TE Vwgh Erkenntnis 2019/1/24 Ra 2018/21/0239

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Veröffentlicht am 24.01.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

BFA-VG 2014 §39 Abs1;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art132 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs6;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des O L in W, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Schönauerstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Oktober 2018, W117 2205392-1/3E, betreffend Beschwerde nach § 39 BFA-VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in seinem Spruchpunkt A II. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in seinem Spruchpunkt A III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist mongolischer Staatsangehöriger und verfügte zunächst über eine bis 12. November 2016 gültige Aufenthaltsbewilligung für Studierende. Ein Verlängerungsantrag wurde abgewiesen, woraufhin - nach Rechtskraft dieser Entscheidung - das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein aufenthaltsbeendendes Verfahren einleitete. Im Zuge dessen erging am 23. August 2018 an die zuständige Dienststelle der Landespolizeidirektion Wien ein Ersuchen um "Hauserhebung"; sollte (insbesondere) der Revisionswerber angetroffen werden "und tatsächlich ein illegaler Aufenthalt festgestellt werden, wird ersucht via zuständige PI die Reisepässe (des Revisionswerbers sowie seiner Familienangehörigen) gem. § 39 BFA-VG sicherzustellen und an ha Behörde zu übermitteln". Seitens des Stadtpolizeikommandos Döbling wurde daraufhin am 10. September 2018 eine mongolische ID-Karte des Revisionswerbers sichergestellt.

2 Bereits davor, am 6. September 2018, hatte der Revisionswerber beim BFA persönlich die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 beantragt. Anlässlich der Antragstellung legte der Revisionswerber seinen mongolischen Reisepass vor, der dann seitens des BFA sichergestellt wurde.

3 Gegen die "Abnahme" von Reisepass und mongolischer ID-Karte erhob der Revisionswerber "Maßnahmenbeschwerde" an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Er beantragte, diese Maßnahmen für rechtswidrig zu erklären und aufzuheben sowie ihm Reisepass und ID-Karte wieder auszuhändigen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde "gegen die Einbehaltung" des Reisepasses gemäß § 39 Abs. 1 BFA-VG zurück (Spruchpunkt A I.) und die Beschwerde gegen die Sicherstellung der ID-Karte gemäß § 39 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A II.). Außerdem sprach es aus, dass "die Anträge auf Ausfolgung beider Dokumente" gemäß § 39 Abs. 3 BFA-VG zurückgewiesen werden (Spruchpunkt A III.) und dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).

5 Das BVwG begründete seine Entscheidung bezüglich des Reisepasses damit, dass der Revisionswerber diesen freiwillig vorgelegt habe, sodass insoweit keine Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt worden sei. Was die Sicherstellung der ID-Karte anlange, so sei die Ermächtigung hiezu im Hinblick darauf gegeben gewesen, dass gegen den Revisionswerber ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme anhängig gewesen sei. Dass die Sicherstellung unverhältnismäßig gewesen wäre, habe der Revisionswerber gar nicht dargelegt, die Behörde habe davon ausgehen dürfen, dass der "Reisepass" als Beweismittel für eine allfällige Abschiebung des Revisionswerbers benötigt werde. Hinsichtlich der "beantragten" Ausfolgung von Reisepass und ID-Karte werde sich der Revisionswerber schließlich an das BFA zu wenden haben, weshalb "die entsprechenden Anträge

beim Bundesverwaltungsgericht ... daher ebenfalls zurückzuweisen"

gewesen wären.

6 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

8 1. Die Zurückweisung der ausdrücklich gegen die "Abnahme" des Reisepasses erhobenen Beschwerde begründete das BVwG im Ergebnis damit, dass infolge freiwilliger Herausgabe dieses Reisepasses keine anfechtbare Maßnahme vorliege. Diese Beurteilung greift zu kurz. Dass der Reisepass (zunächst) freiwillig herausgegeben wurde, schließt das Vorliegen einer mit Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG bekämpfbaren Maßnahme nämlich nicht aus. Vielmehr kommt es ergänzend darauf an, in welchem Rahmen die freiwillige Vorlage des Reisepasses erfolgte. Wäre das in der Erwartung alsbaldiger Rückstellung, z.B. nach Einsichtnahme und Anfertigung einer Kopie, geschehen und wäre eine solche Rückstellung dann trotz darauf erkennbar gerichteten Willens des Revisionswerbers unterblieben, so hätte die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht verneint werden dürfen (in diesem Sinn VfSlg. 8.131/1977 und VfSlg. 8.879/1980; siehe auch VwGH 17.6.1992, 91/02/0052, Punkt 3. am Ende der Entscheidungsgründe). Angesichts des Vorbringens in der erhobenen Beschwerde, dem Revisionswerber sei sein Reisepass "abgenommen" worden und er habe ihn nicht freiwillig herausgegeben, hätte sich das BVwG - auch wenn seine Feststellung über eine (ursprünglich) freiwillige Vorlage des Reisepasses nicht zu beanstanden sein sollte - mit den erwähnten Gesichtspunkten näher auseinandersetzen müssen. Dass es dazu der Aufnahme der in der Beschwerde beantragten Einvernahme des Revisionswerbers sowie einer namentlich genannten Zeugin im Rahmen einer Beschwerdeverhandlung bedurft hätte, sei der Vollständigkeit halber angemerkt.

9 2. Bezüglich der Sicherstellung der ID-Karte des Revisionswerbers vertrat das BVwG letztlich die Ansicht, die Behörde habe davon ausgehen dürfen, dass der "Reisepass" als Beweismittel für eine allfällige Abschiebung des Revisionswerbers benötigt werde.

10 Mit der Benötigung eines Reisepasses konnte allerdings das Erfordernis einer Notwendigkeit der Sicherstellung der ID-Karte von vornherein nicht begründet werden. Im Übrigen ist anzumerken, dass das BFA in seinem Erhebungsersuchen vom 23. August 2018 lediglich die Sicherstellung des Reisepasses (insbesondere) des Revisionswerbers aufgetragen hatte, was sich dann freilich angesichts der bei der Behörde selbst vorgenommenen Sicherstellung dieses Reisepasses am 6. September 2018 erübrigte. Vor diesem Hintergrund hätte es weiterer Überlegungen bedurft, weshalb es fallbezogen auch der Sicherstellung eines weiteren Identitätsdokumentes des Revisionswerbers bedurfte.

11 3. Das BVwG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Revisionswerber - selbständige - Anträge auf Ausfolgung seiner sichergestellten Dokumente gestellt hätte. An dieses Verständnis wird dann auch in der Revision angeknüpft und - insofern im Grundsatz zu Recht - ausgeführt, die Ausfolgungsanträge hätten nicht wegen Unzuständigkeit des BVwG zurückgewiesen, sondern gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG an das zur Bearbeitung von Ausfolgeanträgen zuständige BFA weitergeleitet werden müssen (zu dieser Verpflichtung siehe etwa VwGH 23.10.2015, Fr 2015/21/0012, Punkt 3.4. der Begründung, oder aus jüngerer Zeit VwGH 2.8.2018, Ra 2018/03/0072, Rn. 5). Schon insoweit erweist sich die Zurückweisung von Ausfolgungsanträgen durch das BVwG als verfehlt.

12 Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die begehrte Wiederausfolgung von Reisepass und ID-Karte gar nicht als eigenständiger Antrag zu betrachten gewesen wäre. Denn § 28 Abs. 6 VwGVG normiert für den Fall, dass die bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist, dass bei Andauern dieser Maßnahme die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen hat. Vor dem Hintergrund dieser ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung kam dem Ausfolgebegehren des Revisionswerbers objektiv betrachtet kein eigener Gehalt zu, sondern war es - wie die überdies auch noch begehrte Aufhebung der bekämpften Maßnahmen - nur als Hinweis auf die gesetzlich angeordneten Rechtsfolgen einer Stattgabe der Beschwerde zu verstehen. Darüber wäre daher gar nicht zu entscheiden gewesen, weshalb das angefochtene Erkenntnis insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben war.

13 Im Übrigen war das angefochtene Erkenntnis nach dem oben Gesagten einerseits gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (Spruchpunkt A I. betreffend die Zurückweisung der Beschwerde in Angelegenheiten Reisepass) und andererseits gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (Spruchpunkt A II. betreffend die Abweisung der Beschwerde in Angelegenheiten ID-Karte) aufzuheben.

14 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. Jänner 2019

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210239.L00

Im RIS seit

01.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

13.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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