TE Bvwg Beschluss 2019/1/21 W220 1309701-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.2019
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Entscheidungsdatum

21.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W220 1309701-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.01.2015, Zl. 751722405-14767131, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben

und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15.10.2005 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.01.2007, Zl. 05 17.224-BAT abgewiesen wurde.

Der Beschwerdeführer erhob in weiterer Folge gegen diesen Bescheid fristgerecht Berufung, welche mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 03.04.2012, Zl. C9 309701-1/2008/33E, hinsichtlich des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen wurde. Der Asylgerichtshof stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat unzulässig ist.

1.2. Am 12.06.2012 stellte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete, welche ihm mit 02.07.2013 ausgestellt wurde.

1.3. Zum gegenständlichen Antrag:

1.3.1 Mit Schreiben an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2014 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005.

1.3.2. Mit Verbesserungsauftrag vom 16.06.2014 wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, aufgetragen, den Antrag persönlich bei der Behörde einzubringen. Diesem Verbesserungsauftrag kam der Beschwerdeführer am 04.07.2014 nach.

1.3.3. Mit Verbesserungsauftrag vom 07.07.2014 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, den in Kopie vorgelegten Mietvertrag im Original sowie Gehaltszettel beginnend mit September 2013 in Vorlage zu bringen.

Am 02.09.2014 legte der Beschwerdeführer seinen Mietvertrag im Original vor.

1.3.4. Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 19.01.2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" vom 04.07.2014 gemäß § 57 AsylG 2005 abgewiesen.

Im Bescheid wurden Feststellungen zum Verfahrensgang getroffen. Weiters wurde festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Dieser sei außerdem wegen der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen dreimal verurteilt worden. Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führe. Er habe sich durch die Teilnahme an Sprachkursen Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet. Er übe keine erlaubte Erwerbstätigkeit aus und beziehe finanzielle Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln.

Zu den strafgerichtlichen Verurteilungen wurde im Wortlaut festgestellt:

"1) LG XXXX vom XXXX rk XXXX , § 127 StGB, Freiheitsstrafe 2 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre;

2) LG XXXX vom XXXX rk XXXX § 142/1 12 (3. Fall) § 142/1 § 229/1, 241 E/3 StGB, Freiheitsstrafe 20 Monate, davon Freiheitsstrafe 14 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre;

3) BG XXXX vom XXXX § 164 (2) StGB;"

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer erfülle die Grundvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gem. § 57 AsylG 2005 nicht. Er sei von einem inländischen Gericht im Jahr 2009 wegen der Begehung des Verbrechens des Raubes, wegen des versuchten Raubes und wegen der Begehung des Vergehens der Urkundenunterdrückung und der Begehung des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel rechtskräftig verurteilt worden. Das Bundesamt erläuterte weiters die Art der Tatbegehung und führte aus, der Beschwerdeführer stelle aufgrund seiner verbrecherischen Neigung eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Der Antrag auf Gewährung eines Aufenthaltstitels sei somit abzuweisen. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei jedoch weiterhin geduldet. Da der Asylgerichtshof im Falle des Beschwerdeführers bereits festgestellt habe, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei, sei eine Rückkehrentscheidung nicht zu treffen.

1.3.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 03.02.2015 fristgerecht Beschwerde, in welcher ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer habe seine Haftstrafe abgeleistet und sei mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 09.08.2013 endgültig aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe entlassen worden. Die Strafe sei bereits als getilgt anzusehen, da der Beginn der Tilgungsfrist bereits mit dem 03.11.2009 zu laufen begonnen habe und die Strafe gemäß § 3 Abs. 1 Tilgungsgesetz nach Ablauf von fünf Jahren als getilgt anzusehen sei. Deshalb dürfe dem Beschwerdeführer seine einstige Verurteilung nicht mehr zu Lasten angerechnet werden, wobei auf § 1 Tilgungsgesetz verwiesen wurde. Der Beschwerdeführer sei seitdem nicht mehr straffällig geworden. Er sei im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten berufstätig und der deutschen Sprache mächtig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Feststellungen:

2.1. Der unter Punkt 1. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

2.2. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX zu XXXX wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Das Urteil erwuchs am XXXX in Rechtskraft.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX zu XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1, des Verbrechens des versuchten Raubes nach den §§ 15, 142 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt, wobei die Strafe unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX als Zusatzstrafe verhängt wurde. Das Urteil erwuchs am XXXX in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer wurde am 30.11.2009 unter Anordnung von Bewährungshilfe aus der Freiheitsstrafe entlassen. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers für endgültig erklärt und der Beginn der Tilgungsfrist mit 03.11.2009 festgelegt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX zu XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Als Datum der (letzten) Tat wurde hierbei der XXXX festgestellt. Das Urteil erwuchs am XXXX in Rechtskraft. Der bedingte Teil der Freiheitsstrafe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom XXXX endgültig nachgesehen.

2.3. Die belangte Behörde hat die gegenständliche Entscheidung alleine auf die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers vom XXXX gestützt, ohne zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers für endgültig erklärt war und der Beschwerdeführer die letzte strafbare Handlung am XXXX , also mehr als viereinhalb Jahre vor Erlassung des Bescheides, begangen hat.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.

3.2. Die Feststellung zu den strafgerichtlichen Verurteilungen können aufgrund eines amtswegig eingeholten Auszugs aus dem Strafregister in Zusammenschau mit den im Akt einliegenden und unter Punkt 2.2. genannten Urteilen des Landesgerichtes XXXX und des Bezirksgerichtes XXXX getroffen werden.

Im gegenständlichen Bescheid finden sich keine Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers zwischen dem Zeitpunkt der letzten strafbaren Handlung am 14.05.2010 und dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 19.01.2015.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

4.1. Zur Zurückverweisen der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl:

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Absatz 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Absatz 3 2. Satz VwVGV ([vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich], Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen würden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Die verwaltungsgerichtliche meritorische Entscheidungszuständigkeit hält grundsätzlich hintan, dass die Erledigung eines von einer Verwaltungsbehörde eingeleiteten Verfahrens erst nach einem längeren Zeitraum hinweg in einer Art eines "Pingpongspiels" erfolgenden Wechsels zwischen verwaltungsgerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen erfolgen kann. Zudem wird nur ein solches Verständnis der mit der Etablierung der Verwaltungsgerichte erfolgenden Zielsetzung gerecht, den Anforderungen der EMRK sowie denen des Rechts der Europäischen Union im Bereich des Verwaltungsrechtsschutzes zu entsprechen. Zum einen ist aufgrund dieser Anforderungen bei der Interpretation der sich aus § 28 Abs 3 VwGVG für die meritorische Entscheidungskompetenz ergebenden Ausnahmen ohnehin auch das grundsätzlich zu einer restriktiven Sicht dieser Ausnahmen führende Gebot einer angemessenen Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass auf dem Boden der meritorischen Entscheidungskompetenz getroffene Entscheidungen der Verwaltungsgerichte grundsätzlich eine verlässliche Gewähr dafür bieten, dass den von diesen Vorgaben an die behördliche Entscheidungskompetenz gerichteten Anforderungen entsprochen wird (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründungen hinwegsetzen (vgl. VwGH 10.04.2013, 2011/08/0169).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, etwa in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Pflicht zur Durchführung notwendiger Ermittlungen des Sachverhalts nicht nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Der Vollständigkeit halber ist vorweg auszuführen, dass den Ausführungen in der Beschwerde, die Strafe sei nach Ablauf der von fünf Jahren gemäß § 3 Abs. 1 Tilgungsgesetz als getilgt anzusehen, nicht gefolgt werden kann. § 3 regelt die Dauer der Tilgungsfrist bei einer einzigen Verurteilung. Die durch § 3 bestimmten Grundfristen sind zwar grundsätzlich auch der Berechnung der Tilgungsfristen bei mehreren Verurteilungen zugrunde zu legen, doch sind zusätzlich die Regeln des § 4 zu beachten, die regelmäßig zu einer Verlängerung der Tilgungsfristen führen (Kert in Fuchs/Ratz, WK TilgG § 3, Stand 8.9.2017, rdb.at). § 4 Abs. 1 Tilgungsgesetz bestimmt dazu: "Wird jemand rechtskräftig verurteilt, bevor eine oder mehrere frühere Verurteilungen getilgt sind, so tritt die Tilgung aller Verurteilungen nur gemeinsam ein." Darüber hinaus ist auch zu beachten, dass der Beschwerdeführer mit Urteil vom XXXX zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 20 Monaten, somit von mehr als einem Jahr und unter drei Jahren, verurteilt wurde und daher die Tilgungsfrist für diese Verurteilung gemäß § 3 Abs. 1 Z 3 Tilgungsgesetz zehn Jahre beträgt. Aus dem amtswegig eingeholten, aktuellen Strafregisterauszug ist ersichtlich, dass die Tilgung voraussichtlich mit dem XXXX eintreten wird.

Dennoch ist anzuführen, dass sich die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides alleine auf eine strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers vom XXXX gestützt hat.

Das Bundesamt hat es im gegenständlichen Bescheid gänzlich unterlassen, Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers im Zeitraum zwischen der letzten strafbaren Handlung am XXXX und der Bescheiderlassung am XXXX zu treffen.

Im Ergebnis traf die belangte Behörde die oben zitierten Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und stellte darüber hinaus zu dessen Privatleben fest:

"Sie führen im Bundesgebiet kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Sie haben sich durch die Teilnahme an Sprachkursen Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet. Sie üben keine erlaubte Erwerbstätigkeit aus und beziehen Sie finanzielle Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln der Bundesbetreuung."

In der rechtlichen Beurteilung bezog sich die belangte Behörde überhaupt nur auf die festgestellte strafgerichtliche Verurteilung vom XXXX und ließ die anderen Verurteilungen sowie das Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit dem Zeitpunkt der letzten Tathandlung (also seit XXXX ) gänzlich außer Acht.

Es wurde seitens der belangten Behörde auch in keinster Weise berücksichtigt, dass die mit Urteil vom XXXX über den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe bereits mit Beschluss vom XXXX endgültig erlassen wurde.

Dies erscheint insbesondere dahingehend gravierend, als die belangte Behörde zur Beurteilung der Frage, ob vom Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (auch iS einer Prognose), jedenfalls den nicht unerheblichen Zeitraum, in dem sich der Beschwerdeführer wohlverhalten hat, zu berücksichtigen gehabt hätte. Zur Beurteilung dieses Wohlverhaltens wären jedoch Ermittlungsschritte und Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in diesem Zeitraum notwendig gewesen. Aus dem Verwaltungsakt geht hervor, dass die belangte Behörde ermittelt hat, ob der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum legal beschäftigt war, jedoch wurden die Ermittlungsergebnisse weder dem Beschwerdeführer vorgehalten noch finden sich im Bescheid dahingehend Feststellungen. Zum Privatleben des Beschwerdeführers im angegebenen Zeitraum hat die belangte Behörde überhaupt jegliche Ermittlungsschritte unterlassen.

Es kann jedoch jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Setzung ordnungsgemäßer Ermittlungsschritte und Berücksichtigung des Wohlverhaltens bei der Beurteilung, ob vom Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht, zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre.

Ohne derartige Ermittlungsschritte erscheint daher eine sachgerechte Beurteilung des Antrags des Beschwerdeführers und der damit verbundenen Beschwerde bereits von Vornherein ausgeschlossen.

Insgesamt hat es die belangte Behörde daher verabsäumt, das Vorbringen des Beschwerdeführers umfassend, unter Einbeziehung aller amtsbekannter Tatsachen, zu würdigen und lässt sich dem Bescheid keine nachvollziehbare und schlüssige Begründung für die Annahme, vom Beschwerdeführer gehe eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus, entnehmen.

Die Behörde hat somit im konkreten Fall gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. § 18 Abs. 1 AsylG 2005 verpflichtet das Bundesamt, in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, 99/20/0599).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit den Lebensumständen des Beschwerdeführers seit dem XXXX auseinanderzusetzen haben. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden mit dem Beschwerdeführer zu erörtern und einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung seitens der belangten Behörde zugrunde zu legen sein. In weiterer Folge wird zu prüfen sein, ob die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 46 FPG weiterhin vorliegen bzw. der Aufenthalt des Beschwerdeführers weiterhin geduldet ist und ob von diesem in Anbetracht der Tatsache, dass er seit der letzten strafbaren Handlung im Jahr 2010 nicht mehr strafgerichtlich in Erscheinung getreten ist und unter Berücksichtigung seiner persönlichen Lebensumstände, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde bereits über die Verwaltungsakte der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers verfügt und somit die notwendigen Ermittlungen wesentlich rascher und effizienter nachholen kann.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben, der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (§ 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen (insbesondere die Ausführungen in der Beschwerdeergänzung vom 29.04.2013) zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird (vgl. BVwG 28.01.2014, W108 1433990-1/4E).

Von der in § 28 VwGVG eingeräumten Möglichkeit, die unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil sich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Mehrparteienverfahren darstellt, sodass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ - manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen hingewiesen.

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben.

4.2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleich lautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W220.1309701.2.00

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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