Entscheidungsdatum
04.01.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W228 2202012-1/6E
W228 2202014-1/6E
W228 2202015-1/6E
W228 2202018-1/6E
W228 2202019-1/6E
W228 2202022-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX 1984 (BF1), der XXXX , geboren am XXXX 1992 (BF2), der XXXX , geboren am XXXX 2008 (BF3), der XXXX , geboren am XXXX 2012 (BF4), des XXXX , geboren am XXXX 2016 (BF5) sowie der XXXX , geboren am XXXX 2018 (BF6), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF3, BF4, BF5 und BF6 vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2018, Zlen: XXXX beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide
behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 08.01.2016 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für
die BF3, am XXXX 2008 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für
die BF4, am XXXX 2012 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.01.2016 gab der BF1 zu seinem Fluchtgrund an, dass ihm keine Gefahr gedroht habe. Er wolle wegen der Zukunft seiner Kinder in Österreich bleiben.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.01.2016 gab die BF2 an, dass sie wegen der Zukunft ihrer Kinder in Österreich sei.
Am 06.06.2016 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF5, am XXXX 2016 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Am 07.03.2018 wurde durch den BF1 als gesetzlicher Vertreter ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF6, am XXXX 2018 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Der BF1 wurde am 08.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er bis zu seinem 15. Lebensjahr in Afghanistan als Hirte gearbeitet habe. Dann sei er mit seinem Vater in den Iran gezogen und habe dort als Hilfsarbeiter gearbeitet. Im Jahr 2004/2005 habe er im Iran die BF2 geheiratet und seien sei nach der Hochzeit gemeinsam nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2006/2007 seien sie wieder in den Iran gegangen, wo sie in der Folge bis zum Jahr 2016 gelebt hätten. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, führte der BF1 aus, dass ein mächtiger Kommandant das Grundstück des Vaters des BF1 übernommen habe, da der Vater des BF1 sich jahrelang nicht im Heimatdorf aufgehalten habe. In weiterer Folge habe der Vater des BF1 das Grundstück an jemand anderen verkauft. Der Kommandant sei jedoch nicht bereit gewesen, das Grundstück an den rechtmäßigen Besitzer herauszugeben. Der BF1 habe dann zu dem Kommandanten gehen müssen und ihm klarmachen, dass sein Vater das Grundstück verkauft habe und sei er in der Folge geschlagen und verletzt worden. Drei Tage später sei er zu den Taliban gegangen und habe sich über den Kommandanten beschwert. Die Taliban hätten daraufhin die Familie des Kommandanten mitgenommen und sei ein Bruder des Kommandanten von den Taliban getötet worden. Die Familie des Kommandanten habe den BF1 dann verfolgt und sei auf ihn geschossen worden. Im Falle einer Rückkehr würde er von diesen Leuten getötet werden.
Die BF2 wurde am 08.05.2018 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie zunächst an, dass ihre älteste Tochter im Iran epileptische Anfälle gehabt habe und geistig zurückgeblieben sei. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die BF2 aus, dass sie Afghanistan wegen der Probleme des BF1 verlassen habe. Außerdem seien Frauen in Afghanistan nichts wert. Sie müssten eine Burka tragen und dürften nicht arbeiten. Im Falle einer Rückkehr hätte sie Angst, aufgrund der Probleme des BF1 getötet zu werden. Sie hätte auch Angst um ihre Kinder, da in Afghanistan immer gleich die ganze Familie umgebracht werde.
Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 17.06.2018 wurden die Anträge des BF1, der BF2, der BF3, der BF4, des BF5 und der BF6 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.
Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 17.06.2018 erhoben der BF1, die BF2, die BF3, die BF4, der BF5 und die BF6 mit Schriftsatz der Rechtsvertretung vom 13.07.2018 Beschwerde. Darin wurde zunächst ausgeführt, dass sich, in den angefochtenen Bescheiden, teilweise unrichtige Feststellungen finden würden. So werde betreffend die BF3 unrichtigerweise festgestellt, dass in ihrem Fall keine schweren psychischen Störungen bestehen würden. Die BF3 leide jedoch an Körperwahrnehmungsstörungen und sei geistig zurückgeblieben, weswegen sie Ergotherapie und sonderpädagogische Förderung in der Schule bekomme. Zur speziellen Situation der BF3 seien keine Feststellungen getroffen worden und sei kein medizinisches Gutachten über den psychischen Zustand der BF3 eingeholt worden, obwohl bei ihr eine geistige und körperliche Entwicklungsstörung festgestellt worden sei. Zudem sei fraglich, ob die Kinder im Falle einer Rückkehr überhaupt Zugang zu einer Schule hätten. Da es sich um drei Mädchen handle, sei eher davon auszugehen, dass ihnen der Zugang zu Bildung im Fall einer Rückkehr verwehrt werden würde. Zusätzlich müsse darauf hingewiesen werden, dass die BF3 eine spezielle Förderung in der Schule benötige. In weiterer Folge wurde auf eine Vielzahl von Berichten zur Situation in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde, hätte sie das Vorbringen der BF entsprechend gewürdigt, zu dem Schluss kommen hätten müssen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei. Zudem sei festzuhalten, dass die BF3 in ganz Afghanistan aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe von weiblichen geistig Behinderten verfolgt werden würde.
Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 27.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 08.01.2016 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für
die BF3, am XXXX 2008 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für
die BF4, am XXXX 2012 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Am 06.06.2016 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF5, am XXXX 2016 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Am 07.03.2018 wurde durch den BF1 als gesetzlicher Vertreter ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF6, am XXXX 2018 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere der minderjährigen BF3, BF4, BF5 und BF6 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.
Weiters wurden auch nicht ausreichende Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF3 getroffen, wurde doch vorgebracht, dass die BF3 geistig zurückgeblieben sei und im Iran epileptische Anfälle gehabt habe. Der Gesundheitszustand der BF3 wurde nicht durch Gutachten objektiviert.
Die belangte Behörde hat es zudem unterlassen, die individuelle Situation der BF2 als Frau in Afghanistan zu erörtern. Sie hat es unterlassen festzustellen, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 17.06.2018.
Die fehlende Einholung von Gutachten ergibt sich ebenso aus dem Verfahrensakt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.
"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.
Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.
In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.
Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit der BF3, der BF4, des BF5 und der BF6 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den vier Kindern, im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA zehn, sechs, zwei Jahre sowie vier Monate alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidungen betreffend die minderjährigen BF3, BF4, BF5 und BF6 sind somit begründungslos ergangen. Diese Begründungslosigkeit schlägt auch auf die Entscheidungen der BF1 und BF2 durch, da ein anderes Ergebnis bei nur einem im vorigen Satz genannten BF zwangsläufig auch auf die restlichen BF umzulegen ist.
Zudem ist festzuhalten, dass sich die belangte Behörde unzureichend mit dem Gesundheitszustand der BF3 auseinandergesetzt hat. So wurden im Zuge der Einvernahme der BF2 keine weiterführenden Fragen zum Gesundheitszustand der BF3 gestellt, obwohl die BF2 angab, dass die BF3 geistig zurückgeblieben sei und im Iran epileptische Anfälle gehabt habe. Zudem lag der belangten Behörde eine mit 03.05.2018 datierte "Information zur ergotherapeutischen Behandlung" vor, aus welcher hervorgeht, dass bei der BF3 eine Störung der Körperwahrnehmung sowie eine Sprachstörung diagnostiziert worden sei sowie, dass eine langfristige ergotherapeutische Behandlung dringend weiterzuführen sei. Die belangte Behörde hat sich hiermit jedoch in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern im angefochtenen Bescheid vielmehr - begründungslos - ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass bei der BF3 schwere psychische Störungen und/oder schwere Krankheiten bestehen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher den Gesundheitszustand der BF3 durch weitere Erhebungen und Einholung von Gutachten zu objektivieren haben.
Weiters ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich der BF2 wesentliche verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So hätte das BFA mit der BF2 ihre individuelle Situation als Frau in Afghanistan zu erläutern gehabt. Die BF2 gab im Zuge der Einvernahme am 08.05.2018 an, dass Frauen in Afghanistan nichts wert seien, nicht arbeiten dürften, eine Burka tragen müssten und nicht zu den Menschen gezählt werden würden. Die belangte Behörde ist auf dieses Vorbringen jedoch in keiner Weise eingegangen und hat der BF2 überhaupt keine Fragen bezüglich einer möglichen "westlichen Orientierung" gestellt. Es wurden keinerlei diesbezügliche Abklärungen vorgenommen.
Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde zwar allgemeine Feststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan getroffen, sie hat diese Feststellungen jedoch in keiner Weise mit der konkreten Situation der BF2 in Verbindung gebracht und finden sich weder in der Beweiswürdigung noch in der rechtlichen Beurteilung diesbezügliche Ausführungen. Die belangte Behörde setzt sich nicht weiter mit der Situation von Frauen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, in keiner Weise die individuelle konkrete Situation der B2 bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Die belangte Behörde hätte aufgrund der allgemeinen Situation von Frauen in Afghanistan amtswegig zu erheben gehabt, ob im Fall der BF2 eine Gefährdung aufgrund einer möglichen westlichen Gesinnung vorliegt. Den von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Verteidigung der Rechte der Frauen in einem Land, indem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt ist und von der traditionellen Stammeskultur bestimmt ist, nur eingeschränkt möglich sei bzw. staatliche Akteure nicht gewillt seien die Rechte der Frauen zu schützen und Richter durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt werden würden Täter freizulassen. Die belangte Behörde hätte bei offensichtlichen Zweifeln an dieser Situation aufgrund ihrer Ermittlungspflicht noch entsprechende Nachforschungen und Nachfragen in Verfahren zu tätigen gehabt hätte.
Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher hierauf bezogenen Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar.
Der von der Verwaltungsbehörde ermittelte Sachverhalt ist somit in mehreren Punkten grundlegend ergänzungsbedürftig.
Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.
Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W228.2202022.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.02.2019