TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/24 W191 1421138-4

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Veröffentlicht am 24.01.2019
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Entscheidungsdatum

24.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W191 1421138-4/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX alias XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Eva Velibeyoglu, Österreichische Flüchtlings- und Migrantinnenhilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für

Fremdenwesen und Asyl vom 07.01.2019, Zahl: 498583402-170889633, zu

Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG und §§ 10 und 57 Asylgesetz 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz sowie §§ 46, 52, 53 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Erstes Vorverfahren:

1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger aus dem Bundesstaat Punjab, Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Sikhs und ledig, stellte nach irregulärer Einreise in Österreich am 23.10.2008 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

In seiner Erstbefragung am 27.10.2008 sowie seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt (in der Folge BAA) am 11.11.2008, 10.09.2009 und 30.09.2009 führte der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen aus, dass er Zeuge davon geworden sei, wie ein Bekannter von ihm den Besitzer eines Fleischstandes erschossen habe. Da er der Familie des Getöteten den Namen dieses Bekannten verraten habe, hätte ihn dieser mit dem Umbringen bedroht. Aus Angst um sein Leben habe der BF daraufhin seinen Herkunftsstaat verlassen.

1.1.2. Mit Bescheid vom 30.09.2009, Zahl 08 10.467-BAW-EASt Ost, wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG mit einer Ausweisung nach Indien (Spruchpunkt III.). Gemäß § 38 Abs. 1 AsylG wurde einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid brachte der BF keine Beschwerde ein, sodass er mit 15.10.2009 in Rechtskraft erwuchs.

1.2. Zweites Vorverfahren:

1.2.1. Der BF verblieb trotz der Ausweisung nach Indien im Bundesgebiet und stellte am 23.05.2011 einen neuerlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung am 23.05.2011 sowie seinen Einvernahmen vor dem BAA am 27.05.2011, 03.06.2011 und 23.08.2011 führte der BF im Wesentlichen aus, dass er nach der Entscheidung in seinem ersten Asylverfahren von März 2010 bis Jänner 2011 in Indien gewesen sei und sich bei diesem Aufenthalt neue Fluchtgründe ergeben hätten. Er habe bei einem Busunternehmen als Schaffner gearbeitet und der Fahrer des Busses habe im Dezember 2010 einen Mann überfahren, der in der Folge verstorben sei. Da der Fahrer sofort geflüchtet und der BF am Unfallort verblieben sei, hätten die Leute geglaubt, dass er den Mann überfahren habe. Seitdem würde er von den Angehörigen des Opfers verfolgt werden und auch die Polizei würde ihn suchen.

1.2.2. Mit Bescheid vom 24.08.2011, Zahl 11 04.990-EASt Ost, wies das BAA den Antrag des BF gemäß § 68 AVG zurück und verband diese Entscheidung gemäß § 10 AsylG mit einer Ausweisung nach Indien. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF einen zwischenzeitlichen Aufenthalt in Indien nicht glaubhaft dargelegt habe. Er habe keine neuen asylrelevanten Sachverhalte vorgebracht und habe sich die allgemeine Lage in Indien seit dem ersten Asylbescheid nicht maßgeblich geändert.

1.2.3. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde durch den Asylgerichtshof (in der Folge AsylGH) mit Erkenntnis vom 23.07.2012, Zahl C16 421.138-1/2011/4E, gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs mit 26.07.2012 in Rechtskraft.

1.3. Verfahren betreffend Erteilung eines Aufenthaltstitels:

1.3.1. Am 18.11.2014 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

1.3.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) wies den Antrag des BF mit Bescheid vom 15.06.2015, Zahl 140184000, gemäß § 55 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG als unzulässig zurück. Gleichzeitig wurde gemäß § 10 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.

1.3.3. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.10.2016 mit Erkenntnis vom 07.02.2017, Zahl W124 1421138-2/24E, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

1.4. Aktuelles Verfahren:

1.4.1. Der BF wurde am 25.07.2017 in Schubhaft genommen und ihm wurde am 27.07.2017 die für den 02.08.2017 vorgesehene Abschiebung angekündigt. Am 29.07.2017 stellte der BF den dritten (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung am 30.07.2017 gab der BF an, dass er nach der letzten Entscheidung für etwa zwei Wochen nach Italien gereist und danach wieder nach Österreich zurückgekehrt sei. Befragt nach seinen Fluchtgründen schilderte er erneut die bei seiner letzten Asylantragstellung vorgebrachten Fluchtgründe und brachte im Wesentlichen vor, dass ein Verwandter der bei dem Busunfall im Jahr 2008 getöteten Person Mitglied der in Indien sehr mächtigen Kongresspartei sei. Seine Familie und er seien hingegen Unterstützer der Gegenpartei. Heuer sei im Punjab die Kongresspartei neu gewählt worden und diese Person sei jetzt noch mächtiger als im Jahr 2008. Seine Familie habe ihm am Telefon mitgeteilt, dass der BF wahrscheinlich umgebracht werde, wenn er jetzt zurückkomme. Aus diesem Grund wolle er auf keinen Fall nach Indien zurück. Weiters erstattete der BF Vorbringen zu seiner Integration im Bundesgebiet.

1.4.2. Mit Mandatsbescheid vom 30.03.2017 wurde gemäß § 12a Abs. 4 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 VG festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 12a Abs. 4 Z 1 und Z 2 AsylG nicht vorliegen würden und dem BF wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG nach § 12a Abs. 4 AsylG nicht zuerkannt.

1.4.3. Der BF wurde am 02.08.2017 auf dem Luftweg nach Indien überstellt.

1.4.4. Am 03.10.2018 stellte der BF nach neuerlicher Einreise ins Bundesgebiet einen vierten Asylantrag und gab unter Vorlage einer Geburtsurkunde und eines Führerscheins bekannt, dass er seinen Nachnamen in Indien habe ändern lassen.

1.4.5. Der BF wurde am 23.10.2018 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen und gab auf Befragen zu seinen Fluchtgründen an, dass die Angaben aus seinem Vorverfahren immer noch gelten würden. Er wolle in Österreich bleiben und bitte um einen Aufenthaltstitel oder eine Niederlassungsberechtigung, damit er hier arbeiten könne. Auf die Frage, ob er in diesem Verfahren noch weitere Gründe geltend machen wolle, gab der BF an, dass er im Oktober 2017 ein Mädchen kennengelernt habe und es heiraten habe wollen. Die Familienangehörigen bzw. Eltern des Mädchens seien aber dagegen gewesen und hätten ihn geschlagen, als sie von ihren heimlichen Treffen erfahren hätten. Er habe bei der Polizei Anzeige erstattet, aber diese habe keine rechtlichen Schritte unternommen, da es sich bei der Familie um eine reiche Familie handle, die auch Kontakt zu Politikern habe und der Regierungspartei angehöre. Da sie ihn suchen würden, fürchte er um sein Leben.

Am 13.11.2018 wurde der BF ein weiteres Mal vor dem BFA niederschriftlich zu seinen Fluchtgründen einvernommen und führte die Vorfälle mit der Familie des Mädchens auf Nachfrage näher aus.

1.4.6. Mit einer von seinem Vertreter verfassten schriftlichen Stellungnahme vom 20.11.2018 brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er in Indien von der Familie seiner Freundin attackiert worden sei und derzeit in Indien gesucht werde. In Österreich arbeite er als Zeitungszusteller, wohne mit seinem Schwager und seiner Schwester in einem gemeinsamen Haushalt, sei unbescholten und habe das Sprachdiplom A2 absolviert.

1.4.7. Mit - verfahrensgegenständlich angefochtenem - Bescheid vom 07.01.2019 wies das BFA den (Folge-) Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 29.07.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.) und erließ in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 2a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Das BFA stellte fest, dass der Antrag des BF auf internationalen Schutz im Vorverfahren rechtskräftig abgewiesen worden sei und er den gegenständlichen Antrag auf Umstände stütze, die er bereits im ersten Verfahren vorgebracht habe. Soweit er weiters angegeben habe, dass er nunmehr in Indien aufgrund einer Liebesbeziehung zu einem Mädchen von Privatpersonen und der Polizei verfolgt und gesucht werde, so seien diese Angaben völlig unglaubwürdig bzw. würden nicht einmal einen glaubwürdigen Kern aufweisen. Schließlich sei auch aus der von Amts wegen berücksichtigten Ländersituation kein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt hervorgekommen, sodass der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen war.

In Österreich würde sich die vorgebliche Schwester des BF mit ihrer Familie aufhalten, eine besonders enge Beziehung oder ein Abhängigkeitsverhältnis habe jedoch nicht festgestellt werden können, zudem würden seine Verwandten auch über kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Österreich verfügen. Zwischen dem rechtskräftigen Abschluss des letzten Verfahrens und dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung des gegenständlichen Verfahrens sei keine entscheidungsrelevante Änderung seines Familien- und Privatlebens eingetreten, sodass eine Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.

Der BF sei am 02.08.2017 von Österreich nach Indien abgeschoben worden und in weiterer Folge neuerlich illegal und schlepperunterstützt nach Österreich eingereist. Seine Anträge auf internationalen Schutz seien unbegründet und missbräuchlich gestellt worden und sein Verhalten zeige, dass er offensichtlich nicht gewillt sei, sich an die österreichischen Gesetze zu halten. Die Erlassung eines Einreiseverbots sei daher gerechtfertigt und notwendig, um die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

1.4.8. Mit Schreiben seines gewillkürten Vertreters vom 14.01.2019 brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und brachte im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde nicht ordnungsgemäß ermittelt und ihm zu Unrecht eine Sachentscheidung verwehrt habe. Auch würden die Länderfeststellungen den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen. Eine Ausweisung des BF sei aufgrund von Art. 8 EMRK nicht zulässig da sich der BF hier gut integriert habe und für seinen eigenen Lebensunterhalt sorge.

1.4.9. Die gegenständliche Beschwerde langte am 18.01.2019 beim BVwG ein.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in die dem erkennenden Gericht vorliegenden Akten des BFA sowie des BVwG samt Vorakten, insbesondere in die Niederschriften der Erstbefragung am 30.07.2017, der Einvernahmen vor dem Bundesamt am 23.10.2018 und 13.11.2018 sowie die vom BF vorgelegten Beweismittel (Belege zu seiner Integration, indischer Führerschein, Geburtsurkunde mit Übersetzung in die deutsche Sprache)

* Einsicht in aktenkundliche Dokumentationsquellen des BFA betreffend Indien (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 09.01.2017, Aktenseiten 448 bis 495 des Verwaltungsaktes)

3. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhaltsfeststellungen):

3.1. Feststellungen zur Person des BF und zum Verfahren:

3.1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Indien und stammt aus der Provinz Punjab. Er führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist ledig und gehört der Glaubensgemeinschaft der Sikhs an. Der BF spricht als Muttersprache Punjabi und beherrscht weiters Hindi, Englisch und etwas Deutsch.

3.1.2. Der BF stellte erstmals am 23.10.2008 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach einem inhaltlich geführten Verfahren wurde sein Asylantrag mit Bescheid des BAA vom 30.09.2009 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

3.1.3. In der Folge stellte der BF am 23.05.2011 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des BAA vom 24.08.2011 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des AsylG vom 23.07.2012 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

3.1.4. Am 18.11.2014 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, der mit Bescheid des BFA vom 15.06.2015 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 07.02.2017 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

3.1.5. Der BF stellte am 29.07.2017 einen weiteren - den gegenständlichen - Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte dabei keine neuen Fluchtgründe vor, sondern bezog sich auf seine bereits als unglaubhaft beurteilten Fluchtgründe aus seinem vorangegangenen Verfahren. Soweit der BF in seinen Einvernahmen vor dem BFA neu vorbrachte, dass er eine Liebesbeziehung mit einem Mädchen geführt habe und deshalb von deren Familienangehörigen sowie von der Polizei verfolgt werde, sind diese Gründe bereits im Kern unglaubhaft bzw. nicht asylrelevant.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen, in der Person des BF gelegenen Umständen. In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kann keine sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem zuletzt über seinen Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

3.1.6. Der BF wurde am 02.08.2017 auf dem Luftweg nach Indien überstellt und reiste anschließend erneut schlepperunterstützt ins Bundesgebiet ein, wo er - während des gegenständlich laufenden Verfahrens - am 03.10.2018 einen neuerlichen (vierten) Asylantrag stellte.

3.1.7. Der BF ist gesund und verfügt in Indien über eine zehnjährige Schulausbildung sowie mehrjährige Berufserfahrung als Taxifahrer bzw. Busschaffner und hat auch bereits in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet. In Indien leben noch zumindest zwei Tanten und zwei Onkel, wobei er nach seiner Abschiebung nach Indien bis zu seiner erneuten Ausreise einem Onkel wohnhaft war.

3.1.8. Der BF lebt in Österreich in keiner familienähnlichen Lebensgemeinschaft, sondern bewohnt gemeinsam mit einer indischen Staatsangehörigen, die er als Schwester bezeichnet, deren Ehemann und zwei Kindern eine Wohnung, für die die Kosten geteilt werden. Seine Mitbewohner verfügen über kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, sondern haben Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem AsylG gestellt, die derzeit im Beschwerdeverfahren anhängig sind. Es besteht kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem BF und seinen Mitbewohnern. Der BF hat am 05.08.2014 ein Sprachzertifikat auf dem Niveau A2 erworben und angegeben, Erwerbstätigkeiten als Zeitungszusteller auszuführen.

3.2. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur allgemeinen Lage in Indien bzw. im Bundesstaat Punjab (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 09.01.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):

Überblick über die politische Lage:

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.08.2016, BBC 27.09.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.09.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.04.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.08.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.08.2016).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.04.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.08.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.04.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Sicherheitslage:

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.08.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt, und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.04.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976, für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 09.01.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.08.2016).

Justiz:

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft, und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.08.2016; vgl. auch:

USDOS 13.04.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.04.2015).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet, und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 01.08.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.04.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.08.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016).

Sicherheitsbehörden:

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 6.2016) und untersteht den Bundesstaaten (AA 16.08.2016). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreicher nationaler Strafrechte und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 6.2016).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt. (USDOS 13.04.2016). Versprochene Polizeireformen verzögerten sich 2015 erneut (HRW 27.01.2016).

Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 13.04.2016).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2016). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 16.08.2016; vgl. auch: BICC 6.2016), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2016).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram und Nagaland (AA 16.08.2016 vgl. USDOS 25.06.2015).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 16.08.2016). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), eine aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rahtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze -, die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz), als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesh und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles - zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten -, die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force, zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2016). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.08.2016).

Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sogenannte Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen (AA 24.04.2015; vgl. auch USDOS 25.06.2015).

Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.04.2015).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 16.08.2016). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2016). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 16.08.2016). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt.

Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit bei (USDOS 13.04.2016).

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2016), eine verallgemeinernde Bewertung kaum möglich:

Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 16.08.2016). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 16.08.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen dort, wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2016).

Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im Maoistengürtel begehen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 13.04.2016).

Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der Bürger. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein, und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 13.04.2016).

Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o.D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC-Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hielten sich viele Bundesstaatenregierungen nicht an diese Richtlinien. Die NHRC forderte von den Bundesstaatenregierungen, den Familien von Opfern eine finanzielle Kompensation zu bieten, aber die Bundesstaatenregierungen erfüllten diese Richtlinien nicht konsequent. Die Behörden haben die Streitkräfte nicht dazu aufgefordert, Todesfälle während der Haft an die NHRC zu melden (USDOS 13.04.2016).

Bewegungsfreiheit:

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 13.04.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 16.08.2016).

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen, vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 13.04.2016).

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern. Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Verzögerungen bei der Ausstellung eines Passes konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller - geboren in Jammu und Kaschmir -, darunter auch Kinder von Militäroffizieren, Berichten zufolge zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 16.08.2016).

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan (AA 03.03.2014).

Indien ist das siebtgrößte Land der Erde mit über einer Milliarde Einwohnern (ÖB 12.2016). Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern (AA 03.03.2014).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 16.08.2016). Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab (AA 03.03.2014).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 12.2016).

Grundversorgung:

Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen.

Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 16.08.2016).

Medizinische Versorgung:

Die Struktur von Indiens Gesundheitssystems ist vielseitig. Nach der indischen Verfassung haben die verschiedenen Staaten die Leitung über die meisten Aspekte des Gesundheitswesens, inklusive öffentlicher Gesundheit und Krankenhäuser. Rund 80% der Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens kommt von den Staaten (BAMF 12.2015).

Die gesundheitliche Grundversorgung wird vom Staat kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchweg unzureichend (AA 16.08.2016) und schließt keine kostenfreie Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung ein (BAMF 8.2014). Staatliche Krankenhäuser bieten Gesundheitsversorgung kostenfrei oder zu sehr geringen Kosten (BAMF 12.2015).

Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Mann-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 23.000 solcher Kliniken in Indien. Gemeindegesundheitszentren (Community Health Centres) sind als Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden verfügbar. Taluk Krankenhäuser werden von der Regierung und dem zuständigen Taluk [Anmerkung: Verwaltungseinheit] betrieben. Bezirkskrankenhäuser (District level hospitals) und spezialisierte Kliniken sind für alle möglichen Gesundheitsfragen ausgestattet (BAMF 12.2015).

Der private Sektor hat ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Gesundheitsversorgung (BAMF 12.2015), und da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Sektors sehr stark ist, weichen viele für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen der fortschrittlicheren Infrastruktur und des qualifizierteren Personals einen besseren Ruf. In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich (AA 16.08.2016). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 16.08.2016). Private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer, und den Großteil der Kosten zahlen die Patienten und deren Familien selbst. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personenausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN, driving license) (BAMF 12.2015).

Mehrere Versicherungsgesellschaften bieten eine Krankenversicherung an, die bestimmte medizinische Kosten abdeckt, unter anderem auch stationären Krankenhausaufenthalt. Die Abdeckung variiert je nach Versicherungspolizze (BAMF 8.2014). Die staatliche Krankenversicherung (Universal Health Insurance Scheme) erfasst nur indische Staatsbürger unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. Zudem gibt es viele wohltätige Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 12.2015).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 16.08.2016). Medikamentenläden sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 12.2015). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika, und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 16.08.2016). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 12.2015).

Behandlung nach Rückkehr:

Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. In den letzten Jahren hatten indische Asylbewerber, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden, grundsätzlich - abgesehen von einer intensiven Prüfung der (Ersatz-) Reisedokumente und einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden - keine Probleme. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 16.08.2016). Die indische Regierung hat kein Reintegrationsprogramm und bietet auch sonst keine finanzielle oder administrative Unterstützung für Rückkehrer (BAMF 12.2015).

Dokumente:

Echtheit der Dokumente:

Der Zugang zu gefälschten Dokumenten oder echten Dokumenten falschen Inhalts ist leicht. Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Angesichts der Unzuverlässigkeit des Urkundenwesens werden indische öffentliche Urkunden seit dem Jahr 2000 von den deutschen Auslandsvertretungen nicht mehr legalisiert (AA 16.08.2016).

Echte Dokumente unwahren Inhalts:

Echte Dokumente unwahren Inhalts sind problemlos (gegen entsprechende Zahlungen oder als Gefälligkeit) erhältlich. Bei Personenstandsurkunden handelt es sich dabei um echte Urkunden falschen Inhalts, bei Gerichtsentscheidungen (z.B. Scheidung, Sorge) um echte Urteile, die jedoch aufgrund erfundener Sachverhalte und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrenserfordernisse (rechtliches Gehör, Interessenabwägung, Begründung) ergehen (AA 16.08.2016).

Zugang zu gefälschten Dokumenten:

Der deutschen Botschaft New Delhi werden im Rahmen laufender Asylverfahren nur sehr selten Unterlagen zur Überprüfung vorgelegt. In der Vergangenheit haben sich Dokumente im Zusammenhang mit Strafsachen und Fahndung sowie dazugehörige Eidesstattliche Versicherungen (affidavits) auch als falsch oder gefälscht herausgestellt. Die Überprüfung der Echtheit von Haftbefehlen gestaltet sich schwierig. Vorgelegte Dokumente ("Warrant of Arrest", "First Investigation Report", Bestätigungsschreiben von Rechtsanwälten, "Affidavits" von Dorfvorstehern oder Angehörigen) stellen sich bei Überprüfung häufig als gefälscht heraus. Überprüfungen im Asylverfahren ergeben häufig, dass weder der Sachvortrag noch die Identität des Betreffenden bestätigt werden kann (AA 16.08.2016).

Adhaar/Identifizierungsbehörde:

Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar ID Nummer ausgestellt. Obwohl diese nicht verpflichtend ist, gaben Beamte an, dass der Nichtbesitz den Zugang zur Staatshilfe limitieren werden könnte (FH 03.10.2013). Die unverwechselbare Identitätsnummer ermöglicht es beispielsweise, dass staatliche Zuschüsse direkt an den Verbraucher übermittelt werden. Anstatt diese auf ein Bankkonto zu senden, wird sie an die unverwechselbare Identitätsnummer überwiesen, die mit der Bank verbunden ist und geht so an das entsprechende Bankkonto. 750 Mio. Inder haben derzeit eine derartige Identitätsnummer, ca. 130 Mio. haben diese auch mit ihrem Bankkonto verknüpft (International Business Times, 02.02.2015).

Die Identifizierungsbehörde Indiens wurde eingerichtet, um die rechtliche und technische Infrastruktur zu schaffen, die notwendig ist, um allen indischen Einwohnern eine 12-stellige Identitätsnummer (UID) auszustellen, die online überprüft werden können. Dieses Projekt soll gefälschte und doppelte Identitäten ausschließen. Das neue Identitätssystem wird mit Fotos, demographischen und biometrischen Details (Fingerabdrücke und Iris-Bild) verbunden. Der Erwerb einer UID ist freiwillig und kostenlos. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, sich registrieren zu lassen (UK Home Office 2.2015).

Da die im Rahmen des UID bzw. Aadhaar Projektes gesammelten Daten nicht in das nationale Bevölkerungsregister (NPR) integriert werden, stellt dieses jedoch nur eine bloße Auflistung von Namen und demographischen Details dar. Bisher wurden 1,04 Milliarden Aadhaar Nummern generiert, mit dem Plan der vollständigen Erfassung der Bevölkerung bis März 2017. Die zuständige Behörde für die einheitliche Identifikationsnummer weigert sich, die gesammelten Daten an das für das Bevölkerungsregister zuständige Innenministerium weiterzuleiten, da sie aufgrund des im Juli 2016 verabschiedeten Gesetzes von einem Datenaustausch ausgeschlossen ist (HAT 08.08.2016).

Punjab:

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Millionen Sikhs 16 Millionen im Punjab (MoHA o.D.) und bilden dort die Mehrheit (USDOS 10.08.2016).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren aus anderen Unionsstaaten oder Pakistan. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2016). Nichtstaatliche Kräfte, darunter organisierte Aufständische und Terroristen, begehen jedoch zahlreiche Morde und Bombenanschläge im Punjab und Konfliktregionen wie etwa Jammu und Kaschmir (USDOS 13.04.2016). Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen und vier Polizisten. 15 Personen wurden verletzt (USDOS 02.07.2016; vgl. auch: AI 24.02.2016). Es handelte sich dabei um den ersten größeren Anschlag seit den Aktivitäten militanter Sikhs in den 1980er und 1990er Jahren (USDOS 02.07.2016).

Im Oktober 2015 gab es in fünf Distrikten des Punjab weitverbreitete und gewalttätige Proteste der Sikhs gegen die Regierung in Punjab. Dabei hat die Polizei auf Protestanten geschossen und zwei Personen getötet sowie 80 Personen verletzt. Grund der Proteste waren Berichte, laut denen unbekannte Täter das heilige Buch der Sikhs entweiht hätten. Die Polizei hat ein Dutzend Protestanten wegen versuchten Mordes, Beschädigung öffentlichen Eigentums und des Tragens von illegalen Waffen festgenommen. Was die Aufarbeitung der Gewaltausbrüche im Jahr 1984, bei denen 3.000 Menschen, darunter hauptsächlich Sikhs, ums Leben gekommen seien betrifft, so kommen Gerichtsverfahren nur langsam voran. Zivilgesellschaftliche Aktivisten und Interessensverbände der Sikhs zeigen sich weiterhin besorgt, dass die Regierung die Verantwortlichen noch nicht zur Rechenschaft ziehen konnte (USDOS 10.08.2016).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne der ISI bekannt, die gemeinsam mit BKI und anderen militanten Sikh-Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2016). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 13.04.2016; vgl. auch:

BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2016). Ehrenmorde stellen vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 10% aller Tötungen in diesen Staaten sogenannte Ehrenmorde sind (USDOS 13.04.2016).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte (Folter, Folter mit Todesfolge, extralegale Tötungen etc.) interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200 bis 300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2016).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60% der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 12.2016).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit, sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 12.2016).

4. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BAA bzw. des BFA und des AsylGH bzw. des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinem nunmehrigen Nachnamen ergeben sich aus seinem Angaben im Verfahren sowie aus dem vorgelegten indischen Führerschein und seiner beglaubigt übersetzten Geburtsurkunde, aus denen sein geänderter Nachname hervorgeht.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen und Familienangehörigen in seinem Herkunftsstaat, stützen sich auf seine diesbezüglichen Angaben in seinen Verfahren sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprachen Punjabi und Hindi.

Die Feststellungen zur Integration des BF in Österreich und zu seinen Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet ergeben sich aus seinen Angaben und den vorgelegten Unterlagen.

Dass der BF im gegenständlichen Verfahren bezüglich seines Antrages auf internationalen Schutz keine neuen Gründe geltend gemacht hat bzw. sich auf nicht asylrelevante und bereits im Kern nicht glaubhafte Gründe bezogen hat, ergibt sich sowohl aus seinem Vorbringen bei der Erstbefragung als auch seinen Angaben vor dem BFA.

Der BF schilderte in seiner Erstbefragung den angeblich im Jahr 2008 erlebten Busunfall mit einem Todesopfer und gab an, dass die Neuerung darin liege, dass ein Verwandter des Opfers einer mächtigen Partei angehöre und diese nunmehr neu gewählt worden sei, weshalb dieser Verwandte noch mächtiger sei. Festgehalten wird, dass bereits der zugrundeliegende Sachverhalt im Vorverfahren als unglaubhaft beurteilt wurde, sodass schon deshalb eine Intensivierung dieser Verfolgung durch neue Machtverhältnisse nicht angenommen werden kann. Im Übrigen nahm der BF in seinen nachfolgenden Befragungen vor dem BFA keinen weiteren Bezug mehr auf dieses Vorbringen, sondern wiederholte selbst auf diesbezügliche Nachfragen sein Ersuchen um eine Aufenthaltsbewilligung bzw. Arbeitserlaubnis, da er sich in Österreich ein Leben aufgebaut habe und hier arbeiten wolle.

Schließlich brachte der BF - neu - vor, dass ihm nun von der Familie eines Mädchens und von der Polizei Verfolgung drohe, da er zu dem Mädchen eine unerwünschte Liebesbeziehung unterhalten habe. Wie aber das BFA in seiner Beweiswürdigung zutreffend ausgeführt hat, wies das Vorbringen des BF zahlreiche Ungereimtheiten auf, sodass nicht davon ausgegangen kann, dass der BF den von ihm geschilderten Sachverhalt tatsächlich erlebt hat. So machte der BF etwa widersprüchliche Aussagen betreffend die angeblich erlebten Vorfälle mit der Familie des Mädchens und gab in seinen Befragungen unterschiedliche Zeitpunkte und Orte sowie jeweils eine andere Anzahl der Angreifer an. Angesichts der Aussagen, dass es sich um lediglich zwei Vorfälle gehandelt haben soll, erscheint es nicht nachvollziehbar, dass der BF diesbezüglich nicht in der Lage war, gleichbleibende Angaben zu diesen als fluchtauslösend bezeichneten Umständen zu machen.

Auch sein Vorbringen, dass er von der Polizei gesucht werde, erscheint vor dem Hintergrund, dass es dem BF nach eigenen Angaben möglich war, ohne Probleme einen neuen Führerschein bei der Polizei zu erhalten, nicht plausibel. Seinem neuen Vorbringen ist daher - wie auch in der rechtlichen Beurteilung dargestellt - kein glaubhafter Kern zu entnehmen, der zu einer anders gelagerten Beurteilung führen könnte.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, denen nicht substantiiert entgegengetreten wurde, stützen sich auf die dort zitierten Quellen. Sie gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben, sodass angesichts der Seriosität der ange

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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