TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/22 W135 2181615-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.11.2018
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Entscheidungsdatum

22.11.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W135 2181615-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz TROMPISCH als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 14.11.2017, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer brachte am 25.07.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 bzw. auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein und legte ein Konvolut an medizinischen Befunden vor.

Die belangte Behörde befasste einen Facharzt für Orthopädie und eine Fachärztin für Augenheilkunde mit der sachverständigen Einschätzung des Grades der Behinderung nach der anzuwendenden Einschätzungsverordnung.

Im auf der Aktenlage basierenden Sachverständigengutachten vom 04.08.2017 stellte die Fachärztin für Augenheilkunde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung fest:

"Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Pos. Nr.

GdB %

1

Höhergradige Kurzsichtigkeit beidseits mit normalem Sehvermögen beidseits Tabelle Kolonne 1 Zeile 1

11.02.01

0

Gesamtgrad der Behinderung 0 v.H."

Der orthopädische Sachverständige hielt in seinem Gutachten vom 03.11.2017, nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers am 06.10.2017, im Wesentlichen fest wie folgt:

"Anamnese:

1997 Bandscheiben-OP L4/5 XXXX .

1999 Bandscheiben-OP L4/5 XXXX .

2016 Meniskusteilresektion linkes Knie XXXX

Sonst keine Unfälle und Operationen am Bewegungsapparat.

Derzeitige Beschwerden:

Kann fast nicht mehr gehen. Es wird eine Vorfußheberschwäche rechts angegeben. Auf der linken Seite ist auch 2013 eine Vorfußheberschwäche aufgetreten. Eine Vorstellung erfolgt im XXXX . Ab 2014 treten Beschwerden auch in beiden Beinen auf und sind zunehmend. Rechts eine Peroneusschwäche, wobei auch ein Sensibilitätsdefizit vorliegend ist. Links ist die Sensibilität erhalten. Zehenspitzenstand ist nicht möglich, Treppengehen ohne Anhalten schwierig. Walkinstöcke werden immer verwendet für weitere Strecken. UA-Stützkrücken.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Letzte phys. Therapie

Im Juli 2017.

Schmerzstillende Medikamente:

Vimovo 2x1, Hydal 2mg 2x1 manchmal bis zu 3x1.

Hilfsmittel:

Lendenstützbandage.

Sozialanamnese:

Im Gastgewerbe beschäftigt, für Catering verantwortlich. Übt Beruf aus.

Wohnung 2. Stock mit Lift.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Bei der Untersuchung vorgelegt und im Akt vorhanden:

8.9.2016 BÜ im Stehen: geringe Coxarthrose beidseits, geringe SI-Arthrose beidseits.

LWS ap/s: deutlich ausgeprägte Osteochondrosen auf Höhe L2-S1 Punctum Maximum L3-L5. Der Befund ist auch im Akt vorliegend.

Die Befundvorlagen der Jahre 1986-2012 haben Dokumentationscharakter und sind für die aktuelle Beurteilung nicht zu werten.

30.9.2016 MRT der LWS, Diagnosezentrum XXXX : progredient degenerative Veränderungen im Segment L3/4 mit absoluter Vertebrostenose (knöchern). Daneben auch mäßig progrediente degenerative Vertebrostenosen auf Höhe L4/5 und L5/S1 sowie auch Neuroforaminellstenosen in diesem Abschnitt. Keine Angabe einer Wurzelkompression.

1.12.2016 Entlassungsbericht XXXX Orthopädische Abteilung:

Entlassungsdiagnosen: Schädigung medialen Meniskushinterhorn, Chondromalazie I-II retropatellar und III mediales Compartiment im linken Knie.

ASK am 29.11.2016 mit Knorpelglättung und Teilmeniskusentfernung mit unauffälligem postoperativem Verlauf.

5.11.2016 Entlassungsbericht Kurzentrum Bad XXXX .

Diagnosen: Kreuzschmerz, Gonarthrose, Meniskusschädigung, Läsion des Nervus peroneus cumunis, Spinalkanalstenose. Es bestehen Beschwerden in der WS und eine Gehbehinderung im Sinn einer Claudicatio spinalis.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Kommt alleine, aufrecht gehend, normale Straßenkleidung, orthopädischer Schuh.

An- und Auskleiden selbständig, ohne Fremdhilfe.

Guter AZ und EZ. Adipös. Rechtshänder.

Caput, Thorax, Abdomen unauffällig.

Die Haut ist rosig, normal durchblutet. Reizlose OP-Narben im Bereich der LWS L4-5 und im linken Knie.

Ernährungszustand:

gut

Größe: 174,00 cm Gewicht: 118,00 kg Blutdruck:

Klinischer Status - Fachstatus:

Wirbelsäule gesamt

Im Lot, zeigt eine Streckhaltung, mäßige antalgische Schonhaltung, keine Skoliose.

HWS:

S 30/0/10, R je 70, F je 30.

BWS:

R je 20, Ott normal.

LWS:

FBA +60, Reklination 0, Seitneigen je 10.

Peripher neurol.:

Hirnnerven und OE unauffällig. UE schwach auslösbare Muskeleigenreflexe, Sensibilität L5 rechts abgeschwächt, diskret auch links abgeschwächt. Hüfte, Kniebeuger sind normal möglich. Vorfußheber rechts Faszikulieren nur gegen Widerstand. Großzehenheber Kraftgrad 2. Links jeweils Kraftgrad 5.

Obere Extremität

Allgemein

Rechtshänder, normale Achse, normale Gelenkkonturen, kräftige seitengleiche Muskulatur, keine Atrophien, Handgelenkspulse gut tastbar, seitengleich Gebrauchspuren.

Schulter-, Ellbogen-, Hand-, Langfingergelenke:

Frei beweglich.

Schürzen- Nackengriff:

Sehr gut.

Kraft- Faustschluss:

Sehr gut.

Untere Extremität

Allgemein:.

Keine Beinlängendifferenz, normale Achse, normale Gelenkkonturen, mittelkräftig seitengleiche Muskulatur, keine Atrophien, Fußpulse gut tastbar.

Hüfte beidseits:

Frei beweglich.

Knie beidseits:

Frei beweglich.

OSG und USG:

Frei beweglich.

Füße:

Unauffällig.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Hinken rechts. Steppergang im Barfußgang, der Einbeinstand ist unsicher, Fersenstand beidseits möglich. Zehenballenstand rechts nicht möglich, links unsicher. Hocke ist unsicher.

Transfer auf die Untersuchungsliege gelingt selbständig, Wendebewegungen auf der Untersuchungsliege selbständig

Status Psychicus:

Orientiert, freundlich, kooperativ.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

"Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Pos. Nr.

GdB %

1

Mehrsegmental degenerativer Bandscheibenschaden mit Peroneusschwäche rechts, pseudoradiculärem Schmerzbild links. Oberer Rahmensatz dieser Positionsnummer, da Peroneusschwäche rechts und Schmerzsymptomatik beidseits, die belastungsabhängig ist.

02.01.02

40

Gesamtgrad der Behinderung 40 v.H.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Z. n. arthroskopischer Meniskussanierung im linken Knie bei freier Kniebeweglichkeit und ohne Reizzeichen erreicht aus orthopädischer Sicht keinen Grad der Behinderung.

..."

Ein die beiden zusammenfasendes Sachverständigengutachten vom 10.11.2017 ergab einen beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. Als Begründung für den Gesamtgrad wurde darin ausgeführt, dass das Leiden 2 (Augenleiden) das Leiden 1 wegen Geringfügigkeit nicht erhöhe.

Mit angefochtenem Bescheid vom 14.11.2017 wies die belangte Behörde den im Antrag des Beschwerdeführers implizierten Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab. In der Begründung des Bescheides verweist die belangte Behörde im Wesentlichen auf die Ergebnisse der eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten, welche als schlüssig, erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt wurden. Nach diesen Gutachten betrage der Grad der Behinderung 40 v.H. und seien damit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt.

Mit dem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer das augenfachärztliche Sachverständigengutachten vom 04.08.2017, das orthopädische Sachverständigengutachten vom 03.11.2017 und das diese beiden zusammenfassende Gutachten vom 10.11.2017 übermittelt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde und bringt im Zuge des Beschwerdeverfahrens im Wesentlichen vor, dass im Untersuchungsbefund unter Punkt Gesamtmobilität - Gangbild Zustände festgehalten worden seien, die nicht der Wirklichkeit entsprechen würden, so sei ihm der Einbeinstand nur mit Abstützung bzw. Festhalten möglich. Der Fersenstand sei ihm rechts überhaupt nicht möglich und links nur mit Abstützen. Der Zehenballenstand sei beidseits unmöglich. Das Stiegen-Steigen sei ihm ohne beidseitiges Anhalten ebenfalls nicht möglich. Das Benützen von öffentlichen Verkehrsmitteln sei ihm daher nicht mehr zumutbar. Er habe trotz Einnahme von starken Schmerzmitteln ständig Schmerzen. Der im Befundbericht von Facharzt Dr. T. diagnostizierte Bizeps-Abriss sei nicht berücksichtigt worden. Der Beschwerdeführer gehe seiner Beschäftigung auch nicht mehr nach. Es sei ihm ab dem 01.10.2017 zunächst bis zum 30.09.2019 eine Invaliditätspension zuerkannt worden. Ebenfalls sei ein Drehgleiten von L3 um etwa 9 mm bei Streckfehlhaltung, welches sich aus dem vorgelegten Röntgenbefund vom 08.09.2016 ergebe, nicht berücksichtigt worden.

Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 03.01.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Überprüfung des Beschwerdevorbringens holte das Bundesverwaltungsgericht ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Unfallchirurgie ein. Der Sachverständige wurde aufgefordert 1. eine gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung für jede festgestellte Gesundheitsschädigung vorzunehmen und 2. den Gesamtgrad der Behinderung festzusetzen. Der beigezogene Facharzt führt dazu in seinem Gutachten vom 16.07.2018, basierend auf einer persönlichen Begutachtung des Beschwerdeführers am 10.07.2018, im Wesentlichen Folgendes aus:

"Vorgutachten: Dris. M. 10/11 2017.

Vorgelegte, neue orthopädisch/unfallchirurgisch relevante Befunde:

Relevante Anamnese:

2016 Knie- Arthroskopie links; 1997 und 1999 Bandscheibeneingriffe XXXX Durchschußverletzung Stamm 1986 mit angeblicher Milzexstirpation.

Jetzige Beschwerden:

"Ich tue mir wahnsinnig schwer mit dem Gehen. Ich habe Schmerzen beim Benützen der Öffis. Ich kann zu Fuß keine 500 Meter gehen, schwerere Sachen tragen gehe nicht. Stiegen steigen geht auch nicht. Auf den Fersen stehen ist schwer. Das grösste Problem ist das Nichtdurchschlafen können. Rechts habe ich einen Bicepssehnenriss."

Medikation:

Seractil, Mexalen,Pantoloc,Candesartan, Neurofenac bei Bedarf; Hydal habe er abgesetzt.

Sozialanamnese:

In Lebensgemeinschaft, in Invaliditätspension befristet, aber geringfügig beschäftigt.

Allgemeiner Status: 174 cm grosser und 121 kg schwer in gutem Allgemein- und sehr gutem Ernährungszustand.

Thorax symmetrisch. Abdomen adipös.

Relevanter Status:

Wirbelsäule im Lot. HWS in R 55-0-55, F 15-0-15, KJA 1 cm, Reklination 14 cm. Normale Brustkyphose, BWS-drehung 25-0-25, Schober Zeichen FKBA und Seitneigung wegen angeblicher Schmerzen nicht messbar.

Obere Extremitäten:

Schultern in S 40-0-170, F 170-0-40, R 80-0-80, Ellbögen 0-0-130, Handgelenke 50-0-60, Faustschluß beidseits möglich. Kein relevantes Kraftdefizit rechter Arm. Nacken- und Kreuzgriff durchführbar.

Untere Extremitäten:

Hüftgelenke in S 0-0-110, F 40-0-30, R 30-0-15, Kniegelenke in S 0-0-130, bandfest, reizfrei.

Sprunggelenke rechts 0-0-40 zu links 5-0-45. Kein Fallfuß rechts. Wade rechts 45,5 cm zu links 48cm.

Gangbild/Mobilität:

Gang in verstärkten Gesundheitsschuhen mit (2 mitgebrachte Krücken) und ohne Gehbehelfe möglich. Zehenspitzenstand wird nicht gezeigt, Fersenstand links ist möglich, rechts nicht.

BEURTEILUNG

Ad1) 1) degenerative Wirbelsäulenveränderungen 02.01.02 40%

Oberer Rahmensatz, da Peronäusschwäche rechts und multisegmentale Degenerationen mit Lumbalgie links

Wahl der Position, da mittelgradiges Defizit bei chronischem Schmerzsyndrom

2) höhergradige Kurzsichtigkeit beidseits mit 11.02.01 0%

normalem Sehvermögen, Tabelle Kolonne1/Zeile 1

Ad2) Der GdB beträgt 40%, da keine Erhöhung durch Leiden 2.

Zustand nach "Dist. cubit dext" erreicht keinen GdB, ebenso Zustand nach arthroskopischer Meniskussanierung."

Das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.07.2018 zur Kenntnis gebracht und ihm eine Stellungnahmemöglichkeit eingeräumt, welche der Beschwerdeführer ungenützt ließ.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Beim Beschwerdeführer liegen folgende einschätzungsrelevante Funktionseinschränkungen vor, wobei es sich bei der Funktionsbeeinträchtigung 1. um das führende Leiden handelt:

1. Mehrsegmental degenerativer Bandscheibenschaden mit Peroneusschwäche rechts, pseudoradiculärem Schmerzbild links.

2. Höhergradige Kurzsichtigkeit beidseits mit normalem Sehvermögen beidseits

Der Gesamtgrad der beim Beschwerdeführer vorliegenden Behinderung beträgt 40 v.H.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zu den beim Beschwerdeführer vorliegenden einschätzungsrelevanten, sohin mehr als sechs Monate andauernden Funktionseinschränkungen und dem Grad der Behinderung basieren auf den im Verfahren vor der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Augenheilkunde sowie eines Facharztes für Orthopädie (die entscheidungswesentlichen Teile der Gutachten wurden im Verfahrensgang wiedergegeben), in welchen auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers - insbesondere das führende Leiden mehrsegmentaler degenerative Bandscheibenschaden mit Peroneusschwäche rechts und pseudoradiculärem Schmerzbild links betreffend - und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen wird. Die von den fachärztlichen Sachverständigen herangezogenen Positionsnummern der Anlage zur Einschätzungsverordnung und die gewählten Rahmensätze stimmen mit den diesbezüglichen Kriterien der Anlage zur Einschätzungsverordnung sowie mit dem Untersuchungsbefund überein und sind schlüssig und nachvollziehbar. Hinsichtlich der führenden Funktionseinschränkung mehrsegmentaler degenerativer Bandscheibenschaden mit Peroneusschwäche rechts und pseudoradiculärem Schmerzbild links, welche ordnungsgemäß der Position 02.01.02 (Funktionseinschränkungen mittleren Grades) zugeordnet wurde, wurde vom orthopädischen Sachverständigen der höchst mögliche Rahmensatz von 40 v.H. gewählt (die dazu in der Anlage zur Einschätzungsverordnung angeführten Parameter lauten: "Rezidivierend und anhaltend, Dauerschmerzen eventuell episodische Verschlechterungen, radiologische und/oder morphologische Veränderungen, maßgebliche Einschränkungen im Alltag"), was vor dem Hintergrund der vom Sachverständigen aufgenommenen Anamnese und des Untersuchungsbefundes schlüssig und nachvollziehbar ist. Da der Sachverständige bereits den höchstmöglichen Rahmensatz der Positionsnummer 02.01.02 herangezogen hat, sind die Bewegungsmöglichkeiten der Füße (Einbeinstand, Zehenballenstand, Fersenstand), die der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde divergierend zum orthopädischen Sachverständigengutachten angibt, nicht mehr wesentlich. Allein aus diesem Grund ist das Gutachten aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht als unschlüssig anzusehen.

Das die beiden fachärztlichen Gutachten vom 04.08.2017 und vom 03.11.2017 zusammenfassende Gutachten vom 10.11.2017 gibt den Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 v.H. nachvollziehbar und schlüssig mit der Begründung an, dass das Augenleiden mit einem eingeschätzten Grad der Behinderung von 0 v.H. das Bandscheibenleiden als Hauptleiden aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter erhöht.

Den Einwand des Beschwerdeführers betreffend, dass ein Bizeps-Abriss im orthopädischen Sachverständigengutachten keine Berücksichtigung gefunden habe, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer diese Funktionseinschränkung mittels eines Befundes aus dem Jahr 2012 belegte. Der Sachverstände führte dazu in seinem Gutachten nachvollziehbar aus, dass dieser Befund lediglich Dokumentationscharakter besitze und sich für eine aktuelle Beurteilung nicht verwerten lasse. Aus dem Untersuchungsbefund der im Rahmen der Untersuchung am 06.10.2017 erstellt wurde, geht hervor, dass die Schulter-, Ellbogen-, Hand- und Langfingergelenke des Beschwerdeführers frei beweglich sind. Der Schürzen-Nackengriff und der Kraft-Faustschluss sind sehr gut durchführbar.

Ob der Beschwerdeführer derzeit einer Beschäftigung nachgeht oder nicht, stellt allenfalls ein Indiz dafür dar, dass beim Beschwerdeführer Funktionseinschränkungen vorliegen. Dies gibt jedoch keinerlei Aufschluss über den beim Beschwerdeführer vorliegenden Grad der Behinderung. Der von ihm vorgelegte Bescheid, wonach ihm die Invaliditätspension zuerkannt worden sei, ist zum Nachweis eines Grades der Behinderung von zumindest 50 v.H. nicht geeignet, weil es nach § 255 Abs. 3 ASVG (Begriff der Invalidität) weder auf einen Grad der Behinderung von 50 v.H. noch auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. ankommt (vgl. VwGH 21.09.2010, 2007/11/0228).

Der Befund vom 08.09.2016, aus welchem ein Drehgleiten von L3 um etwa 9 mm bei Streckfehlhaltung hervorgeht, floss in die Beurteilung des orthopädischen Sachverständigengutachtens ein. Der Sachverständige führte diesen Befund auch unter dem Punkt "Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe)" an. Bei der Untersuchung durch den Sachverständigen am 06.10.2017 konnte jedoch bei mäßiger antalgischer Schonhaltung eine Skoliose nicht objektiviert werden. Die Wirbelsäule des Beschwerdeführers befindet sich im Lot.

Insofern der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde auf die Ausführungen seines konsultierten Orthopäden Dr. B. vom 05.09.2016 verweist, wonach die Gehstrecke des Beschwerdeführers unter 100 m betrage und dem Beschwerdeführer demnach ein Behindertenstatus insoweit zuzuerkennen sei, als diesem die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr zumutbar sei, ist anzumerken, dass diese Ausführungen an der Einschätzung des Grades der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung nichts zu ändern vermögen. Im Übrigen ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Feststellung der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel einen gültigen Behindertenpasses voraussetzt.

Das Bundesverwaltungsgericht holte zur Überprüfung des Beschwerdevorbringens ein unfallchirurgisches Sachverständigengutachten vom 16.07.2018 ein, mit welchem die im Verfahren vor der belangten Behörde vorgenommenen Einschätzungen bestätigt wurden, und welches vom Beschwerdeführer nicht bestritten wurde. Die Heranziehung des Rahmensatzes von 40 v.H. unter der Positionsnummer 02.01.02 wurde nachvollziehbar damit begründet, dass beim Beschwerdeführer ein mittelgradiges Defizit bei chronischem Schmerzsyndrom vorliegt.

Die ärztlichen Sachverständigengutachten vom 04.08.2017, vom 03.11.2017, vom 10.11.2017 und vom 16.07.2018 werden daher als vollständig, schlüssig und frei von Widersprüchen gewertet und bestehen seitens des Bundesverwaltungsgerichtes keine Zweifel an der Richtigkeit der Gutachtensergebnisse und der erfolgten Beurteilung durch die Sachverständigen, insbesondere des orthopädischen Sachverständigen. Die genannten Gutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 40 Abs. 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. ...

5. sie dem Personenkreis der begünstigen Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 Abs. 1 sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2).

In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen (§ 45 Abs. 3).

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen (§ 45 Abs. 4).

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) lauten auszugsweise:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Auszugsweise aus der Anlage zur Einschätzungsverordnung:

"02 Muskel - Skelett - und Bindegewebssystem

Haltungs- und Bewegungsapparat

02.01 Wirbelsäule

...

02.01.02 Funktionseinschränkungen mittleren Grades 30 - 40%

Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd, radiologische Veränderungen, andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika, Beispiel:

Band-scheibenvorfall ohne Wurzelreizung (pseudoradikuläre Symptomatik)

30 %:

Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd, radiologische Veränderungen

andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika

40 %:

Rezidivierend und anhaltend, Dauerschmerzen eventuell episodische Verschlechterungen, radiologische und/oder morphologische Veränderungen

maßgebliche Einschränkungen im Alltag

...

11 Augen und Augenanhangsgebilde

11.02 Sehstörungen

Für die Beurteilung des Sehvermögens ist die korrigierte Sehschärfe (Prüfung mit optischem Sehausgleich) maßgeblich. Daneben sind zusätzlich auch Ausfälle des Gesichts- und des Blickfeldes zu berücksichtigen.

Bei der Beurteilung des Sehvermögens ist darauf zu achten, dass der morphologische Befund die Sehstörung erklärt.

Malignome sind nach Abschnitt 13 einzuschätzen.

11.02.01 Störung des zentralen Sehens nach Tabelle

Seh-schärfe

1 - 0,8

0,6 - 07 3/4 - 2/3

0,5 1/2

0,3 1/3

0,2

0,16 1/6 - 1/8

0,1 1/10

0,05 1/20

GdB in %

1 - 0,8

0

0

10

10

20

20

20

30

30

0,6 - 07 3/4 - 2/3

0

10

20

20

30

30

30

40

40

0,5 1/2

10

20

30

30

30

40

40

40

40

0,3 1/3

10

20

30

40

40

50

50

50

60

0,2

20

30

30

40

50

50

60

60

70

0,16 1/6 - 1/8

20

30

40

50

50

60

70

70

80

0,1 1/10

20

30

40

50

60

70

70

80

80

0,05 1/20

30

40

40

50

60

70

80

90

90

GdB in %

30

40

40

60

70

80

80

90

100

Bei Erkrankung des Auges (Glaukom, Netzhauterkrankungen) hängt der GdB vor allem vom Ausmaß der Sehbehinderung (Sehschärfe, Gesichtsfeld) ab. Darüber hinausgehende GdB-Werte kommen nur in Betracht, wenn zusätzlich über die Einschränkung des Sehvermögens hinausgehende Behinderungen vorliegen.

Nach Hornhauttransplantationen richtet sich der GdB allein nach dem Sehvermögen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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