Entscheidungsdatum
13.08.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L507 2190585-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Türkei, vertreten durch: Kocher und Bucher Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2018, Zl. 1138739607 - 161717574/BMI-BFA_STM_AST_01, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben
und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.12.2016 und bei den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 19.06.2017 und 15.02.2018 brachte der Beschwerdeführer zusammenfassend vor, dass er Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volkgruppe sei.
Der Beschwerdeführer stamme aus XXXX und habe sich für die kurdische Partei HDP engagiert, sei aber nie eingetragenes Mitglied dieser Partei gewesen. Er habe für diese Partei Versammlungen organisiert und an verschiedenen Demonstrationen teilgenommen. Von 2012 bis 2014 sei der Beschwerdeführer in Haft gewesen. Man habe ihm vorgeworfen, ein Terrorist zu sein und einer terroristischen Vereinigung anzugehören. Aus Mangel an Beweisen sei der Beschwerdeführer unter der Auflage, das Land nicht zu verlassen, freigesprochen worden. Nach der Freilassung habe der Beschwerdeführer weitergearbeitet und Proteste organisiert. Man habe Pressekonferenzen abgehalten und für die Pressefreiheit protestiert. Der Beschwerdeführer habe an verschiedenen Demonstrationen und Kundgebungen teilgenommen.
In XXXX sei es sodann zu einem Volksaufstand der Kurden gekommen, woraufhin das Dorf von der Polizei und Militär gestürmt worden sei. Dabei sei auch das Haus des Beschwerdeführers zerstört worden. Zu dieser Zeit habe sich der Beschwerdeführer nicht im Dorf, sondern bei seiner Tante in XXXX aufgehalten.
Der Beschwerdeführer habe auch in der Jugendgruppe der HDP mitgearbeitet.
Im Falle einer Rückkehr in die Türkei befürchte der Beschwerdeführer, dass er umgehend verhaftet und inhaftiert werde, zumal gegen ihn ein Ausreiseverbot nach dem Freispruch bzw. seiner Freilassung aus dem Gefängnis verhängt worden sei.
Zum Beweis seines Vorbringens brachte der Beschwerdeführer ein Konvolut von verschiedenen Dokumenten und Schriftstücken in türkischer Sprache in Vorlage (AS 261 bis 271 und AS 277 bis 293).
Bei der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA am 19.06.2017 wurden folgende Vermerke in das Protokoll aufgenommen:
"Weiters lege ich vor:
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Sammelklageschrift 1 m.d. Zahl XXXX (Sammelklage für 80 Verdächtige). Übersetzung in Auszügen, den Asylwerber betreffend:
Tatbegehung: Am XXXX.
Datum der Festnahme: XXXX. (Unterlagen in Auszügen zum Akt).
Straftat: Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, exklusives unerlaubtes Material, führend und Widerstand gegen das Gesetz Zahl 2911 und Sachbeschädigung.
Auszug aus der Klagschrift betreffend Asylwerber: Der Angeklagte ist verdächtig, am XXXX explosives Material bei sich getragen und zur Explosion gebracht zu haben und Sachschaden verursacht zu haben und am XXXX bzw. am XXXX bei einer Demonstration, ausgerufen durch eine Terrororganisation, teilgenommen zu haben. Es wird beantragt, dass er bestraft wird.
-
Klageschrift 2 Straflandesgericht in XXXX mit der Aktenzahl XXXX.
Anklageschrift Zahl: XXXX. Übersetzung in Auszügen, den Asylwerber betreffend:
Verdächtiger XXXX Sohn des XXXX und der XXXX, geb. am XXXX, Wohnadresse XXXX.
Allen 80 Verdächtigen wird vorgeworfen: Straftat, Brandlegung im Namen einer Terrororganisation, dadurch Sachbeschädigung und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Straftat am XXXX in XXXX in der geschlossenen E Type-Strafanstalt. (Unterlagen in Auszügen zum Akt.)
[...]
-
Republik Türkei, Ministerium für Justiz, Oberstaatsanwaltschaft XXXX, Zahl: XXXX, Betreff XXXX. Ausgestellt am XXXX (Freispruchsdekret).
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Schreiben des LG für Strafsachen XXXX an die Staatsanwaltschaft vom XXXX betreffend Freilassung von Herrn XXXX und Zurückstellung des Haftbefehles vom XXXX. (Anm.: Asylwerber wurde am XXXX mit Dekret freigelassen, s.o.)"
Eine Anordnung betreffend eine vollständige Übersetzung der vom Beschwerdeführer in türkischer Sprache vorgelegten Dokumente und Schreiben bzw. vollständige Übersetzungen dieser Dokumente und Schreiben in die deutsche Sprache finden sich im Akt des BFA nicht.
2. Mit Bescheid des BFA vom 20.02.2018, Zl. 1138739607 - 161717574/BMI-BFA_STM_AST_01, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Im angefochtenen Bescheid wurden folgende Beweismittel aufgezählt und folgende Feststellungen getroffen:
"-
Von ihnen vorgelegte Beweismittel:
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Personenstandsbestätigung in Kopie [...]
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Kopie des türkischen Führerscheins mit beglaubigter Übersetzung.
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Türkischer Führerschein im Original.
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Personalausweis in Kopie mit beglaubigter Übersetzung.
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Sammelklageschrift 1 m.d. Zahl XXXX (Sammelklage für 80 Verdächtige). Übersetzung in Auszügen, XXXX betreffend:
Tatbegehung: Am XXXX.
Datum der Festnahme: XXXX. (Unterlagen in Auszügen zum Akt).
Straftat: Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, exklusives unerlaubtes Material, führend und Widerstand gegen das Gesetz Zahl 2911 und Sachbeschädigung.
Auszug aus der Klagschrift betreffend Asylwerber: Der Angeklagte ist verdächtig, am XXXX explosives Material bei sich getragen und zur Explosion gebracht zu haben und Sachschaden verursacht zu haben und am XXXX bzw. am XXXX bei einer Demonstration, ausgerufen durch eine Terrororganisation, teilgenommen zu haben. Es wird beantragt, dass er bestraft wird.
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Klageschrift 2 Straflandesgericht in XXXX mit der Aktenzahl XXXX.
Anklageschrift Zahl: XXXX. Übersetzung in Auszügen, den Asylwerber betreffend:
Verdächtiger XXXX Sohn des XXXX und der XXXX, geb. am XXXX, Wohnadresse XXXX.
Allen 80 Verdächtigen wird vorgeworfen: Straftat, Brandlegung im Namen einer Terrororganisation, dadurch Sachbeschädigung und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Straftat am XXXX in XXXX in der geschlossenen E Type-Strafanstalt. (Unterlagen in Auszügen zum Akt.)
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Republik Türkei, Ministerium für Justiz, Oberstaatsanwaltschaft XXXX, Zahl: XXXX, Betreff XXXX. Ausgestellt am XXXX (Freispruchsdekret).
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Schreiben des LG für Strafsachen XXXX an die Staatsanwaltschaft vom XXXX betreffend Freilassung von Herrn XXXX und Zurückstellung des Haftbefehles vom XXXX. (Anm.: Asylwerber wurde am XXXX mit Dekret freigelassen, s.o.)
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8 Handyausdrucke von Fotos.
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Eine Bestätigung der Teilnahme an einem Deutschkurs im Ausmaß von 50 Unterrichtseinheiten im Zeitraum von 08.03.2017 bis 23.05.2017, ausgestellt von XXXX, am 19.05.2017.
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Heiratsurkunde vom 09.05.2017, Zahl XXXX, ausgestellt vom Standesamt XXXX, inkl. Kopie des Reisepasses ihrer Ehefrau und zwei ZMR-Auszüge für sie und ihre Ehefrau.
[...]
Feststellungen
Der Entscheidung liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
-
Zu ihrer Person und zu ihrem Privat- und Familienleben:
Ihre Identität steht nicht fest. Im Verfahren führen sie den Namen XXXX und als Geburtsdatum den XXXX.
[...]
Sie behaupten, wegen der Teilnahme an Demos [gemeint wohl:
Demonstrationen] 2011 und 2012 in der Türkei verhaftet worden zu sein und an Veranstaltungen der Jugendorganisation der HDP/BDP mitgewirkt zu haben.
Nicht festgestellt werden kann, dass sie dies auch nach ihrer angeblichen Haftentlassung 2014 getan hätten bzw. dass sie danach auch weiter illegale Demonstrationen besucht hätten.
Nicht festgestellt werden kann, dass sie sich zwischen 2012 und 2014 tatsächlich (durchgehend) in Haft befunden hätten.
Nicht festgestellt werden kann, dass über sie in der Türkei tatsächlich 2014 ein Ausreiseverbot verhängt wurde.
[...]
-
Zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaats:
Ihr Vorbringen zu den Fluchtgründen wird den Feststellungen nicht zugrunde gelegt. Sie haben nicht glaubhaft machen können, dass sie zu befürchten hätten, in der Türkei aufgrund einer in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe verfolgt zu werden oder aktuell einer relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt zu sein.
Eine darüber hinausgehende aktuelle und individuell drohende Verfolgung im zu prüfenden Herkunftsstaat konnten sie ebenfalls nicht glaubhaft machen.
-
Zu ihrer Situation im Fall ihrer Rückkehr:
Eine Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat Türkei konnte ebenso wenig festgestellt werden, wie eine Bedrohungssituation im Fall ihrer Rückkehr.
Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass ihnen bei einer Rückkehr eine Gefährdung durch die Polizei, staatliche Organe oder Behörden droht.
Weiters konnte keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung ihrer Person bei einer Rückkehr in die Türkei festgestellt werden. Überdies konnte weder eine wirtschaftlich noch eine finanzielle ausweglosen Lage im Fall ihrer Rückkehr in ihr Heimatland festgestellt werden."
Das BFA traf im angefochtenen Bescheid sodann Feststellungen im Ausmaß von 81 Seiten zur Lage in der Türkei, wobei folgende Passagen auszugsweise wörtlich wiedergegeben werden:
"Seite 70 des angefochtenen Bescheides:
Allgemeine Menschenrechtslage
In der Türkei existieren weitreichende Gesetz zur Bekämpfung von Terrorismus und Machenschaften, die der Staat als Bedrohung einschätzt. Politische Freiheitsrechte wie die Meinungsäußerung- und Versammlungsfreiheit sind stark eingeschränkt. Zugang zur Effizienz der Justiz sind ungenügend. Gerichtliche Untersuchungen und Verhandlungen sind intransparent. Verdächtige kommen für undefinierte Zeit in Untersuchungshaft. Betroffen sind neben politisch aktiven Kurden auch Menschenrechtsverteidiger, Studenten, Journalisten und Gewerkschafter. Bei Demonstration greifen die Einsatzkräfte oft auf exzessive Gewalt zurück. Bei Vorwürfen gegen Beamte wegen Menschrechtsverletzungen bleibt Straffreiheit die Regel.
[]
Die EK zeigte sich besorgt, dass es unter den kriegsähnlichen Bedingungen in den Provinzen des Südostens zu systematischen, schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Es gebe mehrfach glaubwürdige Berichte zu solchen Menschrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte - Folter, Misshandlung und willkürliche Inhaftierung mit eingeschlossen. Extrem besorgniserregend sei ebenfalls der Umstand, dass es an offiziellen Informationen oder Nachforschungen zu all diesen Anschuldigungen mangelt. []
Seite 79 des angefochtenen Bescheides:
Opposition
Insbesondere vor dem Hintergrund der zweimaligen Parlamentswahlen im Juni und November 2015 wurden gegen einige Mitglieder der Oppositionsparteien CHP, HDP und MHP Ermittlungen wegen Herabwürdigung der Autoritäten, inklusive die Beleidigung des Staatspräsidenten eingeleitet. Eine große Anzahl von Parteilokalen der pro-kurdischen HDP waren Ziele von Attacken. Zahlreiche Mitglieder der HDP wurden verhaftet, und ihre Bürgermeister vom Amt suspendiert. Laut Angaben der HDP kam es zwischen 6.9. und 09.10.2015 zu 129 Attacken gegen deren Büros. Zwischen 20.7. und 18.10.2015 wurden 2590 Mitglieder inhaftiert und 630 festgenommen.
[]
Seite 87 des angefochtenen Bescheides:
Kurden
[]
Angesichts des Zusammenbruchs des Friedensprozesses im Sommer 2015 widerfuhr laut Europäischer Kommission dem Südosten des Landes eine weitere ernsthafte Verschlechterung der Sicherheitslage. Dies führte zu schweren Verlusten an Menschenleben, Vertreibungen im großen Ausmaß und weitreichenden Zerstörungen. Es wurden systematische schwerwiegende Menschrechtsverletzungen berichtet. Die Regierung benutze die Maßnahmen nach dem gescheiterten Putschversuch auch dazu, viele Gemeinderäte und Bürgermeister sowie Lehrer zu suspendieren und etliche kurdisch sprachige Medien zu schließen. Die Europäische Kommission bezeichnete die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess als den einzig gangbaren Weg. Versöhnung und Wiederaufbau seien die Schlüsselthemen denen sich die Regierung widmen sollte.
[]
In den letzten Monaten des Jahres 2016 wurden zahlreiche kurdische Lokalpolitiker wegen angeblicher Verbindung zur PKK inhaftiert. Mit Stand Dezember 2016 waren 64 prokurdische Ko-Bürgermeister und über 3000 Mitglieder der Demokratischen Partei der Regionen (DBP), der lokalen Schwesterpartei der prokurdische HDP, eingesperrt.
[]"
Beweiswürdigend wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid Folgendes auszugsweise wörtlich ausgeführt:
"[...]
Sie haben 2011/12 an Demonstrationen teilgenommen und wurden verhaftet und haben 2014 in ihrer Heimatstadt XXXX in der Türkei an einer Veranstaltung der Jugendorganisation der HDP/DPB mitgewirkt. Letzteres wird von einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation von Oktober 2017 bestätigt. []
Nicht festgestellt werden kann, dass sie öfters als das eine dokumentierte Mal bei Parteiveranstaltungen der Jugendgruppe der HDP in XXXX teilgenommen haben bzw. dass sie nach 2014 illegale Demonstrationen besucht hätten, sie konnten hierzu keine stichhaltigen Angaben machen und legten auch keine Beweismittel hierzu vor. []
Nicht festgestellt werden kann, dass sie sich zwischen 2012 und 2014 tatsächlich (durchgehend) in Haft befunden hätten. Bezüglich ihrer Haftdauer haben sie keine Bestätigungen vorgelegt. []
Aufgrund ihrer widersprüchlichen Angaben in ihrer Erstbefragungen und in ihren beiden Einvernahmen vor dem BFA kann nicht festgestellt werden, dass über sie in der Türkei tatsächlich 2014 ein Ausreiseverbot verhängt wurde. []
Aus ihrer Einvernahme vor dem BFA geht jedenfalls hervor, dass sie die Türkei in jeden Fall bewusst und in Kenntnis der möglichen Folgen für sie verlassen haben.
[...]
-
Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaats:
Ihre Angaben waren widersprüchlich und vage:
[...]
Aus den von ihnen vorgelegten Unterlagen geht hervor, dass sie verdächtig gewesen wären, am XXXX exklusives Material bei sich getragen, zur Explosion gebracht zu haben und Sachschaden verursacht zu haben und am XXXX bzw. am XXXX einer Demonstration, ausgerufen durch eine Terrororganisation, teilgenommen zu haben, weiters wurde ihnen Sachbeschädigung und Widerstand gegen das Gesetz vorgeworfen (erste Klageschrift, Straflandesgericht XXXX). Aus der zweiten Klageschrift des Straflandesgerichtes in XXXX geht hervor, dass sie und 79 andere Verdächtige am XXXX einen Brand in der Strafanstalt in XXXX gelegt hätten, weiters wurde ihnen wie auch ihren Mitangeklagten Sachbeschädigung und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Propaganda für diese vorgeworfen.
[...]
Auf jeden Fall aber haben sie die Behörde nicht davon zu überzeugen vermochte, dass sie tatsächlich in der Türkei verfolgt werden:
Ihr Vorbringen war nicht glaubhaft, da es vor allem nicht in sich schlüssig und vage war, sie sich in wesentlichen Aussagen widersprochen haben und ihre Aussagen auch nicht plausibel waren. Warum hätten sie z.B. wieder in die Türkei zurückreisen sollen, wenn ihnen dort Verfolgung gedroht hätte?
Sie persönlich waren als Person nicht glaubwürdig: Es ist ein Faktum, dass sie im Laufe des Verfahrens ihr Vorbringen verändert haben und der Behörde etwa stichhaltige Beweismittel, die ihre Aussagen zur Gänze hätten untermauern können, nicht vorgelegt haben.
[...]"
3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 23.02.2018 zugestellten Bescheid wurde am 16.03.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchteil A):
2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Der Beschwerdeführer stützte sein Vorbringen insbesondere darauf, dass er aufgrund seines politischen Engagements für die Belange der Minderheit der Kuren bzw. für kurdische Parteien einer Verfolgung ausgesetzt sei.
Vom Beschwerdeführer wurde zu Beweiszwecken bzw. zur Untermauerung seines Vorbringens ein Konvolut von Dokumenten und Schreiben in türkischer Sprache in Vorlage gebracht, insbesondere auch gerichtliche Schreiben.
Diese vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Dokumente und Schreiben wurden vom BFA lediglich auszugsweise bzw. kursorisch einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt, wobei nicht einmal hervorgeht, wer diese Schreiben verfasst hat und an wen diese Schreiben gerichtet sind.
Ohne jedoch eine vollständige Übersetzung dieser Dokumente oder Schreiben in die deutsche Sprache zu veranlassen und sich im Ermittlungsverfahren mit diesen in Vorlage gebrachten Beweismittel auseinander zu setzen, traf die belangte Behörde sogleich eine Sachentscheidung.
Obwohl die belangte Behörde weder eine vollständige Übersetzung der vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Beweismittel in die deutsche Sprache veranlasst hat, kam sie im angefochtenen Bescheid in den beweiswürdigenden Ausführungen zu dem Ergebnis, dass die Begründung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz nicht glaubhaft sei.
Da es die belangte Behörde unterlassen hat, die vom Beschwerdeführer in türkischer Sprache in Vorlage gebrachten und für die Beurteilung der Rechtssache relevanten Bescheinigungsmittel vollständig in die deutsche Sprache übersetzen zu lassen, war jedoch jegliche inhaltliche Auseinandersetzung hiermit - vor allem auch im Zusammenhang mit den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Lage in der Türkei bzw. zur Situation der Kurden in der Türkei - unmöglich.
Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für den Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.
Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen teils gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden müssten.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.
Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren - nach erfolgter vollständiger Übersetzung der in türkischer Sprache in Vorlage gebrachten Dokumente und Schriftstücke in die deutsche Sprache - mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt auseinander zu setzen haben.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3,
3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc,
s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.
4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, Bindungswirkung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L507.2190585.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.02.2019