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90/02 Führerscheingesetz;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Theresa Jordis, Rechtsanwältin in Wien I, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. Mai 1998, Zl. MA 65-8/125/98, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 iVm § 25 Abs. 3 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B wegen Verkehrsunzuverlässigkeit für die Dauer von zwölf Monaten (gerechnet ab der am 2. März 1998 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides) entzogen.
In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Anlass für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. Februar 1998 wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 4 StGB und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von vier Monaten (bedingt nachgesehen auf drei Jahre). Danach hat der Beschwerdeführer am 18. November 1997 versucht, einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung (Vollstreckung einer Ersatzarreststrafe durch Vorführung des Beschwerdeführers) zu hindern, indem er ihn mit seinem Körper aus der Tür zu drängen versuchte und anschließend mit den Füßen gegen ihn trat, wodurch der Beamte eine Prellung des linken Schienbeinkopfes und eine geringfügige Zerrung der Kniescheibensehne erlitt. Die belangte Behörde erblickte darin eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG, deren Verwerflichkeit und Gefährlichkeit offenkundig sei; darin zeige sich eine zu Aggressionen gegen andere Personen neigende Sinnesart des Beschwerdeführers. Deren Überwindung könne frühestens nach Verstreichen der festgesetzten Zeit von zwölf Monaten angenommen werden.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde die Lenkberechtigung nicht unzulässiger Weise rückwirkend entzogen. Auf Grund des mit seiner Erlassung am 2. März 1998 rechtswirksam gewordenen erstinstanzlichen Bescheides vom 24. Februar 1998 war die Lenkberechtigung bereits mit Wirkung vom 2. März 1998 entzogen. Die belangte Behörde bestätigte in Ausübung ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Erstbehörde deren Bescheid. Von einer rückwirkenden Entziehung kann daher keine Rede sein.
Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, es fehle jeglicher Zusammenhang zwischen der Tat vom 18. November 1997 und dem Lenken eines Kraftfahrzeuges und es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die Begehung solcher Delikte durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werde.
Dieser Einwand bezieht sich offensichtlich auf die Zuordnung der im § 7 Abs. 4 Z. 3 genannten "strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben" zu den bestimmten Tatsachen, deren Begehung im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichert wird. Diese Zuordnung ist - so wie die Zuordnung der "Rauschdelikte" (Abs. 4 Z. 1) zum Abs. 2 des § 7 FSG - offensichtlich verfehlt. Anders als etwa bei Diebstahlsdelikten (siehe das hg. Erkenntnis vom 10. November 1998, Zl. 98/11/0191) oder bei Betrugsdelikten (siehe das hg. Erkennntnis vom 9. Februar 1999, Zl. 98/11/0270) ist nicht erkennbar, inwiefern durch das Lenken von Kraftfahrzeugen die Begehung von Delikten gegen Leib und Leben oder von strafbaren Handlungen im Zustand völliger Berauschung erleichtert wird. Normgerechte Ausübung der Lenkberechtigung lässt eher erwarten, dass solche Delikte beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht begangen werden. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die Begehung von Delikten gegen Leib und Leben oder von "Rauschdelikten" auf eine Sinnesart hinweist, auf Grund der anzunehmen ist, dass die betreffende Person im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit. Die belangte Behörde hat daher zutreffend betont, dass von Kraftfahrzeuglenkern wegen der im Straßenverkehr häufig auftretenden Konfliktsituationen eine gegenteilige, nämlich nicht zu Gewalttätigkeiten neigende Sinnesart erwartet werden müsse. Unbeherrschte Aggressivität lässt befürchten, dass die betreffende Person entweder mit betont aggressiver Fahrweise oder aggressivem Verhalten nach einem allfälligen Verkehrsunfall auf vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer reagiert. Es kommt daher entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bei Gewaltdelikten gemäß § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG nicht darauf an, dass sie "im Zusammenhang mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen begangen" werden. Der vom Gesetz vorausgesetzte Zusammenhang zwischen solchen Delikten und dem Lenken von Kraftfahrzeugen besteht vielmehr in der vorhin aufgezeigten Art und Weise.
Soweit der Beschwerdeführer die Bindung der belangten Behörde an das Urteil des Strafgerichtes verneint und dabei ausführt, er habe sich beim Vorfall vom 18. November 1997 keineswegs aggressiv verhalten, verkennt er die Rechtslage. Mit dieser rechtskräftigen Verurteilung stand für die belangte Behörde die Begehung dieses Deliktes durch den Beschwerdeführer in der im Schuldspruch umschriebenen Art und Weise bindend fest. Danach hat sich der Beschwerdeführer gegen den Beamten sehr wohl aggressiv verhalten.
Die Auffassung der belangten Behörde, das strafbare Verhalten vom 18. November 1997 allein (sonstige strafbare Handlungen des Beschwerdeführers werden im angefochtenen Bescheid nicht erwähnt) lasse den Schluss zu, er werde seine Verkehrszuverlässigkeit erst nach Ablauf eines Jahres ab dem Beginn der Entziehungsmaßnahme, das sind rund fünfzehneinhalb Monate ab diesem strafbaren Verhalten, wieder erlangen, ist verfehlt. Sie beruht - wie der Beschwerdeführer im Ergebnis zutreffend vorbringt - auf einer nicht dem Gesetz entsprechenden Wertung im Grunde des § 7 Abs. 2 iVm Abs. 5 FSG. Gegen den Beschwerdeführer spricht zwar das in diesem Verhalten zu Tage getretene Ausmaß an Gewalttätigkeit gegen einen in Ausübung seines Dienstes befindlichen Beamten sowie der Umstand, dass er diesen damit an der rechtmäßigen Ausübung seines Dienstes zu hindern versuchte. (Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides, Seite 3 Abs. 1, vorgenommene Qualifizierung der Verletzung als "schwer" ist offensichtlich aktenwidrig: die dem Beamten zugefügten Verletzungen sind insgesamt nur leicht, die Tat verwirklicht nur deshalb, weil sie gegen einen Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben gerichtet war, das Vergehen der "schweren Körperverletzung" nach § 84 StGB.) Das Wohlverhalten des Beschwerdeführers zwischen dem 18. November 1997 und dem Beginn der Entziehungsmaßnahme am 2. März 1998 ist auch zu kurz, um für ihn ins Gewicht fallen zu können, zumal bis 4. Februar 1998 das gerichtliche Strafverfahren anhängig war. Sonstige zu seinen Nachteil ins Gewicht fallende Umstände auf Grund der Tat vom 18. November 1997 hat die belangte Behörde aber nicht angenommen, insbesondere etwa auch nicht einschlägige Vorstrafen, die unter dem Blickwinkel der Verwerflichkeit zu berücksichtigen wären. (Der Hinweis in der Gegenschrift auf "verschiedene Vorstrafen" ist zum einen verspätet und daher unbeachtlich und zum anderen zu vage:
daraus ist nicht ersichtlich, um welche Delikte es sich konkret handelt und wann sie begangen wurden.) Bei einer dem Gesetz entsprechenden Wertung dieser Tat hätte die belangte Behörde zur Annahme einer wesentlich kürzeren Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit der Beschwerdeführers gelangen müssen.
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betreffend den Ersatz von Stempel(gerichts)gebühren beruht darauf, dass der Beschwerdeführer auf Grund des hg. Beschlusses vom 29. Juni 1998 (Bewilligung der Verfahrenshilfe) derartige Gebühren nicht zu entrichten brauchte.
Wien, am 27. Mai 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998110198.X00Im RIS seit
20.11.2000