TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/26 W248 2126440-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W248 2126440-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. NEUBAUER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1 Verfahrensgang:

1.1 Erster Antrag auf internationalen Schutz:

XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX (im Folgenden Beschwerdeführer), ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim, reiste (spätestens) am 03.11.2015 schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde hiezu am Tag der Antragstellung von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Zum Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er habe seine Eltern verloren und sei deshalb von seinem Onkel väterlicherseits abhängig gewesen. Sein Onkel habe nicht gewollt, dass der Beschwerdeführer die Schule besuche, er habe seinem Onkel immer bei der Arbeit helfen müssen. Er habe unter seinem Onkel keine Zukunft gehabt, er habe Tag und Nacht arbeiten müssen. Sein Onkel habe ihn auch öfters geschlagen, einmal sei dem Beschwerdeführer die Nase gebrochen worden.

Am 13.04.2016 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, aus der afghanischen Provinz Kapisa zu stammen, seine ganze Familie lebe dort. Er habe sonst niemanden, auch nicht in Kabul oder so; er habe das aber auch nicht gefragt, weil ihn das nicht interessiere, er wolle sich ein Leben in Europa aufbauen. Er habe keine Schule besucht und als Hilfsarbeiter gearbeitet. Er sei in die Grundversorgung einbezogen, selbst habe er nichts. Die allgemein schlechte Sicherheitslage würde ihn davon abhalten, nach Afghanistan zurückzugehen. Es gebe keinen besonderen Vorfall, der ihn zur Ausreise veranlasst habe, aber das ganze Land sei unsicher. Mehr könne er nicht sagen. Konkrete Gegner gebe es nicht. Eigentlich habe der Beschwerdeführer in Afghanistan eine Feindschaft. Er habe vorher nichts Genaueres davon gewusst und wisse noch immer nichts. Wer seine Gegner seien, wisse der Beschwerdeführer nicht. Sein Onkel sei nicht nett gewesen, er habe den Beschwerdeführer geschlagen. Die Gegner seien eigentlich nicht sein Onkel, sondern unbekannte Leute; einmal sei der Beschwerdeführer sogar verletzt worden. Wann und wo der entsprechende Vorfall gewesen sei und Details dazu wisse er nicht, er habe "halt" Verletzungen im Gesicht gehabt. Das sei einen Monat vor der Ausreise gewesen, dann sei er gegangen. Sie hätten ihn geschlagen und beschimpft, womöglich auch ausgeraubt. Er sei ohne Bewusstsein gewesen und am Boden gelegen, er sei wieder aufgewacht und habe das Land verlassen. Bei der Polizei sei er gewesen und habe Anzeige gegen zwei unbekannte Personen erstattet. Welche Polizeidienststelle das gewesen sei, wisse er nicht mehr. Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat habe der Beschwerdeführer Angst, umgebracht zu werden; er wolle eine bessere Zukunft, als sie ihm Afghanistan bieten könne.

Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens erließ das BFA am 13.04.2016 einen Bescheid (Zl. XXXX ), mit dem es den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten Asyl gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich des Status des subsidiären Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abwies (Spruchpunkt II.), ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilte, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 erließ, gemäß § 52 Abs. 9 FPG feststellte, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festsetzte (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde.

Anlässlich einer vom für die Behandlung der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 13.04.2016, Zl. XXXX , zuständigen Bundesverwaltungsgericht anberaumten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 30.01.2018 wurde Beweis erhoben durch Einvernahme des Beschwerdeführers und Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Behörde und den Akt des Bundesverwaltungsgerichts.

Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht - soweit wesentlich - vor, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören und sunnitischen Glaubens zu sein. Er stamme aus einem Dorf in der Provinz Kapisa, von dort habe er seine Flucht angetreten. Er sei dort geboren und habe sein ganzes Leben dort gelebt, er habe mit seinen Eltern zusammengewohnt, leider seien diese tot. Sein Vater habe von alters her Feinde gehabt, der Beschwerdeführer glaube, es sei um einen Grundstücksstreit gegangen, genau wisse er es aber nicht. Seine Eltern seien von den Feinden seines Vaters getötet worden, als der Beschwerdeführer acht Jahre alt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe dann beim Onkel väterlicherseits gewohnt. Dieser lebe noch immer dort. Der Onkel sei verheiratet und jetzt auch drogensüchtig. Er habe einen Sohn und eine Tochter, letztere sei verheiratet, der Sohn lebe im Iran. Der Beschwerdeführer habe zu niemandem von ihnen Kontakt. Sein Vater habe ein Haus gehabt, das habe der Beschwerdeführer geerbt und verkauft, um seine Flucht zu finanzieren. Er habe das Haus nicht seinem Onkel verkauft, dieser habe nicht so viel Geld. Der Onkel habe ihn sehr schlecht behandelt, er habe dem Beschwerdeführer die Nase gebrochen und ihn misshandelt.

Dem Beschwerdeführer wurde seine Aussage vor der Polizei vorgehalten, dazu gab er an, es stimme, er habe einen jüngeren Bruder, zu dem er alle drei bis vier Monate Kontakt habe, dieser gehe in die Koranschule.

Dem Beschwerdeführer wurden auch seine Aussagen vor dem BFA vorgehalten. Er führte aus, ihm sei über die Feindschaft seines Vaters nichts erzählt worden, in der Folge sei er von den Feinden seines Vaters zweimal mit dem Messer angegriffen worden. Auf Vorhalt, dass er das vor dem BFA nicht angegeben habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe das damals vergessen. Der Grund, warum er Afghanistan verlassen habe, sei die Angst vor seinem Onkel und die unsichere Lage in Afghanistan. Er selber habe Leute sterben gesehen. Der Hauptgrund für seine Ausreise seien die Angriffe der Feinde seines Vaters gewesen, sie hätten den Beschwerdeführer überfallen und niedergeschlagen. Er sei bewusstlos und zwei Wochen im Krankenhaus gewesen. Er habe sich gedacht, wenn sie ihn noch einmal erwischen würden, würden sie ihn töten. Die Leute habe er nicht gekannt, er habe sie nur einmal gesehen.

Der Beschwerdeführer sei falsch verstanden worden, es habe nur einen Angriff gegeben, dabei habe er zwei Messerstiche erhalten. Er kenne diese Leute nicht. Er sei sich jedoch sicher, dass das die Feinde seines Vaters seien, die fürchten würden, dass sich der Beschwerdeführer an ihnen für den Tod seines Vaters rächen würde. Sie seien nicht aus dem Dorf des Beschwerdeführers gewesen. Bei dem Angriff hätten sie dem Beschwerdeführer auch das Handy gestohlen. Der Überfall sei nicht im Dorf, sondern am Fuße eines Berges erfolgt. In Afghanistan gebe es zwar überall Räuber, der Beschwerdeführer glaube aber nicht, dass das ein normaler Raubüberfall gewesen sei. Das Dorf sei klein, und jeder kenne jeden. Er gehe davon aus, dass es die Feinde seines Vaters gewesen seien.

Im Falle einer Rückkehr fürchte sich der Beschwerdeführer vor der unsicheren Lage in Afghanistan und auch vor den Feinden seines Vaters. Sie hätten ihn schon einmal erwischt, das nächste Mal würden sie ihn töten.

Nach Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul könne der Beschwerdeführer nicht, weil er dort niemanden kenne und die Sicherheitslage dort schlecht sei, es habe gerade in Kabul einen Anschlag mit vielen Toten gegeben, die Krankenhäuser seien voll. Die Verletzten würden sogar auf dem Boden und in den Gängen der Krankenhäuser leben.

Der Beschwerdeführer würde gerne weiter in Österreich leben. Er könne nicht nach Afghanistan zurück, er sei mit einem jungen Mädchen verlobt, sie würden heiraten wollen, der Beschwerdeführer wolle in Österreich eine Familie gründen.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Unterstützungsschreiben vor.

Mit Schreiben vom 16.02.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die für die Entscheidung im Beschwerdeverfahren relevanten Länderinformationen. Mit Schreiben vom 06.03.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am folgenden Tag, nahm der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsbeistand zu den Länderinformationen Stellung. Neben der Zitierung von Länderinformationen führte die Stellungnahme im Wesentlichen aus, die übermittelten Länderberichte seien veraltet und die Sicherheitslage in Afghanistan und in Kabul habe sich verschlechtert, räumte aber ein, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevanten Gründe vorgebracht habe. Hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Afghanistan bzw. einer Ansiedlungsalternative in einer der Großstädte Afghanistans sei die Gefahr einer unzumutbaren Notlage für den Beschwerdeführer nicht von vornherein auszuschließen, weil ihm außerhalb seiner (volatilen) Heimatprovinz Kapisa kein stützendes familiäres Netzwerk zur Verfügung stehe und er über keinerlei Ausbildung und Qualifikation verfüge. Hinzu komme in Afghanistan der Hintergrund einer humanitären Krise aufgrund des Fortbestehens und der Ausweitung des innerstaatlichen Konfliktes.

Mit Schreiben vom 01.03.2018, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 27.03.2018, legte der Vertreter des Beschwerdeführers ein weiteres Konvolut an Unterstützungsschreiben sowie ein Schreiben des Beschwerdeführers vor, in dem dieser erstmals die (zu diesem Zeitpunkt noch nicht belegte) Behauptung aufstellte, er würde mit seiner Liierten ein Kind erwarten.

Am 19.04.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Abtretungsbericht der LPD Niederösterreich vom 15.01.2018 ein, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer dabei beobachtet wurde, als er Suchtmittel gegen Bargeld an verschiedene Abnehmer übergab. Er konnte angehalten und einer Personenkontrolle unterzogen werden. Dabei konnten bei ihm 2,1 Gramm Cannabiskraut vorgefunden und sichergestellt werden.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.04.2018, XXXX , wurde die gegen den Bescheid des BFA vom 13.04.2016, Zl. XXXX erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt".

Begründend wurde darin im Wesentlichen festgehalten, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates aus näher angeführten Erwägungen nicht glaubhaft sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht nur in zahlreichen Punkten widersprüchlich, sondern darüberhinaus auch diffus und unspezifisch gewesen. Da es der Beschwerdeführer dabei habe bewenden lassen, einzelne Verfolgungsmomente in den Raum zu stellen, ohne jedoch in der Lage zu sein, diese hinreichend konkret darzutun, sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Hinzu komme, dass die vom Beschwerdeführer am 06.03.2018 erstattete Stellungnahme sogar explizit einräume, dass der Beschwerdeführer im Wesentlichen keine asylrelevanten Fluchtgründe dargetan hat. Der Beschwerdeführer könne, wie sich aus den zugrundegelegten Länderfeststellungen in Verbindung mit der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur ergebe, außerhalb seiner engeren Heimat, etwa in Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, unbehelligt Zuflucht finden, ohne in eine ausweglose Lage zu geraten.

Als familiären Anknüpfungspunkt im Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer seine (damalige) Lebensgefährtin angegeben, mit der er seit September 2017 eine Lebensgemeinschaft führe. Die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung gehe zulasten des Beschwerdeführers aus und stelle die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.04.2018, XXXX , erhob der Beschwerdeführer weder eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof noch richtete er eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

1.2 Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz:

Am 22.05.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er, zu seinen Fluchtgründen befragt, an, dass seine Freundin ein Kind von ihm erwarte. Außerdem habe er keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel und seinem Bruder in Afghanistan, deswegen könne er nicht mehr zurück. Er wisse nicht, wo sie sich aufhalten würden.

Am 18.10.2018 wurde der Beschwerdeführer durch einen Organwalter des BFA niederschriftlich einvernommen. Dort gab er unter anderem an, dass er in Österreich "vor ungefähr drei Monaten" geheiratet habe, er könne sich aber an das Datum nicht erinnern, da er viel Stress habe. Kinder habe er noch keine, aber seine Ehefrau sei schwanger. Er habe keine Angehörigen mehr in Afghanistan. Er habe nur mehr einen zwölfjährigen Bruder, und der sei nach Pakistan geflüchtet, der Beschwerdeführer wisse aber nicht, wo in Pakistan sich sein Bruder aufhalte. Sein Onkel väterlicherseits lebe im Iran, nachdem er 4 bis 5 Monate nach dem Beschwerdeführer (d. h. Anfang 2016) aus Afghanistan ausgereist sei. In seinem ersten Asylverfahren habe der Beschwerdeführer nicht angegeben, dass sein Bruder und sein Onkel väterlicherseits sich nicht mehr in Afghanistan befinden würden, da er damals "nicht genau danach gefragt" worden sei. Jedenfalls seien sein Bruder und sein Onkel väterlicherseits bereits deutlich vor der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht aus Afghanistan ausgereist. Der Vater des Beschwerdeführers habe keinerlei Geschwister, sondern nur einen Bruder und keine Schwester. Die Mutter des Beschwerdeführers habe nur eine Schwester gehabt, diese sei "ungefähr vor langer Zeit" gestorben.

Zu den Gründen, aus welchen er einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt habe, führte der Beschwerdeführer in seiner Befragung vor dem BFA aus, dass er in Afghanistan Feinde habe und dort getötet würde. Er habe hier geheiratet und erwarte ein Kind. Er habe eine Familie gegründet und sei glücklich. Aus diesem Grund könne er nicht zurückkehren. Seine Frau habe Depressionen. Diese habe sie auch schon vorher gehabt. Das sei ein weiterer Grund, warum er nicht zurück könne. Er sei 21 Jahre alt und habe hier ein gutes Leben. Er habe ein schlechtes Leben gehabt, und nun sei es geregelt. Er habe viel durchgemacht und auch hier gehungert und gelitten. Nach dem negativen Bescheid sei er auch nicht geflüchtet, obwohl er kein Geld gehabt habe. Er wolle hierbleiben, weil seine Frau hier lebe und es ein schönes Land sei. Er könne nicht zurück. Da könne das BFA ihn gleich töten. In seine Heimatprovinz könne er nicht zurückkehren, da er dort keine Unterkunft habe und sein Leben dort auch in Gefahr sei. Nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif könne er nicht, da im UNHCR Bericht von Anschlägen gesprochen werde. Es gebe auch in anderen Städten Anschläge, es stürben dort viele Menschen. Es sei für ihn nicht sicher um dort zu leben. Vom BFA auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, erklärte der Beschwerdeführer, er sei nicht wegen finanzieller Unterstützung gekommen, sondern um sich ein Leben aufzubauen.

Der Beschwerdeführer legte im gegenständlichen Verfahren ergänzend mehrere, primär seine Integrationsbemühungen betreffende Unterlagen vor.

Mit Bescheid vom 19.10.2018, Zl. XXXX , wurde der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 22.05.2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer gar kein neues Vorbringen zu seinen Fluchtgründen erstattet habe, sondern den gegenständlichen Folgeantrag mit Fakten begründe, die schon vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (d.h. vor dem 27.04.2018) bestanden hätten. Dass der Beschwerdeführer verheiratet sei und seine Frau ein Kind erwarte, habe der Beschwerdeführer mit der Heiratsurkunde (vom 28.07.2018) und dem Mutter-Kind-Pass (Ausstellungsdatum 12.04.2018) nachweisen können. Sowohl die Schwangerschaft als auch die Beziehung zu seiner nunmehrigen Ehefrau hätten schon zum Entscheidungszeitpunkt beim Bundesverwaltungsgericht bestanden und könnten daher nicht zur Begründung eines Folgeantrages herangezogen werden. In Hinblick auf die Fluchtgründe des Beschwerdeführers sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Die Hochzeit habe am 28.07.2018 und damit zu einem Zeitpunkt stattgefunden, in welchem der Beschwerdeführer gewusst habe, dass er kein Recht auf einen Verbleib in Österreich habe. Auch hinsichtlich der Verwandten des Beschwerdeführers habe sich seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.04.2018 keine Neuerung ergeben, da nach den Angaben des Beschwerdeführers vom 18.10.2018 sowohl sein Onkel väterlicherseits als auch sein Bruder schon lang vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes Afghanistan verlassen hätten. Insgesamt stütze der Beschwerdeführer seinen (neuerlichen) Antrag auf internationalen Schutz auf einen Sachverhalt, der bereits verwirklicht war, bevor das Verfahren über seinen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz beendet war. Die Ehe habe der Beschwerdeführer mit seiner bereits während des Erstverfahrens bestehenden Freundin geschlossen, obwohl er gewusst habe, dass er nicht in Österreich verbleiben dürfe.

Zur Lage in Afghanistan ergebe sich aus den herangezogenen Länderinformationen, dass es in der Zeit seit dem ersten Verfahren inklusive des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht zu keiner derartigen Änderung der Lage in Afghanistan gekommen sei, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers als unmöglich erscheinen lasse. Innerstaatliche Fluchtalternativen seien nach wie vor mit Kabul, Mazar-e Sharif und Herat gegeben. Daran würden auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel nichts ändern.

Somit sei seit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (Erkenntnis vom 27.04.2018, XXXX ) weder hinsichtlich der geltend gemachten Fluchtgründe noch hinsichtlich der privaten Situation des Beschwerdeführers noch hinsichtlich der zu berücksichtigenden Verhältnisse im Herkunftsstaat eine wesentliche Änderung eingetreten. Daher handle es sich letztlich um eine bereits entschiedene Sache, sodass der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sei.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.11.2018, vertreten durch die XXXX , wegen behaupteter Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer eine Vollmacht vom 06.11.2018 für die XXXX und XXXX sowie die Kopie seiner Aufenthaltskarte (Vorderseite) vor.

Begründend brachte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde nach einer kurzen Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges vor, er habe während seiner Einvernahme vor dem BFA am 18.10.2018 unter anderem eine Bestätigung über einen bei der BH XXXX gestellten Antrag einer Aufenthaltskarte "Angehöriger von Österreichern" vom 15.10.2018 vorgelegt. Bereits am 28.07.2018 habe der Beschwerdeführer seine Verlobte XXXX geheiratet, die aufgrund eines Aufenthalts in Deutschland gemäß Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EU-Bürgerin sei. Der Beschwerdeführer sei somit begünstigter Drittstaatsangehöriger und bereits mit dem Tag der Eheschließung ex lege rechtmäßig in Österreich aufhältig.

Im bekämpften Bescheid vom 19.10.2018 sei nicht spruchgemäß über die Rückkehrentscheidung entschieden worden, sondern nur in der rechtlichen Beurteilung angemerkt worden, dass gegenüber dem Beschwerdeführer "eine vorherige Rückkehrentscheidung noch aufrecht ist", sodass "eine neuerliche Rückkehrentscheidung nicht zu erlassen" gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei durch den bekämpften Bescheid zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet. Gegen begünstigte Drittstaatsangehörige könne eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedoch nicht erlassen werden. Die Behörde hätte daher nach Ansicht des Beschwerdeführers erneut die Rückkehrentscheidung prüfen und darüber spruchmäßig entscheiden bzw. eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig aussprechen müssen.

Im gegenständlichen Fall liege auch keine "entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG vor, da nova producta vorliegen würden, sodass eine zurückweisende Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG unzulässig und rechtswidrig sei. Die im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren des Beschwerdeführers neuen Umstände bestünden darin, dass der Beschwerdeführer am 28.07.2018 "eine ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommene österreichische Staatsbürgerin" geheiratet habe. Der Beschwerdeführer sei seither begünstigter Drittstaatsangehöriger, er habe am 24.08.2018 bei der BH XXXX einen Antrag auf Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG gestellt und diese auch am 19.10.2018 erhalten. Die Bestätigung über den Antrag einer Aufenthaltskarte bei der BH XXXX habe der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 18.10.2018 vorgelegt.

2 Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2.1 Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der vom Beschwerdeführer gestellten Anträge auf internationalen Schutz, der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie durch das BFA, aufgrund des Bescheides vom 19.10.2018 und der dagegen erhobenen Beschwerde vom 08.11.2018 sowie der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt und in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1.1 Zum Verfahrensgang:

Der Ablauf des Verfahrensganges wird festgestellt, wie er unter Punkt 1. wiedergegeben ist.

2.1.2 Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Fluchtgründen:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX alias XXXX und ist am XXXX alias XXXX geboren.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er stammt aus der afghanischen Provinz Kapisa. Er hat dort als Hilfsarbeiter Arbeitserfahrungen sammeln können, eine Schulausbildung hat er nicht genossen.

Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz kann ebensowenig festgestellt werden wie eine maßgebliche Änderung der vom Beschwerdeführer bereits im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründe und der im Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des ersten Asylverfahrens vorliegenden Umstände. Neue Fluchtgründe hat der Beschwerdeführer im Folgeverfahren nicht vorgebracht.

Der Beschwerdeführer lebt seit (spätestens) 03.11.2015 in Österreich, ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer war seit September 2017 mit einer Österreicherin liiert, die er am 28.07.2018 geheiratet hat. Sie erwarten ein Kind. Die Schwangerschaft bestand bereits vor dem 27.04.2018. Ansonsten hat der Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten.

2.1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat:

2.1.3.1 Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 11.9.2018:

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demonstration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i-Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018

Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).

IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).

Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).

Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).

Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.8.2018 und 13.8.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca. 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (ANSA 14.8.2018; vgl. CBS 14.8.2018, Tolonews 12.8.2018). Quellen zufolge kapitulierten die Sicherheitskräfte nach dreitägigen Kämpfen und ergaben sich den Aufständischen (CBS 14.8.2018; vgl. ANSA 14.8.2018).

IS-Angriff auf schiitische Moschee in Gardez-Stadt in Paktia 3.8.2018

Am Freitag, dem 3.8.2018, kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt (SI 4.8.2018; vgl. Reuters 3.8.2018, FAZ 3.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (SI 4.8.2018).

IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018

Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Bild kann nicht dargestellt werden

(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten