TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/25 W210 2207425-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2018
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Entscheidungsdatum

25.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1a

Spruch

W210 2207425-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2018, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 12.09.2015 unter Umgehung der Einreisebestimmungen mit seiner damaligen Ehefrau und den gemeinsamen minderjährigen Kindern in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 13.09.2018 wurde der Beschwerdeführer vor der PI XXXX zu diesem Antrag befragt. Dabei gab er an, dass seine Ehefrau von deren Cousin umworben worden sei, diese hätte kein Interesse gehabt und stattdessen den Beschwerdeführer geheiratet. Der Cousin wäre in seinem Stolz gekränkt gewesen und hätte dem Beschwerdeführer und dessen Frau Probleme gemacht. Bei einer Heimfahrt von einem Einkauf etwa ein Jahr vor der Ankunft der Familie in Österreich seien der Beschwerdeführer und seine Frau von besagtem Cousin und drei weiteren Personen angehalten worden. Der Beschwerdeführer sei niedergeschlagen worden, mit dem Messer am linken Zeigefinger verletzt und gefesselt worden. Seine Ehefrau wäre vergewaltigt worden. Ab diesem Zeitpunkt wäre die Familie laufend bedroht worden. Auch der Versuch über ein Gericht eine Regelung zu finden wäre gescheitert, da der Cousin der Frau finanzielle Möglichkeiten gehabt hätte, alles zu regeln. Die Familie hätte nicht mehr weiter gewusst und sich im Interesse der Kinder zur Flucht entschlossen.

3. Am 21.03.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen Verdachts der gefährlichen Drohung, der Körperverletzung sowie der fortgesetzten Gewaltausübung festgenommen und in weiterer Folge am 22.03.2016 in die Justizanstalt XXXX verbracht. Zudem sprachen die einschreitenden Beamten dem Beschwerdeführer ein Betretungsverbot gemäß § 38 SPG aufgrund von Gewalt gegen Familienmitglieder aus.

4. Der Beschwerdeführer wurde am 22.03.2016 aus der Grundversorgung entlassen, wobei dies mit seiner Festnahme begründet wurde.

5. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX , GZ XXXX vom 11.04.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung gemäß § 107b Abs. 1 und 2 StGB, mehrerer Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt. Im Anschluss an die Gerichtsverhandlung wurde der Beschwerdeführer am 11.04.2016 aus der Justizanstalt XXXX entlassen.

6. Mit Beschluss des BG XXXX vom 13.04.2016, XXXX wurde eine einstweilige Verfügung gemäß §§ 382b und e EO erlassen und dem Beschwerdeführer einerseits die Rückkehr in eine näher bezeichnete Liegenschaft, dem Wohnsitz der Familie, sowie der Aufenthalt an der Volksschule XXXX sowie einem Kindergarten in XXXX sowie die Kontaktaufnahme mit seiner Familie verboten.

7. Am 05.09.2016 wurde gegen den in Afghanistan aufhältigen Bruder des Beschwerdeführers XXXX , wegen Verdachts auf schwere Nötigung zum Nachteil der damaligen Ehefrau des Beschwerdeführers, bei der PI

XXXX Anzeige erstattet.

8. Am 13.09.2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag für unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe, den er am 15.09.2018 widerrief.

9. Der Beschwerdeführer wurde am 29.09.2016 aus der Grundversorgung entlassen, wobei dies mit seinem unbekannten Aufenthalt begründet wurde.

10. Gemäß der Meldung der PI XXXX vom 09.06.2017 wurde gegen den Beschwerdeführer am 08.06.2017 abermals eine Wegweisung und ein Betretungsverbot bezüglich Gewalt in Wohnungen gemäß § 38 a SPG ausgesprochen.

11. Am 20.06.2017 erhielt die belangte Behörde durch die BH Freistadt GZ XXXX das schriftliche Betretungsverbot und anhängigen Bericht der PI XXXX .

12. Am 01.07.2017 wurde der Beschwerdeführer von Beamten des LKA OÖ wegen Verdacht nach §§ 15, 75 StGB festgenommen und in weiterer Folge am 03.07.2017 in die Justizanstalt Linz verbracht.

13. Am 03.07.2017 ging die Berichterstattung des LKA XXXX GZ XXXX bezüglich versuchten Mordes an der damaligen Ehefrau des Beschwerdeführers an die belangte Behörde ein.

14. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 13 Abs. 2 AsylG vom 06.07.2017 wurde der Beschwerdeführer am 12.07.2017 über den Verlust seines legalen Aufenthaltsrechtes nachweislich in Kenntnis gesetzt.

15. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 25.07.2017, GZ XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 und 2 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 8 Monate bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Dieses Urteil erwuchs mit 29.07.2017 in Rechtskraft.

16. Am 30.04.2018 wurde der Beschwerdeführer durch ein Organ des BFA Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle XXXX in der JA XXXX , niederschriftlich zu seinen Fluchtgründen, Rückkehrbefürchtungen und dem Verhältnis zu seiner damaligen Ehefrau sowie seinen Kindern einvernommen.

17. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 17.01.2018, GZ XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs gemäß § 109 Abs. 1 und 3 Z 1 StGB, wegen des Verbrechens der schweren Nötigung gemäß §§ 105 Abs. 1 und 106 Abs. 1 Z 1 StGB, wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 2 StGB, wegen des Verbrechens des versuchten Mordes gemäß §§ 15 Abs. 1 und 75 StGB, wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 2 StGB und wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 1. und 5. Fall StGB zu einer Zusatzstrafe in Form einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt.

18. Der Beschwerdeführer ist seit 08.02.2018 rechtskräftig von seiner damaligen Ehefrau XXXX geschieden.

19. Mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 17.07.2018, GZ XXXX , wurde der Berufung des Beschwerdeführers wegen Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts XXXX vom 17.01.2018, GZ XXXX , nicht Folge gegeben.

20. Der Beschwerdeführer verbüßt seit 29.09.2018 in der Justizanstalt XXXX seine Haftstrafe.

21. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid, dem Beschwerdeführer am 11.09.2018 zugestellt, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III). Weiter wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Der Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI.) und festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.). Es wurde ein auf die Dauer unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Zuletzt wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11.04.2016 verloren habe (Spruchpunkt IX.).

In der Begründung des Bescheids führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer keine Umstände hervorgebracht habe, die eine ihn persönlich betreffende Verfolgung erkennen ließen. Die von ihm vorgebrachten Fluchtgründe beziehen sich lediglich auf die Situation seiner geschiedenen Ehefrau. Es ließe sich weder aus seinem Vorbringen noch aus dem Amtswissen ableiten, dass er in Afghanistan aufgrund der Situation seiner geschiedenen Ehefrau oder der Tatsache, dass er als geschiedener Mann ohne seine Töchter zurückkehren würde, der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt sei. Auch aus dem sonstigen Vorbringen hätte keine Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Nationalität, Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen oder der politischen Gesinnung erkannt werden können. Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde unter Zugrundelegung von Länderberichten mit Stand 29.06.2018, Kurzinformation eingefügt am 22.08.2019, aus, dass die Sicherheitslage in Balkh als vergleichsweise gut eingestuft werde. Mazar-e Sharif sei über den Flughafen sicher erreichbar. Aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan, der gewährleisteten Grundversorgung in Mazar-e Sharif und dem Umstand, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung handele, sei davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würde. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA aus, dass der Beschwerdeführer seit 08.02.2018 rechtmäßig von seiner Ehefrau geschieden sei. Seiner geschiedenen Ehefrau obliege im Sinne des Kindeswohls die alleinige Obsorge für die vier gemeinsamen Kinder. Es liege somit kein im Sinne von Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich vor. Weiters wurde auch das Privatleben des Beschwerdeführers ermittelt. Die belangte Behörde führte sodann eine Abwägung zwischen den bestehenden öffentlichen Interessen und jenen des Beschwerdeführers durch und kam dabei zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z. 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig. Da der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, weswegen auch keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe. Das Einreiseverbot begründete die belangte Behörde damit, dass der Beschwerdeführer dreimal rechtskräftig verurteilt wurde, zuletzt vom Landesgerichts Linz zu einer Zusatzstrafe von 12 Jahren Freiheitsstrafe wegen Gewaltdelikten gegen seine geschiedene Ehefrau und gegen seine minderjährigen Kinder. Die Schwere und die mangelnde Einsicht seines Fehlverhaltens sowie seine unter Beweis gestellte Gewaltbereitschaft indiziere gemäß § 53 Abs. 3 FPG das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Nach Erstellung einer Gefährdungs- und Zukunftsprognose sei das Verhängen eines unbefristeten Einreiseverbotes als verhältnismäßig und angemessen zu werten. Aufgrund seiner Verurteilung vom Landesgericht XXXX vom 11.04.2016 wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichts fällt, wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig verurteilt, weshalb ihm das Aufenthaltsrecht zu entziehen war.

22. Mit Verfahrensanordnung vom 10.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer für ein allfälliges Beschwerdeverfahren amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

23. Mit Schreiben vom 03.10.2018 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter, eine vollinhaltliche Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid. Der Beschwerdeführer werde bei einer Rückkehr nach Afghanistan ohne seine Familie verfolgt, da dies gegen seine Pflichten als Ehemann und Vater verstoße. Er werde in Afghanistan wegen Zuwiderhandelns gegen religiöse und politische Normen verfolgt. Die afghanische Justiz werde als korrupt und gefährlich wahrgenommen und es sei nicht sichergestellt, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Verbrechen gegen seine Ehefrau und seine Kinder in Afghanistan entgegen des Doppelbestrafungsverbots verurteilt werde, in Haft oder im Rahmen von Privatjustiz Folter und unmenschliche Behandlung erleide. Auf Grund der Dürre sei die Versorgung des Beschwerdeführers mit Lebensmitteln in Afghanistan nicht sichergestellt, weshalb dem Beschwerdeführer unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung durch mangelnde Nahrung und im Falle der Auffindung durch seine Familie auch eine Verletzung seines Rechts auf Leben drohe. Der Beschwerdeführer stelle keine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, da sich die Straftaten, für die er verurteilt worden sei, ausschließlich gegen seine Familienmitglieder richteten und eine derartige Gefahr dadurch, dass er inzwischen von seiner Ehefrau geschieden sei, welche auch das Obsorgerecht für die gemeinsamen Kinder habe und von seiner Familie getrennt lebe, nicht mehr gegeben sei. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer durch die Haftstrafe sich nach Entlassung anders verhält, da das erleiden des Haftübels ihn von derartigen Taten abschrecken werde und auch durch die Betreuung in Haft auf einen Sinneswandel hingewirkt werde.

Der Beschwerde war eine Vollmachterteilung an den ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH beigefügt.

24. Am 11.10.2018 langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den Beschwerdeführer; insbesondere in die Befragungsprotokolle, in die durch das BFA in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die einliegenden Meldungen, Abschlussberichte und Anzeigen der Landespolizeidirektion sowie in die Urteilsausfertigungen des Landesgerichtes XXXX und XXXX .

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Fluchtvorbringen und seinem Privat- und Familienleben in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, schiitischer Moslem und der Volksgruppe der Hazara angehörig. Er ist volljährig, geschieden und Vater von vier minderjährigen Kindern. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer spricht Dari als Muttersprache.

Der Beschwerdeführer ist in Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh geboren und aufgewachsen. Er hat dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gemeinsam mit seiner Familie gelebt.

Der Beschwerdeführer verfügt über Angehörige in Afghanistan. Sein Bruder lebt in Mazar-e Sharif.

Der Beschwerdeführer hat drei Jahre lang eine Schule besucht. Er ist arbeitsfähig und verfügt über mehrjährige Berufserfahrung als LKW-Fahrer.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Er nimmt keine Medikamente und befindet sich nicht in ärztlicher Behandlung.

Der Beschwerdeführer hatte weder durch seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch durch jene zur schiitischen Glaubensrichtung Probleme in Afghanistan.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt war oder einer solchen im Falle seiner Rückkehr ausgesetzt wäre.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass er im Heimatland Probleme mit den Behörden gehabt hat.

Der Beschwerdeführer reiste im September 2015 gemeinsam mit seiner geschiedenen Ehefrau und seinen vier minderjährigen Töchtern unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein und stellte am 12.09.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer verbüßt seit 29.09.2018 eine zwölfjährige Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX . Er wurde am 08.02.2018 rechtskräftig von seiner Ehefrau geschieden. Diese hat das alleinige Sorgerecht über ihre vier gemeinsamen minderjährigen Töchter. Seinen Töchtern wurde im Familienverfahren mit ihrer Mutter in Österreich der Status von Asylberechtigten zugerkannt. Er hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich und hat keinen Kontakt zu seinen Töchtern.

Der Beschwerdeführer zeigte während seines Aufenthaltes keine nennenswerten integrativen Bemühungen. Er hat laut eigenen Aussagen in Österreich Deutschkurse besucht, konnte jedoch keine Nachweise darüber vorlegen. Er hat in Österreich gegen Entgelt Arbeiten für die Gemeinde verrichtet. Der Beschwerdeführer war in Österreich nicht berufstätig und er war auch nicht Mitglied in einem Verein. Er pflegt in der Haft keine sozialen Kontakte zu Österreichern.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich dreimal rechtskräftig verurteilt:

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX , GZ XXXX vom 11.04.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung gemäß § 107b Abs. 1 und 2 StGB, mehrerer Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt. Der Beschwerdeführer wurde für schuldig befunden im Zeitraum zwischen dem 12.09.2015 bis zu seiner Festnahme am 21.03.2016 in zahlreichen Angriffen gegen seine geschiedene Ehefrau und gegen seine beiden ältesten Töchter durch fortlaufende körperliche Misshandlungen, Körperverletzungen und gefährliche Drohungen fortgesetzt Gewalt ausgeübt zu haben. Er hat seine geschiedene Ehefrau wiederholt gewürgt, mehrmalig mit der Faust ins Gesicht geschlagen, mit Gegenständen geschlagen und mehrmalig mit dem Tod bedroht und seine beiden ältesten Töchter mehrfach mit Schlägen zum Lernen genötigt und seine zweitälteste Tochter durch einen Schlag mit einer Teekanne am Körper verletzt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 25.07.2017, GZ XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 und 2 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 8 Monate bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Er wurde für schuldig befunden seine geschiedene Ehefrau mit dem Tode gefährlich bedroht zu haben, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Der Beschwerdeführer ist dabei im Zuge eines Streits mit einem Küchenmesser auf die nunmehr geschiedene Ehefrau losgegangen. Außerdem hat er sie am darauffolgenden Tag telefonisch mit den Worten: "Heute am Abend oder morgen am Abend komme ich zu dir und werde dich mit Benzin anzünden!", bedroht.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 17.01.2018, GZ XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs gemäß § 109 Abs. 1 und 3 Z 1 StGB, wegen des Verbrechens der schweren Nötigung gemäß §§ 105 Abs. 1 und 106 Abs. 1 Z 1 StGB, wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 2 StGB, wegen des Verbrechens des versuchten Mordes gemäß §§ 15 Abs. 1 und 75 StGB, wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 2 StGB und wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2

1. und 5. Fall StGB zu einer Zusatzstrafe in Form einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Der Beschwerdeführer hat den Eintritt in die Wohnstätte seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen vier Kinder mit Gewalt erzwungen, indem er die versperrte Wohnungstür der Asylunterkunft aufstieß, wobei er beabsichtigte gegen seine geschiedene Ehefrau Gewalt zu üben.

Weiters hat er seine älteste Tochter mit den Worten: "Wenn du nicht leise bist, werde ich dich auch gleich wie deine Mutter töten!", wobei er sie dabei mit einer Hand fest am Hals gepackt hat, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod und mit Gewalt, zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme zu schreien und die Mutter zu warnen, genötigt. Er hat seine älteste Tochter durch das feste Packen am Hals vorsätzlich am Körper misshandelt und dadurch in Form von Hämatomen an der rechten Halsseite fahrlässig verletzt. Ferner hat er versucht seine geschiedene Ehefrau zu töten, indem er mit dem mitgeführten ca. 32 cm langen Küchenmesser mehrmals auf ihren Kopf einstach, wodurch sie eine stark blutende, ca. 7-8 cm lange und ca. 1 cm klaffende Schnittwunde im rechten Schläfenbereich und eine ca. 3 cm lange Schnittwunde im linken Scheitelbereich sowie eine Schnittwunde beugeseitig am Endglied des rechten Mittelfingers erlitt. Darüber hinaus hat er seine geschiedene Ehefrau dadurch, dass er ihr mit einer Hand den Mund zugehalten hat, sie mit der anderen Hand im Nacken gepackt hat, sie aus dem Wohnzimmer in das Kinderzimmer gezerrt und dort zu Boden gestoßen hat, sohin mit Gewalt, zu einer Unterlassung und Duldung, nämlich der Abstandnahme um Hilfe zu schreien und zum Verbringen in das Nebenzimmer, genötigt. Zudem hat er seine geschiedene Ehefrau vorsätzlich am Körper misshandelt, indem er ihr mit einer Hand den Mund zugehalten hat, sie mit der anderen Hand im Nacken gepackt habe, sie aus dem Wohnzimmer in das Kinderzimmer gezerrt und dort zu Boden gestoßen hat, wodurch sie in Form einer Halswirbelsäurezerrung fahrlässig verletzt worden ist. Zuletzt hat er seine geschiedene Ehefrau durch die Androhung, alles niederbrennen und alle umzubringen, wobei er dabei den Schraubverschluss des Benzinkanisters geöffnet hat, mit dem Tod und einer Brandstiftung gefährlich bedroht, um sie dadurch in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom 17.07.2018, XXXX , wurde die dagegen erhobene Berufung abgewiesen, lediglich im Hinblick auf den Widerruf hinsichtlich der im Urteil des Landesgerichts XXXX , GZ XXXX , gewährten bedingten Strafnachsicht wurde der Berufung Folge gegeben.

II.1.2. Zur Lage in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, aktualisiert am 22.08.2018):

1.2.1. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

1.2.2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

• Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

• Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

• Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

• Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

• Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

• Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

• In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

• Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

• Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

• Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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