Entscheidungsdatum
27.12.2018Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W211 2168839-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX ,
StA: Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl vom XXXX zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei ist ein Staatsangehöriger Syriens. Sie stellte am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag gab die beschwerdeführende Partei, in Anwesenheit ihres Bruders (IFA: XXXX ) an, sie gehöre der Volksgruppe der Kurden an und sei sunnitischen Glaubens. Sie sei taubstumm, stamme aus Qamishli und habe Syrien im Oktober 2015 illegal über die Grenze zur Türkei verlassen. Ihre Mutter, ihr Vater, und zwei Geschwister würden noch in Syrien leben. Ein Bruder, ein Onkel und ein Cousin würden sich in Österreich aufhalten. Als Fluchtgrund gab die beschwerdeführende Partei an, in Qamishli seien sie und ihre Familie von bewaffneten Männern des Islamischen Staates (IS) bedroht worden. Ein Cousin sei vom IS umgebracht worden. In Syrien kämpfe jeder gegen jeden. Sie habe Angst vor dem Bürgerkrieg und sei daher geflüchtet.
3. Bei ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX 2017 gab der Bruder der beschwerdeführenden Partei in deren Vertretung an, die beschwerdeführende Partei habe nie eine Schule besucht und beherrsche auch die Gebärdensprache nicht. Mit ihrem Bruder verständige sie sich mittels verschiedener Gesten. Die beiden Eltern und zwei Schwestern der beschwerdeführenden Partei würden noch in Qamishli leben. Eine Schwester sei taubstumm, die andere auf einem Auge blind. Es gebe in Qamishli eine Gruppe namens "Apotchia", die Kinder für den Kampf gegen die Türkei und den IS rekrutiere. Zwar sei die beschwerdeführende Partei taubstumm, ansonsten jedoch als Kämpfer zu gebrauchen. Zwei Cousins seien bereits zwangsrekrutiert worden. Weiter habe Syrien wegen des Militärdienstes verlassen. Auch der Vater der beschwerdeführenden Partei laufe Gefahr durch kurdische Milizen eingezogen zu werden. Die rechtliche Vertretung der beschwerdeführenden Partei wies darüber hinaus darauf hin, dass sowohl der IS als auch die israelische Armee Taubstumme im Kampf einsetze.
4. Mit Stellungnahme vom XXXX 2017 brachte die beschwerdeführende Partei zusammengefasst vor, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Syrien einerseits eine Zwangsrekrutierung durch den IS aufgrund ihres Alters, politischer Gesinnung und Religionszugehörigkeit drohe, und sie andererseits aufgrund einer vermeintlichen oppositionellen Gesinnung einer Verfolgungsgefahr durch die syrische Regierung, kurdische Milizen (YPG) und andere bewaffnete Gruppen ausgesetzt sei.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Die Behörde stellte die syrische Staatsbürgerschaft der beschwerdeführenden Partei fest. Weiters wurde festgestellt, dass nicht glaubhaft sei, dass die beschwerdeführende Partei in Syrien einer individuellen und konkreten Bedrohung oder Verfolgung seitens der Gruppe "Aptochia" ausgesetzt gewesen sei. Auch wurde weder eine Bedrohung oder Verfolgung staatlicherseits, noch aufgrund ihrer Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit festgestellt.
6. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass es in der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Partei neben dem syrischen Regime noch oppositionelle Milizen, die YPG und den IS gebe. Die Wahrscheinlichkeit einer Zwangsrekrutierung durch eine dieser Konfliktparteien sei sehr hoch. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass die beschwerdeführende Partei trotz ihrer Eigenschaft als Taubstummer zum Wehrdienst, etwa zum Beladen von Geschützen, herangezogen werden könnte.
7. Mit Schreiben vom XXXX 2018 legte die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe ihre Vollmacht zurück.
8. Am XXXX 2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihres Bruders als Zeugen eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen insbesondere ihr Bruder zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei befragt wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Beschwerdevorlage für die Teilnahme an der Verhandlung.
9. Am XXXX 2018 langte eine Vollmacht der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe ein.
10. Mit schriftlicher Stellungnahme vom XXXX 2018 zu den in der mündlichen Verhandlung zusätzlich ins Verfahren eingebrachten Länderberichten wurde ausgeführt, dass in der Region um die Stadt Qamishli kurdische Milizen, die syrische Regierung und der IS aktiv seien. Die beschwerdeführende Partei befürchte trotz ihrer Behinderung zwangsrekrutiert zu werden. Außerdem sei ein Einmarsch türkischer Truppen in Syrien zu erwarten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:
1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, die am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
1.1.2. Die beschwerdeführende Partei gehört der Volksgruppe der Kurden an und ist sunnitischen Glaubens.
Die beschwerdeführende Partei stammt aus Qamishli Im Gouvernement Al Hasaka und besuchte dort keine Schule. In Qamishli leben die Eltern und zwei Schwestern der beschwerdeführenden Partei.
Der Bruder der beschwerdeführenden Partei lebt als Asylberechtigter in Österreich.
1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist taubstumm.
1.1.4. Die beschwerdeführende Partei ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Die Stadt Qamishli steht unter der Kontrolle kurdischer Milizen.
Festgestellt wird, dass in Gebieten unter der Kontrolle der Kurden jede Familie dazu verpflichtet ist, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten.
Es wird festgestellt, dass der beschwerdeführenden Partei im Fall einer Rückkehr nach Syrien eine Zwangsrekrutierung durch die YPG droht. Im Falle einer Verweigerung würde ihr diese durch die Miliz als oppositionell ausgelegt werden.
1.3. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben:
a) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien, 25.01.2018:
Sicherheitslage: Gebiete unter kurdischer Kontrolle
Im von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrollierten Gebiet wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, welche als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht (BTI 2016). Es wurden Komitees gegründet, die die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln (FT 23.12.2015). Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich (AI 12.7.2017). Die Erbringung öffentlicher Dienste variiert in den kurdisch kontrollierten Gebieten. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch Parallelstrukturen geschaffen. Zum Beispiel fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden (CHH 8.12.2017).
Quellen:
-
AI - Amnesty International (12.7.2017): Further Information on
Urgent Action: 123/17 [MDE 24/6710/2017], https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/zwei-von-drei-aktivisten-wieder-frei, Zugriff 25.8.2017
-
BTI - Bertelsmann Stiftung's Transformation Index (2016): Syria Country Report,
http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Syria.pdf, Zugriff 11.12.2017
-
CHH - Chatham House (8.12.2017): Governing Rojava - Layers of Legitimacy in Syria,
https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/publications/research/2016-12-08-governing-rojava-khalaf.pdf, Zugriff 11.12.2017
-
FT - Financial Times (23.10.2015): Power to the people: a Syrian experiment in democracy,
https://www.ft.com/content/50102294-77fd-11e5-a95a-27d368e1ddf7, Zugriff 11.12.2017
Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedenste Organisationen
Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete oppositionelle Gruppen und terroristische Organisationen rekrutieren Kinder und nutzen sie als Soldaten, menschliche Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Henker und auch in unterstützenden Funktionen. Kinder werden als Zwangsarbeiter oder Informanten benutzt, wodurch sie dem Risiko von Vergeltungsakten oder extremen Bestrafungen ausgesetzt sind. Manche bewaffneten Gruppierungen, die auf der Seite der Regierung kämpfen, zwangsrekrutieren Kinder - manche nicht älter als 6 Jahre (USDOS 27.6.2017). Der Syria Monitoring and Reporting Mechanism (MRM4Syria) berichtete in der ersten Hälfte von 2017 von 300 verifizierten Fällen der Rekrutierung von Kindern wobei 18% davon unter 15 Jahre alt waren (UNOCHA 11.2017). Die Vereinten Nationen dokumentierten im Jahr 2016 851 Fälle der Rekrutierung von Kindern durch Gruppierungen die sich der Freien Syrischen Armee unterordneten (507), den IS (133), regierungstreue Milizen (54), die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (46), Regierungseinheiten (29), Army of Islam (28), Ahrar ash-Sham (17), die Nusrah Front (Jabhat Fatah ash-Sham) (10), Nur al-Din al-Zanki (3) und nicht identifizierte bewaffnete Gruppen (24). 20 Prozent der verifizierten Fälle betrafen Kinder unter 15 Jahren (UNSG 24.8.2017). Es gibt Fälle von Minderjährigen, die kurz vor dem wehrpflichtigen Alter sind (16-17 Jahre) die an Checkpoints von der syrischen Armee rekrutiert wurden (DRC/DIS 8.2017).
Vor allem in den Gegenden, die von bewaffneten terroristischen Gruppierungen kontrolliert werden oder auch in Flüchtlingslagern in benachbarten Ländern ist die Rekrutierung von Kindersoldaten verbreitet, wobei die Gruppierungen die sozioökonomische Lage der Kinder und ihrer Familien ausnutzen. Von IS- oder al-Qaida-nahen bewaffneten Gruppen wurden Einheiten gegründet wie z.B. die Ashbal al-Zarqawi ("die Löwenjungen von al-Zarqawi"), Ashbal Jabhat al-Nu?rah ("die Löwenjungen von Jabhat al-Nusrah") und Ashbal al-Khilafah ("die Löwenjungen des Kaliphats") mit Kindern von 5 bis 15 Jahren (UNHRC 28.9.2016).
Es gibt aktive Versuche der Rekrutierung von Kindern durch den sogenannten Islamischen Staat (IS), die einer Nötigung gleichkommen (BFA 8.2017). Der IS setzt aktiv Kinder - manche lediglich 8 Jahre alt - in Kampfhandlungen ein, teils auch bei der Enthauptung von Soldaten des syrischen Regimes. Der IS zielt bewusst auf Kinder ab, um diese zu indoktrinieren und nutzt Schulen für militärische Zwecke, wodurch Kinder gefährdet werden und ihr Zugang zu Bildung eingeschränkt wird (USDOS 27.6.2017).
Organisationen wie Human Rights Watch, den Vereinten Nationen und KurdWatch zufolge rekrutiert die YPG sogar Kinder, einige nicht älter als zwölf Jahre, um sie im Kampf einzusetzen (ES BFA 8.2017).
Quellen:
-
BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak,
https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 11.12.2017
-
DRC/DIS - Danish Refugee Council/ The Danish Immigration Service (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria,
https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/7AF66D4A-5407-4B98-9750-7B16318EF188/0/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf, Zugriff 6.12.2017
-
ES BFA - Eva Savelsberg: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017) in BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 12.12.2017
-
FIS - Finnish Immigration Service (23.8.2016): Syria: Military Service, National Defence Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition,
https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/PLib/Report_Military-Service_-Final.pdf, Zugriff 11.12.2017
-
UNHRC - UN Human Rights Council (28.9.2017): National report submitted in accordance with paragraph 5 of the annex to Human Rights Council Resolution 16/21; Syrian Arab Republic [A/HRC/WG.6/26/SYR/1];
https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1481039574_g1621569.pdf, Zugriff 11.12.2017
-
UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.2017): 2018 Humanitarian Needs Overview - Syrian Arab Republic, https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1512548740_2018-syr-hno-english.pdf, Zugriff 21.12.2017
-
UNSG - UN Secretary-General (24.8.2017): Children and armed conflict, http://www.refworld.org/docid/59db4a194.html, Zugriff 21.12.2017
-
USDOS - US Department of State (27.6.2017): Trafficking in Persons Report 2016 - Country Narratives - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/342603/485978_de.html, Zugriff 12.12.2017
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (FIS 23.8.2016). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen, sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen, oder zu rechtlichen Konsequenzen (KurdWatch 30.6.2016; vgl. SEM 21.12.2015). In Artikel 2 und 3 des Wehrpflichtgesetzes wird zunächst der Personenkreis definiert, auf den sich das Gesetz bezieht. So heißt es in Artikel 2: "Die Pflicht zur Selbstverteidigung ist eine gesellschaftliche und moralische Pflicht der gesamten Bevölkerung. Aufgrund dessen obliegt es jeder in der Region ansässigen Familie, einen Angehörigen für die Ausübung der Pflicht zur Selbstverteidigung zu stellen."
Artikel 3 führt weiter aus: "Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für alle männlichen Personen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Frauen können sich freiwillig zur Selbstverteidigung verpflichten."
Der Wehrdienst beträgt gemäß Artikel 4 sechs Monate, die in der Regel innerhalb von höchstens einem Jahr abzuleisten sind. Laut Artikel 5 sind Personen, deren Familien "einen Märtyrer aus den Reihen der Volksverteidigungseinheiten, des Asayis [Sicherheitsdienstes] oder der kurdischen Volksbefreiungsbewegung zu beklagen haben" sowie Einzelkinder von der Wehrpflicht befreit. Ferner sind Menschen freigestellt, die die Wehrpflicht aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben können, und darüber ein ärztliches Attest vorweisen können (KurdWatch 5.2015).
Das Grundproblem dieses Gesetzes besteht zum einen darin, dass es nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen wurde, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Beim bewaffneten Arm der PYD, den YPG, handelt es sich nicht um eine quasistaatliche Armee, sondern um eine Parteimiliz. Zum anderen sieht das Gesetz keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor (KurdWatch 5.2015).
Die YPG unternimmt umfangreiche Rekrutierungskampagnen - auch aufgrund der Schlacht um Raqqa. Die YPG verkündete kürzlich eine Amnestie für Wehrdienstverweigerer, laut welcher diese die zusätzliche Dienstzeit von üblicherweise 3 Monaten, die als Bestrafung definiert ist, nicht ableisten müssen, sondern nur die reguläre Wehrdienstdauer. Berichten zufolge kommt es in den kurdischen Gebieten zu Zwangsrekrutierungen von Männern und Jungen (BFA 8.2017). Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (ES EZKS 3.11.2017).
Während einer Fact Finding Mission der Staatendokumentation des BFA gaben zwei Quellen an, dass es keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gibt, es jedoch einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen, die gegen den IS kämpfen, geben kann (BFA 8.2017). Laut Eva Savelsberg vom Europäischen Zentrum für Kurdische Studien sind jedoch auch Frauen und Mädchen von Zwangsrekrutierungen betroffen:
KurdWatch und das Europäische Zentrum für Kurdische Studien haben mehrere Fälle recherchiert, in denen minderjährige Mädchen rekrutiert bzw. zwangsrekrutiert wurden. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, die YPG wieder zu verlassen (ES EZKS 3.11.2017).
Organisationen wie Human Rights Watch, den Vereinten Nationen und KurdWatch zufolge rekrutiert die YPG sogar Kinder, einige nicht älter als zwölf Jahre, um sie im Kampf einzusetzen. Nurman Ibrahim Khalifa etwa wurde von der YPG entführt, als sie dreizehn Jahre alt war, und in ein PKK-kontrolliertes Lager in Irakisch-Kurdistan verschleppt. Während ihres Zwangsaufenthaltes dort wurde sie Zeugin, wie eine achtzehnjährige Frau nach mehreren Fluchtversuchen aus dem Lager öffentlich von einer PKK-Funktionärin hingerichtet wurde. Der tote Körper der Frau wurde in den nahe gelegenen Fluss geworfen. Derartige Brutalität ist eher die Regel als die Ausnahme; Zwangsrekrutierungen sind seit ihrer Einführung zu einem der Hauptgründe junger, kurdischer Männer geworden, aus den kurdischen Regionen zu fliehen. Dies trifft nicht auf junge Araber zu: Im Gegensatz zu Kurden sind sie nicht von Zwangsrekrutierungen betroffen. Wenn Araber in den kurdischen Gebieten rekrutiert werden, dann vom syrischen Regime (ES BFA 8.2017).
Die syrische Regierung zog sich 2012 weitgehend aus der Jazira Region im Nordosten Syriens zurück, hat ihre Kontrolle jedoch in zwei urbanen Zentren der Region, Hassakah und Teilen von Qamishli, aufrechterhalten. Die PYD kontrolliert den Großteil der Jazira, abgesehen von diesen beiden urbanen Zentren. Die Regierung hat in der Jazira jedoch noch immer essentielle Machtstrukturen inne, weshalb in dieser Region ein duales Sicherheitsarrangement herrscht. Die administrativen Strukturen der Regierung und der PYD überschneiden sich, zumindest in Bezug auf Überwachung und die Militarisierung der lokalen Bevölkerung. So kann es jungen Männern in der Jazira-Region passieren, dass sie von beiden Seiten zum verpflichtenden Wehrdienst einberufen werden, weil keine der beiden Gruppierungen die offiziellen Militärdienstdokumente der jeweils anderen anerkennt (BFA 8.2017).
Quellen:
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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak,
https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 12.12.2017
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ES BFA - Eva Savelsberg: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017) in BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 12.12.2017
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ES EZKS - Eva Savelsberg vom Europäischen Zentrum für Kurdische Studien (3.11.2017): Informationen per E-Mail
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FIS - Finnish Immigration Service (23.8.2016): Syria: Military Service, National Defence Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition,
https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/PLib/Report_Military-Service_-Final.pdf, Zugriff 11.12.2017
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KurdWatch (5.2015): Zwangsrekrutierungen und der Einsatz von Kindersoldaten durch die Partei der Demokratischen Union in Syrien, http://www.kurdwatch.org/pdf/KurdWatch_A010_de_Zwangsrekrutierung.pdf, Zugriff 12.12.2017
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KurdWatch (30.6.2016): New Document: Memo on forced recruitment in the Kobani Canton,
http://www.kurdwatch.org/newsletter/pdf/KurdWatch_D040_de_ar.pdf?e3883, Zugriff 12.12.2017
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SEM - Staatssekretariat für Migration (21.12.2016): Focus Syrien - Aktuelle Lage in Syrien,
https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/asien-nahost/syr/SYR-lage-referat-d.pdf, Zugriff 12.12.2017
b) Fact Finding Mission Report Syrien aus August 2017, Staatendokumentation (Auszüge):
Rekrutierung durch die YPG
Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), welche zur kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) gehören, unternehmen in den Gebieten, die unter ihrer Kontrolle stehen, umfangreiche Rekrutierungskampagnen, auch aufgrund der Schlacht um Raqqa. Die YPG verkündete kürzlich eine Amnestie für Wehrdienstverweigerer, laut welcher diese die zusätzliche Dienstzeit von üblicherweise 3 Monaten, die als Bestrafung definiert ist, nicht ableisten müssen, sondern nur die reguläre Wehrdienstdauer. Berichten zufolge kommt es in den kurdischen Gebieten zu Zwangsrekrutierungen von Männern und Jungen. Es gibt keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ). Es kann jedoch einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen geben, die gegen den IS kämpfen. Zwangsrekrutierung ist in den von der PYD gehaltenen Gebieten ein Problem für Kurden, die der PYD oppositionell gegenüber stehen, und die gezwungen werden in der YPG statt bei den Peshmerga zu dienen, was diese vielleicht vorziehen würden.
Die syrische Regierung zog sich 2012 weitgehend aus der Jazira Region im Nordosten Syriens zurück, hat ihre Kontrolle jedoch in zwei urbanen Zentren der Region, al-Hasakeh und Teilen von al-Qamishli, aufrechterhalten. Die PYD kontrolliert den Großteil der Jazira, abgesehen von diesen beiden urbanen Zentren. Die Regierung hat in der Jazira jedoch noch immer essentielle Machtstrukturen inne, weshalb in dieser Region ein duales Sicherheitsarrangement herrscht. Die administrativen Strukturen der Regierung und der PYD überschneiden sich, zumindest in Bezug auf Überwachung und die Militarisierung der lokalen Bevölkerung. So kann es jungen Männern in der Jazira Region passieren, dass sie von beiden Seiten zum verpflichtenden Wehrdienst einberufen werden, da keine der beiden Gruppierungen die offiziellen Militärdienstdokumente der jeweils anderen anerkennt.
In diesem Kapitel zitierte Quellen:
Interview mit Orion Wilcox, Amman, 16.5.2017
Interview mit einer europäischen diplomatischen Quelle (B), Beirut, 18.5.2017; vgl. HCR, 10.3.2017
Information von Orion Wilcox, per Email, 17.5.2017; vgl. Interview mit Lama Fakih, Beirut, 18.5.2017
Information von Orion Wilcox, per Email, 17.5.2017
Interview mit Lama Fakih, Beirut, 18.5.2017
Carnegie, 23.3.2017
c) Risikoprofile (Quelle: UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte Fassung aus November 2017):
Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von PYD/YPG sind und sich in Gebieten aufhalten, in denen PYD/YPG de facto die Kontrolle ausüben:
Berichten zufolge haben YPG und ihr interner Sicherheitsdienst Asayish tatsächliche und vermeintliche Gegner von PYD/YPG, darunter Mitglieder kurdischer Oppositionsparteien, Journalisten und Bürgerjournalisten sowie politische Aktivisten und Protestierende, gezielt bedroht, eingeschüchtert, entführt, inhaftiert und körperlich misshandelt. Außerdem haben oppositionelle Gruppen der PYD vorgeworfen, für zahlreiche, bislang nicht aufgeklärte politische Morde und das Verschwinden von Personen seit Mitte 2012 verantwortlich zu sein; allerdings ist die Beteiligung der PYD an diesen Fällen nicht von unabhängigen Quellen bestätigt worden.
Während YPG/SDF in Gebiete vorrücken, die unter der Kontrolle von ISIS oder bewaffneten oppositionellen Gruppen stehen, werden arabische Zivilpersonen Berichten zufolge strengen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen und in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt; darüber hinaus wurde gemeldet, dass Zwangsvertreibungen/Zwangsräumungen, Entführungen, Inhaftierungen, Körperverletzungen sowie Plünderung und Zerstörung von Wohnhäusern und anderen Besitztümern stattfanden, da der arabischen Zivilbevölkerung unterstellt wurde, dass sie ISIS und bewaffnete oppositionelle Gruppen unterstütze.
Es wurde gemeldet, dass YPG und Asayish in den Gebieten, die de facto unter ihrer Kontrolle stehen, Zwangsrekrutierungen und Rekrutierungen von Minderjährigen vornehmen. Die Weigerung, den YPG beizutreten, kann Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung von ISIS oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann. Es wurden einige Fälle gemeldet, in denen die Familienangehörigen von Personen, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzten oder aus anderem Grund verdächtigt wurden, mit ISIS in Verbindung zu stehen, von den YPG ins Visier genommen wurden (S. 53 ff).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Identität der beschwerdeführenden Partei und ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei sowie auf die im Verfahren vorgelegten Dokumente (Kopie syrischer Personalausweis, Kopie syrischer Behindertenausweis).
Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die Feststellungen zur Volksgruppenzugehörigkeit, zum Religionsbekenntnis, zur Herkunft in Syrien sowie zu den Familienangehörigen in Syrien ergeben sich teilweise bereits aus den Feststellungen der belangten Behörde und aus den in diesen Punkten nicht widerlegten Angaben der beschwerdeführenden Partei im Verfahren.
Die Feststellung, dass dem Bruder der beschwerdeführenden Partei der Status eines Asylberechtigten zugesprochen wurde, ergibt sich aus der im Akt befindlichen Kopie des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .
Die Feststellung zum Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei basiert auf dem Arztbrief des XXXX vom XXXX .
Die Feststellung zur Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Partei ergibt sich aus dem Auszug aus dem Strafregister.
2.3. Dass die Stadt Qamishli unter kurdischer Kontrolle steht, ergibt sich aus einer Nachschau unter syria.liveuamap.com am XXXX 2018.
Die beschwerdeführende Partei gab sowohl in der Einvernahme vor der belangten Behörde, vertreten durch ihren Bruder (AS 86), als auch in der Beschwerde als Hauptgrund für das Verlassen ihres Herkunftsstaates an, sie befürchte von kurdischen Milizen zwangsrekrutiert zu werden.
Im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2018 brachte der als Zeuge geladene Bruder der beschwerdeführenden Partei diesbezüglich Folgendes vor (Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):
"[...] R: Warum sind Sie aus Syrien weggegangen und warum ist Ihr Bruder aus Syrien weggegangen?
Z: Wären wir in Syrien geblieben, hätte man uns zum Kämpfen einberufen. Es gibt mehrere Parteien, mehrere Fronten. Wir hätten nicht einmal gewusst, für wen wir sterben. Sie ziehen für den sogenannten Jihad ein, man stirbt eigentlich für nichts. Die Leute sterben massenweise grundlos. Sie werden nicht einmal mehr beerdigt. Wir wollen weder jemanden töten, noch selbst getötet werden. Wir möchten gerne in Frieden leben.
R: Wenn Sie sagen, Sie haben Angst, eingezogen zu werden: wer würde Sie zum Militär mitnehmen?
Z: Ich selbst, von der Regierung würde ich einberufen werden. Ich habe selbst ein Militärbuch gehabt. Ich habe immer wegen der Schule und des Studiums den Aufschub verlängert, aber mittlerweile tun sie die Schüler und Studenten direkt einziehen.
R: Und von wem glauben Sie würde Ihr Bruder eingezogen werden?
Z: Hauptsächlich von den Kurden. Die Kurden nehmen Minderjährige, Behinderte. Sie nehmen wirklich jeden. Sie legen keinen Wert auf Menschenrechte. Ab 14 Jahren nehmen sie einfach jeden. Wir sind beide Kurden, möchten aber trotzdem nicht grundlos sterben.
R: Wer lebt von Ihrer Familie jetzt noch in Syrien und wo?
Z: Meine Eltern und zwei Schwestern.
R: Wo sind die?
Z: in Qamishli.
R: Die Schwestern sind verheiratet?
Z: Nein, die sind noch klein. Eine ist taubstumm wie der P, die andere ist klein.
R: Sind Sie oder Ihr Bruder in Österreich politisch aktiv?
Z: Nein. Ich mische mich in sowas nicht ein. Ich fahre nur zur Arbeit und wieder nach Hause essen, mehr nicht.
R: Gibt es sonst noch irgendwelche Gründe, warum Ihr Bruder aus Syrien weg wollte oder weg musste, oder geht es hauptsächlich um den Militärdienst?
Z: Das ist der Hauptgrund. Zusätzlich kommt, dass er sehr arm ist. Er hat dort keine Zukunft, praktisch kein Leben. Er könnte die Gebärdensprache nicht lernen, geschweige denn arbeiten gehen. Hier hat er diese Möglichkeit, und der Mensch sucht immer nach einem besseren Leben.
R: Hat Ihr Bruder, die P, ein Militärbuch, wurde er einberufen?
Z: Nein. [...]"
Wie aus den oben angeführten Länderberichten hervorgeht, ist in Gebieten unter der Kontrolle der Kurden jede Familie dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen, sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen, oder zu rechtlichen Konsequenzen.
Aus den UNHCR-Erwägungen ergibt sich weiter, dass YPG und Asayish in den Gebieten, die de facto unter ihrer Kontrolle stehen, Zwangsrekrutierungen und Rekrutierungen von Minderjährigen vornehmen. Die Weigerung, den YPG beizutreten, kann Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung von ISIS oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann. Es wurden einige Fälle gemeldet, in denen die Familienangehörigen von Personen, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzten oder aus anderem Grund verdächtigt wurden, mit ISIS in Verbindung zu stehen, von den YPG ins Visier genommen wurden.
Die beschwerdeführende Partei betreffend gilt es festzuhalten, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Syrien als einziges Familienmitglied für eine Rekrutierung durch die YPG in Frage kommen würde. Dies deshalb, da einerseits ihr Bruder, wie sich aus den Feststellungen ergibt, bereits in Österreich Asyl erhalten hat, und andererseits ihre Schwestern aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigungen (beide leiden unter Sehstörungen (AS 87)) bzw. ihrer Eigenschaft als Frauen (die Länderfeststellungen berichten von vereinzelten Fällen von Zwangsrekrutierung von Frauen, jedoch nur im Zusammenhang mit dem IS, der mittlerweile weitgehend aus dem Kurdengebiet vertrieben wurde) nicht für eine Rekrutierung durch kurdische Milizen in Frage kommen.
Dabei übersieht die erkennende Richterin nicht, dass die beschwerdeführende Partei taubstumm ist, und die Länderberichte besagen, dass Menschen freigestellt sind, die die Wehrpflicht aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben können und darüber ein ärztliches Attest vorweisen können. Jedoch geht aus den Länderberichten weiter hervor, dass bei Zwangsrekrutierungen durch die YPG ein hohes Maß an Willkür herrscht und es sogar vereinzelte Berichte über Zwangsrekrutierungen von Kindern gibt. Schließlich konnte die beschwerdeführende Partei in ihrer Beschwerde glaubhaft darlegen, dass sie trotz ihrer Eigenschaft als Taubstummer zum Wehdienst, etwa zum Beladen von Geschützen, herangezogen werden könnte.
Die Rückkehrbefürchtungen der beschwerdeführenden Partei stellen sich daher - vor dem Hintergrund der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegten Länderfeststellungen -als plausibel dar.
2.4. Im Lichte dessen muss nicht mehr geprüft werden, ob der beschwerdeführenden Partei die erstmalige Einziehung zum Militärdienst durch die syrische Regierung, eine Rekrutierung durch oppositionelle Kräfte, bzw. eine Gefährdung oder Zwangsrekrutierung durch den IS (die zudem nicht mehr aktuell ist) droht.
2.5. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde auf aktuelle Länderinformationen, die soweit wesentlich oben unter 1.3. wiedergegeben werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Rechtsgrundlagen:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
3.2.1. Aufgrund der aktuellen Lage in Syrien und unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen ist derzeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückkehr nach Syrien aufgrund ihrer (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung Verfolgungshandlungen durch die YPG ausgesetzt wäre.
3.2.2. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem weiteren Fluchtvorbringen der beschwerdeführenden Partei (erstmalige Einziehung zum Militärdienst durch die syrische Regierung, Rekrutierung durch oppositionelle Kräfte, bzw. Gefährdung oder Zwangsrekrutierung durch den IS) kann letztlich unterbleiben, da die eben aufgezeigte Gefährdung für sich alleine ausreichend ist, die Flüchtlingseigenschaft der beschwerdeführenden Partei zu begründen.
3.2.3. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
3.2.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.3. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am XXXX 2015, somit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
Schlagworte
Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W211.2168839.1.00Zuletzt aktualisiert am
01.03.2019