte das Bundesverwaltungsgericht nicht durch, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt unstrittig und nur über eine Rechtsfrage abzusprechen gewesen sei.
8 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch das AMS in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
9 Die Revision richtet sich ausdrücklich gegen das Erkenntnis "in seiner Gesamtheit". Gegen die Berichtigung der Notstandshilfe enthält die Revision aber kein Vorbringen, und auch im Revisionspunkt wird nur eine Verletzung im Recht auf eine nicht gesetzmäßige Rückforderung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG geltend gemacht. Soweit die Revision das Erkenntnis auch im Umfang der Berichtigung der Notstandshilfe bekämpft, war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
10 Im Übrigen erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie die Revisionswerberin unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzeigt - in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen hat.
11 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 Grundrechtecharta entgegenstehen.
12 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, gehört es allerdings gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von "civil rights" (zu denen auch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zählen) in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 24.7.2018, Ra 2015/08/0144, mwN).
13 Gegenständlich liegen zu der Frage, ob die Revisionswerberin vom AMS eine Bestätigung der Richtigkeit ihres erhöhten Notstandshilfebezugs erhalten hat, widersprechende Darstellungen vor. Sollte eine solche Bestätigung tatsächlich erfolgt sein und sich nicht nur auf die geringfügige Erhöhung wegen der Unterhaltszahlungen bezogen haben, so stünde dies einer Rückforderung aus dem Grund des "Erkennenmüssens" des Überbezugs entgegen. Die gegensätzlichen Darstellungen sind daher prozessrelevant. Im Hinblick darauf hätte das Bundesverwaltungsgericht eine - von der Revisionswerberin auch ausdrücklich beantragte - mündliche Verhandlung durchführen müssen, um durch eine unmittelbare Beweisaufnahme eine zuverlässige Klärung des Sachverhalts herbeizuführen.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang des Ausspruchs über die Rückforderung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
15 Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. Februar 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018080221.L00Im RIS seit
04.03.2019Zuletzt aktualisiert am
01.04.2019