TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/22 W213 2198646-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.01.2019
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Entscheidungsdatum

22.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W213 2198646-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Albert SLAMANIG als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2018, Zl. 1096594404 - 151864175/BMI-BFA_STM_RD, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 25.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei vor zwei Jahren von den Taliban bei Kriegshandlungen angeschossen worden. Aufgrund der unsicheren Lage in Afghanistan habe er das Land verlassen. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, von den Taliban getötet zu werden.

3. In weiterer Folge wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) ein rechtsmedizinisches Gutachten zum Lebensalter des Beschwerdeführers eingeholt, welches zur Beurteilung kam, dass das spätestmögliche fiktive Geburtsdatum dem XXXX entspricht. Mit Verfahrensanordnung vom 17.06.2015 wurde der Beschwerdeführer davon in Kenntnis gesetzt, dass als Geburtsdatum für sein Mindestalter der XXXX festgesetzt werde.

4. Der Beschwerdeführer wurde am 14.12.2017 beim BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Hierbei gab er zusammengefasst an, afghanischer Staatsangehöriger zu sei, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams zu bekennen. Er sei ledig, habe keine Kinder und sei Analphabet. Im Iran habe er auf der Landwirtschaft seiner Eltern gearbeitet. Vor einem Jahr sei er zum Christentum konvertiert. Er sei zwar noch nicht getauft, habe sich aber mit der christlichen Lehre beschäftigt. Er konnte einige der Zehn Gebote aufzählen und beantworten, was die Christen Ende Dezember feiern. Nachgefragt, warum er zum Christentum konvertiert sei, gab er an, dass er als Moslem kein gutes Leben geführt habe. Im Verein " XXXX " habe er viel über Jesus gehört, was ihn sehr interessiert habe. Er gab an, sonntags in die Kirche zu gehen und an Kursen (zur Taufvorbereitung) bei einem iranischen Pastor über das Internet (via Skype) teilzunehmen. Nach seinen Fluchtgründen befragt gab er an, Todesangst gehabt zu haben, da Afghanistan nicht sicher sei, überall seien Taliban. Bei einem Angriff der Taliban vor etwa vier Jahren habe eine Kugel seinen Fuß getroffen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde er als konvertierter Christ hingerichtet werden. Seine Rechtsvertretung brachte vor, dass der Beschwerdeführer zu einem Taufkurs angemeldet sei, er die Kirche aber ein Jahr lang besuchen müsse, bevor er zugelassen werde. Vorgelegt wurden eine Bestätigung des Basketballclubs XXXX über die freiwillige Mitarbeit im Verein, eine Ambulanzkarte des LKH XXXX , ein ärztlicher Entlassungsbrief des LKH - Universitätsklinikum XXXX sowie Teilnahmebestätigungen mehrere Deutschkurse.

5. Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 14.05.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.), und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan der Gefahr einer individuellen, konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt sei, oder dass er im Fall einer Rückkehr eine Verfolgung zu befürchten hätte. Zum behaupteten Nachfluchtgrund der Konvertierung führte das BFA aus, dass sich dieser zum Entscheidungszeitpunkt nicht als asylrelevant erwiesen habe.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer fürchte im Falle seiner Rückkehr Verfolgung aufgrund seiner religiösen Gesinnung. Auch drohe im Verfolgung, da er einige Jahre im westlichen Ausland gelebt habe und dort einen Asylantrag gestellt habe. Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt, da sie den Beschwerdeführer im Dezember 2017 einvernommen habe, der angefochtene Bescheid sei aber erst fünf Monate später ergangen. Darüber hinaus habe die belangte Behörde unvollständige und veraltete Länderberichte herangezogen bzw. diese nur unvollständig ausgewertet. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens habe die Behörde verfehlte Feststellungen getroffen und insbesondere nicht festgestellt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum in Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohe. Tatsächlich besuche der Beschwerdeführer regelmäßig eine näher genannte iranische Kirche in XXXX und nehme an Gottesdiensten teil. Er bete jeden Tag zuhause - dies auch mit Hilfe seiner iranisch-sprachigen Bibel.

7. Mit Schreiben vom 17.12.2018 brachte der Beschwerdeführer durch seinen nunmehrigen Rechtsvertreter eine Beschwerdeergänzung ein. Darin wurde insbesondere mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer am 24.11.2018 getauft worden sei. Darüber hinaus wurden eine Taufurkunde sowie Fotos von der Taufe übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, ledig, stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz XXXX und gehört zur Volksgruppe der Hazara. Der Beschwerdeführer hat im Iran keine Ausbildung absolviert.

Der Beschwerdeführer wuchs als schiitischer Moslem auf, lernte den christlichen Glauben bei seinem Aufenthalt in XXXX kennen und beschäftigte sich fortan - auch nach seinem Umzug nach XXXX - mit der christlichen Lehre. Mittlerweile bekennt er sich zum Christentum und gehört der Kirchengemeinde der Baptisten an. Er wurde am 24.11.2018 von der Internationalen Baptistengemeinde XXXX auf das persönliche Bekenntnis seines Glaubens an Jesus Christus getauft und in die Kirchengemeinde aufgenommen. Der Beschwerdeführer nahm bereits im Jahr 2017 an Internet-Kursen bei einem iranischen Pastor (via Skype) teil und absolvierte vor seiner Taufe seinen verpflichtenden Taufkurs. Er besucht sonntags regelmäßig den Gottesdienst.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich bereits mehrere Deutschkurse besucht und ist ehrenamtlich für den Basketballverein XXXX tätig.

Zur Religionsfreiheit, der Situation der Christen in Afghanistan und zur Konversion wird anhand des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 08.01.2019, Folgendes festgestellt:

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi- Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018). Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für NichtMuslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.08.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.08.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Ferner wird aus der ACCORD Anfragebeantwortung vom 01.06.2017 auszugsweise Folgendes festgestellt:

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017). Das Strafgesetzbuch ermögliche den Gerichten, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten "hudud"-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange. Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw. "Konvertiten" würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die "Verrat an ihrem Glauben" geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere zur Konversion, ergeben sich aus dessen glaubwürdigem Vorbringen im Verfahren. Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme vor dem BFA im Dezember 2017 an, als Moslem kein gutes Leben geführt zu haben, im Verein " XXXX " im XXXX aber sehr viel über Jesus gehört zu haben, das ihn sehr interessiert habe. So habe er sich für diesen Glauben entschieden. Er habe sich mittlerweile viel mit der christlichen Lehre beschäftigt und nehme an Internet-Kursen teil, sei jedoch noch nicht getauft, da er vor Anmeldung zum Taufkurs zumindest ein Jahr lang die Kirche besuchen müsse. Der Beschwerdeführer konnte alle ihm vom BFA gestellten Fragen zum Christentum - unter Berücksichtigung seiner nicht vorhandenen Schulbildung und gemessen an seiner Aufenthaltsdauer - hinreichend beantworten, und seine Auseinandersetzung mit dem Christentum glaubhaft dartun.

Die in der Zwischenzeit am 24.11.2018 vollzogene Taufe, die durch die vorliegenden Taufurkunde der Internationalen Baptistengemeinde XXXX sowie die vorgelegten Fotos bescheinigt wird, zeigt, dass sich der Beschwerdeführer weiterhin intensiv mit dem Christentum beschäftigt hat und am verpflichtenden Taufkurs teilgenommen hat. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist frei von Widersprüchen und in sich schlüssig. Es besteht seitens des Bundesverwaltungsgerichts kein Grund daran zu zweifeln, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers und die vorliegenden Dokumente glaubhaft sind, weshalb die Entscheidung aufgrund der eindeutigen Aktenlage getroffen werden konnte.

Im Ergebnis steht diese Beurteilung auch in Einklang mit der Beweiswürdigung der belangten Behörde, die im angefochtenen Bescheid nur ausführte, dass zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung die angestrebte Konvertierung (noch) nicht geeignet war, Asylrelevanz aufzuweisen. Aufgrund der nunmehr nachgewiesenen weiteren Entwicklung und Verfestigung des Beschwerdeführers hinsichtlich seines christlichen Glaubens, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer faktisch und für Dritte wahrnehmbar zum christlichen Glauben konvertiert ist.

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den genannten (nunmehr aktualisierten) Quellen, die schon die belangte Behörde ihrem Bescheid zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Gleiches gilt für die bereits durch den Beschwerdeführer selbst ins Verfahren eingebrachte ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde sowie den nachgereichten Belegen als für die vorliegende Entscheidung geklärt erscheint und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 AsylG ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), Verfolgungsgrund ein in Art 10 Statusrichtlinie genannter Grund.

Der Begriff der Religion umfasst nach Art 10 der Statusrichtlinie insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach den alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben des Artikel 10 Absatz 1 b, Statusrichtlinie, kann einem Flüchtling nicht zugesonnen werden, sich bei der Religionsausübung auf das "Forum Internum" zu beschränken, somit seinen Glauben heimlich auszuüben. Diesem muss die öffentliche Ausübung des christlichen Glaubens in Lehre, Gottesdienst und Sakramentsverwaltung möglich sein ("Forum Externum").

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186, mwN).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

Aus dem oben zur Person des Beschwerdeführers festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation der Christen in Afghanistan, insbesondere der vom Islam zum Christentum konvertierten Personen, ergibt sich glaubhaft, dass der Beschwerdeführer einen tatsächlichen inneren Gesinnungswandel vollzogen hat. Der Beschwerdeführer wäre als Person mit innerer christlicher Überzeugung, die er nicht verleugnen will, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt, zumal sich aus den Feststellungen ergibt, dass die Maßnahmen gegen Konvertiten von Belästigungen und Bedrohungen bis zu körperlichen Misshandlungen, langjähriger Inhaftierung und Tötung reichen. Der Beschwerdeführer hätte daher asylerhebliche Eingriffe in seine körperliche Integrität zu fürchten. Dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum den afghanischen Behörden oder anderen Personen in seinem familiären und sozialen Umfeld verborgen bleiben würde, kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum nur zum Schein erfolgt wäre, sind im Beschwerdeverfahren nicht hervorgekommen.

Im gegenständlichen Fall liegt daher das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers zum Christentum vor.

Anhand der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, wegen seines Religionsbekenntnisses verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren. Es liegt auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vor. Anhaltspunkte für das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bestehen nicht.

Ein Eingehen auf das weitere Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers konnte daher unterbleiben.

Der Beschwerde war daher stattzugeben, dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festzustellen, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte höchstgerichtliche Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, individuelle Verfolgungsgefahr,
Schutzunfähigkeit, Schutzunwilligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W213.2198646.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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