TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/11 L501 2179527-1

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Veröffentlicht am 11.09.2018
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Entscheidungsdatum

11.09.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

L501 2179527-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Vorsitzende und den Richter Mag. Hermann LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Reg. Rat Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von Herrn XXXX, VSNR. XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice vom 09.11.2017, OB XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) und §§ 1 Abs. 2, 42 Abs. 1, 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) in Verbindung mit § 1 Abs. 4 Z 3 und Abs. 5 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei (in der Folge bP) beantragte mit am 28.08.2017 bei der belangten Behörde eingelangten Schreiben die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.

In dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wird von der Allgemeinmedizinerin, basierend auf der klinischen Untersuchung am 26.09.2017, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Derzeitige Beschwerden:

Leukämie im Griff, 3monatl. Kontrolluntersuchung, Chemotabletten 3monatl. für je 14Tage. Nach wie PNP (Polyneuropathie), seit Erhaltungstherapie aber Besserung der Gangstörungen schon eingetreten, er sei vorher mit dem RM gegangen, jetzt gehe er ohne Gehhilfe, aber hänge sich bei der Gattin ein bei Unebenheiten. Ebene Strecken könne er ohne weiteres auch frei gehen, da komme er dann auch bis in den Ort. Weiterhin bei OSAS n-CPAP-Maske. Abnehmen funktioniere kaum wegen mangelnder Bewegung. Vom Herzen her gehe es ihm gut. Lungenmäßig keine Probleme. Bzgl. des Darmes vermeide er einfach Diätfehler, damit komme er gut aus.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Es liegen folgende Funktionsbeeinträchtigungen vor:

 

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern

Pos.Nr.

GdB %

01

Promyelocytäre Leukämie - chemotherap. Erhaltungsbehandlung nach wie vor 3monatl. für je 14 Tge. Erhaltungstherapie unter lfd. Blutbildkontrollen nötig.

10.03.06

50

02

Polyneuropathien - sensible und motorische Ausfälle mittleren Grades periphere Nervenschäden, vermutlich iatrogen bedingt durch anhaltende Chemotherapie, insbes. die Beine betroffen. Gangunsicherheit.

04.06.02

50

03

Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Vorhofflimmern Internistisch echocardiographisch nachgewiesene erhaltene Linksventrikelfunktion, auch subj. keine Beschwerden unter lfd. Therapie, kein Nitrobedarf. Rezidiverend auftretende Unterschenkelödeme, Stützstrümpfe erforderlich.

05.05.02

30

04

Moderate Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD II), Schlafapnoesyndrom Ausreichend guter Schlaf unter Verwendung nächtlicher CPAP-Maske, subj. beschwerdefrei, keine bronchodil. Sprays in Verwendung.

06.06.02

30

05

Colitis ulcerosa, ED 1995 Unter achtsamer Ernährung keine Beschwerden, keine neueren Befunde in den letzten Jahren.

07.04.04

20

06

Z.n. Ellbogen-OP li vor Jahren. Extensionseinschränkung um etwa 30° bei Z.n. OP, Flexion endlagig eingeschränkt. Blande Narbe.

02.06.11

20

07

Hüftbeschwerden links - Verdacht auf Hüftabnützung Keine Befunde, im Untersuchungsstatus aber eindeutig schmerzhafte Einschränkung in der Auswärtsdrehung.

02.05.07

20

Gesamtgrad der Behinderung

 

80

 

Stellungnahme

zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Eine Änderung ergibt sich in einer Herabstufung um eine Stufe aufgrund der Beschwerdefreiheit der Colitis und der fehlenden neueren Befunde. Sonst bleibt alles unverändert zum Vorgutachten von 2016. Eine Besserung der Polyneuropathie dürfte aufgrund der weiterhin vorgenommenen chemotherapeut. Erhaltungsbehandlung und dadurch fortgesetzten iatrogenen (medikamentenbedingten) neurolog. Störung nicht mehr zu erwarten sein. Auch die übrigen Leiden werden kaum mehr eine r Besserung zuzuführen sein, weshalb aus meiner Sicht von einer weiteren NU Abstand genommen werden kann.

Die im Hinblick auf die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gestellten Fragen wurden wie folgt beantwortet:

Aufgrund der Polyneuropathie bestehende Gangunsicherheit hat sich im Rahmen der Erhaltungstherapie nun so weit gebessert, dass in der Ebene Strecken von 300-400m ohne Gehhilfe zurückgelegt werden können. besonders auf unebenen Belägen, wie v.a. im Außenbereich, ist das Zurücklegen üblicher Gehstrecken von 300-400m ohne Verwendung einer technischen Gehhilfe erschwert möglich. Öffentliche Verkehrsmittel können ohne fremde Hilfe benutzt werden, mit Halten ist ein sicherer Stand gewährleistet. Übliche Niveau-Unterschiede von 20-30cm können mit Halten überwunden werden.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab. Neben der Zitierung der rechtlichen Grundlagen wurde festgehalten, dass gemäß den dem Bescheid beiliegenden und einen Teil der Begründung bildenden Ergebnissen des ärztlichen Begutachtungsverfahrens die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.

In ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde führte die bP unter Beilage eines neurologischen Befundes des Ordensklinikum Linz Elisabethinen vom 16.06.2016 aus, dass sie eine Wegstrecke von 300 bis 400 Meter schon schaffe, sie aber aufgrund der Beeinträchtigungen der Hände und Finger kaum eine Geldtasche aus der Hosentasche bzw. Geld aus der Geldtasche ziehen könne. Abschließend verweist sie auf die Aussage der Sachverständigen "Herabstufung von 90% auf 80% wegen Beschwerdefreiheit der Colitis. Sonst bleibt alles unverändert zum Vorgutachten von 2016. Eine Besserung der Polyneuropathie dürfte aufgrund der weiterhin chemotherapeutischen Erhaltungsbehandlung [...] nicht mehr zu erwarten sein.

Der Aufforderung des Verwaltungsgerichts, einen aktuellen elektrodiagnostischen Befund vorzulegen, kam die bP nicht nach. Hierauf wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Neurologie eingeholt, in dem basierend auf der klinischen Untersuchung am 25.04.2018 im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Derzeitige Beschwerden:

Die bP berichtet, im Dezember 2015 sei bei ihm eine Leukämie diagnostiziert worden und er sei nachfolgend wochenlang an der Onkologie des Krankenhauses der Elisabethinen in Linz stationär betreut gewesen. Im Rahmen des stationären Aufenthaltes habe er insgesamt 50 Arsen-Chemotherapien erhalten. Gegen Ende dieser Therapien habe er eine Gefühllosigkeit in beiden Händen bekommen, vor allem in den Fingern, sowie in beiden Füßen, aufsteigend bis zu den Knöcheln, zeitweise auch zu den Waden. Außerdem habe er unter einer Gangunsicherheit gelitten, weil die Beine ganz kraftlos gewesen seien und sich zudem ganz taub angefühlt haben. Aus diesem Grund sei er nur mit Rollator unterwegs gewesen. Aufgrund dieser Beschwerden sei er neurologisch untersucht und als Beschwerdeursache eine Polyneuropathie festgestellt worden. Nach der Diagnosestellung habe man dann die letzte Chemotherapie ausgesetzt. Im Anschluss an seinen langen stationären Aufenthalt habe er noch eine Rehabilitation in Bad Tatzmannsdorf in Anspruch genommen. Im Rahmen der dort durchgeführten Therapiemaßnahmen sei es zu einer sukzessiven Besserung seiner Beschwerden gekommen. Zum Entlassungszeitpunkt sei er auf ebenem Boden wieder frei gehfähig gewesen. In unebenem Gelände sei er aber noch sehr unsicher gewesen und sei es heute noch. Auf holprigem Boden müsse er langsam gehen und hänge sich, wenn möglich, bei seiner Frau ein. Er leide nach wie vor unter Gefühlsstörungen in beiden Füßen, die sich auch ständig kalt anfühlen würden. In den Händen habe er ebenfalls ein Taubheitsgefühl, vor allem in den Fingern. Halte er beispielsweise einen Geldschein in der Hand, spüre er ihn nicht. In den Fingern sei auch das Temperaturempfinden gestört. Feinmotorische Tätigkeiten könne er mit den Händen kaum mehr verrichten, beispielsweise habe er große Schwierigkeiten, Knöpfe oder einen Reißverschluss zu schließen. Er habe auch groß Probleme, einen Fahrschein am Automaten zu lösen. Dafür brauche er eine Ewigkeit. Weiters zittere er seit fünf Jahren etwas mit den Händen, was die Probleme mit feinmotorischen Arbeiten noch verstärke.

Polyneuropathie im Bereich aller vier Extremitäten essentieller Tremor

Stellungnahme zu Gutachten 1. Instanz:

Nicht erwähnt ist im Gutachten die Sensibilitätsstörung im Bereich beider oberen Extremitäten (handschuhförmiges Taubheitsgefühl und Kribbeln, verbunden mit einer Feinmotorikstörung der Hände) sowie eine diskrete Standunsicherheit.

Der im Gutachten vorgenommenen Herabstufung von 90% auf 80% aufgrund einer Besserung der Colitis ulcerosa ist vollinhaltlich zuzustimmen.

Aufgrund der voll erhaltenen Kraftleistung an allen vier Extremitäten und einer freien Gehfähigkeit von 300 bis 400 Metern in ebenem Gelände ist der Proband in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Das Lösen des Fahrscheins ist trotz der vorliegenden Feinmotorikstörung der Hände möglich, dies allerdings mit einem etwas erhöhten Zeitaufwand.

Stellungnahme zu Beschwerdevorbringen sowie vorgelegten Befunden:

Die von der bP im Beschwerdevorbringen geschilderte Ungereimtheit betreffend der Notwendigkeit einer Begleitperson ist insoferne nicht richtig, da sich die im Sachverständigengutachten des Allgemeinmediziners vom 26.09.2016 dokumentierte Kraftminderung um 50% im Bereich der rechten oberen Extremität und 1/3 im Bereich der linken oberen Extremität im Gutachten der Allgmeinmedizinerin vom 26.09.2017 und im eigenen Gutachten nicht mehr nachweisen lässt. Die im Gutachten aus dem Jahr 2016 dokumentierte mäßige Vorfußheberschwäche beidseits ist im Gutachten aus dem Jahr 2017 nur mehr als diskrete Vorfußheberschwäche beidseits dokumentiert und im eigenen Gutachten bereits vollständig remittiert. Somit ist die Notwendigkeit einer Begleitperson nicht mehr gegeben.

Die bP leidet unter einer Polyneuropathie (Nervenschädigung) an allen vier Extremitäten nach erfolgter Chemotherapie aufgrund einer Promyelozytenleukämie im Jahr 2016.

Im aktuellen klinisch-neurologischen Untersuchungsbefund findet sich im Bereich der oberen Extremitäten eine handschuhförmige Gefühlsstörung (Taubheit und Kribbeln), verbunden mit einer Feinmotorikstörung. Im Bereich der unteren Extremitäten zeigt sich am rechten Bein ein Taubheitsgefühl am rechten Fuß aufsteigend bis zur Unterschenkelmitte, und am linken Fuß aufsteigend bis zur Grenze vom unteren zum mittleren Unterschenkeldrittel, verbunden mit einer diskreten Stand- und Gangunsicherheit. Die bP ist eine Wegstrecke von 300 bis 400 Meter in ebenem Gelände frei gehfähig. Motorische Defizite fehlen sowohl an den oberen wie auch unteren Extremitäten, sodass das Überwinden von Niveauunterschieden mit Anhalten problemlos möglich ist. Es besteht somit keine Unzumutbarkeit für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, eine Begleitperson ist nicht erforderlich.

Beantwortung der Fragen:

Welche Auswirkungen haben die festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere auch die Polyneuropathie, auf die Gehfähigkeit bzw. Gehleistung der bP? Kann eine Wegstrecke von 300 - 400 m zurückgelegt werden, ist hierbei die Verwendung eines Gehbehelfs erforderlich?

siehe oben;

Welche Auswirkungen haben die festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere auch die Polyneuropathie, auf die Fähigkeit der bP längere Zeit im öffentlichen Verkehrsmittel zu stehen, einen Sitzplatz einzunehmen und zu verlassen, höhere oder niedrigere Niveauunterschiede zu bewältigen, den sicheren Stand in öffentlichen Verkehrsmitteln unter Berücksichtigung transporttypischer Bewegungen sowie die Fähigkeit, sich an Griffen anzuhalten?

Die bP ist in der Lage, in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Verwendung der vorgesehenen Haltegriffe längere Zeit zu stehen. Das sichere Einnehmen und Verlassen eines Sitzplatzes ist aufgrund fehlender motorischer Defizite möglich, ebenso die Bewältigung niedriger wie auch höherer Niveauunterschiede und Benützung der vorgesehenen Haltegriffe.

Welche Auswirkungen hat die Polyneuropathie der Hände (It. Beschwerde eher feinmotorische Beschwerden) auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel?

Die bP ist trotz der bestehenden Feinmotorikstörung beider Hände in der Lage, einen Fahrschein zu lösen, wenngleich mit etwas erhöhtem Zeitaufwand. Für die Benützung der Haltegriffe ist die Feinmotorikstörung der Hände ohne Belang, da die Grobkraft an beiden oberen Extremitäten erhalten ist.

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden der bP sowie der belangten Behörde gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich hierzu zu äußern. Eine Stellungnahme langte nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die bP hat ihren Wohnsitz im Inland. Im Jahr 2016 wurde sie von einem Sachverständigen aus dem Bereich Allgemeinmedizin untersucht, welcher feststellte, dass die Zurücklegung einer kurzen Wegstrecke derzeit nicht möglich bzw. der sichere Stand erschwert ist; eine Nachuntersuchung in einem Jahr wurde vorgeschlagen. Die bP ist im Besitz eines Behindertenpasses.

Es liegen nunmehr folgende Funktionsbeeinträchtigungen vor:

Promyelocytäre Leukämie - chemotherap. Erhaltungsbehandlung; Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Vorhofflimmern; Colitis ulcerosa; Moderate chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD II), Schlafapnoesyndrom; Z.n. Ellbogen-OP li vor Jahren; Hüftbeschwerden links - Verdacht auf Hüftabnützung; Polyneuropathie im Bereich aller vier Extremitäten essentieller Tremor

Im Vergleich zum Sachverständigengutachten des Allgemeinmediziners vom 26.09.2016 liegt die dort dokumentierte Kraftminderung um 50% im Bereich der rechten oberen Extremität und um ein Drittel im Bereich der linken oberen Extremität nicht mehr vor. Die damals dokumentierte mäßige Vorfußheberschwäche ist vollständig remittiert.

Die bP leidet unter einer Polyneuropathie (Nervenschädigung) an allen vier Extremitäten nach erfolgter Chemotherapie aufgrund einer Promyelozytenleukämie im Jahr 2016. Im Bereich der oberen Extremitäten findet sich eine handschuhförmige Gefühlsstörung (Taubheit und Kribbeln) verbunden mit einer Feinmotorikstörung. Im Bereich der unteren Extremitäten zeigt sich am rechten Bein ein Taubheitsgefühl am rechten Fuß aufsteigend bis zur Unterschenkelmitte und am linken Fuß aufsteigend bis zur Grenze vom unteren zum mittleren Unterschenkeldrittel, verbunden mit einer diskreten Stand- und Gangunsicherheit.

Die bP ist eine Wegstrecke von 300 bis 400 Meter in ebenem Gelände frei gehfähig. Motorische Defizite fehlen sowohl an den oberen wie auch unteren Extremitäten, sodass das Überwinden von Niveauunterschieden mit Anhalten problemlos möglich ist. Eine Begleitperson ist nicht erforderlich. Sie ist in der Lage, in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Verwendung der vorgesehenen Haltegriffe längere Zeit zu stehen. Das sichere Einnehmen und Verlassen eines Sitzplatzes ist aufgrund fehlender motorischer Defizite möglich, ebenso die Bewältigung niedriger wie auch höherer Niveauunterschiede und die Benützung der vorgesehenen Haltegriffe. Trotz der bestehenden Feinmotorikstörung beider Hände ist die bP in der Lage, einen Fahrschein zu lösen, wenngleich mit etwas erhöhtem Zeitaufwand. Für die Benützung der Haltegriffe ist die Feinmotorikstörung der Hände ohne Belang, da die Grobkraft an beiden oberen Extremitäten erhalten ist.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde sowie des Gerichtsaktes.

Die Feststellungen basieren hinsichtlich der vorliegenden Polyneuropathie auf dem seitens des Verwaltungsgerichts eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Neurologie. Die Einschätzungen der Sachverständigen beruhen auf einer klinischen Untersuchung, sind ausführlich begründet, schlüssig und nachvollziehbar und weisen auch keine Widersprüche auf. Es wird auf die Art der Funktionsbeeinträchtigungen und deren Ausmaß eingegangen sowie insbesondere die Auswirkungen auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel beurteilt.

Die Sachverständige stellt schlüssig und nachvollziehbar dar, dass die bP aufgrund fehlender motorischer Defizite sowohl an den oberen wie auch unteren Extremitäten in der Lage ist, niedrige wie auch höhere Niveauunterschiede mit Anhalten zu bewältigen, Haltegriffe zu benützen sowie sich im Transportmittel fortzubewegen. Die vorliegenden Sensibilitätsstörungen erreichen kein solches Ausmaß, als dass eine kurze Wegstrecke nicht frei zurückgelegt werden könnte, was von der bP in ihrer Beschwerde auch bestätigt wird. Soweit die bP vorbringt, sie könne beispielsweise aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen kein Geld aus der Geldtasche ziehen, ist auf die Ausführungen der Sachverständigen zu verweisen, wonach die Feinmotorikstörung beider Hände das Lösen eines Fahrscheines nicht verhindere, hierfür allerdings mehr Zeit benötigt werde.

Die im Vergleich zum Jahr 2016 eingetretene Verbesserung im Gesundheitszustand wird von der Sachverständigen nachvollziehbar beschrieben und dadurch die in der Beschwerde monierte Ungereimtheit im Gutachten der Allgemeinmedizinerin aus dem Jahr 2017 aufgeklärt (vgl. Pkt. "Stellungnahme zu Beschwerdevorbringen [...]"). Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird auf die diesbezüglichen Ausführungen unter Pkt. I. Verfahrensgang verwiesen.

Die Feststellungen im Hinblick auf die übrigen Leiden basieren auf dem von der belangten Behörde eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Allgemeinmedizin aus dem Jahr 2017. Die Einschätzungen der Sachverständigen beruhen auf einer klinischen Untersuchung, sind diesbezüglich ausführlich begründet, schlüssig und nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf.

Die bP hatte ausreichend Gelegenheit die begründeten Darlegungen der Sachverständigen in geeigneter Weise, etwa mit einem von ihr selbst in Auftrag gegebenen Gutachten oder Beibringung eines aktuellen elektrodiagnostischen Befundes zu entkräften. Dies hat sie jedoch unterlassen. Die Vorbringen der bP waren nicht geeignet, die gutachterliche Beurteilung zu entkräften, auch weil sie nicht konkret und mit näherer Begründung die Unschlüssigkeit des Gutachtens darlegte (vgl. VwGH vom 05.10.2016, Ro 2014/06/0044).

Da das eingeholte Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Neurologie auch mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch steht, wird es in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG). Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG).

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen (§ 47 BBG).

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes [...]

2. die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes [...]

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservices. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)

Die bP kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen und ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zu Fuß aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ebenso gegeben wie das Überwinden üblicher Niveauunterschiede und die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel. Es liegen bei ihr weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der oberen oder unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden.

Die Auswirkungen der bestehenden Funktionseinschränkungen bedingen daher gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs nicht die Unzumutbarkeit, zumal die Erreichung des mit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels angestrebten Ziels gewährleistet ist.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen. Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Absehen von einer mündlichen Verhandlung

Maßgebend für die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Wie unter Punkt II. 2. ausgeführt, wurde das hierzu eingeholte Gutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Auch wurden im Rahmen des gewährten Parteiengehörs keinerlei Einwendungen erhoben. Dies lässt die Einschätzung zu, dass von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten ist. Da dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen, wurde gemäß § 24 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L501.2179527.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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