TE Vwgh Beschluss 1999/6/1 AW 99/10/0025

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Veröffentlicht am 01.06.1999
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
82/04 Apotheken Arzneimittel;

Norm

AMG 1983 §23 Abs1 Z1;
VwGG §30 Abs2;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): AW 99/10/0026 B 1. Juni 1999

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der A-Gesellschaft m.b.H in W, vertreten durch

Dr. Karl Grigkar und Mag. Klemens Mayer, Rechtsanwälte in 1190 Wien, Sickenberggasse 10, der gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 1. März 1999, Zl. 21.420/11-VIII/A/3/99, betreffend Aufhebung der Zulassung von Arzneispezialitäten, erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Zulassung der Arzneispezialitäten Tebofortan 50 mg- Trockenstechampullen mit Lösungsmittel, Z.Nr.1-22080 und Tebofortan 200

mg- Trockenstechampullen mit Lösungsmittel, Z.Nr. 1-22081 gemäß § 23 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Z. 3 und 9 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 78/1998, aufgehoben.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde erkennbar davon aus, dass es im Zusammenhang mit der Anwendung der Arzneispezialitäten gehäuft zu schwer wiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen gekommen sei. Es seien Reaktionen wie Kollaps, Bradycardie, Krampfen, anapyhlaktoide Reaktionen, massive allergische Reaktionen mit Bronchospasmus, Glottisödem und Schüttelfrost gemeldet worden. Zum Teil sei Aufgrund dieser Reaktionen eine Spitalseinweisung der betroffenen Patienten erforderlich gewesen. Der Wirkstoff der betroffenen Arzneispezialitäten sei ein standardisierter Trockenextrakt aus Ginkgo biloba-Blättern. Dieser Wirkstoff werde bei oraler Verabreichung gut resorbiert und sei ausreichend bioverfügbar. Im Zusammenhang mit der Anwendung von Ginkgo-Extrakten in oralen Darreichungsformen seien keine schwer wiegenden Überempfindlichkeitsreaktionen gemeldet worden. Die Nutzen-Risiko-Bewertung für parenteral anzuwendende Ginkgo-biloba-haltige Arzneimittel sei daher eindeutig negativ.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, die mit einem Aufschiebungsantrag verbunden ist. Die Beschwerdeführerin legt dar, Tebonin werde ausschließlich vom Arzt angewendet und nur bei akuter Indikation kurzfristig parenteral verabreicht. Daher stehe fest, dass kein öffentliches Interesse an der Aufhebung der Zulassung von Tebonin bestehe. Ein solches öffentliches Interesse könnte nämlich nur darin erblickt werden, dass die Gesundheit von Patienten durch die parenterale Gabe von Tebonin so massiv gefährdet werde, dass eine Verabreichung auch durch den sachkundigen Anwender nicht zu vertreten sei. Genau diese Entscheidung könne aber für einen konkreten Patienten nur der jeweilige behandelnde Arzt und nicht die Zulassungsbehörde ohne Kenntnis der konkreten Situation treffen. Zudem sei es dem Arzt möglich, mittels Skin-Prick-Test einfach und schnell mögliche Komplikationen bei der medizinisch notwendigen Gabe von Tebonin festzustellen. Ebenso könne die äußerst geringe Nebenwirkungsrate ein generelles öffentliches Interesse an der Aufhebung der Zulassung nicht begründen. Das Interesse der Beschwerdeführerin am Aufschub der Bescheidwirkungen sei darin zu erblicken, dass 7 % ihres Jahresumsatzes mit parenteral zu verabreichenden Ginkgopräparaten zu erzielt würden und das Verbot zur Folge hätte, dass Tebonin von Ärzten nicht mehr verschrieben werde und seinen Marktanteil vollständig verliere. Schließlich würden auch die existenziellen Interessen von Patienten, die Tebonin unbedingt benötigen, beeinträchtigt werden. Die orale Gabe von Ginkgo stelle nämlich keine wirksame Behandlungsalternative bei cerebralen Durchblutungsstörungen, Hörstürzen, Polyneuropathien und Alzheimer dar.

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Eine Beschwerde ist der aufschiebenden Wirkung somit dann nicht zugänglich, wenn der Zuerkennung zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen. Interessen des Gesundheitsschutzes sind als zwingende öffentliche Interessen anzusehen (vgl. z.B. den Beschluss vom 15. Dezember 1997, Zl. AW 97/10/0055).

Die belangte Behörde hat ihren Bescheid auf § 23 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Z. 3 und 9 AMG gestützt. Nach § 23 Abs. 1 Z. 1 AMG ist die Zulassung einer Arzneispezialität aufzuheben, wenn bekannt wird, dass bei der Zulassung ein Versagungsgrund gemäß § 22 Abs. 1 vorgelegen oder nachträglich eingetreten ist und der Schutz der Gesundheit von Mensch oder Tier durch nachträgliche Vorschreibung von Auflagen im Sinne des § 22 Abs. 2 nicht gewährleistet erscheint. Nach § 22 Abs. 1 Z. 3 AMG ist einem Antrag auf Zulassung einer Arzneispezialität nicht stattzugeben, wenn nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und nach den praktischen Erfahrungen nicht als gesichert erscheint, dass die Arzneispezialität auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine schädliche Wirkung hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgeht. Nach Z. 9 leg. cit. ist dem Antrag nicht stattzugeben, wenn die Arzneispezialität im Hinblick auf ihre Wirksamkeit, Zusammensetzung, Stärke, Beschaffenheit, Arzneiform, Dosierung, Haltbarkeit, Anwendungsart oder ihr Anwendungsgebiet keine zweckmäßige Zubereitung darstellt.

Die Rechtmäßigkeit des auf diese Vorschriften gestützten, die Zulassung der Arzneispezialitäten aufhebenden Bescheides ist im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht zu prüfen (vgl. z.B. den Beschluss vom 5. Juni 1997, Zl. 97/10/0013). Die Erwägungen der belangten Behörde sind auch bei Bedachtnahme auf die Darlegungen des Aufschiebungsantrages nicht von Vornherein als unschlüssig zu erkennen. Für die Zwecke des Provisorialverfahrens hat der Gerichtshof somit anzunehmen, dass die in Rede stehenden Arzneispezialitäten auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Ebenso reichen die Darlegungen des angefochtenen Bescheides aus, für Zwecke des Provisorialverfahrens die tatsächliche Grundlage der Beurteilung, wonach die Zweckmäßigkeit der Anwendungsart im Sinne des § 22 Abs. 1 Z. 9 AMG in Frage gestellt sei, als bescheinigt anzusehen, zumal nach den Darlegungen des angefochtenen Bescheides, die auch bei Bedachtnahme auf die Darlegungen des Aufschiebungsantrages nicht als unschlüssig anzusehen sind, eine andere, zweckmäßige und nicht mit Nebenwirkungen verbundene Darreichungsform zur Verfügung steht. Es ist somit von zwingenden öffentlichen Interessen im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG auszugehen, die der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen. In eine Abwägung mit den von der Beschwerdeführerin behaupteten wirtschaftlichen Interessen ist daher nicht einzutreten; der Antrag war abzuweisen.

Wien, am 1. Juni 1999

Schlagworte

Interessenabwägung Zwingende öffentliche Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:AW1999100025.A00

Im RIS seit

27.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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