TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/17 W237 2206494-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2018
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Entscheidungsdatum

17.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2206502-1/2E

W237 2206491-1/2E

W237 2206507-1/2E

W237 2206498-1/2E

W237 2206494-1/2E

W237 2206492-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde von 1.) XXXX, geb. XXXX, 2.) XXXX, geb. XXXX, 3.) mj. XXXX, geb. XXXX, 4.) mj. XXXX, geb. XXXX, 5.) mj. XXXX, geb. XXXX, und 6.) mj. XXXX, geb. XXXX, alle StA. Russische Föderation, alle vertreten durch XXXX, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl

vom 04.09.2018, 1.) Zl. 1103249609/160122904, 2.) Zl. 1103248503/160123056, 3.) Zl. 1103269808/160123137, 4.) Zl. 1103269906/160123153, 5.) Zl. 1103270210/160123170 und 6.) Zl. 1138018304/161681995, zu Recht:

A)

1. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, iVm § 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, iVm § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018, und § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG als unbegründet abgewiesen.

2. Gemäß § 55 Abs. 2 und 3 FPG wird die Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 10.02.2019 festgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin reisten im November 2015 gemeinsam mit ihren drei minderjährigen Kindern (den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern) unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 12.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.1. Im Zuge ihrer Erstbefragung am 25.01.2016 gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass sie Staatsangehörige der Russischen Föderation und muslimischen Glaubens seien sowie der tschetschenischen Volksgruppe angehörten. Vor ungefähr vier bis fünf Monaten hätten sie den Entschluss gefasst, Tschetschenien zu verlassen; sie wären anschließend über Russland, Weißrussland und Polen nach Österreich gereist, wo sie um Asyl angesucht hätten. Zum Fluchtgrund führte der Erstbeschwerdeführer an, dass vor zwei Jahren die Polizei zu ihm in die Arbeit gekommen sei und gemeint habe, der Erstbeschwerdeführer habe etwas gestohlen. Er sei daraufhin auf eine Polizeistation mitgenommen worden, wo die Polizisten ihm schließlich gesagt hätten, dass er gar nichts gestohlen habe und dieser Vorwurf nur ein Vorwand gewesen sei; sie hätten von ihm verlangt, dass er für sie als Täuschkäufer tätig werde. Der Erstbeschwerdeführer sei dieser Aufforderung ausgewichen und habe entgegnet, er wolle nur gelegentlich aushelfen. Wenn man ablehne, für die Polizei zu arbeiten, müsse man aus Angst, gefoltert oder umgebracht zu werden, sofort fliehen. Die Zweitbeschwerdeführerin verwies auf die Fluchtgründe ihres Mannes.

1.2. Nach Durchführung eines Verfahrens nach der Dublin III-VO wurden die Verfahren der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.09.2016 schließlich zugelassen.

1.3. Der Sechstbeschwerdeführer wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Der Erstbeschwerdeführer stellte am 15.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach den Bestimmungen des asylrechtlichen Familienverfahrens.

1.4. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am 23.07.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

1.4.1. Dabei brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er etwas Stress habe und unter psychologischer Betreuung stehe. Zum Leben in Österreich führte er an, dass alle Kinder bis auf den jüngsten Sohn in die Schule gingen, der mittlere Sohn gehe in den Kindergarten. In Tschetschenien würden noch vier Brüder und fünf Schwestern leben, zu denen er telefonisch in Kontakt stehe und denen es insgesamt gut gehe. Seine Brüder verrichteten Gelegenheitsarbeiten, sie hätten aber eigene Häuser und die Schwestern seien verheiratet. Der Erstbeschwerdeführer habe ein Haus geerbt, das Grundstück gehöre jedoch nicht ihm. Er habe in Tschetschenien elf Jahre lang die Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Anschließend sei er als Bauarbeiter tätig gewesen, er habe hie und da auch als Verkäufer gearbeitet.

Zu seinem Fluchtgrund befragt führte er an, dass es in Tschetschenien keine Meinungsfreiheit gebe und man unter Dauerstress stehe. Es könne die Situation heute gut sein und am nächsten Tag alles passieren. Er wolle mit seiner Familie ein normales Leben führen und seine Kinder in Österreich großziehen. Als junger Mensch habe er alles getan, was junge Menschen so tun würden, "auch ein wenig am Krieg teilgenommen". Nun wolle er das aber nicht mehr machen. Es seien damals alle im Krieg und bewaffnet gewesen, um gegen die Russen zu kämpfen. Wenn jemand die Waffe gegen ihn richte, verteidige er sich. Befragt, ob dies nun alle Fluchtgründe seien, bejahte dies der Erstbeschwerdeführer. Er wolle nur mehr ein normales Leben für sich und seine Familie, insbesondere seine Kinder führen. Was alles in Tschetschenien genau passiert sei, wolle er nicht erzählen, zumal ihm gesagt worden sei, dass das ohnehin egal sei. Er wolle nicht, dass seine Kinder stehlen oder kämpfen müssten, in Tschetschenien gebe es auch noch Minen, bei denen Kinder verletzt würden.

Über Vorhalt, dass der Erstbeschwerdeführer bei seiner Erstbefragung angegeben habe, von Polizisten rekrutiert worden zu sein, führte er an, dass dieser Vorfall in Weißrussland passiert sei und nichts mit Tschetschenien zu tun habe. In Österreich habe er arabische, afghanische, russische und auch österreichische Freunde, das gelte auch für seine Ehefrau. Außerdem sei er für die Caritas ehrenamtlich tätig gewesen. Seine Geschwister lebten mit ihren Kindern in Tschetschenien, eine Schwester sei in Deutschland. Der Erstbeschwerdeführer sei der jüngste in seiner Familie und im Krieg gewesen; er habe in diesem Zusammenhang Angst, dass ihn jemand verraten könne, im Krieg gewesen zu sein. Er habe allerdings nie Probleme mit der Polizei oder Behörden gehabt. Einen fluchtauslösenden Moment habe es nicht gegeben, er sei einfach ausgereist. Auf Nachfrage, wieso es dem Erstbeschwerdeführer nicht möglich sei, wie seine Geschwister in Tschetschenien zu leben, meinte er, dass er dort schon leben könne, er fürchte allerdings die allgemeine Situation.

1.4.2. Die Zweitbeschwerdeführerin führte im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 23.07.2018 zu ihrem Gesundheitszustand an, dass sie unter niedrigem Blutdruck leide;

ihrer ältesten Tochter sollten die Gaumenmandeln entfernt werden;

ernsthafte Erkrankungen lägen aber weder bei ihr noch ihren Kindern vor. Die Zweitbeschwerdeführerin habe noch keine Deutschkurse besucht; wenn ihr jüngstes Kind in den Kindergarten gehe, wolle sie jedoch auch an Kursen teilnehmen. Ihr Mann habe den A1-Kurs besucht. In Tschetschenien sei sie neun Jahre lang in die Schule gegangen, gearbeitet habe sie nie.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt führte sie an, dass sie ihrem Mann gefolgt sei. Auf Nachfrage, was sie bei einer Rückkehr nach Tschetschenien befürchte, führte sie an, dass es dort keine Arbeit gebe. Früher hätten sie Vieh gehabt, das sie allerdings verkauft hätten, um nach Österreich zu kommen. In Tschetschenien sei es aus finanziellen Gründen immer schwer gewesen. Zu einem fluchtauslösenden Ereignis könne sie keine Angaben machen. In Österreich wolle sie normal leben, damit ihre Kinder eine Ausbildung machen könnten. Wenn sie Deutsch gelernt habe, könne sie auch arbeiten gehen; in Tschetschenien gebe es hingegen keine Bildungsmöglichkeiten. Befragt, wie sie ihre Töchter erziehe, führte sie aus, dass sie sie nach moslemischen Traditionen erziehe; ihre Kinder müssten nur Kopftücher tragen, wenn sie es selbst wollten. Würden ihre Töchter einen christlichen Mann heiraten, hätte sie damit Probleme.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheiden vom 04.09.2018 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. nicht zu (Spruchpunkt III.), erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.); schließlich hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage (Spruchpunkt VI.).

2.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf dabei umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation, insbesondere zu Tschetschenien. Zu den Personen der Beschwerdeführer wurde festgestellt, dass vier Brüder und fünf Schwestern des Erstbeschwerdeführers weiterhin in Tschetschenien leben würden, eine seiner Schwestern lebe in Deutschland. Seine Brüder würden Gelegenheitsarbeit verrichten, der Erstbeschwerdeführer besitze in Tschetschenien ein Haus, seine Schwestern wären verheiratet und hätten jeweils eine eigene Familie. Keiner der Beschwerdeführer leide an einer lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung. Der Erstbeschwerdeführer habe Arbeitserfahrung in den verschiedensten Berufen gesammelt, unter anderem als Bauarbeiter und Verkäufer. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten den Großteil ihres Lebens in der Russischen Föderation verbracht und wären mit der Sprache und dem Kulturkreis bestens vertraut.

2.2. Dass die Beschwerdeführer einer asylrelevanten Verfolgung in Russland ausgesetzt wären oder eine solche bei ihrer Rückkehr zu erwarten hätten, habe nicht festgestellt werden können. Der Erstbeschwerdeführer habe in seiner Einvernahme sinngemäß ausgeführt, dass er und seine Familie in Tschetschenien Dauerstress ausgesetzt wären und keine Meinungsfreiheit hätten; konkrete Verfolgungshandlungen habe er nicht aufzeigen können, er fürchte lediglich "die allgemeine Situation". Hinsichtlich des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers, er sei im Krieg gewesen und fürchte daher bei einer Rückkehr die örtlichen Behörden, sei festzuhalten, dass der Erstbeschwerdeführer in seinem Heimatland nie Probleme mit den Heimatbehörden gehabt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keine ausführlichen Angaben machen können, sie sei lediglich dem Erstbeschwerdeführer gefolgt. Insgesamt habe somit keine asylrelevante Verfolgung festgestellt werden können.

2.3. Die Beschwerdeführer seien vor der Ausreise in der Lage gewesen, für sich zu sorgen, und es sei kein Grund ersichtlich, warum dies nicht wieder möglich sein sollte. Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz seien bei keinem der Beschwerdeführer hervorgekommen. Die Bindungen zu ihrem Heimatstaat seien wesentlich stärker als zu Österreich, so würden neun Geschwister des Erstbeschwerdeführers in Tschetschenien leben. Darüber hinaus besitze er in Tschetschenien auch ein Haus. Bei einer Rückkehr nach Tschetschenien sei nicht davon auszugehen, dass die Familie eine völlig ausweglose Situation erwarte.

2.4. Eine besondere Integrationsbemühung in Österreich sei ebenso nicht dargelegt worden. Umstände, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen rechtfertigen würden, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Bei keinem der Beschwerdeführer habe eine besonders tiefe Verwurzelung in die österreichische Gesellschaft festgestellt werden können, was auch aus dem kurzen Aufenthalt resultiere. Die Zweitbeschwerdeführerin habe zudem selbst angegeben, ihre Kinder nach tschetschenischem Weltbild zu erziehen. Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung der Beschwerdeführer würden daher bei einer Gesamtabwägung überwiegen.

3. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer vollinhaltlich Beschwerde, welche am 25.09.2018 per Fax beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin bringen sie vor, bei Tschetschenien handle es sich um eine Diktatur, die gravierende Menschenrechtsverletzungen zu verantworten habe. So gebe es dort Folter, Geiselnahmen und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen betreffend Personen auf Grund einfacher Kritik an der sozioökonomischen Lage in der Republik; zudem herrsche dort Arbeitslosigkeit. Da die minderjährigen Beschwerdeführer schulpflichtig seien, sei jedenfalls das Schuljahr abzuwarten. In Anbetracht der Integration der Familie, insbesondere der Kinder, und des Umstands, dass sich die Familie seit fast drei Jahren in Österreich aufhalte, seien Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig. Da die schulpflichtigen Kinder der Familie in den letzten Tagen ein neues Schuljahr begonnen hätten, sei die Frist für die freiwillige Ausreise jedenfalls so zu gewähren, dass diese das jeweilige Schuljahr beenden könnten.

4. Die Beschwerdeführer legten im Verfahren vor der belangten Behörde folgende Unterlagen vor:

4.1. Betreffend den Erstbeschwerdeführer:

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Psychiatrischer Befund vom 26.04.2016: PTSD F 43.1, Angst und depressive Störung, gemischt F 41.2;

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Bestätigungsschreiben des OeAD über den Besuch eines Deutschkurses für Flüchtlinge am Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten seit Januar 2016 vom 01.04.2016;

-

Arztbrief vom 02.05.2016, Diagnose: Depressive Störung, PTSD unwahrscheinlich;

-

Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 25.07.2016, keine abschließende Diagnose möglich;

-

Deutschkursbestätigung vom 11.05.2017 von März 2017 bis Juli 2017;

-

Überweisung vom 15.01.2018 an einen Lungenfacharzt wegen der Diagnose Dyspnoe;

-

Zertifikat über Besuch eines Deutschkurses A1.

4.2. Betreffend die Zweitbeschwerdeführerin:

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Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 25.07.2016 ohne Diagnose;

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Diverse ärztliche Schreiben betreffend ihre Schwangerschaft mit dem Sechsbeschwerdeführer wg. Eisenmangelanämie und Kreislaufproblemen;

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Ärztliches Schreiben eines Allgemeinmediziners vom 11.01.2018, wonach die Beschwerdeführerin gemeinsam mit insgesamt sechs Familienangehörigen in einer Zweizimmerwohnung lebe; die Wohnung sei für die Familie sehr klein, es entstehe dadurch ein großes gesundheitliches Risiko und alle Beschwerdeführer litten an Erkrankungen wie Panikattacken, Ausschlägen am ganzen Körper, Vertigo, Anämie, Schwäche, Schlafstörung und Asthma;

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Schreiben einer Erstuntersuchungsambulanz vom 18.01.2018, festgestellte Belastungsreaktion/Panikattacke und Gastritits;

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Überweisungsschreiben an einen Neurologen wg. Panikattacke und Depression vom 30.01.2018;

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Bestätigungsschreiben des Vereins Hemayat vom 25.01.2018, wonach die Zweitbeschwerdeführerin auf der Warteliste für Psychotherapie stehe.

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Schreiben einer Erstuntersuchungsambulanz vom 18.05.2018, wonach eine akute Belastungsreaktion bei chron. Stressreaktion vorgelegen sei;

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Diverse Blutbefunde ohne konkrete Diagnose.

4.3. Betreffend die Drittbeschwerdeführerin:

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Betreuungsvereinbarung der Stadt Wien für eine halbtägige Betreuung im Kindergarten von 01.04.2016 bis 31.08.2016;

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Schreiben einer Volksschule vom 27.04.2016 über die Aufnahme der Beschwerdeführerin in die Vorschulklasse ab September 2016;

-

Diverse Fragebögen und Informationsschreiben für eine Tonsillektomie (Mandeloperation);

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Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2016/2017 einer öffentlichen Volksschule;

-

Schulärztliche Information der MA 15, Überweisung an einen Zahnarzt;

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Ärztliches Bestätigungsschreiben einer Fachärztin für Kinderheilkunde vom 09.01.2018, aus welchem hervorgeht, dass die Drittbeschwerdeführerin an Müdigkeit und Aufmerksamkeitsstörung in der Schule und immer wiederkehrenden Infekten aufgrund der beengten Wohnsituation leide; ein eigenes Kinderzimmer sei notwendig und eine familiengerechte Unterbringung empfehlenswert;

-

Besuchsbestätigung der Vorschulklasse des 2. Semesters 2016/2017.

4.4. Betreffend die Viertbeschwerdeführerin:

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Ambulanzkarte einer Krankenanstalt, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde vom 25.01.2016, Diagnose: Streptokokkenangina,

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Schreiben des Ärztefunkdienstes vom 09.05.2016 an den Kindergarten, wonach die Viertbeschwerdeführerin unter Feuchtblattern in Abheilung leide, sie könne den Kindergarten vermutlich am 16.05.2016 wieder besuchen;

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Ambulanzkarte einer Krankenanstalt, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde vom 29.11.2015, Diagnose: hohes Fieber, Influenza A positiv mit Begleitpneumonie;

-

Schreiben einer Klassenlehrerin, worin diese beschreibt, dass die Viertbeschwerdeführerin sehr müde sei;

-

Ärztliches Bestätigungsschreiben einer Fachärztin für Kinderheilkunde vom 09.01.2018, aus welchem hervorgeht, dass die Viertbeschwerdeführerin an Müdigkeit und Aufmerksamkeitsstörung in der Schule und immer wiederkehrenden Infekten aufgrund der beengten Wohnsituation leide; ein eigenes Kinderzimmer sei notwendig und eine familiengerechte Unterbringung empfehlenswert.

4.5. Betreffend den Fünftbeschwerdeführer:

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Schreiben der Stadt Wien über Kleinkindergruppenplatz vom 23.03.2016;

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Schreiben eines Krankenhauses, Ambulanz Pädiatrie und Enuresis, vom 27.07.2016: Penisschafthaus und Präputium gerötet und geschwollen, Spülung mit Betaisodona.

4.6. Betreffend den Sechstbeschwerdeführer:

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Geburtsurkunde, Standesamt Wien vom 14.12.2016;

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Ambulanzkarte vom 03.12.2017, wonach der Beschwerdeführer mehrmals erbrochen habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang wird festgestellt.

1.2. Zur Person der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, die Eheschließung erfolgte in ihrem Herkunftsstaat. Die Dritt- bis Sechsbeschwerdeführer sind deren gemeinsame minderjährige Kinder. Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, muslimischen Glaubens und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig. Die Beschwerdeführer, mit Ausnahme des Sechstbeschwerdeführers, verließen die Russische Föderation im Oktober 2015 und reisten über Polen ins Hoheitsgebiet der EU ein, wo sie erstmals Anträge auf internationalen Schutz stellten. Daraufhin begaben sie sich illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellten am 12.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.2.1. Der Erstbeschwerdeführer wurde in Tschetschenien geboren, wo er sich bis zu seiner Ausreise im Oktober 2015 aufhielt. Er besuchte elf Jahre lang die Schule und schloss diese Ende der 1990er-Jahre mit Matura ab, daraufhin arbeitete er in verschiedenen Bereichen, unter anderem in der Baubranche. In Tschetschenien leben neun Geschwister des Erstbeschwerdeführers, mit denen er in regelmäßigem telefonischen Kontakt steht. Ihm selbst gehört in Tschetschenien ein Haus, das er geerbt hat.

Der Erstbeschwerdeführer geht keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er beherrscht die tschetschenische und russische Sprache; in Österreich besuchte er von März bis Juni 2017 einen Deutschkurs auf A1-Niveau, eine Deutschprüfung legte er jedoch nicht ab. In Graz lebt eine Tante des Erstbeschwerdeführers, die den Erstbeschwerdeführer und seine Familie bereits finanziell unterstützte; eine besonders enge Beziehung zu ihr ist nicht festzustellen. Der Erstbeschwerdeführer pflegt in Österreich soziale Kontakte und war ehrenamtlich bei der Caritas tätig.

Er leidet unter unspezifischen psychischen Problemen, steht aktuell jedoch nicht in Behandlung. Schwerwiegende Erkrankungen des arbeitsfähigen Erstbeschwerdeführers liegen nicht vor.

1.2.2. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Grozny geboren und besuchte in XXXX neun Jahre lang die Grundschule; eine weiterführende Ausbildung absolvierte sie nicht, sie war in ihrer Heimat Hausfrau und Mutter. Sie beherrscht Tschetschenisch und Russisch, besuchte keinen Deutschkurs und spricht nur in Grundzügen Deutsch. In Österreich ist sie mit der Kindererziehung und der Haushaltsführung beschäftigt. Sie ist kein Mitglied in einem Verein und verfügt über dieselben sozialen Kontakte wie ihr Ehemann. In Tschetschenien leben ihre Mutter und vier ihrer Geschwister, mit denen sie in telefonischem Kontakt steht.

Die Beschwerdeführerin leidet unter niedrigem Blutdruck und Kreislaufproblemen. Im Zuge ihrer Schwangerschaft mit dem Sechstbeschwerdeführer war sie deshalb mehrmals in ärztlicher Behandlung, die Geburt verlief jedoch komplikationslos. Sie leidet ebenfalls unter psychischen Problemen und steht auf einer Warteliste für einen Platz bei einem Psychotherapeuten.

1.2.3. Die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen wurden in Tschetschenien geboren und besuchen in Österreich die Volksschule. Die Drittbeschwerdeführerin befand sich wegen Halsschmerzen öfter in Behandlung; ärztlich ist beabsichtigt, die Mandeln zu entfernen. Keine der Beschwerdeführerinnen leidet aktuell unter einer schwerwiegenden Erkrankung.

Sie sprechen beide Tschetschenisch sowie die deutsche Sprache auf altersadäquatem Niveau.

Der gesunde Fünftbeschwerdeführer wurde in Tschetschenien geboren und besucht in Österreich einen Kindergarten. Der Sechstbeschwerdeführer ist der jüngste Sohn der Familie und wurde in Österreich geboren; er leidet unter keinen Krankheiten und besucht noch keinen Kindergarten.

1.2.4. Die Beschwerdeführer sind unbescholten.

1.3. Die Beschwerdeführer waren vor ihrer Ausreise keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren ihre körperliche Unversehrtheit betreffend ausgesetzt.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt.

So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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