Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des H in O, vertreten durch Dr. Walter Brandt und Dr. Karl Wagner, Rechtsanwälte in 4780 Schärding, Oberer Stadtplatz 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 15. März 1994, Zl. SV(SanR)-2033/2-1994-Ho/Ha (in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 24. Juni 1994, Zl. SV(SanR)-2033/3-1994-Ho/Ha), betreffend Feststellung nach § 2 Abs. 1 des Behinderteneinstellungsgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Landesinvalidenamtes für Oberösterreich vom 9. Jänner 1990 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 26. Juli 1989 dem Kreis der begünstigten Behinderten im Sinne der §§ 2 und 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinStG) angehört. Der Grad der Behinderung wurde auf Grund der festgestellten Gesundheitsschädigungen mit 70 v.H. eingeschätzt, wobei dieser Einschätzung u.a. Oberschenkelbrüche mit liegendem Marknagel zu Grunde lagen und der Sachverständige eine Nachuntersuchung mit endgültiger Einschätzung nach Entfernung der Marknägel angeregt hatte.
Nach einem von Amts wegen durch das Landesinvalidenamt durchgeführten medizinischen Beweisverfahren wurde mit Bescheid vom 12. Mai 1993 festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung dieses Bescheides folge, nicht mehr zum Kreis der begünstigen Behinderten gehöre, da sein Grad der Behinderung nur 40 v.H. betrage und daher nicht das im § 2 Abs. 1 BEinstG vorausgesetzte Mindestmaß (50 v.H.) erreiche.
Dieser Entscheidung legte das Landesinvalidenamt das Ergebnis eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 4. Dezember 1992 zu Grunde. Dabei wurden folgende Gesundheitsschädigungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 20 v.H., die auch im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsschädigungen keie wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursachten, gemäß § 3 BEinstG bei der Einschätzung nicht berücksichtigt:
"Lfd. Art der Gesundheits- Position in den Grad der
Nr. schädigung in den Richtsätzen Behinderung
01 Oberschenkelbruch nach
Entfernung des Marknagels
bds. knöchern geheilt ohne
Beinlängenverkürzung bei freier
Funktion der angrenzenden Gelenke 111 10 v.H.
Rahmensatz 0 - 20 v.H.: mittlerer Wert,
da noch Schmerzen im Bereich der
Nagelentfernungsstelle am re. Oberschenkel
gegeben sind, sonst liegt eine freie
Funktion ohne Beinverkürzung vor.
02 Außenknöchelbruch rechts mit Riss des
Ligamentum deltoideum 133 10 v.H.
Rahmensatz: 0 - 20 v.H.: mittlerer Wert,
entsprechend der Funktionsbehinderung.
03 Traumatischer Milzverlust 416 10 v.H.
04 Narben am re. Unterschenkel, am li.
Außenknöchel und an beiden
Oberschenkeln 702 0 v.H.
05 Geheilte Blasenverletzung 248 0 v.H.
Rahmensatz: 0 - 20 v.H.: unterer Wert,
da folgenlos abgeheilt."
Folgende Gesundheitsschädigungen wurden für die Gesamteinschätzung des Grades der Behinderung berücksichtigt:
Lfd. Art der Gesundheits- Positionen Grad der
Nr. Schädigung Richtsätzen Behinderung
01 Traumatischer
Nierenverlust 241 30 v.H.
02 Narbenbruch im Bereich
des Oberbauches gut
reponierbar 222 20 v.H."
Die im Zusammenwirken der angeführten Gesundheitsschädigung verursachte Funktionsbeeinträchtigung betrage 40 v.H., weil nach Auffassung des ärztlichen Sachverständigen der führende Wert Position 01 durch den Wert der Position 02 um eine Stufe gesteigert wurde.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, worin er im Wesentlichen vorbrachte, die infolge seines Arbeitsunfalles bestehenden Leidenszustände, insbesondere seine Beschwerden in den Beinen, seien offensichtlich nicht entsprechend berücksichtigt worden. Durch den Oberschenkelbruch links und rechts, den Außenknöchelbruch rechts und den Bänderriss im rechten Knie bestünden gravierende Funktionseinschränkungen mit starken Schmerzen und Wetterfühligkeit. Arbeiten sowie Gehen und Stehen seien nicht mehr möglich; der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sei stark eingeschränkt. Außerdem habe er seit dem Unfall noch andere Beschwerden, wie Nierenverlust links, Milzverlust und Narbenbruch im Bereich des Oberbauches.
Auf Grund des Berufungsvorbringens wurde ein weiteres ärztliches Sachverständigengutachten vom 3. Februar 1994 eingeholt. Dieses kam zu folgender "Beurteilung nach § 14 Abs. 2 BEinstG in Verbindung mit § 7 KOVG":
"Lfd.Nr. Bezeichnung der festgestellten
(tatsächlich bestehenden) POS.NR. GdB
nicht nur vorübergehenden der
(Zeitraum von mehr als der Richts.
voraussichtlich 6 Monaten)
Gesundheitsschädigungen in
Anlehnung an die Ausdrucksweise
der Richtsätze
01 Oberschenkelbruch nach Entfernung d.
Marknagels bs. knöchern geheilt mit
Beinlängendifferenz von ca. 1 cm bei
freier Funktion der angrenzenden Gelenke.
(Bewegungseinschränkung infolge der
Fettleibigkeit)
(0-20) 111 10
02 Außenknöchelbruch rechts mit Riss des
Innenknöchelseitenbandes (0-20) 113x) 10
03 Unfallbedingter Milzverlust 416 10
04 Unfallbedingter Nierenverlust 241 30
05 Narben am rechten Unterschenkel, am linken
Außenknöchel und an beiden Oberschenkeln 702 0
06 Geheilte Blasenverletzung (0-20) 48 0
07 Narbenbruch im Bereiche des Oberbauches
gut reponierbar (0-20) 222 20
GESAMTGRAD DER BEHINDERUNG 40
....
Nach Vergleich mit dem Vorgutachten Drs. Prim. Dr. Helmut C.
vom 04.12.1992 stimme ich dem Gutachten vollinhaltlich bei."
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge
gegeben und der Bescheid des Landesinvalidenamtes bestätigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit
des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Mit Bescheid vom 24. Juni 1994 berichtigte die belangte
Behörde den angefochtenen Bescheid dahingehend, dass der in der
Begründung angeführte Wert
___________________________
x) (richtig: 133)
des Sachverständigengutachtens vom 3. Februar 1994 unter der Position 04 (unfallbedingter Nierenverlust) nicht "0 %", sondern "30 %" zu lauten habe. Dabei handle es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, da der im zitierten ärztlichen Sachverständigengutachten unter der Position 241 angegebene Wert ausdrücklich "30 %" laute.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 BEinstG sind begünstige Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H.
Nach § 3 Abs. 2 BEinstG sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Die belangte Behörde hatte damit auch die zu § 7 Abs. 2 KOVG erlassene Richtsatzverordnung, BGBl. Nr. 150/1965, anzuwenden.
Treffen mehrere Leiden zusammen, so ist nach § 3 der erwähnten Verordnung von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht, und zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand "zufolge des Zusammenwirkens" aller zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung (gegenüber der bloß des "führenden" Leidens) rechtfertigt (vgl. z. B. das Erkenntnis vom 24. Juni 1997, Zl. 95/08/0072).
Die Gesamtbeurteilung zweier oder mehrerer Leidenszustände hat nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Wege einer bloßen Addition, sondern nach den Grundsätzen des § 3 der Richtsatzverordnung zum KOVG zu erfolgen; sie unterliegt der fachlichen Beurteilung des ärztlichen Sachverständigen, der sie ausreichend zu begründen hat. Die Gesamteinschätzung vollzieht die Verwaltungsbehörde unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis, den sie im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung zu beurteilen hat (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 19. November 1997, Zlen. 95/09/0232, 0233, mit Hinweis auf Vorjudikatur).
Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage kommt daher dem in der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobenen Vorwurf keine Berechtigung zu, die belangte Behörde hätte bei Berücksichtigung der unter den Zlen. 01, 02, 03 und 07 angeführten Gesundheitsschädigungen bereits von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Höhe von 50 % ausgehen müssen. Der vom Beschwerdeführer behauptete offensichtliche "Additionsfehler" liegt daher nicht vor.
Auch die Behauptung, die Bewertung des unfallbedingten Nierenverlustes mit 0 % gehe offensichtlich auf einen gravierenden Fehler zurück, führt die Beschwerde nicht zum Erfolg, da dieser Wert mit dem bereits erwähnten Berichtigungsbescheid vom 24. Juni 1994 richtiggestellt worden ist. Die Berichtigung eines Bescheides gemäß § 62 Abs. 4 AVG kann auch noch während eines Verfahrens, das auf Grund einer gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, vorgenommen werden (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 62 AVG wiedergegebene Rechtsprechung, E 233 ff).
Was schließlich das Beschwerdevorbringen anlangt, die etwa zehnminütige Untersuchung des Beschwerdeführers durch den ärztlichen Sachverständigen sei oberflächlich und nicht geeignet gewesen, seine tatsächlichen Beschwerden einigermaßen aufzuzeigen, so ist darauf zu erwidern, dass der Hinweis auf die Untersuchungsdauer allein die Verlässlichkeit des ärztlichen Sachverständigengutachtens nicht zu erschüttern vermag. Der ärztliche Sachverständige hat sich in seinem Gutachten vom 3. Februar 1994 auf das Vorgutachten vom 4. Dezember 1992 berufen und diesem vollinhaltlich zugestimmt; im Vorgutachten wurde begründend dargelegt, dass die führende Minderung der Erwerbsfähigkeit unter Punkt 01 durch die unter Punkt 02 erwähnte Minderung um eine Stufe gesteigert wird. Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, ein "wesentlicher Unterschied" zwischen den beiden Gutachten müsse sich schon "alleine daraus" ergeben, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr mit 70 % angenommen werde, so beruht dies auf einer Verwechslung des Gutachtens von 1992 mit demjenigen, welches dem Bescheid von 1990 zu Grunde lag.
Auf Grund dieser Erwägungen hat die belangte Behörde daher zu Recht die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Kreis der begünstigten Behinderten verneint.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 1. Juni 1999
Schlagworte
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Gutachten Parteiengehör Parteieneinwendungen Gutachten rechtliche Beurteilung Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1994080088.X00Im RIS seit
27.03.2001