TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/21 W217 2165361-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.2019
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Entscheidungsdatum

21.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18
B-VG Art.133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55

Spruch

W217 2165361-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Afghanistan, geb. XXXX, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2017, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass dessen letzter Satz zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird insofern stattgegeben, als gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 5 FPG die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Herr XXXX (in der Folge BF) reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 04.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich der am 05.06.2015 durchgeführten Erstbefragung vor der PI-Spielfeld-AGM gab der BF an, dass er am 31.12.1998 im Iran geboren sei, afghanischer Staatsangehöriger sei, sein Herkunftsland deshalb verlassen hätte, weil seine Mutter schon lange an einer schweren Krankheit leiden würde und auch sein Bruder an einer schweren Krankheit leiden würde, weil ihn ein Hund gebissen hätte. Der BF hätte aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage im Iran nicht mehr für die Behandlungskosten seiner Angehörigen aufkommen können. Er sei nach Österreich gekommen, um hier zu arbeiten und seine Familie im Iran wirtschaftlich zu unterstützen.

Auf Grund bestehender Zweifel an der Minderjährigkeit des BF wurde ein medizinisches Gutachten zur Altersfeststellung des BF in Auftrag gegeben, in dem ein Mindestalter des BF von 17,0 Jahren zum Untersuchungszeitpunkt am XXXX und das Geburtsdatum des BF mit XXXX ermittelt wurde.

Am 07.01.2016 langte der Obsorgebeschluss des Bezirksgerichtes XXXX beim BFA ein.

Am 22.04.2016 langte eine Mitteilung gem. StPO der PI-Leopoldsgasse beim BFA ein.

Am 19.05.2016 wurde dem BF gem. § 13 Abs. 2 AsylG der Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet wegen Verhängung der Untersuchungshaft im Rahmen einer Verfahrensanordnung zur Kenntnis gebracht.

2. Am 27.06.2016 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (in der Folge: BFA) einvernommen. Dabei führte der BF aus, er sei afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, im Iran geboren und dort in der Stadt Karaj aufgewachsen. Er habe im Iran fünf Jahre die Grundschule besucht, bis zu seinem zwölften Lebensjahr, und könne lesen und schreiben. Er habe vier Jahre gearbeitet und dabei verschiedenste Tätigkeiten ausgeübt, er habe in der Landwirtschaft, am Bau und als Tischler gearbeitet. Als er sieben Jahre alt gewesen sei sei sein Vater verstorben. Seine Familienangehörigen, seine Mutter und seine Geschwister, würden sich im Iran, in der Stadt Karaj aufhalten. In Afghanistan habe der BF nur mehr seine Großeltern mütterlicherseits. Diese würden in der Provinz Herat wohnen.

Er habe den Iran verlassen, um hier zu arbeiten und zu lernen. Er wolle seiner Mutter Geld in den Iran schicken. Das seien alle seine Fluchtgründe. Seine Mutter leide an Herzbeschwerden seit 4 bis 5 Jahren, sein Bruder sei krank, er sei vor ca. 10 Jahren von einem Hund gebissen worden.

Auf den Einwand, das BFA habe zufolge der Mitteilung der Strafgerichte davon auszugehen, dass der BF eine gerichtlich strafbare Handlung begangen habe, gab der BF an, er habe diese strafbare Handlung nicht absichtlich begangen, er sei betrunken gewesen, er schäme sich nicht dafür, jeder Mensch mache einmal einen Fehler in seinem Leben. Im Falle einer fiktiven Heimkehr nach Afghanistan/Kabul würde der BF wegen seiner Tat in Österreich aufgehängt werden. Er habe Angst vor den Taliban.

3. Der BF wurde vom Landesgericht für StrafsachenXXXX unter der XXXX am XXXX wegen Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung (Verbrechen) nach den § 201 Abs. 1 und 2, 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren rechtskräftig verurteilt.

4. Mit Bescheid des BFA vom 27.06.2017, Zl XXXX, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt III). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV). Gleichzeitig wurde der Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Zu Spruchpunkt I führte das BFA begründend aus, dass der BF in Afghanistan keinen Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei und solche auch zukünftig nicht zu erwarten seien. Es liege zudem ein Asylausschlussgrund vor, da der BF von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt wurde. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Spruchpunkt V. stützte sich die belangte Behörde auf die strafrechtliche Verurteilung des BF wegen des Verbrechens der Vergewaltigung. Im Rahmen der Strafbemessung sei erschwerend berücksichtigt worden, dass im Fall des BF der Umstand des Angriffes von drei Tätern in einer WC-Kabine, wodurch das Opfer in eine kaum wehrfähige Situation gebracht wurde, die als mehrfache Qualifikation der schweren Verletzung und die mehrfachen Tathandlungen gewertet wurden. Da der BF illegal nach Österreich eingereist sei, sei seine Missachtung der österreichischen Gesetze evident und zu befürchten, dass er auch in Zukunft nicht davor zurückschrecken werde, weitere strafbare Handlungen zu begehen. Zudem habe er keine glaubhaften Verfolgungsgründe in Bezug auf Afghanistan vorgebracht. Für die Behörde stehe fest, dass für den BF bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben sei. Er bedürfe daher nicht des Schutzes Österreichs. Es sei für den BF angesichts der fehlenden Aussicht auf Erfolg zu seinem Antrag auf internationalen Schutz zumutbar, den Asylverfahrensausgang in seinem Herkunftsstaat abzuwarten. Sein Interesse am Verbleib in Österreich während des Asylverfahrens trete hinter das Interesse Österreichs auf eine rasche und effektive Durchsetzung der Rückkehrentscheidung zurück.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 12.07.2017 Beschwerde, in der sämtliche Spruchpunkte bekämpft wurden. Darin wurde unter anderem vorgebracht, dass der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, der sich lange im Iran aufgehalten habe, in Afghanistan gravierenden Diskriminierungen ausgesetzt sei, deren Intensität Asylrelevanz habe. Weil der BF der Volksgruppe der Hazara angehöre, drohe ihm schon allein deshalb GFK-relevante Verfolgung in Afghanistan. Der Umstand, dass der BF aufgrund seines schiitischen Glaubens Angst vor Verfolgung durch die Taliban habe, sei von der belangten Behörde nicht berücksichtigt worden. Wegen mangelnder Sachverhaltsermittlungen der belangten Behörde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von Asyl iSd § 3 AsylG verweise die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung auf § 6 leg.cit., der die Ausschlussgründe regle. Dabei verkenne die belangte Behörde jedoch, dass der BF zum Begehungszeitpunkt der Straftat minderjährig war, weshalb das JGG anzuwenden gewesen wäre. Dessen § 5 Z 10 besage, dass die in gesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Rechtsfolgen nicht eintreten. Sinn dieser Bestimmung sei es, die Chance straffällig gewordener Jugendlicher auf Resozialisierung nicht durch zusätzliche Folgewirkungen zu erschweren. Als Beispiel eines unzulässigen Ausschlusses werde jener der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 und 3 StbG genannt. Analog dazu müsse dies auch auf den Ausschluss der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 6 Abs. 2 sowie den Ausschluss der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a anzuwenden sein.

Entgegen den Feststellungen der belangten Behörde sei die Sicherheitslage in Kabul äußerst prekär. Kabul könne keinesfalls als dauerhaft sicher für den BF angenommen werden. Auch hätte der BF - schon aus finanziellen Gründen - keinen Zugang zu angemessenem Wohnraum, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung. Der BF verfüge über keine Fachausbildung, alleine seine Schneidertätigkeit im Iran sei nicht ausreichend, um genug zu verdienen und sich ein menschenwürdiges Leben in Kabul aufzubauen. Er verfüge über kein familiäres/soziales Netzwerk in Kabul bzw. in Afghanistan. Es sei ihm daher jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG sei nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Eine Ausweisung des BF nach Afghanistan sei aufgrund der individuellen Gefährdungslage des BF keinesfalls geboten. Da eine Abschiebung des BF nach Afghanistan jedenfalls eine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte darstellen würde, wäre in eventu jedenfalls auszusprechen, dass eine Abschiebung unzulässig ist, der Aufenthalt des BF demnach ex lege gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG zu dulden ist. Da die Rückkehrentscheidung rechtswidrig gewesen sei, liege auch kein Grund für die Erlassung eines Einreiseverbotes vor. Auch habe die belangte Behörde es unterlassen, eine individuelle Gefährdungsprognose vorzunehmen, indem sie es unterlassen habe, alle individuellen Umstände zu berücksichtigen. So stützte sich die belangte Behörde einzig auf die Verurteilung des BF, ohne die individuellen Umstände des BF zu berücksichtigen. So werden im Bescheid einzig die Erschwerungsgründe im Rahmen der Strafzumessung erwähnt, nicht jedoch die Milderungsgründe wie beispielsweise das tadellose Vorleben des BF, die äußerst ungünstigen Erziehungsverhältnisse aufgrund des prekären Aufenthaltes im Iran sowie seiner Flucht nach Österreich als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Unter einem wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG beantragt, da eine Abschiebung in den Herkunftsstaat eine reale Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

6. Am 25.07.2017 wurde die Beschwerde samt dem bezughabenden Veraltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.08.2017, GZ W217 2165361-1/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

8. Am 03.01.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, zu der der BF aus der Haft vorgeführt wurde. Der BF führte aus, er sei im Iran, in der Stadt Mashhad, geboren, aufgewachsen sei er in Karaj. Er habe niemals in Afghanistan gelebt, Besitztümer in Afghanistan habe er keine. Seine Eltern seien afghanische Staatsangehörige und hätten in Daikundi gelebt. Er glaube, seine Eltern seien aus Angst vor den Taliban geflohen, genaueres wisse er nicht. Er habe im Iran in der Provinz Karaj fünf Klassen lang die Schule besucht, es sei eine öffentliche Schule gewesen. Es seien ausschließlich Burschen unterrichtet worden, iranische und afghanische Staatsbürger, unterrichtet von iranischen Lehrern. Er habe keine Aufenthaltsgenehmigung im Iran gehabt, sie seien illegal dort gewesen und hätten immer Geld zahlen müssen. Berufsausbildung habe er keine, aber er habe in einer Tischlerei gearbeitet. Er habe fast sein ganzes Leben gearbeitet. Mit sieben Jahren habe er begonnen in verschiedenen Bereichen, wie z.B. in der Landwirtschaft, zu arbeiten. Im Alter von zwölf Jahren habe er begonnen, ständig zu arbeiten, in einer Tischlerei, wo er eineinhalb Jahre gearbeitet habe, aber auch als Schweißer und im Baubereich sei er tätig gewesen. Als er sieben Jahre alt gewesen sei, sei sein Vater verstorben. Zunächst erläuterte der BF, sein Vater habe an der Arbeitsstelle mit Kollegen Streit gehabt und sei von zwei Arbeitskollegen geschlagen worden. Er sei vier Tage lang im Koma im Krankenhaus gelegen, dann sei er verstorben. Im Zuge der mündlichen Verhandlung führte der BF aus, sein Vater sei von seinen Großcousins wegen eines Streits um die Wasserverteilung im Iran umgebracht worden.

Der BF habe sowohl für seinen eigenen Lebensunterhalt, aber auch für jenen seiner Schwester und seines Bruders und dem seiner Mutter gesorgt. Seine Mutter arbeite sporadisch als Tagelöhnerin, der Bruder sporadisch im Baubereich. Zuletzt habe der BF vor einer Woche mit seiner Familie Kontakt gehabt. Finanziell gehe es ihnen sehr schlecht. In Afghanistan habe der BF noch Familienangehörige, und zwar seinen Großvater und dessen zweite Frau, sowie eine Tante mütterlicherseits, die alle in der Provinz Herat leben würden. Sein Großvater sei Schuster. Zuletzt habe der BF ihn gesehen, als er zwölf Jahre alt gewesen sei. Damals sei sein Großvater zurück nach Afghanistan gezogen. Sein Großvater würde ihn im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht finanziell unterstützen, da er nur so viel verdiene, um die eigene Familie zu ernähren, davon vier Töchter, die zweite Frau des Großvaters und sein Onkel. Auch seine Tante und deren zwei Kinder würden im Haushalt des Großvaters leben.

In Österreich lebe eine Cousine mütterlicherseits, er habe keinen Kontakt zu ihr.

In Österreich wolle der BF eine Lehre als Tischler absolvieren. In der Strafhaft arbeite er und reinige Zwiebel. Dafür erhalte er €

180,-- monatlich. Er werde noch drei Jahre und vier Monate in Haft sein. Er habe sich zweimal für Deutschkurse angemeldet, leider habe es keinen Platz gegeben.

Er habe Freundschaften zu afghanischen Freunden und auch zu einer österreichischen Familie gepflegt, seit seinem Gefängnisaufenthalt habe er jedoch diese Familie verloren. Im Gefängnis habe er Kontakt zu afghanischen Gefangenen, einer davon sei sein Freund.

Er sei 2015 aus dem Iran nach Europa geflohen. Er hätte ein gutes Leben haben wollen. Weitere Fluchtgründe gebe es nicht.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sei er sich sicher, er würde nicht am Leben bleiben. So habe er vor zwei Monaten gehört, dass es so viele Selbstmordattentate gebe. Er wisse zwar nicht, was ihn in Afghanistan erwarten würde, da er Afghanistan noch nie gesehen habe, aber es drohe ihm, da er drogensüchtig im Iran gewesen sei und in Österreich eine Frau vergewaltigt habe, das Todesurteil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen Lage in Afghanistan wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und am XXXX in Mashhad, Iran, geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Er spricht Dari als Muttersprache und auch Farsi. Er hat immer im Iran, in XXXX in der Provinz Karaj gewohnt. Dort hat der BF 5 Jahre die Schule besucht. Die Familie des BF und der BF selbst waren illegal im Iran aufhältig. Die Eltern des BF stammen aus der Provinz Daikundi in Afghanistan. Der BF selbst war niemals in Afghanistan.

Der BF hat keine Berufsausbildung, hat jedoch seit seinem 7. Lebensjahr gearbeitet. Zunächst hat er neben der Schule etwa in der Landwirtschaft gearbeitet, ab dem Alter von 12 Jahren hat er eineinhalb Jahre in einer Tischlerei gearbeitet und mit diesem Gehalt die Familie versorgt. Darüber hinaus arbeitete er auch als Schweißer und im Baubereich.

Die Mutter des BF sowie dessen Bruder und Schwester leben weiterhin im Iran. Der BF steht mit diesen in Kontakt. Der Vater des BF ist im Iran verstorben als der BF sieben Jahre alt war. Er wurde aufgrund eines Streits wegen der Wasserverteilung umgebracht. Er war Bauer.

Der BF hat einen Großvater mütterlicherseits, dessen zweite Ehefrau sowie eine Tante mütterlicherseits und deren zwei Kinder, die in Afghanistan in der Provinz Herat leben. Der Großvater ist Schuster. Der BF hat diesen zuletzt gesehen, als er 12 Jahre alt war. In Österreich lebt eine Cousine seiner Mutter, mit der er jedoch nicht in Kontakt steht.

Der BF ist illegal eingereist und stellte am 04.06.2015 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist unverheiratet, alleinstehend, kinderlos und hat keine Sorgepflichten.

Der BF befindet sich derzeit aufgrund einer Verurteilung wegen gemeinschaftlich begangener Vergewaltigung in Strafhaft in der Justizanstalt XXXX (das Strafende wäre 22.04.2022). Dort arbeitet der BF, reinigt Zwiebel, und erhält hierfür ca. 180 Euro monatlich.

1.2. Zu den strafrechtlichen Verfehlungen des BF:

Am XXXX wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen XXXX, Zahl XXXX, wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 und Abs. 2, 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 Jahren verurteilt.

Zu dieser Strafe wurde er verurteilt, weil er am XXXX in XXXX den folgenden Sachverhalt verwirklicht hat:

Er und zwei weitere Mittäter haben am XXXX im bewussten Zusammenwirken das (im Urteil näher genannte) Opfer mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes und einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich der mehrfachen digitalen Penetration, genötigt, indem sie der Genannten auf die öffentliche Toilette in XXXX, XXXX, folgten, wo der erste Mittäter und der BF sie gewaltsam packten und zu Boden auf die Knie stießen, der erste Mittäter ihren Kopf mehrmals gegen die Klomuschel stieß, dieser Mittäter und der BF sie unter Anwendung massiver Körperkraft auf den Boden niederdrückten, ihr Hose und Unterhose herunterrissen, der erste Mittäter ihr mit seiner rechten Hand zwischen die Beine auf den Genitalbereich griff, ihr brutal und mit massiver Gewalt seine Finger in die Vagina, soweit er konnte, einführte, und sie mehrmals heftig digital penetrierte, mehrmals versuchte, seinen Penis in ihre Vagina einzuführen, wobei er jedoch scheiterte, weil er diesen nicht erigieren und deswegen nur äußerlich an ihrer Vagina reiben konnte, während der BF sie weiterhin auf den Boden drückte und ihr den Mund fest zuhielt, der erste Mittäter sie gegen ihren erklärten Willen an ihren Brüsten und anderen Stellen des Körpers berührte, sodann der zweite Mittäter die WC-Kabine betrat, sich vor das Opfer kniete, ihre Knie gewaltsam auseinanderdrückte und seinen erigierten Penis in ihre Vagina einführte, und trotz ihres heftigen Widerstandes bis zum Samenerguss penetrierte, während der erste Mittäter sie zu Boden drückte, und der BF ihr mit der ganzen Hand Mund und Nase zuhielt, wobei in weiterer Folge eine Freundin des Opfers auf der Suche nach ihrer Freundin die Damentoilette betrat, und die Täter daraufhin die Flucht ergriffen, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung F 43.1, zur Folge hatte.

1.3. Zum individuellen Fluchtvorbringen des BF

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich sein gesamtes Leben im Iran sowie zuletzt in Europa aufgehalten hat bzw. dass er als afghanischer Staatsangehöriger, der aus dem Iran sowie aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan Verfolgung ausgesetzt wäre. Fest steht, dass es in Afghanistan keine direkte Bedrohung gegen den BF gab.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und zur Religionsgemeinschaft der Schiiten konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

Eine reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer Tötung (einschließlich der Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe) durch den Staat Afghanistan oder tödlicher Übergriffe durch Dritte wird nicht festgestellt.

Eine mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat Afghanistan verbundene reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr, der Folter ausgesetzt zu sein oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu sein, wird nicht festgestellt:

Insbesondere wird eine solche reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung weder im Hinblick auf eine drohende Kettenabschiebung, noch im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe, noch im Hinblick auf die allgemeinen humanitären Bedingungen im Herkunftsstaat in Verbindung mit der persönlichen Lage des BF (etwa im Sinne einer existenzgefährdenden Notlage und/oder des Entzugs der notdürftigsten Lebensgrundlage), noch im Hinblick auf psychische Faktoren, auf Haftbedingungen oder auf andere Gründe festgestellt.

Eine solche mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene Gefahr wird auch nicht im Hinblick auf eine etwaige ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt.

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Die Herkunftsregion seiner Eltern in Afghanistan ist Daikundi, eine sichere und ruhige Provinz. Vor dem Hintergrund, dass Daikundi jedoch über keinen internationalen Flughafen verfügt und die sichere Anreise in diese Provinz daher nicht gewährleistet erscheint, steht dem BF jedenfalls eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung. Mazar-e Sharif und Herat verfügen über einen internationalen Flughafen und sind von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde oder er in einer der beiden Städte Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist jung, gesund sowie im erwerbsfähigen Alter. Er kann eine fünfjährige Schuldbildung und auch Berufserfahrung vorweisen. Durch seine Tätigkeit im Baubereich, in der Landwirtschaft, und in der Tischlerei konnte er mehrjährige Berufserfahrungen sammeln. Zudem spricht der BF eine Landessprache auf muttersprachlichem Niveau und ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. In der Provinz Herat halten sich zudem jedenfalls sein Großvater mütterlicherseits, dessen zweite Ehefrau, sowie seine Tante und deren zwei Kinder auf. Der BF könnte sich in Mazar-e Sharif oder Herat eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Im Ergebnis ist aufgrund des guten Gesundheitszustandes, der Arbeitsfähigkeit, der Ausbildung und der Berufserfahrung von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen.

Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF verfügt über ein hohes Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe Afghanistans oder durch Private, sei es im Zusammenhang mit seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.

1.4. Zur Lage in Afghanistan:

Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden insbesondere folgende Quellen zugrunde gelegt:

• Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 inkl. letzte Kurzinformation vom 29.10.2018;

• UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender (englische Fassung) vom 30.08.2018 und (deutsche Fassung) vom 19.04.2016;

1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 29.10.2018:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Anmerkung: Weiterführende Informationen über den Wahlprozess in Afghanistan können der KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018 entnommen werden.

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018). (UNAMA 10.10.2018)

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptstädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden. (BFA Staatendokumentation 15.10.2018a)

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl

boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichnet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018). Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018).

Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i-Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018

Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).

IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).

Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).

Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).

Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.8.2018 und 13.8.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca. 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (ANSA 14.8.2018; vgl. CBS 14.8.2018, Tolonews 12.8.2018). Quellen zufolge kapitulierten die Sicherheitskräfte nach dreitägigen Kämpfen und ergaben sich den Aufständischen (CBS 14.8.2018; vgl. ANSA 14.8.2018).

IS-Angriff auf schiitische Moschee in Gardez-Stadt in Paktia 3.8.2018

Am Freitag, dem 3.8.2018, kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt (SI 4.8.2018; vgl. Reuters 3.8.2018, FAZ 3.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (SI 4.8.2018).

IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018

Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004). Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen.

Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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