TE Bvwg Beschluss 2018/8/24 L507 2198224-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2018
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Entscheidungsdatum

24.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AVG §37
AVG §66 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L507 2198224-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2018, Zl. 1095066310 - 151751023, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 10.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 12.11.2015 und bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 31.05.2017 brachte der Beschwerdeführer zusammenfassend vor, dass er Staatsangehöriger des Irak und moslemischen (sunnitischen) Glaubens sei. Der Beschwerdeführer sei verheiratet und habe zwei Kinder (2007 und 2010). Vor seiner Ausreise aus dem Irak am 24.10.2015 habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehegattin und seinen zwei Töchtern sowie seinem jüngeren Bruder und seinen Eltern in Bagdad im Stadtteil XXXX gelebt.

Der Beschwerdeführer habe ein Studium der englischen Sprache in Bagdad und sodann ein Masterstudium in BWL an einer australischen Universität in Malaysia abgeschlossen. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2006 geheiratet und sei danach gemeinsam mit seiner Ehegattin nach Ägypten übersiedelt, wo er zwei Jahre lang gelebt habe und wo auch seine ältere Tochter geboren worden sei. Danach sei er gemeinsam mit seiner Familie nach Malaysia übersiedelt, wo er bis 2012 gelebt habe und wo seine jüngere Tochter geboren worden sei. Im Jahr 2012 sei der Beschwerdeführer in den Irak zurückgekehrt und sei als Musiker tätig gewesen. Wegen seiner Tätigkeit als Musiker sei der Beschwerdeführer im Irak bedroht worden und habe aus diesem Grund den Irak verlassen.

Zum Beweis seines Vorbringens brachte der Beschwerdeführer ein Konvolut von verschiedenen Schriftstücken in arabischer Sprache in Vorlage (AS 47, 53 bis 55, 59, 135 bis 139, 151), wobei das Schriftstück, das auf AS 139 im Akt des BFA einlegt als "Drohbrief" bezeichnet wurde.

Eine Anordnung betreffend eine Übersetzung der vom Beschwerdeführer in arabischer Sprache vorgelegten Schreiben bzw. Übersetzungen dieser Schreiben in die deutsche Sprache finden sich im Akt des BFA nicht.

2. Mit Bescheid des BFA vom 04.05.2018, Zl. 1095066310 - 151751023, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Im angefochtenen Bescheid wurden unter anderem folgende vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachte Beweismittel aufgezählt:

-

Irakischer Personalausweis

-

Irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis

-

schriftliche Empfehlung

-

Teilnahmebestätigung Deutschkurs B2

-

ÖSD Zertifikat A1

-

ÖSD Zertifikat A2

-

Bestätigungsschreiben der Caritas Salzburg

-

diverse Fotos

-

Schreiben XXXX

-

Empfehlungsschreiben

Dazu traf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem die Feststellung, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe, die ihn zum Verlassen des Heimatlandes bewogen hätten, als nicht glaubhaft festzustellen gewesen seien.

Die belangte Behörde traf sodann im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Lage im Irak im Ausmaß von 137 Seiten [sic!], wobei diese Feststellungen, deren Inhalt sich öfters wiederholt, sich auch teils als widersprüchlich darstellt und über Seiten bereits als überholt anzusehen ist (seitenlang beziehen sich die Berichte auf die Berichtsjahre 2015 und 2016 und teils davor), ohne jeglichen Bezug zum Vorbringen des Beschwerdeführers Eingang in den angefochtenen Bescheid gefunden hat.

Beweiswürdigend wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem folgendes wörtlich ausgeführt:

"[...]

Ihr Vorbringen, wonach es zu einem Vorfall gekommen sei, wo Anhänger einer schiitischen Miliz in ihr Elternhaus gekommen seien, musste die Glaubwürdigkeit zur Gänze abgesprochen werden.

Ihre Vermutung sei dahingehend gewesen, dass sie beim Nachhauseweg beobachtet worden seien, weil sie mit Musikinstrumenten unterwegs gewesen seien und dadurch Anhänger der Asa'ib Ahl Al Haq in ihr Elternhaus gekommen seien.

Dass sie einen solchen Vorfall einzig konstruiert hatten, war anhand mehrerer Ungereimtheiten zu erkennen.

Widersprüchlich waren sie in Bezug auf die Personen, die in das Elternhaus gekommen seien. So gaben sie bei der Erstbefragung an, dass es sich um - vermutlich - Anhänger schiitischer Milizen gehandelt habe. Bei der Einvernahme beim BFA schließlich meinten sie, dass es sich um Mitglieder der Asa'ib Ahl Al Haq Gruppierung gehandelt habe. Auf die Frage, woher sie Kenntnis hatten, dass es sich um Anhänger dieser Vereinigung handle, meinten sie, diese Personen hätten ihren Eltern ein Drohschreiben überreicht, wo der Name der Gruppe festgehalten worden sei.

Aufgrund dieser Aussage konnte ganz eindeutig die Unglaubwürdigkeit ihres Vorbringens erkannt werden, zumal ihnen dieser Umstand doch bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz bekannt gewesen sei, führten sie doch aus, dass ihren Eltern das Drohschreiben bereits übergeben worden sei, als diese Leute in ihr Elternhaus eingedrungen seien. Bei wahrheitskonformer Schilderung wäre davon auszugehen, dass sie schon bei der Schilderung ihrer Fluchtgründe am Beginn der Einvernahme beim BFA nicht lediglich von vier Personen in schwarzer Kleidung sprechen würden, sondern konkret erwähnen würden, dass es sich um Anhänger dieser Gruppierung gehandelt habe, handelt es sich doch dabei um ein wesentliches Detail.

[...]

Aufgrund obiger Ausführungen kam die erkennende Behörde zum Schluss, dass ihre Angaben zum Fluchtgrund keinesfalls den Tatsachen entsprechen konnten, und war deshalb davon auszugehen, dass sie sich einer konstruierten Geschichte in diesem Verfahren bedingten, demnach auch von vornherein die behauptete aktuelle Gefährdungslage unglaubwürdig ist.

[...]"

3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 15.05.2018 persönlich zugestellten Bescheid wurde am 08.06.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Der Beschwerdeführer stützte sein Vorbringen insbesondere darauf, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als Musiker von schiitischen Milizen bzw. der Miliz Asa'ib Ahl Al Haq im Irak bedroht worden sei.

Vom Beschwerdeführer wurde zu Beweiszwecken bzw. zur Untermauerung seines Vorbringens ein Konvolut von Schreiben in arabischer Sprache in Vorlage gebracht. Insbesondere brachte der Beschwerdeführer ein als "Drohbrief" bezeichnete Schreiben (AS 139) in Vorlage.

Ohne jedoch eine Übersetzung dieser Schreiben in die deutsche Sprache zu veranlassen und sich im Ermittlungsverfahren mit diesen in Vorlage gebrachten Beweismittel auseinander zu setzen bzw. im Rahmen einer Einvernahme dem Beschwerdeführer eine Möglichkeit einzuräumen, sich zu den in Vorlage gebrachten Beweismittel zu äußern, traf die belangte Behörde sogleich eine Sachentscheidung und kam im angefochtenen Bescheid in den beweiswürdigenden Ausführungen zu dem Ergebnis, dass die gesamten Angaben des Beschwerdeführers nicht glaubhaft seien.

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, die vom Beschwerdeführer in arabischer Sprache in Vorlage gebrachten und für die Beurteilung der Rechtssache relevanten Bescheinigungsmittel in die deutsche Sprache übersetzen zu lassen, war jedoch jegliche inhaltliche Auseinandersetzung hiermit unmöglich. Insbesondere bleibt auch der Inhalt des als "Drohbrief" bezeichneten Schreibens im Verborgenen.

Zudem traf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Lage im Irak im Ausmaß von 137 Seiten [sic!].

Zu diesen Feststellungen muss betont werden, dass sich deren Inhalt öfters wiederholt, sich unter anderem als widersprüchlich darstellt und über Seiten bereits als überholt anzusehen ist (seitenlang beziehen sich die Berichte auf die Berichtsjahre 2015 und 2016 sowie davor). Auch wurde diese seitenlange Aneinanderreihung von Berichten ohne jeglichen Bezug zum Vorbringen des Beschwerdeführers in den angefochtenen Bescheid aufgenommen, wie z.B. die Ausführungen zur Situation in den Kurdengebieten des Irak, obwohl der Beschwerdeführer keinerlei Bezug zur Kurdenregion des Irak aufweist sondern aus Bagdad stammt.

Andererseits traf die erkennende Behörde bestimmte Feststellungen und nahm in den beweiswürdigenden Ausführungen keinen Bezug dazu bzw. stützte sie sich in der Entscheidungsfindung nicht auf die von ihr getroffenen Feststellungen.

So traf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem die Feststellung, dass Extremisten und bewaffnete Gruppen Angriffe auf Künstler, Poeten, Schriftsteller und Musiker verübten (Seite 120 des angefochtenen Bescheides). Demgegenüber führte die belangte Behörde beweiswürdigend aus, dass sich die in den Feststellungen erwähnten Übergriffe insbesondere gegen Prostituierte und Anhänger der Emo-Jugendkultur richten würden. Übergriffe gegen Künstler in maßgeblicher Intensität und Anzahl würden aus den getroffenen Feststellungen nicht abgeleitet werden können (Seite 154 des angefochtenen Bescheides).

In Anbetracht der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit den beweiswürdigenden Ausführungen bleibt es dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, zu erkennen, von welchem Sachverhalt die belangte Behörde in Bezug auf die Lage im Irak ausgegangen ist.

Insbesondere wurde auch von der belangten Behörde zur Sicherheitslage in Bagdad auszugsweise folgende Feststellungen getroffen:

Ab Seite 16 des angefochtenen Bescheides:

Obwohl der IS Bagdad nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste Anzahl an zivilen Todesopfern.

Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen. Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebieterin rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, unter anderem von Al-Qaeda und dem IS.

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive.

Kidnapping und Entführungen kommen überall im Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden.

Worte und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnapping, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde.

Konfessionsalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, das während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde.

Wie diverse Menschenrechtsbericht gezeigt haben, fachen Terrorakte des IS in Bagdad viele Arten an Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten an, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden.

Eine weitere Seite des Konfessionsalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen.

Seite 104 des angefochtenen Bescheides:

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hatte in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU regelmäßig ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen.

Die Behörden unternahmen nichts, um den Aufenthaltsort unter Schicksal tausender sunnitischer arabischer Männer und Jungen zu klären, die Milizen und Regierungstruppen in den vergangenen Jahren in Wohnhäusern, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene aufgegriffen hatten und die seitdem "verschwunden" sind.

In diesem Zusammenhang steht die pauschale Aussage im angefochtenen Bescheid (Seite 158), dass im Fall des Beschwerdeführers von einer Gefährdungslage im Sinne des § 50 FPG nicht ausgegangen werden könne im Widerspruch zu dem im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderfeststellungen insbesondere zur Situation in Bagdad, woher der Beschwerdeführer stammt.

Vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen und von der belangten Behörde festgestellten Berichtslage zur (schlechten, wenn nicht gar für bestimmte Bevölkerungsgruppen gefährlichen) Sicherheitssituation in Bagdad und des Umstandes, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft handelt, wären insbesondere konkrete Feststellungen zu treffen gewesen, aus welcher Region bzw. welchem Bezirk innerhalb Bagdads der Beschwerdeführer stammt und ob ihm eine Rückkehr in diesen Bezirk möglich sei bzw. ob eine konkrete innerstaatliche Fluchtalternativen bestehe, die eine Rückkehr dorthin und einen Aufenthalt in einer Weise ermöglicht die den Anforderungen des Art. 3 EMRK Rechnung trägt (vgl. dazu VfGH vom 11.06.2018, Zl. E 4317/2017-11).

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen teils gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden müssten.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.

Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren - nach erfolgter Übersetzung der in arabischer Sprache in Vorlage gebrachten Dokumente und Schriftstücke in die deutsche Sprache und einer neuerlichen Einvernahme des Beschwerdeführers - mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt auseinander zu setzen haben. Zudem wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren konkrete und aktuelle Feststellungen zur Lage im Irak bzw. in Bagdad insbesondere vor dem Hintergrund des Vorbringens des Beschwerdeführers zu treffen haben.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3,

3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc,

s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.

4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, Bindungswirkung,
Ermittlungspflicht, fehlende Länderfeststellungen, Fluchtgründe,
Kassation, mangelhaftes Ermittlungsverfahren, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Verfahrensmangel, Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L507.2198224.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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