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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §140 impl;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 98/19/0140Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerden 1.) der 1938 geborenen SS und 2.) des 1931 geborenen IS, beide in P, beide vertreten durch T & W Rechtsanwälte OEG in P, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 2. April 1998, Zlen. 1.) 308.655/3-III/11/97 und 2.) 308.655/2-III/11/97, jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina. Sie beantragten am 25. April 1997 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Zum Nachweis der ihnen zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel legten die Beschwerdeführer Verpflichtungserklärungen ihrer in Österreich lebenden Kinder vor. Jedenfalls zwei dieser Kinder, darunter auch ihre Tochter N, sind ebenfalls bosnische Staatsbürger.
Mit Bescheiden des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 17. September 1997 wurden diese Anträge gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.
Die Beschwerdeführer erhoben Berufung.
Mit Note vom 14. Jänner 1998 hielt die belangte Behörde den Beschwerdeführern vor, sie hätten zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes Verpflichtungserklärungen ihrer in Österreich lebenden Kinder vorgelegt. Nach den Bestimmungen des FrG 1997 sei jedoch die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aufgrund von Verpflichtungserklärungen ausgeschlossen.
Daraufhin brachten die Beschwerdeführer vor, sie seien von ihrer Tochter N wirtschaftlich abhängig. Aufgrund des Alters der Beschwerdeführer und ihrer sonstigen Situation seien sie nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine andere Einkommensquelle als die ihrer Tochter stünde den Beschwerdeführern nicht zur Verfügung. Hinzuweisen sei allerdings darauf, dass auch ihre anderen Kinder für ihre wirtschaftliche Existenz aufkämen.
Mit den angefochtenen Bescheiden vom 2. April 1998 wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 17. September 1997 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 Z. 1 und Abs. 3 FrG 1997 ab. Begründend führte die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen gleich lautend aus, die Anträge der Beschwerdeführer vom 25. April 1997 seien nach Inkrafttreten des FrG 1997 als solche auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten. Die Beschwerdeführer hätten aufgrund des Vorhaltes der belangten Behörde vom 14. Jänner 1998 vorgebracht, sie seien aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Aus diesem Grund sei es auch nicht mehr möglich, in die Heimat zurückzukehren. Sie seien von ihrer Tochter wirtschaftlich abhängig. Eine andere Einkommensquelle als die ihrer Tochter stünde ihnen nicht zur Verfügung. Gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 könne die Erteilung eines Aufenthaltstitels insbesondere versagt werden, wenn der Fremde nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt verfügt. Gemäß § 10 Abs. 3 letzter Satz FrG 1997 sei die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung unzulässig.
Fest stehe, dass die Beschwerdeführer über keinerlei eigenes Einkommen verfügten. Ihr Lebensunterhalt in Österreich solle einzig und allein durch das Einkommen ihrer Tochter, die eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe, bestritten werden. Der Antrag der Beschwerdeführer sei daher gemäß § 10 Abs. 3 FrG 1997 abzuweisen gewesen. Sodann gab die belangte Behörde den Inhalt des § 8 Abs. 1 und 3 FrG 1997 wieder. Schließlich führte sie aus, es bestünden familiäre Bindungen der Beschwerdeführer in Österreich. Dennoch überwögen die öffentlichen Interessen, zumal die Beschwerdeführer kein eigenes Einkommen bezögen und in Anbetracht der Entwicklung auf dem österreichischen Arbeitsmarkt keine Gewähr dafür bestehe, dass die Tochter der Beschwerdeführer auch weiterhin über einen Arbeitsplatz verfügen und für deren Lebensunterhalt aufkommen werde. Das Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführer gemäß § 12 AufG bleibe von diesem Bescheid unberührt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:
§ 10 Abs. 2 Z. 1 und Abs. 3, § 23 Abs. 1, 5 und 6 sowie § 112 FrG 1997 lauten:
"§ 10. ...
(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn
1. der Fremde nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt oder nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder - bei der Erteilung eines Einreise- oder befristeten Aufenthaltstitels - für die Wiederausreise verfügt;
...
(3) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gemäß Abs. 2 Z 1 oder 2 ein Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, wenn auf Grund einer ... Verpflichtungserklärung einer Person mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Bundesgebiet die Tragung aller Kosten gesichert erscheint, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung ist unzulässig.
...
§ 23. (1) Fremden, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Niederlassungsbewilligung auf Dauer niedergelassen bleiben, ist - sofern die Voraussetzungen des 2. Abschnittes weiterhin gesichert scheinen - auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung mit demselben Zweckumfang zu erteilen. ...
...
(5) Eine weitere Niederlassungsbewilligung ist auch solchen Fremden auf Antrag zu erteilen, die auf Dauer niedergelassen bleiben, für die Niederlassung aber deshalb bisher keiner Niederlassungsbewilligung bedurften, weil sie auf Grund des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, zum dauernden Aufenthalt berechtigt waren oder weil sie Niederlassungsfreiheit genossen; die Abs. 2 und 4 gelten.
(6) Eine weitere Niederlassungsbewilligung ist schließlich Fremden auf Antrag zu erteilen, die auf Dauer niedergelassen bleiben, aber bisher österreichische Staatsbürger waren oder als in Österreich geborene Kinder aus dem Grund des § 28 Abs. 2 keinen Aufenthaltstitel benötigten; ...
...
§ 112. Verfahren zur Erteilung eines Sichtvermerkes sowie Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, oder gemäß der §§ 113 und 114 anhängig werden, sind nach dessen Bestimmungen - je nach dem Zweck der Reise oder des Aufenthaltes - als Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen. ..."
§ 24 und § 25 Abs. 2 IPRG lauten:
"§ 24. Die Wirkungen der Ehelichkeit und der Legitimation eines Kindes sind nach dessen Personalstatut zu beurteilen.
§ 25. ...
(2) Die Wirkungen der Unehelichkeit eines Kindes sind nach dessen Personalstatut zu beurteilen."
Art. 234 des bosnisch-herzegowinischen Gesetzes über die Familie vom 29. Mai 1979 in der Fassung vom 20. Dezember 1989 (abgedruckt in Bergmann-Ferid, Internationales Kindschaftsrecht II, S. 52) lautet:
"Art. 234. Kinder sind verpflichtet, ihre Eltern, die arbeitsunfähig sind und nicht ausreichende Mittel zum Leben haben, oder diese aus ihrem Vermögen nicht realisieren können, zu unterhalten."
Die Beschwerdeführer wenden sich vorerst gegen die Auffassung der belangten Behörde, ihr Verfahren sei als solches zur Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung fortzuführen gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof kann jedoch dieser Auffassung der belangten Behörde vor dem Hintergrund des § 112 FrG 1997 in Verbindung mit § 23 Abs. 1, 5 und 6 FrG 1997 nicht entgegengetreten. Die Beschwerdeführer verfügten nämlich weder über eine Niederlassungsbewilligung noch über einen sonstigen Titel, welcher sie zur dauernden Niederlassung im Bundesgebiet berechtigt hätte. Das auf Verordnungen gemäß § 12 AufG beruhende vorläufige Aufenthaltsrecht zählt nicht zu jenen Aufenthaltstiteln, die der in § 23 Abs. 1 FrG 1997 ausdrücklich genannten Niederlassungsbewilligung gleichzuhalten wären. Es ist auch nicht dem in § 23 Abs. 5 FrG 1997 verwendeten Begriff der "Niederlassungsfreiheit" zu unterstellen.
Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (16. April 1998) war § 1 Abs. 1 des erst am 1. August 1998 in Kraft getretenen Bundesgesetzes, mit dem integrierten Vertriebenen aus Bosnien und Herzegowina das weitere Aufenthaltsrecht gesichert wird, BGBl. Nr. 85/1998, welcher unter bestimmten Voraussetzungen die Erteilung weiterer Niederlassungsbewilligungen an bosnische Kriegsflüchtlinge vorsieht, noch nicht anwendbar.
Die belangte Behörde wertete daher die Anträge der Beschwerdeführer zutreffend als solche auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.
Die belangte Behörde stützte vorliegendenfalls die Versagung der Niederlassungsbewilligung auf die Annahme, dass die Beschwerdeführer nicht über ausreichende eigene Mittel zu ihrem Unterhalt im Sinne des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 verfügten.
Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zum Begriff der "eigenen Mittel" im Verständnis des - § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 insoweit entsprechenden - § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1992 ausgesprochen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. November 1996, Zlen. 95/19/0603 bis 0605), verschafft auch das Bestehen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches gegen eine Person, die in der Lage ist, diesen zu erfüllen, eigene Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. Diese Rechtsprechung ist auf § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 gleichfalls anwendbar.
Die belangte Behörde hätte daher im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführer, sie beabsichtigten, von Unterhaltsleistungen seitens ihrer Kinder zu leben, von Amts wegen die Rechtsfrage zu klären gehabt, ob den Beschwerdeführern gesetzliche Unterhaltsansprüche gegen ihre Kinder zustehen.
Der Anwendungsbereich der §§ 24 und 25 Abs. 2 IPRG erstreckt sich grundsätzlich auf den gesamten Inhalt des Eltern-Kind-Verhältnisses. Hiezu zählen insbesondere auch die wechselseitigen Unterhalts- und Versorgungsansprüche (vgl. Schwimann in Rummel II2 Rz 2 zu § 24 und Rz 6 zu § 25 IPRG).
In Ermangelung einer gemäß § 5 Abs. 1 IPRG zu beachtenden Rückverweisung durch das internationale Privatrecht Bosnien-Herzegowinas wäre Art. 234 des bosnisch-herzegowinischen Gesetzes über die Familie vom 29. Mai 1979 idF vom 20. Dezember 1989 für die Frage des Bestehens eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches der Beschwerdeführer gegen ihre Kinder maßgebend gewesen.
Wäre den Beschwerdeführern aber ein solcher Unterhaltsanspruch in ausreichender Höhe zugestanden, so wäre der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 nicht vorgelegen.
Im gegenständlichen Fall haben sich die Beschwerdeführer auf Verpflichtungserklärungen ihrer Kinder berufen. § 10 Abs. 3 letzter Satz FrG 1997 ordnet an, dass "die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung unzulässig" ist. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass im Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 ungeachtet der Vorlage der Verpflichtungserklärung anzuwenden ist. Keinesfalls führt jedoch die Vorlage einer Verpflichtungserklärung zur Versagung der beantragten Niederlassungsbewilligung, wenn im Übrigen eigene Mittel in Form gesetzlicher Unterhaltsansprüche vorliegen.
In Verkennung dieser Rechtslage hat es die belangte Behörde verabsäumt zu prüfen, ob und in welcher Höhe den Beschwerdeführern ein Unterhaltsanspruch gegen ihre in Österreich lebenden Kinder zustand und diese auch in der Lage sind, ihn zu erfüllen.
Die Bescheidausführungen, es bestehe keine Gewähr dafür, dass die Tochter der Beschwerdeführer, N, auch weiterhin über einen Arbeitsplatz verfügen und für den Lebensunterhalt der Beschwerdeführer aufkommen werde, vermag die Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer ebenfalls nicht zu tragen. Offenbar ging die belangte Behörde selbst davon aus, dass N im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Arbeit stand. Die bloß abstrakte, aufgrund der Unsicherheit der Entwicklung des Arbeitsmarktes bestehende Gefahr des Verlustes des Arbeitsplatzes des Unterhaltspflichtigen rechtfertigt für sich allein noch nicht die Annahme, der Unterhaltsberechtigte verfüge nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt.
In Verkennung der oben dargestellten Rechtslage unterließ es die belangte Behörde, Feststellungen im aufgezeigten Sinne zu treffen. Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. Mai 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998190139.X00Im RIS seit
21.02.2002