Index
90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
FSG 1997 §24 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der M N in F, vertreten durch Mag. Heinrich Luchner, Dr. Rainer Wechselberger und MMag. Johannes Wechselberger, Rechtsanwälte in 6290 Mayrhofen, Waldbadstraße 537, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 18. September 2018, Zl. LVwG-2018/33/1625-3, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Anordnung begleitender Maßnahmen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Schwaz),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Entziehung der Lenkberechtigung für die Dauer von sechs Monaten (und die Entziehung einer allfälligen ausländischen Lenkberechtigung für dieselbe Dauer) richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Soweit das angefochtene Erkenntnis die mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 2. Juli 2018 angeordnete "Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens" und den damit zusammenhängenden Ausspruch (betreffend Fortdauer der Entziehung) bestätigt, wird es wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 2. Juli 2018 entzog die belangte Behörde der Revisionswerberin die Lenkberechtigung für die Klassen AM, A und B für einen Zeitraum von sechs Monaten ab Zustellung. Für dieselbe Dauer wurde eine allfällige ausländische Lenkberechtigung entzogen.
2 Unter einem wurde "die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens" angeordnet und ausdrücklich "verfügt, dass nach Ablauf der angeführten Entzugsdauer - sollte bis zu diesem Zeitpunkt kein positives amtsärztliches Gutachten beigebracht worden sein - die Lenkberechtigung bis zum Nachweis der gesundheitlichen Eignung entzogen bleibt".
3 Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wurde ausgeschlossen.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin, die sich sowohl gegen die Entziehung der Lenkberechtigung als auch gegen die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen richtete, wurde vom Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis abgewiesen. Unter einem wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
5 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:
6 Die Revisionswerberin sei am 13. März 2018 gegen 13:44 Uhr auf der B 171 von Vomp Richtung Zillertal gefahren und habe dann weiter auf die Autobahn (A 12) Richtung Osten bis Zillertal auffahren wollen. Sie sei jedoch nicht auf die Autobahnauffahrt Richtung Zillertal gefahren, sondern sei auf die Autobahnabfahrt Schwaz gefahren, habe dabei die Sperrlinie überfahren und sei gegen die Fahrtrichtung unter Missachtung der deutlich sichtbar aufgestellten Verbotszeichen "Einfahrt verboten" auf die Autobahnabfahrt Schwaz gefahren. Sie sei damit als "Geisterfahrerin" unterwegs gewesen und habe zwei ihr vorschriftsmäßig entgegenkommende Fahrzeuglenker dermaßen irritiert, dass der erste sein Fahrzeug angehalten und der zweite dies zu spät gemerkt und auf das Fahrzeug des ersten aufgefahren sei.
7 In rechtlicher Sicht führte das Verwaltungsgericht aus, das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen stelle jedenfalls eine Übertretung unter Umständen dar, die gemäß § 7 Abs. 3 Z 3 FSG als geeignet anzusehen seien, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Gemäß § 26 Abs. 2a FSG sei folglich die Lenkberechtigung für sechs Monate zu entziehen gewesen. Die "begleitend angeordneten Maßnahmen" seien "allesamt auf die entsprechenden Rechtsgrundlagen gestützt und von der belangten Behörde ordnungsgemäß angeordnet" worden.
8 Gegen dieses Erkenntnis, und zwar sowohl in Ansehung der Entziehung der Lenkberechtigung als auch in Ansehung der Anordnung, ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung beizubringen (samt Fortdauer der Entziehung bei Nichtentsprechung), richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht gemeinsam mit den Verfahrensakten vorgelegte (außerordentliche) Revision.
9 I. zur Entziehung der Lenkberechtigung (sowie zur Entziehung einer allfälligen ausländischen Lenkberechtigung) für die Dauer von sechs Monaten:
10 I.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
13 Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. VwGH 25. 3. 2014, Ra 2014/04/0001; 18. 2. 2015, Ra 2015/08/0008).
14 I.2.1. Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, das Verwaltungsgericht übersehe, dass es "laut Rechtsprechung" besondere Konstellationen gebe, die von der typischen Gefährlichkeit des "Geisterfahrens" erheblich abwichen, sodass das Befahren der Autobahn gegen die Fahrtrichtung "nicht zwanglos unter besonders gefährlichen Verhältnissen zu erfolgen hat".
15 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision jedoch nicht auf, dass ihre Behandlung von der Beantwortung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt.
16 I.2.2. § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG qualifiziert "das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen" jedenfalls als bestimmte Tatsache, und § 26 Abs. 2a FSG sieht bei Vorliegen einer diesbezüglichen Übertretung, ohne dass es der sonst gebotenen Wertung der bestimmten Tatsache bedürfte (vgl. z.B. VwGH 27.5.2014, 2013/11/0112, mwN.), zwingend eine Entziehung der Lenkberechtigung für mindestens sechs Monate vor (vgl. VwGH 2.10.2015, Ra 2015/11/0068). Das von der Revision erkennbar angesprochene hg. Erkenntnis vom 11. April 2000, 99/11/0351, ist insofern nicht mehr einschlägig, als die Rechtslage, auf der es beruhte, im Falle des Vorliegens einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG noch eine Wertung derselben gebot (vgl. zuletzt VwGH 10.10.2018, Ra 2018/11/0191, mwN).
17 Die Revision war daher in Ansehung der Entziehung der Lenkberechtigung (bzw. einer allfälligen ausländischen Lenkberechtigung) für die Dauer von sechs Monaten zurückzuweisen.
18 II. Über die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen und den damit zusammenhängenden Ausspruch hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
19 II.1. § 24 des Führerscheingesetzes - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997 idF BGBl. I Nr. 15/2017 lautet (auszugsweise):
"5. Abschnitt
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines
§ 24.
...
(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen.
...
Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden. Bei einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 ist unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a zusätzlich die Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 sowie die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme anzuordnen. Wurde eine dieser Anordnungen innerhalb der festgesetzten Frist nicht befolgt oder wurden die zur Erstellung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde nicht beigebracht oder wurde die Mitarbeit bei Absolvierung der begleitenden Maßnahme unterlassen, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung.
..."
20 II.2. Die Revision ist aus den in ihr näher angeführten
Gründen zulässig.
21 II.3. Die Revision ist auch begründet.
22 II.3.1. Die Revision rügt, dass schon die belangte Behörde keine Begründung für die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung angegeben habe. Ermessensentscheidungen seien jedoch zu begründen. Die vom Verwaltungsgericht bestätigte Anordnung einer Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens sei auch nicht gerechtfertigt, weil das von der Revisionswerberin bisher an den Tag gelegte Verhalten keinen Hinweis darauf gebe, dass ihre gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht mehr gegeben sein sollte.
23 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.
24 II.3.2.1. § 24 Abs. 3 erster Satz FSG sieht vor, dass bei einer Entziehung oder nachträglichen Einschränkung einer Lenkberechtigung die Behörde begleitende Maßnahmen (wie eine Nachschulung) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung des Betreffenden im Rahmen einer Ermessensübung anordnen kann, letzteres freilich nur dann, wenn Anhaltspunkte für eine nicht uneingeschränkte gesundheitliche Eignung bestehen. Für bestimmte Konstellationen (Begehung einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960) gibt § 24 Abs. 3 fünfter Satz FSG zwingend vor, dass die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens anzuordnen ist.
25 Dem angefochtenen Erkenntnis sind keine Feststellungen zu entnehmen, aus denen sich ergäbe, dass im Revisionsfall eine Konstellation (Alkoholdelikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960) vorläge, die gemäß § 24 Abs. 3 fünfter Satz FSG zwingend die Anordnung einer Nachschulung vorsieht. Es enthält aber auch sonst keine Feststellungen zu Anhaltspunkten für eine nicht uneingeschränkte gesundheitliche Eignung der Revisionswerberin, welche die Anordnung einer Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens durch die belangte Behörde als Ermessensübung im Sinne des Gesetzes erweisen könnten (vgl. zur Aufgabe des Verwaltungsgerichtes bei der Überprüfung behördlicher Ermessensübung grundlegend VwGH 1.3.2016, Ra 2015/11/0106). Die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes in der rechtlichen Würdigung, die begleitend angeordneten Maßnahmen seien von der belangten Behörde auf die entsprechenden Rechtsgrundlagen gestützt und ordnungsgemäß angeordnet worden, stellt eine nach dem bisher Gesagten offensichtlich auf Verkennung der Aufgabe des Verwaltungsgerichtes beruhende unzureichende Begründung dar.
26 II.3.2.2. Zu dem vom Verwaltungsgericht bestätigten weiteren Ausspruch der belangten Behörde, mit dem verfügt wurde, dass nach Ablauf der angeführten Entzugsdauer - sollte bis zu diesem Zeitpunkt kein positives amtsärztliches Gutachten beigebracht worden sein - die Lenkberechtigung bis zum Nachweis der gesundheitlichen Eignung entzogen bleibt, ist im Übrigen Folgendes festzuhalten:
27 Das FSG enthält für eine solche gesonderte Verfügung keine Rechtsgrundlage; die Rechtsfolge des Nichtendens der Entziehungszeit ergibt sich für den Fall des Nichtbefolgens einer - rechtskräftigen - Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens vielmehr bereits ex lege aus § 24 Abs. 3 sechster Satz FSG.
28 Darüberhinaus übersieht das Verwaltungsgericht wie schon die belangte Behörde, dass eine "Beibringung" des aufgetragenen amtsärztlichen Gutachtens (§ 24 Abs. 3 erster Satz FSG) und insoweit eine Befolgung der diesbezüglichen Anordnung (§ 24 Abs. 3 sechster Satz FSG) schon dann vorliegt, wenn sich der Betreffende der amtsärztlichen Untersuchung unterzogen und an ihr mitgewirkt hat (vgl. grundlegend VwGH 8.9.2016, Ra 2014/11/0087). Auf die Beibringung eines positiven Gutachtens kommt es demnach, um die Rechtsfolge des Nichtendens der Entziehungszeit hintanzuhalten, nicht an. Vielmehr wäre im Falle eines negativen ärztlichen Gutachtens gemäß § 24 Abs. 1 FSG vorzugehen.
29 3.3. Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen, soweit damit die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens und der damit zusammenhängende Ausspruch betreffend Fortdauer der Entziehung bestätigt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
III. Aufwandersatz:
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. Jänner 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018110233.L00Im RIS seit
01.03.2019Zuletzt aktualisiert am
12.03.2019