TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/21 W241 2180870-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.2019
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Entscheidungsdatum

21.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W241 2180870-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2017, Zahl 1082811401-151108481, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.04.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 17.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 17.08.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei afghanischer Staatsbürger, Hazara, schiitischer Moslem und am XXXX geboren.

Der BF wäre im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern in den Iran gezogen, wo er zuletzt auf Baustellen gearbeitet habe. Im Iran würden noch seine Eltern, drei Brüder (einer davon noch minderjährig) und vier Schwestern leben. In Afghanistan würde sein Vater in der Provinz Maidan Wardak noch Grundstücke und ein Haus besitzen.

Vor ca. einem Monat sei der BF über den Iran, die Türkei und weitere, ihm unbekannte Länder nach Österreich gereist.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass seine Familie damals Probleme mit Nomaden gehabt hätte, die ihr Dorf besetzt und ihr alles weggenommen hätten, weshalb sie in den Iran geflüchtet wäre. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan hätte er Angst vor den Taliban und dem IS, ferner habe er dort niemanden mehr.

1.3. Da im Zuge des Verfahrens vor dem BFA Zweifel an der Minderjährigkeit des BF aufkamen, erfolgte am 23.09.2015 durch ein Röntgen der linken Hand die Bestimmung des Knochenalters des BF, dessen Ergebnis "Schmeling 4, GP 31" lautete.

In der Folge veranlasste das BFA eine sachverständige medizinische Altersschätzung, wobei ein höchstmögliches Mindestalter von 17,24 Jahren zum Zeitpunkt der Stellung des Asylantrages und ein Mindestalter von 17,5 Jahren zum Untersuchungszeitpunkt festgestellt wurden.

Mit Verfahrensanordnung vom 04.02.2016 wurde das Geburtsdatum mit XXXX festgesetzt.

1.4. Bei seiner Einvernahme am 29.08.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, legte der BF Schulbesuchsbestätigungen und Bestätigungen über die Absolvierung von Deutschkursen vor.

Danach gab der BF im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"F: Wie viel hat Ihre Ausreise nach Europa gekostet? Wer hat die Ausreise organisiert? Wie wurde Ihre Ausreise finanziert?

A: Mein Vater hat das organisiert. Es kostete ungefähr € 6.000. Mein Vater konnte das sicher zum Teil aus Ersparnissen finanzieren. Ich weiß es aber nicht genau.

F: Warum wollte Ihr Vater, dass Sie nach Europa ausreisen?

A: Ich hatte keinen Aufenthaltstitel und lebte in ständiger Unsicherheit. Ich konnte auch nur als Hilfsarbeiter arbeiten. Ich wollte eine bessere Zukunft und zur Schule gehen. Aus diesem Grund wollte ich nach Europa. Ich habe im Iran zwar Lesen und Schreiben gelernt, möchte aber eine weitere Schulbildung erhalten. Andere Gründe für meine Ausreise gab es nicht.

[...]

F: Wo haben Sie zuletzt in Afghanistan gelebt?

A: In der Provinz Maidan Wardak, im Distrikt Behsud, im Dorf XXXX. Meine Familie hatte dort ein Haus und eine Landwirtschaft. Als aber die Kutschis in unser Dorf kamen, haben sie uns dort vertrieben. Wir mussten dann in den Iran gehen.

[...]

F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen und einen Asylantrag gestellt haben von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß. [...]

A: Dass die Kutschis unser Dorf besetzt hatten war der einzige Grund für unsere Ausreise. Wir konnten dort nicht mehr leben. Es gibt keine Sicherheit in Afghanistan.

F: Sind die Kutschis noch immer dort?

A: Das weiß ich nicht. Die Kutschis sind wie Zigeuner. Sie sind sehr gewalttätig.

Vorhalt: Nach den aktuellen Länderinformationen (Pkt. 16.4) ist die Lage der ethnischen Minderheit der Kutschis in Afghanistan eher als prekär zu bezeichnen. Woher wissen Sie, dass eine Rückkehr in Ihr Heimatdorf aufgrund der Kutschis nach wie vor nicht möglich ist?

A: Ich habe keine Informationen über die aktuelle Lage in meiner Heimatprovinz.

F: Warum kehrten Sie dann nie nach Afghanistan zurück?

A: Zum Zeitpunkt unserer Flucht waren die Kutschis sehr aktiv und wir hatten Angst. Außerdem herrscht in Afghanistan nach wie vor eine schlechte Sicherheitslage. Ständig gibt es Anschläge in Kabul.

F: Hat sich Ihre Familie wegen des Problems mit den Kutschis je an die afghanischen Behörden gewandt?

A: Damals hatte die Regierung keine Macht. Daher sind wir in den Iran gegangen.

F: In diesem Verfahren wird geprüft, ob Ihnen in Ihrem Herkunftsstaat Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Droht Ihnen in Afghanistan Verfolgung aus Gründen Ihrer Rasse, Religion, ethnischen Zugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe?

A: Wir hatten nur das Problem mit den Kutschis, als ich ein kleines Kind war. Ich weiß nicht, ob mir aktuell in Afghanistan etwas drohen würde. Das Problem mit den Kutschis hatten nicht nur wir, das betraf alle Leute in Afghanistan. Die Leute haben Angst vor den Kutschis und den Taliban.

F: Hat Ihnen jemals persönlich Verfolgung in Afghanistan gedroht?

A: Nein.

[...]

F: Würde Ihnen im Falle der Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

A: Es gibt dort keine Sicherheit. Es gibt die Kutschis und die Taliban. Ich kenne Afghanistan aber nicht. Was soll ich dort machen. Weshalb mir Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen sollte, kann ich aber nicht sagen. Mein Leben wäre jedenfalls aufgrund der Sicherheitslage, wie das jedes anderen Afghanen in Gefahr.

[...]

F: Sie wären somit grundsätzlich in der Lage nach Afghanistan zurückzukehren und dort zu arbeiten?

A: Ja, alleine auf Grund der Sicherheitslage kann ich das nicht. Ich bekomme bereits Angst, wenn Sie mir diese Frage stellen. In den Berichten über Anschläge werden auch die Opferzahlen verharmlost."

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 13.11.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF betreffend eine Verfolgung seiner Person in Afghanistan sei nicht asylrelevant. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Konkrete Angaben bezüglich einer (asylrelevante) Verfolgungshandlung, die den BF persönlich betroffen hätte oder in Zukunft betreffen könnte, habe er nicht vorgebracht. Eine staatliche Verfolgung habe der BF verneint.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Der BF könne problemlos in seine Heimatprovinz Maidan Wardak zurückkehren. Auch sei eine Niederlassung in Kabul oder Mazar-e Sharif möglich, da er erwachsen, gesund und erwerbsfähig sei, sodass er dort selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufkommen könne.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 08.12.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

In der Beschwerdebegründung wurden das bisherige Vorbringen des BF im Wesentlichen wiederholt, weitwendige Ausführungen zu den Länderfeststellungen und zur Lage in Afghanistan gemacht, Auszüge aus diversen Berichten angeführt und höchstgerichtliche Judikatur zitiert. Insbesondere wurde auf die Diskriminierungen von Hazara und Rückkehrern, die eine westliche Lebensweise angenommen hätten, in Afghanistan verwiesen.

1.7. Die Beschwerde samt Verwaltungsakten langte am 27.12.2017 beim BVwG ein.

1.8. Das BVwG führte am 16.04.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF im Beisein eines gewillkürten Vertreters und zweier Vertrauenspersonen persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei legte der BF verschiedene Unterstützungsschreiben und Teilnahmebestätigungen über verschieden Kurse (z.B. Deutschkurse und Orientierungskurse, Basisbildungskurs) vor.

Daraufhin gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

RI: Geben Sie bitte Namen, Alter, Beruf und Aufenthaltsorte Ihrer näheren Angehörigen bekannt!

BF: Mein Vater heißt XXXX, ist 70 Jahre alt und Arbeiter. Meine Mutter heißt XXXX, ist 55 Jahre alt und Hausfrau. Mein Bruder heißt XXXX, ist 27 Jahre alt und Arbeiter. Mein Bruder heißt XXXX, ist 24 Jahre alt und Arbeiter. Meine Schwester heißtXXXX, ist 25 Jahre alt, ist verheiratet. Meine Schwester heißt XXXX, ist 13 Jahre alt. Mein Bruder heißt XXXX, ist 12 Jahre alt. Meine Schwester heißt XXXX und ist 11 Jahre alt. Meine Schwester heißt XXXX und ist 10 Jahre alt.

RI: Wo sind diese aufhältig?

BF: Im Iran.

RI: Leben Sie alle gemeinsam?

BF: 2 Brüder von mir, nämlich XXXX und XXXX und eine Schwester XXXX leben alleine, weil sie verheiratet sind. Die anderen leben bei meiner Mutter und bei meinem Vater.

RI: Haben Sie Kontakt zu diesen Angehörigen?

BF: Ja.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich bin im Iran überhaupt nicht in die Schule gegangen, weil es als Afghane sehr schwer ist, in die Schule zu gehen. Ich habe auch keine Ausbildung.

RI: Sie haben bei der Erstbefragung gesagt, dass Sie 3 Jahre die Grundschule besucht haben.

BF: Das stimmt, es war keine offizielle Schule. Es war eine Schule, die für Flüchtlinge gedacht war. Es war keine offizielle Schule. Ich habe versucht, dort ein bisschen lesen und schreiben zu lernen.

RI: Haben Sie im Iran in einer Wohngegend gewohnt, wo andere Afghanen waren?

BF: Es war in einem Ort, wo viele Afghanen waren.

RI: Haben Sie dort nach den Sitten der Afghanen gelebt?

BF: Ja, wir haben versucht, nach den Traditionen zu leben.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF: Hauptsächlich hat mein Vater immer gearbeitet. Bevor ich den Iran verlassen habe, habe ich auch gearbeitet.

RI: Waren Sie auf Baustellen Arbeiter?

BF: Ja, im Baubereich.

RI: Wie stellte sich Ihre finanzielle Situation bzw. die Ihrer Familie dar?

BF: Ich würde es als mittelmäßig bezeichnen.

RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

BF: Nein.

RI: Wo waren Sie ab Ihrer Geburt aufhältig?

BF: Wie ich schon sagte, ich bin in Afghanistan geboren. Ich war ca. 6 Jahre alt, als ich mit der Familie in den Iran gegangen bin. Ich war nur im Iran.

RI: Haben Sie keine Onkel und Tanten?

BF: In Afghanistan habe ich niemanden. Im Iran habe ich 2 Tanten mütterlicherseits und 2 Tanten väterlicherseits und 1 Onkel mütterlicherseits.

RI: Lebt der Onkel in derselben Umgebung?

BF: Sie wohnen nicht in der Nähe von meiner Familie.

RI: Haben Sie Kontakt zu diesen Verwandten?

BF: Nein, ich habe nur Kontakt mit meiner Familie.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ja, ein bisschen.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen teilweise verstanden und auf gebrochenem Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF: Ich habe zurzeit einen Deutschkurs in Graz.

RI: Wo wohnen Sie?

BF: Ich wohne in einer Privatwohnung.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Ich arbeite ehrenamtlich.

RI: Was würden Sie gerne arbeiten?

BF: Wenn es nach mir ginge, möchte ich eine Ausbildung als Automechaniker machen.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Außer meinem Deutschkurs spiele ich 2 Tage pro Woche Fußball. Ich arbeite in einer Theatergruppe, dadurch kenne ich auch viele Leute.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein, aber es war einmal ein Vorfall. Es war eine Kontrolle durch die Polizei.

VP1 gibt an: Ich kenne ihn seit 2 Monaten. Er kommt fast täglich zu mir um Deutsch zu lernen. Er hilft überall gerne freiwillig mit. Ich sehe, dass er sehr offenherzig ist und ein wahrheitsliebendes Wesen hat. Er hat Lernschwächen. Es wurde nicht abgeklärt, ob eine Traumatisierung oder sonstige psychische Beeinträchtigung vorliegt. Er hat Schlafstörungen in der Nacht. Er tut sich schwer beim Deutsch lernen. Wenn er Unterstützung bekommt, macht er daraus sehr viel.

VP2 gibt an: Ich kenne ihn seit 2 Jahren. Er ist mein bester Freund. Ich habe ihn hier in Österreich kennengelernt. Ich habe gesehen, dass er schlecht schläft. Ich habe auch mit meiner Nachbarin darüber gesprochen. Er ist ehrlich. Er braucht Hilfe. Ich bin immer für ihn da.

RI: Waren Sie schon einmal bei einem Arzt?

BF: Seit ca. 2 1/2 Jahren war ich nicht bei einem Arzt.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Wir haben in Afghanistan in einem schönen, grünen Dorf gelebt. Dieser Ort ist für die Landwirtschaft sehr gut. Aus diesem Grund haben die Taliban und Kutschi Interesse daran gehabt. Es gab 2 Gründe, 1 Grund war die Landwirtschaft, der 2. Grund war, dass wir Hazara waren und auf uns Druck ausgeübt wurde. Aus diesem Grund erinnere ich mich, dass mich meine Mutter zu Hause versteckt hat und mich daher nicht draußen spielen hat lassen. Jeden Sommer sind die Kutschi gekommen. Man wusste nicht, ob sie einen Tag oder länger bleiben. Es wäre auch möglich gewesen, dass sie ein junges Mädchen oder Burschen mitnehmen. Wenn die Familie dieser Jugendlichen eine Reaktion gezeigt hätte, wäre es möglich, dass die ganze Familie getötet worden wäre. Sie waren gegen jene Jugendlichen, die in die Schule gegangen sind. Sie waren dagegen, dass die Jugendlichen auch in die Schule gehen. Aus diesen Gründen, die ich genannt habe, konnte meine Familie nicht mehr dort leben. Ich finde, es ist ganz natürlich, wenn sie in ihrem Dorf nicht leben können, müssen sie das Weite suchen. Noch wichtiger ist, dass meine 2 Brüder von den Taliban mitgenommen werden hätten können, um für sie zu arbeiten.

BF: Warum sind Sie ausgereist?

BF: Es ist etwas passiert. Ich wollte draußen spielen. Ich durfte aber nicht, wegen den Taliban und den Kutschis.

BF: Hat Ihr Vater Ihnen etwas erzählt, warum Sie in den Iran gegangen sind und nicht in eine der Großstädten von Afghanistan?

BF: In dieser Zeit haben die Taliban fast überall das Sagen gehabt. Es war möglich, dass man unterwegs aus dem Bus herausgezogen wird. Die Taliban haben viele Leute und Spione.

RI: Haben Sie etwas gehört, wie es in Ihrem Dorf nach Ihrer Ausreise weitergegangen ist?

BF: Ich kann nur sagen, was in unserer Zeit passiert ist. Nachdem wir den Ort verlassen haben, hat sich nichts geändert. Die Leute wurden schikaniert.

RI: War Ihre Familie die einzige, die das Dorf verlassen hat?

BF: Es haben mehrere Familien den Ort verlassen.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Ich habe niemanden in Afghanistan. Ich habe keine Informationen über Afghanistan. Wenn ich dort sein müsste, wer verteidigt mich, wer garantiert für meine Sicherheit und wie kann ich einen Job finden.

RI gibt BFV die Möglichkeit, zu den bisherigen Angaben der Parteien eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV: Haben Sie in Ihrem Heimatdorf Kampfhandlungen miterlebt?

BF: Ja, ich habe es gesehen. Meine Mutter hat mir nicht erlaubt hinaus zu gehen. In der Nacht habe ich Schüsse gehört. Ich war selber so unsicher, dass ich nicht geglaubt habe, dass ich wieder aufwache. Ich habe jetzt auch noch Träume, besonders in der Nacht.

BFV: Welchen Aufenthaltstitel hat Ihre Familie im Iran?

BF: Sie haben gar keine Dokumente. Sie führen ein schwarzes Leben.

BFV: Hat schon jemand versucht, Sie oder eines Ihrer Familienmitglieder nach Afghanistan abzuschieben?

BF: Ja, meine älteren Brüder sind von der Polizei erwischt worden. Sie wurden in ein Lager gebracht, sind aber wieder frei gekommen. Ich habe Angst davor gehabt, erwischt zu werden. Wenn man mich dort erwischt hätte, hätte man mich vielleicht nach Syrien gebracht. Wenn ich nach Afghanistan gehen müsste, besteht die Gefahr, dass ich von den Taliban mitgenommen werde.

BFV: Wenn Sie nach Kabul gehen würden, wäre es Ihrer Familie möglich Ihnen Geld zu schicken?

BF: Nein, sie sind nicht in der Lage mir zu helfen.

BFV: Keine weiteren Fragen.

RI: Wieviel hat die Reise hierher gekostet?

BF: Ca. 25 Millionen Tomans, ca. 6000 Euro.

RI: Wie sind Sie zu diesem Geld gekommen?

BF: Nachdem meine Familie die Gefahr erkannt hat, dass ich vielleicht in den Krieg nach Syrien müsste, hat die ganze Familie das Geld zusammengekratzt.

RI: Warum hat die Familie ausgerechnet für Sie das Geld zusammengekratzt und nicht für Ihre Brüder?

BF: Für mich gab es mehr Gefahr als für meine Brüder, weil ich wäre über 18 Jahre geworden und meine Brüder sind verheiratet. Für sie ist es einen Hauch leichter zu leben als für mich. Man hat schon einmal meine zwei Brüder mitgenommen. Es hätte auch mir passieren können. Aus diesem Grund hat die Familie mir geholfen.

[...]

BFV: Ich verweise auf die Stellungnahme von AI vom 05.02.2018 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden. Aus dieser Stellungnahme ergibt sich, dass von AI Rückführungen nach Afghanistan aktuell auf Grund einer drohenden Verletzung der Artikel 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte nicht zulässig sind. Ausgeführt wird insbesondere, dass gerade Personen ohne soziales Netzwerk keine Möglichkeit haben, in Kabul eine Existenzgrundlage aufzubauen. Weiters ergibt sich aus dem aktuellen EASO-Bericht betreffend Netzwerke in Afghanistan, dass irgendwelche Arten von soziale Kontakten für das Finden eines Arbeitsplatzes notwendig sind. Der BF verfügt nicht über derartige Kontakte in Afghanistan. Wie sich aus den Angaben der beiden Vertrauenspersonen und auch den vorgelegten Empfehlungsschreiben ergibt, leidet der BF an Konzentrationsschwierigkeiten und ist noch mehr als andere Personen in seiner Situation auf soziale Unterstützung angewiesen. Es wäre dem BF daher nicht möglich, sich in Afghanistan eine Existenzgrundlage aufzubauen. In einer Präsentation der Afghanistanbeauftragten von UNHCR am 12.03.2018 ist abzuleiten, dass sich die Sicherheitslage sowie die humanitäre Lage insbesondere in Kabul im Vergleich zum April 2016 deutlich verschlechtert hat."

1.9. Mit Schreiben vom 18.06.2018 legte der BF eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Theaterprojekt vor.

1.10. Laut Mitteilung des Land Steiermarks vom 14.12.2018 wurde der BF mangels Bedürftigkeit am 01.12.2018 von der Grundversorgung abgemeldet.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 17.08.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 29.08.2017 sowie die Beschwerde vom 08.12.2017

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 16.04.2018

* Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke und Befunde

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018)

o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 sowie Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

o Feststellungen zu den ethnischen Minderheiten in Afghanistan (Hazara)

o Auszug aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD zur Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum schiitischen Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht aber auch Farsi und gebrochenes Deutsch.

Der BF ist ledig und wurde in der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Behsud, Afghanistan, geboren. Im Alter von sieben Jahren ist der BF gemeinsam mit seinen Eltern in den Iran ausgewandert.

Aktuell halten sich die Eltern, zwei erwachsene und verheiratete Brüder, ein minderjähriger Bruder sowie drei Schwestern - die älteste davon ist ebenfalls verheiratet - in Teheran, Iran, auf. Der Vater und die zwei volljährigen Brüder sind als Arbeiter erwerbstätig, die Mutter ist Hausfrau. Ferner leben ein Onkel mütterlicherseits sowie je zwei Tanten väterlicher- bzw. mütterlicherseits in Teheran.

Der BF wurde laut eigenen Aussagen von seinen Eltern gemäß dem afghanischen Kulturkreis erzogen und lebte - in einem vornehmlich von Afghanen bewohnten Viertel in Teheran - nach den afghanischen Sitten. Er hat drei Jahre eine - laut eigener Aussage inoffizielle - Schule, welche für afghanische Flüchtlinge im Iran eingerichtet worden sein soll, besucht und dabei schreiben und lesen gelernt. Der BF hat später dann im Iran als Arbeiter auf verschiedenen Baustellen gearbeitet.

Die aktuelle finanzielle Lage der Angehörigen im Iran wurde vom BF als mittelmäßig beschrieben. Der BF behauptete zwar, dass ihn seine Verwandten nicht unterstützen könnten, allerdings sind sowohl sein Vater als auch zwei Brüder arbeitstätig, weshalb diese Behauptung unwahrscheinlich erscheint.

Laut Angaben des BF besteht zu den Eltern und Brüdern im Iran Kontakt.

3.1.2. Der BF ist jung und männlich. Der BF leidet laut Aussagen seiner Vertrauenspersonen an Schlafstörungen, war deswegen jedoch nicht beim Arzt bzw. wurden keine entsprechenden Befunde bis zu heutigen Tag der Entscheidung vorgelegt. Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich daher zum aktuellen Zeitpunkt keine ergeben.

Der BF hat drei Jahre eine Schule besucht, dabei schreiben und lesen gelernt, und verfügt über Berufserfahrung als Arbeiter auf Baustellen.

3.1.3. Der BF ist im Alter von sieben Jahren aus Afghanistan ausgereist und hat sich seitdem im Iran aufgehalten. Er reiste nunmehr Mitte 2015 vom Iran über die Türkei und weitere, ihm angeblich unbekannte Länder nach Europa und stellte am 17.08.2015 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

3.1.4. Der BF hält sich seit August 2015 in Österreich auf und spricht gebrochenes Deutsch. Er geht keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, legte aber verschiedene Bestätigungen betreffend ehrenamtliche Tätigkeiten vor. Er hilft in seiner Freizeit bei der Österreichischen Rettungshundebrigade mit, ist Mitglied bei einem Sportverein, spielt Fußball, nimmt an einem Theaterprojekt teil und pflegt Kontakte zu österreichischen Personen. Der BF lebt in einer Wohnung in Graz, er wurde mangels Bedürftigkeit von der Grundversorgung abgemeldet. Der BF hat in Österreich keine Verwandten und ist strafrechtlich unbescholten.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF verließ im Alter von sieben Jahren gemeinsam mit seinen Eltern Afghanistan und lebte bis zu seiner Ausreise im Iran. Dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aktuell eine Gefahr durch Angehörige der nomadischen Kutschi drohen würde, konnte der BF nicht glaubhaft machen.

Der BF verließ den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen, insbesondere schiitische Hazara.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Religion bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara bzw. der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan allein auf Grund der Tatsache, dass er den Großteil seines Lebens im Iran verbracht hat bzw. dass jedem Rückkehrer aus dem Iran physische und/oder psychische Gewalt droht.

Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

3.3.2. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.

3.3.3. Eine Rückkehr des BF in die Herkunftsprovinz der Eltern Maidan Wardak scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Dem BF ist es aber möglich und zumutbar, sich stattdessen in der Hauptstadt Kabul oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates - so wurde er von seinen Eltern nach afghanischen Sitten erzogen - und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und hat drei Jahre lang eine Schule besucht und dabei lesen und schreiben gelernt. Der BF lebte bisher nicht in Kabul oder Mazar-e Sharif, und es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF dort über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte verfügt. Dem BF ist jedoch aus eigenem der Aufbau einer Existenzgrundlage in diesen Städten möglich. Der BF kann seine Existenz in Kabul oder Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei festzuhalten ist, dass der BF bereits auf Baustellen im Iran gearbeitet hat und in der Verhandlung vor dem BVwG angab, in Österreich eine Ausbildung zum Automechaniker beginnen zu wollen. Zudem verfügt der BF über ein familiäres Netzwerk, mit dem er in Kontakt steht. So sind seine im Iran aufhältigen Angehörigen (Vater und zwei seiner Brüder) arbeitstätig, auch befinden sich weitere Verwandte (Onkel, vier Tanten) im Iran. Somit besteht die Möglichkeit, dass wenigstens einer dieser Verwandten in der Lage ist, dem BF - zumindest zu Beginn als Starthilfe - finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Mit dieser Unterstützung ist ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul oder Mazar-e Sharif möglich. Der BF ist auch in der Lage, in Kabul oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat auch die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe zu erhalten. Als alleinstehender, gesunder und leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter samt Berufserfahrung im Baugewerbe ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF leidet an keinen Erkrankungen.

3.3.4. Der BF kann die Hauptstadt Kabul und die Stadt Mazar-e Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):

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Kl vom 08.01.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 06.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 06.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 06.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 08.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 08.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 07.01.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.04.2019 auf den 20.07.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u. a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018)

[...]

2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

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Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

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Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selb

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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