Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §1324;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse in 8011 Graz, vertreten durch Dr. Helmut Destaller u.a., Rechtsanwälte in 8010 Graz, Grazbachgasse 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 3. März 1994, Zl. 5-226 Ne 85/7 - 93, betreffend Erstattungsbetrag gemäß § 8 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (mitbeteiligte Partei: N GmbH in G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 8. Februar 1993 sprach die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse unter Berufung auf die §§ 2 Abs. 1, 8 und 12 Abs. 1 Z. 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) sowie § 367 ASVG gegenüber der mitbeteiligten Partei aus, dass für (deren Arbeitnehmer) Franz K. anlässlich seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (Unglücksfall) vom 16. Juni bis 14. Juli 1991 kein Anspruch auf Erstattung im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes bestehe.
Nach der Begründung habe sich Franz K. in dem im Spruch genannten Zeitraum arbeitsunfähig im Krankenstand befunden. Laut dem Erhebungsbericht des Gendarmeriepostens K. vom 3. Juli 1991 sei Franz K. am 16. Juni 1991 gegen 21.15 Uhr als Beifahrer im Auto seines Bruders Gottfried K., welcher stark alkoholisiert gewesen sei, in der Steiermark von Oberdorf in Richtung Erbersdorf mitgefahren. Gottfried K. sei von der Landesstraße 246 - vermutlich ohne anzuhalten - in die Landesstraße 201 eingefahren und dort mit einem anderen Personenkraftwagen zusammen gestoßen. Franz K. habe sich einem alkoholisierten Lenker anvertraut und anlässlich dieses Verkehrsunfalles schwere Verletzungen davongetragen, die zur erwähnten Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Dieses Verhalten sei als grobe Fahrlässigkeit zu werten. Nach § 2 Abs. 1 EFZG behalte nur ein Arbeitnehmer, der durch Krankheit (Unglücksfall) an der Leistung seiner Arbeit verhindert sei, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbei geführt habe, bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen seinen Anspruch auf Entgelt. Im Beschwerdefall bestünde daher kein Anspruch der mitbeteiligten Partei auf Erstattung des an Franz K. gezahlten Entgelts.
Die mitbeteiligte Partei erhob Einspruch. Sie brachte im Wesentlichen vor, Franz K. sei nach dem Erhebungsbericht der Gendarmerie mindestens ebenso alkoholisiert gewesen wie sein Bruder, bei welchem eine Bluthalkoholkonzentration von 2,4 %o festgestellt worden sei. Franz K. habe überdies angegeben, sich auf Grund seiner starken Alkoholisierung weder an den Unfallshergang noch an den Unfallsort erinnern zu können. Nach den Angaben von Gottfried K. habe dieser das Kraftfahrzeug gelenkt, da sein Bruder mehr getrunken habe als er. Nach Auffassung der mitbeteiligten Partei müsse daher im Beschwerdefall davon ausgegangen werden, dass Franz K. auf Grund seiner eigenen starken Alkoholisierung nicht mehr in der Lage gewesen sei, die möglichen Folgen seines Verhaltens ausreichend wahrzunehmen. Das Mitfahren mit seinem betrunkenen Bruder könne daher für sich allein genommen nicht als grobe Fahrlässigkeit bewertet werden. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erscheine auch nicht ausreichend festgestellt, insbesondere im Hinblick darauf, ob Franz K. nach der Sachlage ein Vorwurf daraus gemacht werden könne, dass er sich durch den Alkoholgenuss in einen Zustand versetzt habe, in dem er in dem Zeitpunkt, als er sich seinem Bruder zur Fahrt anvertraut habe, dessen Fahrtüchtigkeit nicht mehr habe beurteilen können.
Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse legte den Einspruch der belangten Behörde zur Entscheidung vor, wobei sie die Auffassung vertrat, das Mitfahren mit einem erheblich alkoholisierten PKW-Lenker stelle ein Mitverschulden im Sinne grober Fahrlässigkeit dar.
Die mitbeteiligte Partei erstattete dazu eine Stellungnahme. Sie verwies auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (Urteil vom 9. Juni 1983, ZVR 1984/233), wonach dem Geschädigten, der sich durch Alkoholgenuss in einen Zustand versetzte, in dem er im Zeitpunkt, zu dem er sich dem Lenker zur Fahrt anvertraute, dessen Fahrtüchtigkeit nicht mehr habe beurteilen können, nur unter bestimmten Umständen ein Mitverschulden treffe. Ein entsprechender Schluss könne auf Grund des bisher festgestellten Sachverhaltes allerdings nicht eindeutig gezogen werden.
In einer weiteren Äußerung zur Stellungnahme der mitbeteiligten Partei vertrat die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse die Auffassung, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Trunkenheit von Franz K. ein dessen Zurechnungsfähigkeit ausschließendes Ausmaß erreicht habe. Nach den Erhebungsergebnissen des Gendarmeriepostens sei die von den Brüdern konsumierte Alkoholmenge in etwa gleich groß gewesen, wobei zwar der Unfallslenker etwas weniger alkoholisiert gewesen sei als Franz K., die Unterschiede seien dennoch keineswegs auffallend gewesen.
Die belangte Behörde holte daraufhin eine Stellungnahme der Handelskammer Steiermark ein. Diese vertrat im Wesentlichen die Ansicht, die vorliegenden Ermittlungen und die sich aus den Protokollen ergebenden Feststellungen seien nicht ausreichend für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit des Franz K. Sie verwies ferner auf § 9 EFZG, wonach der Krankenversicherungsträger (nur) zu Unrecht geleistete Erstattungsbeträge vom Arbeitgeber zurück zu fordern habe. Der Krankenversicherungsträger könne allerdings bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auf die Rückforderung ganz oder teilweise verzichten. Auf Grund der Besonderheiten des vorliegenden Sachverhaltes sei von einem mangelnden Unrechtsbewusstsein der mitbeteiligten Partei auszugehen, wobei im Hinblick auf die Besonderheiten des Sachverhaltes wohl "berücksichtigungswürdige Umstände" im Sinne der genannten Gesetzesstelle vorlägen.
Schließlich ersuchte die belangte Behörde auch die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark um die Erstattung einer Stellungnahme. Nach dieser deute die festgestellte Tatsache, dass Franz K. als Beifahrer ebenfalls eine beträchtliche Menge Alkohol zu sich genommen habe, darauf hin, dass er zum Zeitpunkt, als er in den PKW seines Bruders eingestiegen sei, die Vorgänge rund um seine Person nicht mehr habe genau wahrnehmen können und für ihn der spätere, durch den Unfall bedingte Schadenseintritt nicht vorhersehbar gewesen sei. Sein Verhalten stelle zwar objektiv einen schweren Sorgfaltsverstoß dar, die subjektive Vorwerfbarkeit sei jedoch zu bezweifeln, da ihm der bloße Alkoholkonsum nicht vorgeworfen werden könne.
In einer abschließenden Stellungnahme vertrat die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse die Auffassung, der bei Gottfried K. festgestellte Blutalkoholgehalt von 2,4 %0 sei zweifellos geeignet gewesen, seine Fahrtüchtigkeit schwerstens zu beeinträchtigen, nicht aber seine Zurechnungsfähigkeit gänzlich auszuschließen. Dies gelte auch für den Beifahrer Franz K., der sich vielleicht nicht mehr in der Lage gefühlt habe, ein Fahrzeug zu lenken; er habe aber dennoch wahrnehmen können, dass sein Bruder durch den Konsum der erwähnten alkoholischen Getränke auch in seiner Fahrtüchtigkeit schwerstens beeinträchtigt gewesen sei. Nähere Erhebungen darüber erschienen entbehrlich, da von den Beteiligten keine konkreten Anhaltspunkte zu erfahren sein würden. Allenfalls könnte ein medizinischer Sachverständiger darüber Auskunft geben, ob und inwieweit eine geringfügig höhere Alkoholisierung als 2,4 %0 die Wahrnehmbarkeit der Alkoholisierung des Zechkumpanen (gemeint Georg K.) auszuschließen vermöge. Sowohl der Unfallslenker als auch der Beifahrer Franz K. hätten sich aber schon "zu Beginn des Sichbetrinkens" im Klaren sein müssen, dass sie, da sie nicht am selben Ort wohnhaft gewesen seien, mit dem Auto nach Hause fahren müssten. Schon die fortgesetzte Zufuhr von alkoholischen Getränken allein begründe eine grobe Sorgfaltsverletzung, da keiner der Beteiligten genau gewusst habe, wer am Ende das Auto lenken würde. Offenbar hätten sich beide damit abgefunden, dass einer von ihnen nach Hause fahren würde. Heute über den genauen Ablauf des Unfalltages Erhebungen anzustellen, erscheine im Hinblick auf die nicht mehr anzunehmende Unvoreingenommenheit der Betroffenen wenig zielführend. Nach Auffassung der Gebietskrankenkasse könne allerdings mit den zur Verfügung stehenden Unterlagen das Auslangen gefunden werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch der mitbeteiligten Partei Folge gegeben und festgestellt, dass der mitbeteiligten Partei gemäß §§ 2 Abs. 1, 8, 9, 12 Abs. 1 Z. 2 und 18 EFZG sowie §§ 413 Abs. 1 Z. 1 und 414 ASVG für Franz K. anlässlich seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (Unglücksfall) vom 16. Juni bis 14. Juli 1991 ein Anspruch auf den Erstattungsbetrag zustehe.
Nach der Begründung habe sich Franz K., der mehr betrunken gewesen sei als sein Bruder, nahezu in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Rauschzustand befunden, weil volle Berauschung in der Regel bei einem Mindestblutalkohol von 2,5 %0 vorliege. Franz K. habe damit rechnen können, dass sein Bruder den PKW lenken werde, zumal dieser Fahrzeugbesitzer gewesen sei. Es könne ihm daher auch kein subjektiver Vorwurf daraus gemacht werden, dass er sich durch Alkoholgenuss in einen Zustand versetzt habe, in dem er in dem Zeitpunkt, als er sich dem Lenker zur Fahrt anvertraut habe, dessen Fahrtüchtigkeit nicht mehr habe beurteilen können und für ihn der Eintritt des Schadens nicht mehr als wahrscheinlich vorhersehbar gewesen sei. Franz K. habe seine Arbeitsverhinderung daher nicht durch grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 EFZG herbei geführt, weshalb er einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung habe. Folglich bestünde auch für die mitbeteiligte Partei gemäß § 8 EFZG ein Erstattungsanspruch. Überdies würden im Falle des Bestehens des Rechtes auf Rückforderung die Besonderheiten des Sachverhaltes in ihrer Gesamtheit "berücksichtigungswürdige Umstände" nach § 9 letzter Satz EFZG darstellen, die einen Verzicht der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse auf die Rückforderung rechtfertigen könnten. Da der Sachverhalt für die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Falles ausreichend geklärt sei, sei von weiteren Ermittlungen Abstand genommen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der dem gesamten Vorbringen nach die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 8 Abs. 1 EFZG haben die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung den Arbeitgebern u.a. das an die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitnehmer nach diesem Bundesgesetz fortgezahlte Entgelt zu erstatten (Erstattungsbetrag).
Gemäß § 2 Abs. 1 EFZG behält ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf das Entgelt unter weiteren Voraussetzungen dann, wenn er durch Krankheit (Unglücksfall) an der Leistung seiner Arbeit gehindert ist, ohne die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbei geführt zu haben.
Nach § 9 EFZG hat der Krankenversicherungsträger zu Unrecht geleistete Erstattungsbeträge vom Arbeitgeber zurückzufordern.
Gemäß § 12 EFZG können die Krankenversicherungsträger unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Leistungen auf die von ihnen zu leistenden Erstattungsbeträge aufrechnen.
Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob der mitbeteiligten Partei das ihrem Arbeitnehmer Franz K. anlässlich seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (Unglücksfall) vom 16. Juni bis 14. Juli 1991 fortgezahlte Entgelt zu erstatten war. Der Anspruch der mitbeteiligten Partei auf Erstattung des dem Dienstnehmer Franz K. während der unfallbedingten Arbeitsverhinderung fortgezahlten Entgelts hing davon ab, ob dem Dienstnehmer ein solcher Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 2 Abs. 1 EFZG zustand, wofür wieder maßgebend ist, ob der Dienstnehmer die Arbeitsunfähigkeit durch (zumindest) grob fahrlässiges Verhalten herbei geführt hat oder ob dies nicht der Fall ist. Da es sich bei der fahrlässigen Herbeiführung der Arbeitsunfähigkeit um ein den Entgeltfortzahlungsanspruch vernichtendes Sachverhaltselement handelt, trifft die (im materiellen Sinn verstandene) Beweislast die Behörde; dies bedeutet, dass offen bleibende oder ungeklärte Umstände in diesem Zusammenhang nicht zum Nachteil des Dienstnehmers (bzw. wie hier im Rückerstattungsverfahren des Dienstgebers) ausschlagen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. November 1990, Zl. 89/08/0125).
Dabei ist sachverhaltsbezogen zunächst davon auszugehen, dass die mitbeteiligte Partei ihrem Arbeitnehmer Franz K. während seiner Arbeitsunfähigkeit Entgelt fortgezahlt hat. Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse hat der mitbeteiligten Partei das von dieser bezahlte Entgelt im Sinne des § 8 Abs. 1 EFZG erstattet. Mit Bescheid vom 8. Februar 1993 stellte die Gebietskrankenkasse jedoch bescheidmäßig fest, dass für Franz K. anlässlich seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (Unglücksfall) vom 16. Juni bis 14. Juli 1991 kein Anspruch auf Erstattung im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes bestehe. Es bestand jedoch einerseits weder eine Berechtigung noch Verpflichtung der Gebietskrankenkasse, nach den Normen des Entgeltfortzahlungsgesetzes, insbesondere § 18 Z. 3 lit. c, iVm § 367 Abs. 1 Z. 2 ASVG den gegenständlichen Bescheid zu erlassen, andererseits mangels eines über den Rückforderungsbescheid hinaus gehenden Feststellungsinteresses aber auch keine Berechtigung zur Erlassung eines Feststellungsbescheides nach § 410 Abs. 1 erster Satz ASVG. Etwaige zu Unrecht geleistete Erstattungsbeträge wären vielmehr nach § 9 EFZG (gemäß § 18 Z. 3 lit. c EFZG iVm § 367 Abs. 2 ASVG bescheidmäßig) vom Arbeitgeber zurückzufordern gewesen. Der nach der Gesetzeslage unzulässige Feststellungsbescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse wäre daher vom Landeshauptmann aufzuheben gewesen. Seine dem gegenüber mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung erweist sich somit als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Zur Vermeidung unnötigen Verfahrensaufwandes sieht sich der Verwaltungsgerichtshof für das von der beschwerdeführenden Partei allenfalls fortzusetzende Verfahren zu folgenden Bemerkungen veranlasst:
Bei Beurteilung der Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit grob fahrlässig herbei geführt wurde, ist davon auszugehen, dass dieser Begriff jenem der auffallenden Sorglosigkeit im Sinne des § 1324 ABGB entspricht (vgl. OGH vom 19. April 1977, Arb. 9580, und das Erkenntnis vom 28. November 1989, Zl. 88/08/0301, m.w.N.).
Auffallende Sorglosigkeit liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine ungewöhnliche und darum auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht vorliegt und der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich - und nicht bloß als möglich - voraussehbar gewesen ist (vgl. das bereits erwähnte Erkenntnis vom 28. November 1989, und die Entscheidungen des OGH vom 30. Juli 1963, Arb. 7871, vom 5. April 1972, Arb. 8985, vom 19. April 1977, Arb. 9580, und vom 17. Juni 1982, Arb. 10087, sowie SZ 51/128 u.v.a.). Es muss sich um ein Versehen handeln, welches mit Rücksicht auf die Schwere und Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt (vgl. OGH vom 19. Oktober 1971, Arb. 8930, und vom 5. April 1972, Arb. 8985), etwa wenn einfache und nahe liegende Überlegungen nicht angestellt wurden (vgl. Arb. 10087).
Für eine Bewertung als grobe Fahrlässigkeit wäre daher erforderlich, dass Franz K. es als wahrscheinlich voraussehen hätte müssen, sich (fallbezogen) einem schwer alkoholisierten Lenker, nämlich seinem Bruder Gottfried K., anvertrauen zu müssen. Er hätte allerdings die durch die Alkoholisierung hervorgerufene Herabminderung der Fahrtüchtigkeit seines Bruders erkennen müssen oder diese hätte für ihn nach den Umständen erkennbar sein müssen. Die Erkennbarkeit einer die Fahrtüchtigkeit herabmindernden Alkoholisierung kann sich für den Fahrgast dabei entweder aus dem sichtbaren Verhalten des Lenkers oder daraus ergeben, dass ihm die vom Lenker genossene Alkoholmenge (z.B. durch gemeinsames Zechen:
ZVR 1971/142; 1976/10; 1978/112; 1979/6; 1980/259; 1988/118; 1989, OLG Linz in ZVR 1984/335) bekannt war (ZVR 1987/89) oder wenn die Menge der Getränke auf eine Alkoholbeeinträchtigung schließen lässt (ZVR 1970/72).
Sachverhaltsdienliche Feststellungen in dieser Richtung sind im Beschwerdefall nicht getroffen worden.
Dass der Fahrgast selbst alkoholisiert ist und daher zur Aufwendung der gebotenen Sorgfalt nicht in der Lage ist, kann ihn nicht entlasten (OLG Linz in ZVR 1984/335). Muss ein Fahrgast nach den Umständen in Betracht ziehen, in der Folge in einem von einem Zechgenossen gelenkten Auto mitgenommen zu werden, dann besteht für ihn Anlass, soweit klaren Kopf zu behalten, um zur gegebenen Zeit beurteilen zu können, ob dies im Hinblick auf den Alkoholkonsum des Lenkers ohne Gefahr geschehen könne (ZVR 1973/198; 1976/10; 1979/6; 1980/155; 1980/259; 1981/191; 1989/24; SZ 43/231). Nur wenn er in einem Zeitraum, in dem er sich dem seine Urteilsfähigkeit aufhebenden Alkoholkonsum hingibt, noch nicht in Betracht ziehen muss, in der Folge von einen zechenden Gasthausbesucher mitgenommen zu werden, kann ihm kein Vorwurf gemacht werden (ZVR 1973/198; 1975/46; 1981/191; 1984/233).
Der in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde angenommene, nahezu die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand des Franz K. konnte diesen daher nicht in jedem Fall entschuldigen. Es wäre aber insbesonders zu prüfen gewesen, ob Franz K. mit einer sonstigen Mitfahrgelegenheit oder dem Vorhandensein öffentlicher Verkehrsmittel hätte rechnen können und diese Möglichkeit unvorhergesehen weggefallen ist. Abgesehen davon, handelt es sich bei der Frage der Zurechnungsfähigkeit um eine (gerichts)medizinische Fachfrage, die unter Beiziehung eines Sachverständigen hätte geklärt werden müssen. Die medizinische Literatur (vgl. z.B. Jarosch/Müller, Blutalkohol und Strafrecht; Jarosch/Müller/Piegler, Alkohol und Recht) fordert für Volltrunkenheit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OGH einen Blutalkoholgehalt von 3 %o, im äußersten Fall von 2,5 %o (vgl. etwa das Erkenntnis vom 12. Jänner 1983, Zl. 82/03/0101). Nach der Rechtsprechung muss auch im Erreichen eines Blutalkoholgehaltes von über 3 %o nicht zwangsläufig ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Rauschzustand angenommen werden. Ob ein solcher Rauschzustand vorliegt, ist vielmehr eine Frage der Beurteilung durch einen medizinischen Sachverständigen (vgl. das Erkenntnis vom 9. Mai 1985, Zl. 85/18/0210, mit Hinweis auf Vorjudikatur).
Wien, am 1. Juni 1999
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Sorglosigkeit auffallendeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1994080065.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
29.04.2009