Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §412 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der V GmbH in G, vertreten durch Dr. Lothar Troll, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schmiedgasse 34/III, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes der Steiermark vom 18. Mai 1993, Zl. 5-226 Ve 31/5-93, betreffend Zurückweisung eines Einspruches in einer Beitragssache (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, Josef Pongratz-Platz 1, 8011 Graz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 21. Dezember 1992 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die beschwerdeführende Gesellschaft, für die in den Beitragsnachverrechnungsanzeigen vom 24. Juli und 23. August 1991 angeführten (fünf) Dienstnehmer die dort ausgewiesenen Beiträge, Sonderbeiträge, Umlagen und Zuschläge nach den jeweils angeführten Beitragsgrundlagen und näher bezeichneten Zeiten in Höhe von S 159.896,-- (wovon ein Betrag von S 138.906,15 strittig sei) nachzuentrichten.
Nach der Begründung habe die beschwerdeführende Gesellschaft bei verschiedenen, namentlich genannten Dienstnehmern, welche sowohl im Innen- als auch im Außendienst tätig gewesen seien, die im Rahmen ihrer Außendiensttätigkeit erzielten Provisionen bei der Beitragsbemessung außer Ansatz gelassen. Der Abschluss eines gesonderten Werkvertrages für die Außendiensttätigkeit sei dabei nach dem Willen des Dienstgebers Voraussetzung für die Aufnahme des betreffenden Dienstnehmers in den Innendienst gewesen. Da jedoch weder eine zeitliche noch eine ausreichende inhaltliche Trennung der Außen- und Innendiensttätigkeiten gegeben gewesen sei, hätten diese Tätigkeiten sozialversicherungsrechtlich als Einheit bewertet werden müssen.
Der Bescheid enthielt in seiner Rechtsmittelbelehrung unter anderem den Hinweis, dass ein Einspruch einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten habe.
Die beschwerdeführende Gesellschaft erhob mit Schriftsatz vom 4. Februar 1993 Einspruch. Darin wurde eine rechtliche Vertretung vorbehalten und Folgendes festgehalten:
"Die Begründung unserer Ablehnung resultiert unter anderem aus den Ihrerseits völlig falschen Schlüssen hinsichtlich der Regelung für unsere Mitarbeiter D. und M., welche als Angestellte unseres Unternehmens im Rahmen ihrer Dienstverträge die vorgegebenen Aufgaben wahrnehmen, jedoch gesonderte Werksverträge mit einem rechtlich uns völlig fremden Unternehmen haben und auch daraus Provisionen lukrieren. Allein schon aus diesem Umstand ist unser Einspruch gerechtfertigt und wir ersuchen um neuerliche Möglichkeit unseren Standpunkt und unsere Rechtsauffassung zu vertreten."
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse legte den Einspruch mit einer Stellungnahme der belangten Behörde zur Entscheidung vor. Dabei vertrat sie die Auffassung, das Einspruchsvorbringen reduziere sich auf die Feststellung, dass die zwei genannten Dienstnehmer mit einem selbstständigen, nicht namentlich genannten Unternehmen gesonderte Werkverträge abgeschlossen und auf Grund dieser Verträge Provisionen erhalten hätten, weshalb die Beitragsnachverrechnung zu Unrecht erfolgt sei. Diese Leistungen, die in den Lohnunterlagen der beschwerdeführenden Gesellschaft aufschienen, seien allerdings als Entgelt aus dem Dienstverhältnis zu qualifizieren, weshalb beantragt werde, den Einspruch als unbegründet abzuweisen.
Der beschwerdeführenden Gesellschaft wurden die Ausführungen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zur schriftlichen Stellungnahme übermittelt. Eine solche Stellungnahme erfolgte mit Schreiben vom 19. April 1993.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch mangels eines begründeten Entscheidungsantrages als unzulässig zurückgewiesen. Der Einspruch lasse zwar erkennen, dass der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bekämpft werde, jedoch habe die beschwerdeführende Gesellschaft in keiner Weise dargelegt, womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaube. Der bloße Hinweis auf völlig falsche Schlüsse in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides betreffend die Regelung für zwei Mitarbeiter lasse nicht hinreichend erkennen, in welcher Hinsicht der Bescheid bekämpft und womit die Beschwerdeführerin ihren Standpunkt vertreten zu können glaube. Dieser Mangel könne durch die Stellungnahme vom 19. April 1993 nicht beseitigt werden.
Gegen diesen Bescheid hat die beschwerdeführende Gesellschaft zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der mit Beschluss vom 29. November 1993, B 1206/93, deren Behandlung abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
In der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof wird beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 412 Abs. 1 ASVG können Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen binnen einem Monat nach der Zustellung durch Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann angefochten werden. Der Einspruch hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den er sich richtet und einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten.
Nach der gemäß § 357 Abs. 1 ASVG unter anderem für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Verwaltungssachen geltenden Bestimmung des § 61 Abs. 1 AVG hat die Rechtsmittelbelehrung unter anderem auf das Erfordernis eines begründeten Rechtsmittelantrages hinzuweisen. Nach § 61 Abs. 5 AVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 gilt dann, wenn der Bescheid keine oder eine unrichtige Angabe über das Erfordernis eines begründeten Rechtsmittelantrages enthält, das Fehlen eines solchen als Formgebrechen (§ 13 Abs. 3). Daraus ergibt sich, dass das Fehlen eines begründeten Rechtsmittelantrages im Einspruch nur dann als Formgebrechen im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG mit der Rechtsfolge einer Verpflichtung der Behörde, dem Einschreiter die Behebung der Formgebrechen aufzutragen, gilt, wenn der Bescheid keine oder eine unrichtige Angabe über das Erfordernis eines begründeten Rechtsmittelantrages enthält; trifft Letzteres - so wie im Beschwerdefall - nicht zu, so stellt ein solches Fehlen - nach der hier noch anzuwendenden Rechtslage - einen Inhaltsmangel des Einspruches dar, der seine Zurückweisung als unzulässig zur Folge hat (vgl. z.B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Jänner 1990, Zl. 88/18/0361).
Die beschwerdeführende Partei ist daher nicht im Recht, wenn sie meint, die belangte Behörde hätte ihr die Behebung von Formgebrechen unter Setzung einer angemessenen Frist gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufzutragen gehabt.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine als Einspruch zu wertende Eingabe einen begründeten Entscheidungsantrag enthält, sind nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Gleichartigkeit dieser Regelung mit jener des § 63 Abs. 3 AVG, wonach die Berufung unter anderem einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat, die zu dieser Bestimmung von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgesichspunkte heranzuziehen. Danach ist zwar bei der Beurteilung einer Berufung daraufhin, ob sie die für ihre meritorische Behandlung unverzichtbaren Voraussetzungen eines Berufungsantrages und einer Berufungsbegründung erfüllt, keine streng formalistische Auslegung vorzunehmen; es müssen demnach Antrag und Begründung nicht als solche bezeichnet und entsprechend getrennt sein; es kommt auch nicht auf eine formell und inhaltlich vollendete Darstellung des begründeten Berufungsantrages an. Das bedeutet aber nicht, dass schon die bloße Erkennbarkeit des mangelnden Einverständnisses mit einem Bescheid einen begründeten Berufungsantrag darstellt. Dies ist ja eine Voraussetzung dafür, dass eine Eingabe überhaupt als Rechtsmittel gewertet werden kann. Für die Erfüllung der Voraussetzung eines begründeten Berufungsantrages ist vielmehr erforderlich (aber auch ausreichend), dass aus einer als Berufung zu wertenden Eingabe einerseits - unter dem Gesichtspunkt des Berufungsantrages - erkennbar ist, was der Berufungswerber mit seinem Rechtsmittel anstrebt, das heißt, ob er eine gänzliche oder nur teilweise (und diesfalls welche) Abänderung oder Behebung des bekämpften Bescheides bezweckt, und dass die Berufung andererseits - unter dem Gesichtspunkt der Begründung des Berufungsantrages - erkennen lässt, womit (d.h. mit welchen - wenn auch vielleicht nicht stichhältigen - Gründen) der Berufungswerber seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt. Wenn der Eingabe nicht einmal eine Andeutung darüber zu entnehmen ist, worin die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides nach Auffassung des Berufungswerbers gelegen sein soll, so fehlt es jedenfalls am Erfordernis der Begründung des Berufungsantrages (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 23. Februar 1993, Zl. 92/08/0193, und Zl. 92/08/0220, jeweils mit Hinweis auf Vorjudikatur).
Diesen an einen "begründeten Entscheidungsantrag" im Sinne des § 412 Abs. 1 zweiter Satz ASVG zu stellenden Anforderungen entspricht der oben wiedergegebene Einspruch der beschwerdeführenden Partei zunächst insofern, als sich ihm entnehmen lässt, dass damit der erstinstanzliche Bescheid hinsichtlich der Beitragsnachverrechnung bezüglich zweier namentlich genannter Dienstnehmer bekämpft wird.
Der Einspruch enthält aber auch eine im obigen Sinn noch zureichende Begründung des Entscheidungsantrages. Mit der Formulierung, die Begründung für die Ablehnung des erstinstanzlichen Bescheides liege in den "völlig falschen Schlüssen" hinsichtlich der Regelung für die Mitarbeiter D. und M., welche als Angestellte des Unternehmens der beschwerdeführenden Gesellschaft im Rahmen ihrer Dienstverträge die vorgegebenen Aufgaben wahrnehmen würden, jedoch gesonderte Werkverträge mit einem rechtlich völlig fremden Unternehmen abgeschlossen hätten und auch daraus Provisionen erhielten, brachte diese nämlich erkennbar zum Ausdruck, dass sie den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse deshalb für unrichtig erachte, weil diese die aus den Werkverträgen erzielten Provisionen dem aus den Dienstverträgen erzielten Entgelt der Dienstnehmer hinzugerechnet hatte. Mit dem Hinweis auf die "völlig falschen Schlüsse" der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse hinsichtlich der Regelung für die genannten Mitarbeiter brachte die beschwerdeführende Gesellschaft auch zum Ausdruck, dass sie die in der Begründung des Bescheides vertretene Auffassung nicht teilte, die auf Grund von Werk- und Dienstverträgen ausgeübten Tätigkeiten seien sozialversicherungsrechtlich als Einheit zu bewerten.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass die belangte Behörde nicht mit einer Zurückweisung des Einspruches mangels eines begründeten Entscheidungsantrages hätte vorgehen dürfen, sondern dass eine Sacherledigung hätte getroffen werden müssen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren auf 20 % Umsatzsteuer war abzuweisen, da ein solcher Anspruch neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand nicht zuerkannt werden kann.
Wien, am 1. Juni 1999
Schlagworte
Verbesserungsauftrag Ausschluß Berufungsverfahren Fehlen des begründeten RechtsmittelantragesVerbesserungsauftrag Ausschluß BerufungsverfahrenFormgebrechen nicht behebbare NICHTBEHEBBARE materielle MängelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1994080018.X00Im RIS seit
07.05.2001Zuletzt aktualisiert am
09.08.2011