TE Vwgh Erkenntnis 2019/1/23 Ra 2018/11/0231

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Veröffentlicht am 23.01.2019
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §24 Abs3;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §26 Abs1;
FSG 1997 §26 Abs2 Z2;
FSG 1997 §26 Abs2 Z4;
FSG 1997 §26 Abs2 Z6;
FSG 1997 §26 Abs2;
FSG 1997 §26;
FSG 1997 §7 Abs3 Z1;
StVO 1960 §99 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs1a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der C L in R, vertreten durch Dr. Eveline Landmann, Rechtsanwältin in 6322 Kirchbichl, Oberndorferstraße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 3. September 2018, Zl. LVwG-2018/13/1590-2, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und begleitende Maßnahmen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Vorstellungsbescheid vom 7. Juni 2018, mit dem sie ihren Mandatsbescheid vom 5. März 2018 bestätigte, entzog die belangte Behörde der Revisionswerberin die Lenkberechtigung für die Klassen AM und B für die Dauer von 24 Monaten, gerechnet ab dem 28. Februar 2018 (dem Tag der vorläufigen Abnahme des Führerscheins). Für dieselbe Dauer wurde eine allenfalls bestehende ausländische Lenkberechtigung entzogen. Überdies wurde verfügt, dass bis einschließlich 28. Februar 2020 keine neue Lenkberechtigung erteilt werden dürfe. Darüber hinaus wurde eine Nachschulung angeordnet und die Revisionswerberin zur Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme und eines amtsärztlichen Gutachtens über ihre gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen aufgefordert. Schließlich wurde die aufschiebende Wirkung einer allfällig erhobenen Beschwerde aberkannt.

2 Die Revisionswerberin erhob dagegen Beschwerde, in der sie ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

3 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung Abstand nehmend gab das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde insofern Folge, als die Entziehungsdauer auf 21 Monate herabgesetzt und verfügt wurde, dass der Revisionswerberin bis zum 28. November 2019 keine neue Lenkberechtigung erteilt werden dürfe. Unter einem wurde (mit bloß formelhafter Begründung) gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht gemeinsam mit den Akten des Verfahrens vorgelegte (außerordentliche) Revision.

5 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

7 1.1. Das FSG, BGBl. I Nr. 120/1997 idF. BGBl. I Nr. 15/2017 lautet (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch

rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und

hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

(5) Strafbare Handlungen gelten jedoch dann nicht als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1, wenn die strafbare Handlung vor mehr als fünf Jahren begangen wurde. Für die Frage der Wertung bestimmter Tatsachen gemäß Abs. 3 sind jedoch strafbare Handlungen auch dann heranzuziehen, wenn sie vor mehr als fünf Jahren begangen wurden.

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a eine Nachschulung anzuordnen:

...

2. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 oder 1a StVO 1960.

     ... . Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die

Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer

verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden. ... .

Wurde eine dieser Anordnungen innerhalb der festgesetzten Frist nicht befolgt oder wurden die zur Erstellung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde nicht beigebracht oder wurde die Mitarbeit bei Absolvierung der begleitenden Maßnahme unterlassen, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung.

... . Die Anordnung der begleitenden Maßnahme oder des ärztlichen

Gutachtens hat entweder im Bescheid, mit dem die Entziehung oder

Einschränkung ausgesprochen wird, oder in einem gesonderten

Bescheid zugleich mit dem Entziehungsbescheid zu erfolgen. ... .

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von

mindestens 3 Monaten festzusetzen. ... .

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. (1) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen, so ist, wenn es sich nicht um einen Lenker eines Kraftfahrzeuges der Klasse C oder D handelt und zuvor keine andere der in § 7 Abs. 3 Z 1 und 2 genannten Übertretungen begangen wurde, die Lenkberechtigung für die Dauer von einem Monat zu entziehen. Wenn jedoch

1. auch eine der in § 7 Abs. 3 Z 4 bis 6 genannten Übertretungen vorliegt, oder

2. der Lenker bei Begehung dieser Übertretung einen

Verkehrsunfall verschuldet hat,

so hat die Entziehungsdauer mindestens drei Monate zu betragen. Wenn jedoch eine der in § 7 Abs. 3 Z 3 genannten Übertretungen vorliegt, so hat die Entziehungsdauer mindestens sechs Monate zu betragen. § 25 Abs. 3 zweiter Satz ist in allen Fällen sinngemäß anzuwenden.

(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges

1. erstmalig ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens sechs Monaten zu entziehen,

2. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zwölf Monate zu entziehen,

3. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1a oder 1b StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens acht Monate zu entziehen,

4. erstmalig ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen,

5. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zehn Monate zu entziehen,

6. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens acht Monate zu entziehen,

7. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1b StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens sechs Monate zu entziehen. § 25 Abs. 3 zweiter Satz ist sinngemäß anzuwenden.

...

Erlöschen der Lenkberechtigung

§ 27. (1) Eine Lenkberechtigung erlischt:

1. nach Ablauf einer Entziehungsdauer von mehr als 18 Monaten;

...

Folgen des Entziehungsverfahrens für Besitzer von ausländischen Lenkberechtigungen und Führerscheinen

§ 30.

...

(2) Einem Besitzer einer ausländischen EWR- oder Nicht-EWR-Lenkberechtigung, der einen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich hat, hat die Behörde die Lenkberechtigung unter Anwendung der §§ 24 bis 29 zu entziehen.

..."

8 1.2. Die StVO 1960, BGBl. Nr. 159 idF BGBl. I Nr. 68/2017,

lautet (auszugsweise):

"§ 4. Verkehrsunfälle.

(1) Alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, haben

...

c) an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.

...

§ 99. Strafbestimmungen.

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1600 Euro bis 5900 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen,

a) wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der

Alkoholgehalt seines Blutes 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,8 mg/l oder mehr beträgt,

b) wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen, oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht,

... .

(1a) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1200 Euro bis 4400 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zehn Tagen bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l beträgt.

(1b) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 800 Euro bis 3700 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von einer bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt.

...

(2) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen,

a) der Lenker eines Fahrzeuges, dessen Verhalten am

Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, sofern er den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 zuwiderhandelt, insbesondere nicht anhält, nicht Hilfe leistet oder herbeiholt oder nicht die nächste Polizeidienststelle verständigt,

..."

9 2. Die Revision ist aus den in ihr näher angeführten

Gründen (rechtswidrige Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) zulässig.

10 3. Die Revision ist auch begründet.

11 3.1.1. Das Verwaltungsgericht führt nach der Wiedergabe

des Verfahrensganges aus, dass "Nachfolgender Sachverhalt ... als

erwiesen ..." feststehe:

12 Die Revisionswerberin habe am 28. Februar 2018 um

19.28 Uhr im Gemeindegebiet von R. einen näher bezeichneten PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt, dabei "einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht und schließlich Fahrerflucht begangen". Der um 20.43 bzw. 20.44 Uhr durchgeführte Test am geeichten Alkomat habe einen Alkoholgehalt der Atemluft von 0,73 mg/l ergeben. Die Revisionswerberin habe mit ihrem Verhalten, wie sich auch aus dem rechtskräftigen Straferkenntnis der belangten Behörde vom 12. Juni 2018 ergebe, einerseits eine Übertretung nach § 99 Abs. 1a iVm. § 5 Abs. 1 StVO 1960 und andererseits eine Übertretung nach § 99 Abs. 2 lit. a iVm. § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 (Verlassen der Unfallstelle nach einem Verkehrsunfall) begangen.

13 3.1.2. Unter "Rechtliche Beurteilung" führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe ein Fahrzeug im alkoholisierten Zustand gelenkt, dazu komme, dass sie "in diesem Zustand mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang" gestanden sei und an der Sachverhaltsfeststellung insofern nicht mitgewirkt habe, als sie es durch Verlassen der Unfallstelle unmöglich gemacht habe, ihre körperliche und geistige Verfassung zum Unfallzeitpunkt festzustellen. Laut Unfallbericht der zuständigen Polizeiinspektion habe die Revisionswerberin mit der Fahrerseite ihres PKWs einen entgegenkommenden PKW touchiert. Sie habe dessen Lenkerin ihre Visitenkarte ausgehändigt und die Unfallstelle verlassen. Die Polizeibeamten hätten die Revisionswerberin gegen 20.25 Uhr in ihrer Wohnung antreffen und dort zu einer Alkomatmessung auffordern können.

14 Der Revisionswerberin sei die Lenkberechtigung in den letzten Jahren bereits zweimal entzogen worden, vom 23. Dezember 2014 bis zum 23. April 2015 und vom 25. September 2015 bis zum 25. Mai 2016, jeweils wegen Begehung eines Delikts gemäß § 99 Abs. 1a iVm. § 5 Abs. 1 StVO 1960.

15 Gemäß § 26 Abs. 2 Z 6 FSG sei wegen der neuerlichen Begehung einer Übertretung nach § 99 Abs. 1a StVO 1960 die Lenkberechtigung für mindestens acht Monate zu entziehen gewesen. "Entzugserhöhend" wirke sich aus, dass die Revisionswerberin drei einschlägige Übertretungen innerhalb von nur dreieinhalb Jahren begangen habe, "mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und an der Sachverhaltsfeststellung durch Verlassen der Unfallstelle nicht mitgewirkt" habe. Die Entziehungsdauer von 24 Monaten, wie von der belangten Behörde verfügt, sei "etwas überhöht". Eine mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn einem Lenker innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren die Lenkberechtigung dreimal entzogen wurde. Aufgrund "obgenannter Umstände" erscheine eine Entziehungsdauer von 21 Monaten unbedingt notwendig, um die Verkehrszuverlässigkeit der Revisionswerberin wiederherzustellen.

16 3.2. Die Revision bringt zusammengefasst vor, auch die vom Verwaltungsgericht herabgesetzte Entziehungsdauer von 21 Monaten erweise sich als überhöht. Sowohl in Ansehung des Verkehrsunfalls als auch des Verlassens der Unfallstelle habe das Verwaltungsgericht die in der Beschwerde vorgebrachten Begleitumstände nicht berücksichtigt (so etwa den Umstand, dass die Revisionswerberin der Unfallgegnerin sehr wohl ihre Visitenkarte übergeben und sich nicht einfach davongemacht habe). Ebensowenig sei berücksichtigt worden, dass die Revisionswerberin von sich aus die Polizei angerufen und in weiterer Folge die Vornahme des Alkomattests ermöglicht habe. Dies ändere zwar nichts daran, dass sie zum dritten Mal ein einschlägiges Alkoholdelikt begangen habe, wäre aber bei der Wertung ihres Verhaltens für die Bemessung der gebotenen Entziehungsdauer einzubeziehen gewesen. Infolge Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung habe sich das Verwaltungsgericht keinen persönlichen Eindruck von der Person der Revisionswerberin verschaffen können.

17 3.3.1. Unstrittig ist im Revisionsfall die dritte Begehung eines Alkoholdelikts gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 (Alkoholgehalt der Atemluft höher als 0,6 mg/l, aber nicht mehr als 0,8 mg/l) innerhalb von dreieinhalb Jahren (am 28. Februar 2018). Damit sind, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, gemäß § 26 Abs. 2 Z 6 FSG die Voraussetzungen für eine Entziehung der Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens acht Monaten gegeben.

18 Nach der ständigen hg. Judikatur stehen die in § 26 Abs. 1 und 2 FSG normierten Mindestentziehungszeiten dem Ausspruch einer Entziehung für einen längeren Zeitraum dann nicht entgegen, wenn Umstände vorliegen, die auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen (vgl. u.a. VwGH 17.11.2009, 2009/11/0023; 29.3.2011, 2011/11/0039; 16.10.2012, 2009/11/0245, und die dort jeweils wiedergegebene Vorjudikatur). Die Festsetzung einer über die jeweilige Mindestzeit nach § 26 FSG hinausreichenden Entziehungsdauer hat nach der allgemeinen Regel des § 25 Abs. 3 FSG zu erfolgen, d.h. die Behörde darf über eine solche Mindestentziehungszeit nur insoweit hinausgehen, als der Betreffende für einen die Mindestentziehungsdauer überschreitenden Zeitraum verkehrsunzuverlässig ist (vgl. erneut VwGH 2009/11/0023).

19 Dabei ist nicht nur zu beachten, dass der Gesetzgeber selbst in § 26 Abs. 2 FSG für die wiederholte Begehung von Alkoholdelikten Mindestentziehungszeiten vorgegeben hat, die auch für die Prognose der Dauer der Verkehrszuverlässigkeit im Falle der erstmaligen Begehung von Bedeutung sind (vgl. auch in diesem Zusammenhang das erwähnte hg. Erkenntnis 2009/11/0245).

20 Die in § 26 Abs. 2 normierten Mindestentziehungszeiten für eine erstmalige Begehung sowie für eine neuerliche Begehung einschlägiger Alkoholdelikte innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren geben vielmehr auch Anhaltspunkte für die Wertung eines dritten einschlägigen Alkoholdelikts. § 26 Abs. 2 Z 2 bzw. Z 6 sehen für die neuerliche Begehung eines schweren (§§ 99 Abs. 1 StVO 1960) bzw. mittleren (§ 99 Abs. 1a StVO 1960) Alkoholdelikts im Vergleich zur erstmaligen Begehung jeweils die doppelte Mindestentziehungsdauer vor. Daraus wird zu folgern sein, dass bei einer dritten Begehung einer Übertretung nach § 99 Abs. 1a StVO 1960 in einem kurzen Zeitraum im Regelfall davon auszugehen ist, dass die Verkehrsunzuverlässigkeit des Betreffenden für einen Zeitraum anzunehmen ist, der mehr als das Dreifache der Mindestentziehungsdauer bei erstmaliger Begehung (vier Monate gemäß § 26 Abs. 2 Z 4 FSG) beträgt, weil eine bereits dritte Begehung eines solchen Alkoholdelikts bei der Prognose, wann die Verkehrszuverlässigkeit wiedererlangt wird, jedenfalls überproportional zum Nachteil des Betreffenden ins Gewicht fällt.

21 3.3.2. Im Revisionsfall ergibt sich daraus Folgendes:

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem bereits erwähnten Erkenntnis 2011/11/0039 in einem Fall, der dadurch gekennzeichnet war, dass es innerhalb von sieben Jahren zu zwei Übertretungen gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 (schweres Alkoholdelikt: Alkoholgehalt der Atemluft 0,8 mg/l oder mehr bzw. Verweigerung der Atemluftkontrolle) und letztlich zu einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 unter gefährlichen Verhältnissen (Fußgänger auf der Fahrbahn) gekommen ist, unter Abgrenzung von einer Fallkonstellation, die dem hg. Erkenntnis vom 20. März 2001, 2000/11/0089, zugrunde lag, eine Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit von 19 Monaten noch nicht als überhöht erachtet, dies unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Täter keinen Verkehrsunfall verschuldet hatte.

23 Im Revisionsfall, der ebenfalls durch die Begehung eines dritten Alkoholdelikts gekennzeichnet ist, handelt es sich einerseits im Vergleich zur genannten Konstellation um weniger schwere Alkoholdelikte (jeweils nach § 99 Abs. 1a StVO 1960:

Alkoholgehalt der Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l), andererseits erfolgte die neuerliche Begehung der Delikte in kürzerem Zeitabstand. Entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der vom Verwaltungsgericht angenommenen Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit von 21 Monaten ist demnach die Würdigung der im Revisionsfall zweifellos vorliegenden weiteren Umstände.

24 Wenn der Betreffende zusätzlich zur Begehung eines Alkoholdelikts auch einen Verkehrsunfall verschuldet hat, so kann dies bei der Verkehrsunzuverlässigkeitsprognose zu seinen Lasten berücksichtigt werden und das Überschreiten der Mindestentziehungsdauer rechtfertigen (vgl. VwGH 24.2.2005, 2003/11/0170; 24.4.2007, 2004/11/0001). Gleiches muss gelten, wenn - unabhängig vom Verschulden eines Unfalls - der Betreffende Fahrerflucht begeht (vgl. in diesem Zusammenhang VwGH 20.7.2018, Ra 2018/11/0124).

25 Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Revisionswerberin den Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet hat (zur Notwendigkeit von begründeten, auf einer schlüssigen Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen über den Unfallhergang, aus denen sich ergibt, dass der Betreffende den Unfall verschuldet hat, vgl. VwGH 30.5.2001, 99/11/0189; 28.05.2002, 2000/11/0078).

26 Was die vom Verwaltungsgericht zusätzlich zum Nachteil der Revisionswerberin gewertete Fahrerflucht anlangt, so trifft es zwar zu, dass der Revisionswerberin eine Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c iVm. § 99 Abs. 2 lit. a StVO 1960 zur Last liegt, die näheren Umstände des Entfernens von der Unfallstelle und das Verhalten danach bis zur Absolvierung des Alkomattests werden aber ebenfalls nicht im festgestellten Sachverhalt dargestellt.

27 Zur näheren Klärung dieser Umstände, die für die gemäß § 7 Abs. 4 FSG gebotene wertende Beurteilung des Verhaltens der Revisionswerberin und in weiterer Folge für die Prognose einer 9 Monate über das Dreifache der gemäß § 26 Abs. 2 Z 4 FSG hinausgehenden Dauer der Verkehrszuverlässigkeit erforderlich sind, wäre es angesichts des Beschwerdevorbringens (Übergeben der Visitenkarte an die Unfallgegnerin, Anruf bei der Polizei) geboten gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Durchführung einer solchen liegen im Revisionsfall nicht vor, weil das Verwaltungsgericht nicht davon ausgehen durfte, dass sämtliche entscheidungserheblichen Sachverhaltsmomente feststehen bzw. die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließe (vgl. VwGH 11.6.2018, Ra 2018/11/0080 mwN). Es sei im Übrigen erneut darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung über eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung im Lichte der Entscheidung des EGMR Becker gegen Österreich (Urteil vom 11. Juni 2015) eine solche über "civil rights" iSd. Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt (vgl. VwGH 16.11.2015, Ra 2015/11/0091).

28 Sollte sich die schon in der Beschwerde enthaltene und in der Revision wiederholte Darstellung des Verkehrsunfalls und des Verhaltens der Revisionswerberin im Anschluss daran als zutreffend erweisen, so erwiese sich im Lichte des hg. Erkenntnisses 2011/11/0039 ungeachtet des Vorliegens einer Übertretung gemäß § 4 Abs. 1 lit. c iVm. §§ 99 Abs. 2 lit. a StVO 1960 die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit der Revisionswerberin für 21 Monate als überschießend.

29 Das angefochtene Erkenntnis ist demnach in Ansehung des Entziehungsausspruchs rechtswidrig. Mit dem Wegfall des Ausspruchs über die Entziehung verliert auch der Ausspruch über die Anordnung begleitender Maßnahmen seine Grundlage (vgl. abermals VwGH 17.11.2009, 2009/11/0023).

30 3.4. Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Jänner 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018110231.L00

Im RIS seit

01.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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