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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §4 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des A A in Wien, geboren am 5. März 1953, vertreten durch Mag. Franz Kienast, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. November 1998, Zl. SD 813/98, betreffend Zurückweisung eines Antrages gemäß § 75 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid vom 7. September 1998 hatte die Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 75 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Jugoslawien gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
In Erledigung der dagegen gerichteten Berufung hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 17. November 1998 den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben und den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers vom 15. Dezember 1997 gemäß § 75 Abs. 1 zweiter Satz FrG als unzulässig zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 23. März 1998 habe der unabhängige Bundesasylsenat den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, als unzulässig zurückgewiesen, weil der Beschwerdeführer in einem sicheren Drittstaat, nämlich in Ungarn, Schutz vor Verfolgung finden könne. In einem derartigen Fall sei ein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 75 Abs. 1 zweiter Satz FrG unzulässig.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahren vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass der Beschwerde gegen den Bescheid, mit dem sein Asylantrag wegen Erlangung von Drittstaatssicherheit zurückgewiesen worden sei, vom Verwaltungsgerichtshof bereits mit Beschluss vom 26. August 1998 aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei. Dieser Bescheid sei daher noch nicht rechtskräftig und vollstreckbar, weshalb er keinen Grund für die Zurückweisung des gegenständlichen Antrages darstelle. Die belangte Behörde hätte ihr Verfahren gemäß § 38 AVG bis zur Erledigung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde im Asylverfahren aussetzen müssen. Hilfsweise werde vorgebracht, dass die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, in einem ordnungsgemäßen Verfahren zu überprüfen, ob der Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates rechtskräftig und vollstreckbar sei.
1.2. Das Vorbringen betreffend die Zuerkennung von aufschiebender Wirkung an die Beschwerde gegen den im Asylverfahren ergangenen Bescheid unterliegt nicht dem Neuerungsverbot, weil die belangte Behörde von dem herangezogenen Zurückweisungsgrund erstmals Gebrauch gemacht hat, ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit einzuräumen, dazu Stellung zu nehmen.
2. Das Beschwerdevorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:
§ 75 Abs. 1 FrG hat folgenden Wortlaut:
"Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 bedroht ist. Dies gilt nicht, insoweit über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die Entscheidung einer Asylbehörde vorliegt oder diese festgestellt hat, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung besteht."
Nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung ist somit ein - wenn auch zulässigerweise eingebrachter - Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung (u.a.) ab dem Zeitpunkt der Erlassung des den Asylantrag gemäß § 4 Abs. 1 AsylG wegen der Möglichkeit zur Erlangung von Schutz vor Verfolgung in einem Drittstaat zurückweisenden Bescheides der Asylbehörde unzulässig und daher zurückzuweisen (vgl. RV zum FrG, 685 BlgNR 20. GP).
Die Unzulässigkeit des Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 75 Abs. 1 FrG ist somit eine Tatbestandswirkung (siehe dazu etwa Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, RZ 474) des Bescheides der Asylbehörde, mit dem ein Asylantrag gemäß § 4 Abs. 1 AsylG wegen Drittstaatssicherheit als unzulässig zurückgewiesen wird. Anders als die Beschwerde meint, stellt die Entscheidung der Asylbehörde (und die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über eine dagegen gerichtete Beschwerde) für die Entscheidung über einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung jedoch keine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG dar.
Gemäß § 30 Abs. 3 zweiter Satz VwGG hat die Behörde im Fall der Zuerkennung von aufschiebender Wirkung den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Verfügungen zu treffen; der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte darf die Berechtigung nicht ausüben.
Im Sinn des weiten, auf die Umsetzung des Bescheides in die Wirklichkeit abzielenden Vollzugsbegriffes (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, Seite 119 f mwN), der auch die Erlassung eines weiteren Bescheides auf Grundlage des angefochtenen Bescheides umfasst, sind alle Behörden verpflichtet, an den angefochtenen Bescheid ab der Zuerkennung von aufschiebender Wirkung an die dagegen gerichtete Beschwerde keine Wirkungen zu knüpfen. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bezieht sich somit auch auf die Tatbestandswirkungen des angefochtenen Bescheides (vgl. Oberndorfer, a.a.O., Seite 124).
Es sei hinzugefügt, dass die - formelle - Rechtskraft eines Bescheides entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers trotz Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an die dagegen gerichtete Verwaltungsgerichtshofbeschwerde bestehen bleibt (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 257 angeführte hg. Judikatur).
Durch die ins Treffen geführte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an die Beschwerde gegen den den Asylantrag zurückweisenden Bescheid mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. August 1998 wäre somit - ex nunc - die an diesen Bescheid geknüpfte Tatbestandswirkung der Unzulässigkeit eines Antrages gemäß § 75 Abs. 1 FrG für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beseitigt worden. Diesfalls bildete der zurückweisende Bescheid der Asylbehörde im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - anders als die belangte Behörde in der Gegenschrift meint - keine Grundlage dafür, den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zurückzuweisen.
3. Da der Sachverhalt somit in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. Juni 1999
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Zwingende öffentliche InteressenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999180072.X00Im RIS seit
11.07.2001